Veranstaltung: | 49. Bundesdelegiertenkonferenz Karlsruhe |
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Tagesordnungspunkt: | D Dringlichkeitsanträge |
Antragsteller*in: | Cyrill Ibn Salem (KV Köln) und 84 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 38%) |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 21.11.2023, 19:28 |
D-05: Dringlichkeitsantrag: BVerfG-Urteil ernst nehmen – Schuldenbremse reformieren
Antragstext
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum zweiten Nachtragshaushalt 2021 des Bundes
nehmen wir sehr ernst und respektieren sie vollumfänglich. Wir begrüßen ausdrücklich, dass
die Bundesregierung die Folgen des Urteils unverzüglich geprüft und mit der Löschung von
Kreditermächtigungen im Klima- und Transformationsfonds in Höhe von 60 Mrd. Euro die ersten
nötigen Konsequenzen gezogen hat.
Wir erkennen an, dass sich die geringen Spielräume innerhalb der Schuldenbremse durch die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts weiter verengen. Kurzfristig muss daher
sorgfältig abgewogen werden, wie die notwendigen Investitionen in Wohlstand und Klimaschutz
mit der in der Verfassung festgeschriebenen Schuldenbremse in Einklang gebracht werden
können. Außerdem sind in den Bundesländern mögliche Folgen für die Sondervermögen der Länder
zu berücksichtigen.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts birgt aber auch eine Chance, die
Schuldenbremse so zu reformieren, dass sie zukunftsfähig, rechtssicher und praktikabel
angewendet werden kann.
So wie die Schuldenbremse aktuell in der Verfassung verankert ist, wirkt sie aus der Zeit
gefallen und wie eine „Fortschrittsbremse“. Es braucht schon heute massive Investitionen, um
das Klima zu schützen und unseren Wohlstand zu sichern. In einem anderen Urteil hat das
Bundesverfassungsgericht 2021 entschieden, dass jüngere Generationen durch konsequenten
Klimaschutz in ihren Freiheitsrechten geschützt werden müssen. Auch diesem Urteil wollen wir
weiter Rechnung tragen.
Weil die Schuldenbremse die nötigen Zukunftsinvestitionen nicht zulässt, wurde mit dem
Klima- und Transformationsfonds ein Sondervermögen geschaffen, das jetzt mit der
Gerichtsentscheidung um 60 Mrd. Euro reduziert werden musste. Zudem wurden vom
Bundesverfassungsgericht strenge Anforderungen an die „Jährlichkeit“ und „Jährigkeit“ von
solchen Sonderfonds formuliert. Daraus folgt: Sondervermögen sollten nicht zum Regelfall
werden, sondern können nur für ein bestimmtes Haushaltsjahr aufgesetzt und verwendet werden.
Um Zukunftsinvestitionen dauerhaft und rechtssicher zu ermöglichen, braucht es eine
grundsätzliche Reform der Schuldenbremse. Eine solche Reform birgt zudem die Chance die
Transparenz öffentlicher Haushalte für die Bürger*innen effektiv zu stärken und fördert
damit wichtige demokratische Prozesse.
Die Diskussion über eine zukunftsfähige Haushaltspolitik ist in vollem Gange.
Als GRÜNE wollen wir diesen Moment nutzen, um über Parteigrenzen hinaus ein Bündnis zur
Reform der Schuldenbremse zu schmieden. Als konstruktive Bündnispartei werden wir in den
Bundesländern und auf Bundesebene die Debatte über eine langfristige Reform der
Schuldenbremse anstoßen. Beginnend bei unseren jeweiligen Koalitionspartner*innen ist das
Ziel dabei eine breite politische und gesellschaftliche Mehrheit für eine grundlegende
Reform der Schuldenbremse herzustellen.
Wir wollen die Schuldenbremse im Grundgesetz für Bund und Länder zeitgemäß gestalten, sodass
die Tragfähigkeit der zukünftigen Zinslast gewährleistet ist, und zugleich die so dringenden
Investitionen ermöglicht werden. Bei konsumtiven Ausgaben streben wir eine Erhaltung der
derzeitigen strikten Regelungen an; bei Investitionen, die neues öffentliches Vermögen
schaffen, wollen wir eine begrenzte Kreditaufnahme in Höhe der Netto-Investitionen erlauben.
Ein zentrales Ziel des von uns angestoßenen Bündnisses sollte die Einsetzung einer
Föderalismuskommission aus Bund und Ländern sein, die in Zusammenarbeit mit Expert*innen
konkretere Reformoptionen erarbeiten kann.
Begründung der Dringlichkeit
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 zum zweiten Nachtragshaushalt 2021 des Bundes hat nach dem Antragsschluss mehr als nur eine Diskussion ins Rollen gebracht.
In der Folge des Urteils stellen sich grundlegende Fragen zu betroffenen Bundes- und Landeshaushalten, sowie zum Wirtschaftsstabilisierungsfonds.
Das Urteil stellt aber auch die Zukunftstauglichkeit und Praktikabilität der Schuldenbremse und damit die Schuldenbremse als solche in Frage.
Zu all dem müssen wir uns frühzeitig als Partei positionieren und möglichst schnell ins Handeln kommen.
Begründung
Die Aussetzung der Schuldenbremse in Notlagen, der sorgfältige Aufbau von Sondervermögen, der Abbau umweltschädlicher Subventionen und die Prüfung sozial ausgewogener Steuern können kurzfristige Lösungen sein, um sowohl dem Klimaschutz und dem Erhalt unseres Wohlstands als auch der in der Verfassung festgehaltenen Schuldenbremse gerecht zu werden.
Um Gesellschaft und Wirtschaft in Zeiten des Wandels Halt zu geben, muss die Handlungsfähigkeit des Staates aber dauerhaft und rechtssicher gestärkt werden.
Eine Reform der Schuldenbremse wird seit vielen Jahren von renommierten Ökonom*innen, führenden Wirtschaftsvertreter*innen, den Gewerkschaften und uns Grünen gefordert. Sie ist ökonomisch notwendig und angesichts der Urteile des Bundesverfassungsgerichts (vom 15. November 2023 zur Schuldenbremse und vom 24. März 2021 zum Klimaschutz) historisch geboten.
Das Bundesverfassungsgericht kam in seiner Pressemitteilung vom 15. November 2023 zum zweiten Nachtragshaushalt 2021 des Bundes[1], zu folgendem Ergebnis:
„Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an notlagenbedingte Kreditaufnahmen. Der Senat stützt seine Entscheidung auf drei, jeweils für sich tragfähige Gründe: Erstens hat der Gesetzgeber den notwendigen Veranlassungszusammenhang zwischen der festgestellten Notsituation und den ergriffenen Krisenbewältigungsmaßnahmen nicht ausreichend dargelegt. Zweitens widerspricht die zeitliche Entkoppelung der Feststellung einer Notlage gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vom tatsächlichen Einsatz der Kreditermächtigungen den Verfassungsgeboten der Jährlichkeit und Jährigkeit. Die faktisch unbegrenzte Weiternutzung von notlagenbedingten Kreditermächtigungen in nachfolgenden Haushaltsjahren ohne Anrechnung auf die „Schuldenbremse“ bei gleichzeitiger Anrechnung als „Schulden“ im Haushaltsjahr 2021 ist demzufolge unzulässig. Drittens verstößt die Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 nach Ablauf des Haushaltsjahres 2021 gegen den Haushaltsgrundsatz der Vorherigkeit aus Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG.
Die Entscheidung hat zur Folge, dass sich der Umfang des KTF um 60 Milliarden Euro reduziert. Soweit hierdurch bereits eingegangene Verpflichtungen nicht mehr bedient werden können, muss der Haushaltsgesetzgeber dies anderweitig kompensieren.“
In einem weiteren Urteil hat das Bundeverfassungsgericht bereits 2021 entschieden, dass jüngere Generationen in ihren Freiheitsrechten durch konsequenten Klimaschutz geschützt werden müssen. Dabei wurde auf die verfassungsrechtlich festgehaltene Verantwortung des Staates zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen für zukünftige Generationen (Art. 20a GG) abgestellt. Diese Verantwortung des Staates wurde im Urteil dahingehend konkretisiert, dass der deutsche Staat durch Klimaschutzmaßnahmen umgehend darauf hinwirken müsse den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur dem sogenannten „Paris-Ziel“ entsprechend auf deutlich unter 2 °C zu begrenzen.[2]
Beide Urteile können langfristig nur durch eine Reform der Schuldenbremse miteinander in Einklang gebracht werden, wenn gleichzeitig der Wohlstand und Arbeitsplätze erhalten bleiben sollen. Agora Energiewende hat den öffentlichen Investitionsbedarf bis 2030 auf jährlich 46 Milliarden Euro geschätzt, damit Deutschland seine 2021 nachgeschärften Klimaziele erreichen kann. Das entsprach im Jahr 2019 immerhin 1,3 Prozent des BIP, wohingegen die Schuldenbremse dem Bund grundsätzlich nur 0,35 Prozent des BIP als Nettoneuverschuldung gestattet. [3]
Diese Gelder dauerhaft in anderen Bereichen einzusparen, ist angesichts nötiger Investitionen in Infrastruktur, Mobilität, Digitalisierung uvam. dauerhaft nicht realisierbar.
Eine Veränderung der Schuldenbremse, wie sie aktuell im Grundgesetz steht, ist nur mit einer Zweidrittel-Mehrheit im Deutschen Bundestag möglich. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit ein breites gesellschaftliches und politisches Bündnis zu schmieden, um mittel- bis langfristig die nötige Mehrheit für eine grundlegende Reform der Schuldenbremse zu erreichen.
Ausgangspunkt für eine neue Regelung kann der hier beschriebene Vorschlag für eine Reform der Schuldenbremse aus dem Bundestagswahlprogramm der GRÜNEN von 2021 sein.[4] Konkretere Reformvorschläge obliegen dann einer Föderalismuskommission aus Bund und Ländern in Zusammenarbeit mit Expert*innen.
weitere Antragsteller*innen
Änderungsanträge
- D-05-002 (Fabian Müller (KV Münster), Eingereicht)
- D-05-006 (Fabian Müller (KV Münster), Eingereicht)
- D-05-012 (Fabian Müller (KV Münster), Eingereicht)
- D-05-015 (Fabian Müller (KV Münster), Eingereicht)
- D-05-025 (Albert Wenzel (KV Münster), Eingereicht)
- D-05-045 (Albert Wenzel (KV Münster), Eingereicht)