Antrag EP-Kapitel: | A – Was Wohlstand schützt |
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Antragsteller*in: | Bundesvorstand der Grünen Jugend (dort beschlossen am: 18.10.2023) |
Status: | Eingereicht |
Verfahrensvorschlag: | Erledigt durch: EP-G-01-226 |
Eingereicht: | 19.10.2023, 13:37 |
EP-W-01-326-3: A – Was Wohlstand schützt
Verfahrensvorschlag zu EP-G-01-226: Antragstext
Von Zeile 225 bis 226 einfügen (EP-G-01: B – Was Gerechtigkeit schützt):
damit die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt – in schweren ökonomischen Ausnahmesituationen durch kreditbasierte Soforthilfen stabilisiert und Arbeitsplätze sichert.
Junge Erwachsene brauchen in Zeiten multipler Krisen Perspektiven, die Mut machen und ein System, das sie im Notfall auffängt. Daher nehmen wir die europäische Jugendarbeitslosigkeit weiter in den Blick. Die europäische Jugendgarantie ist ein Weg um jungen Menschen berufliche Perspektiven zu eröffnen und als Fachkräfte in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Wir begrüßen die Stärkung im Rahmen der Coronapandemie und setzen uns weiter für eine Verstetigung ein. Insbesondere die Standards der Ausbildungs- und Qualifizierungsangebote wollen wir weiterentwickeln. Mit guter Beratung und Qualifizierung bekommt jeder junge Erwachsene in Europa die Chance einen Beruf zu erlernen.
Inflation mit steigenden Lebenshaltungskosten, Pandemie und zunehmende Wetterextreme haben
viele Menschen in ganz Europa vor große Herausforderungen gestellt. Familien und
Rentner*innen mussten wegen der gestiegenen Lebenshaltungskosten schmerzhafte Einschnitte
hinnehmen. Für viele Selbstständige und kleine Betriebe ist die Existenzgrundlage
weggebrochen. Und bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein sorgen gestiegene
Lebenshaltungskosten für akute, bisweilen gar existenzielle Nöte.
Zugleich hat die Krisenbewältigung der letzten Jahre gezeigt, was alles möglich ist, wenn
wir zusammenstehen – in Deutschland und Europa.
Menschen sehnen sich in diesen Zeiten der Krise nach Stabilität und Zusammenhalt. Europa
bietet darauf die Antwort. Die europäische Einigung hat den Lebensstandard von Millionen von
Menschen angehoben und mehr soziale Sicherheit gebracht. Wir sind überzeugt: Die Menschen in
Europa müssen sich gerade in Krisenzeiten auf einen starken Sozialstaat verlassen können,
der wirksam vor Armut und sozialer Ausgrenzung schützt.
Die Europäische Union (EU) kann einen Schutzraum bieten, der die sozialen Rechte
grenzüberschreitend und für die gesamte Breite der Gesellschaft sichert. Die EU kann
zugleich für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sorgen, die gerechten Wohlstand
überhaupt erst ermöglichen. Ein Wohlstand, der bei denen ankommen muss, die ihn erarbeiten.
Ein Wohlstand für die Vielen. Indem wir europaweit die Infrastruktur für klimaneutrales
Wirtschaften bauen, erzeugen wir Wertschöpfung, erhalten und schaffen gute Jobs für
Millionen von Menschen: Wirtschaftliche und soziale Infrastruktur gehen Hand in Hand und
bedingen einander.
Das starke und gerechte Europa, das wir gestalten wollen, zielt im Kern auf den Schutz jeder
und jedes Einzelnen, auf den Respekt vor der Leistung aller. Es schützt die Rechte der
Arbeitnehmer*innen gegen Ausbeutung. Es reduziert Ungleichheit. Es sichert den Anspruch der
Bürger*innen auf wirksame Medikamente und den Zugang zu hochwertiger Gesundheitsversorgung.
Es sorgt dafür, dass Verbraucher*innen ihre Ansprüche durchsetzen können. Es trägt dazu bei,
dass Familien besser abgesichert sind und Kinder eine gute Zukunft haben.
Europa ist mehr als ein Wirtschaftsraum. Die Europäische ist auch eine soziale Union, die
sich dem sozialen Fortschritt verschrieben hat. Das Versprechen von einem Leben in Würde und
Freiheit, von guten Arbeits- und Lebensbedingungen, von gleichen Chancen und einem Auskommen
ohne Armut, Ausgrenzung oder Diskriminierung zeichnet Europa aus – ein
Gerechtigkeitsversprechen an die Breite der Gesellschaft.
Wir setzen uns dafür ein, dass dieses Versprechen nun auch überall eingelöst wird. Dafür
wollen wir die soziale Dimension der EU weiter stärken. Wir wollen die Bedingungen dafür
verbessern, dass alle Europäer*innen noch einfacher und sicherer überall in der Union leben
und arbeiten können. So wird soziale Sicherheit zu einem Mehr an Freiheit.
Dazu wollen wir ein Europa, das verbindliche Standards setzt – für faire Löhne und starke
Gewerkschaften, gegen Willkür und Ausbeutung. Davon profitieren letztlich alle in der EU,
egal ob in wohlhabenden oder ärmeren Regionen. So ergänzt die soziale Infrastruktur die
wirtschaftliche; so erfüllen wir den europäischen Anspruch an eine Infrastrukturunion für
alle; so schaffen wir Zusammenhalt über den ganzen Kontinent hinweg. Denn klare
Mindeststandards beugen einem Wettlauf nach unten bei der sozialen Sicherung wirksam vor.
Wir stehen für ein starkes soziales Europa, das die Menschen vor Krisen schützt und vor Ort
einen echten Unterschied macht. Wenn wir über die europäische Souveränität sprechen, dann
geht es uns auch um die Ausgestaltung und die Verteidigung des europäischen Sozialmodells,
das sich in einer globalisierten Welt behauptet – und für Wohlstand und materielle
Sicherheit, gute Arbeit und hohe Sozialstandards steht. Dies gilt umso mehr, als die
Herausforderung der Klimaneutralität, technologischer Fortschritt und der demografische
Wandel die Arbeitswelt verändern.
In der Europäischen Säule sozialer Rechte sind die Grundsätze für ein soziales Europa
angelegt. Sie ist ein wichtiger Meilenstein einer europäisch abgestimmten sozialen Politik.
Doch bei Grundsätzen und Empfehlungen darf es nicht bleiben. Wir wollen rechtsverbindliche
und einklagbare Arbeits- und Sozialstandards daraus ableiten. Auch wenn der Sozialstaat
institutionell in erster Linie in den Mitgliedstaaten verankert ist, darf soziale
Gerechtigkeit nicht an Landesgrenzen haltmachen.
Wir wollen ein gerechtes Europa bauen. Das gerechte Europa ist ein Gemeinwesen, das
solidarisch finanziert wird, ohne Steuerschlupflöcher für Superreiche. Das gerechte Europa
ist ein Kontinent, auf dem jede und jeder gut leben kann – ob im Großraum Mailand, in der
Lausitz oder im ländlichen Rumänien. Das gerechte Europa bietet Zugang zu fair bezahlter
Arbeit und öffentlichen Dienstleistungen, zu guter Bildung und intakter Natur.
Kurzum: Das gerechte Europa ist ein Raum der Chancen und der Solidarität. Es bekämpft
soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen. Es fördert soziale Gerechtigkeit, die
Gleichstellung von Frauen und Männern, den Zusammenhalt zwischen den Generationen, Familien
und den Schutz der Rechte des Kindes. So ist es im Gründungsvertrag der EU angelegt. Für
diese Gerechtigkeit streiten wir. Dieses Europa wollen wir sein.
1. Gute Arbeit und soziale Sicherheit
Faire Löhne erreichen
Gute Arbeit mit fairen und verlässlichen Arbeitsbedingungen und einer wirksamen Mitsprache
gibt gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Umbruchs Sicherheit und Rückhalt. Wer von seiner
Arbeit verlässlich leben und seinen Arbeitsplatz aktiv mitgestalten kann, kann sich auch bei
Veränderungen einbringen. Das stärkt auch die Demokratie. Wir wollen gute Standards in ganz
Europa gestalten und prekäre Beschäftigung und Ausbeutung unterbinden. Eine starke
Sozialpartnerschaft und eine hohe Reichweite von Tarifverträgen sind wichtige Grundlagen für
gute Arbeit.
Ein konkreter Erfolg des sozialen Europas ist die Mindestlohnrichtlinie. Sie schützt Wert
und Würde von Arbeit. Und sie trägt dazu bei, dass viele Millionen Beschäftigte in Europa
künftig ein höheres Einkommen haben werden – wie die Bundesregierung auch auf unsere
Initiative mit der deutlichen Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns vorgemacht hat. Die
Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, angemessene Mindestlöhne nach klaren
Kriterien festzulegen und das Ergreifen wirksamer Maßnahmen nachzuweisen. Wir wollen, dass
die Mindestlohnrichtlinie in Deutschland konsequent umgesetzt wird, sodass der gesetzliche
Mindestlohn steigt und auch in Zukunft einen effektiven Mindestschutz für Beschäftigte
bietet. Darüber hinaus soll mit der Richtlinie die Tarifbindung verbindlich gestärkt werden:
Mitgliedstaaten mit einer tarifvertraglichen Abdeckung von weniger als 80 Prozent müssen
einen Aktionsplan vorlegen. Das werden wir auch in Deutschland umsetzen und damit
Gerechtigkeit in der Mitte der Gesellschaft stärken. Denn hierzulande ist die Reichweite von
Tarifverträgen in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen. Damit die
Mindestlohnrichtlinie in allen Mitgliedstaaten tatsächlich greift, muss ein wirksames
Monitoring erfolgen. So wirkt Europa konkret gegen Dumpinglöhne, damit Arbeit sich immer
lohnt.
Wir wollen Demokratie und Mitbestimmung am Arbeitsplatz länderübergreifend ausbauen, indem
wir die Europäischen Betriebsräte stärken. Bereits seit Jahren fordern wir an der Seite der
Gewerkschaften, dass die EU-Kommission endlich die bestehende Richtlinie zu den Europäischen
Betriebsräten überarbeitet und Ausnahmeregeln beendet. Dabei wollen wir die
Rechtssicherheit, den Rechtszugang und Durchsetzungsmöglichkeiten für Europäische
Betriebsräte verbessern. Um Schlupflöcher zu schließen, sollen auch Franchise-Unternehmen in
die Richtlinie einbezogen werden. Zudem setzen wir uns für eine stärkere Vertretung von
Frauen sowie jungen Beschäftigten und Auszubildenden in den Europäischen Betriebsräten ein.
Um die Mitbestimmung in der gesamten EU zu stärken, setzen wir uns für eine neue
Rahmenrichtlinie zur Unterrichtung, Anhörung und Beteiligung von Arbeitnehmer*innen ein, die
auf die verschiedenen europäischen Gesellschaftsformen von Unternehmen abgestimmt ist.
Darüber hinaus kämpfen wir für einen zeitgemäßen Arbeitsschutz in Europa – in einer sich
rasant beschleunigenden digitalen Arbeitswelt, die für viele Beschäftigte mit ständiger
Erreichbarkeit, Arbeitsverdichtung und Stress einhergeht. Wir wollen daher den Schutz der
Arbeitnehmer*innen vor psychischen und körperlichen Belastungen voranbringen.
Beschäftigte in der digitalen Arbeitswelt stärken
Neue Technologien bieten große Chancen: Mit neuen Geschäftsfeldern und -modellen entstehen
neue Jobs, digitalisierte Prozesse bringen Produktivitätsgewinne, Arbeiten wird flexibler,
beispielsweise durch Homeoffice-Regelungen. Ausbeutung darf auch in der digitalen
Arbeitswelt kein Geschäftsmodell sein. Deshalb setzen wir uns für starke Rechte von
Arbeitnehmer*innen im digitalen Zeitalter ein.
EU-weit arbeiten rund 28 Millionen Menschen für Unternehmen, die digitale Dienste anbieten
und zusammenführen, sogenannte Plattformunternehmen. Die EU-Kommission schätzt, dass 4
Millionen davon Scheinselbstständige sind. In der laufenden europäischen Gesetzgebung zu
Arbeitsbedingungen auf digitalen Plattformen setzen wir uns dafür ein,
Scheinselbstständigkeiten, die zu schlechten Arbeitsbedingungen und zu unzureichender
sozialer Absicherung führen, europaweit einen Riegel vorzuschieben. Es braucht zudem bessere
Möglichkeiten, die Regeln durchzusetzen. Dazu wollen wir unter anderem Arbeitsinspektionen
stärken.
Viele Unternehmen setzen Software ein, um automatisiert Aufgaben zuzuteilen und
Arbeitnehmer*innen zu überprüfen, zu evaluieren und zu disziplinieren oder auch
Einstellungsentscheidungen zu treffen – das sogenannte algorithmische Management. Die
ständige Überwachung, der Wegfall persönlicher Planungssicherheit im Alltag und der
übermäßige Arbeitsdruck, die mit seinem Einsatz einhergehen können, wollen wir beenden. Um
die Rechte der Arbeitnehmer*innen zu stärken und Missbrauch vorzubeugen, setzen wir uns für
eine neue EU-Richtlinie zum algorithmischen Management am Arbeitsplatz ein.
Freizügigkeit einfacher machen
Dass EU-Bürger*innen in jedem Mitgliedstaat arbeiten und leben können, ist ein Grundprinzip
der EU. Das eröffnet Freiheiten und fördert gleiche Chancen für alle in der EU. Damit das
für die Beschäftigten im Alltag funktioniert, setzen wir uns für eine bessere Koordinierung
der nationalen Sozialversicherungssysteme ein.
Es ist eine große Errungenschaft, dass Bürger*innen der EU Sozialversicherungsansprüche, die
sie in einem anderen EU-Land erworben haben, über die Grenzen mitnehmen können
(Portabilität). Doch die Realität löst dieses Versprechen noch nicht immer ein: Die
Unterschiede der nationalen Sicherungssysteme, aber auch die Bürokratie machen die
Handhabung kompliziert, und Lücken in den Leistungen lassen einige zurück. Wir wollen
deshalb mehr Koordinierung zwischen den nationalen Sozialversicherungssystemen, um soziale
Leistungsansprüche leichter von einem Land in das andere übertragen zu können und die
bestehenden Lücken gerade für Grenzpendler*innen abzubauen.
Auch die Langzeitpflege, beispielsweise für Rentner*innen oder Menschen mit chronischen
Krankheiten oder Behinderungen, soll auf diese Weise abgedeckt werden. Ein Europäischer
Sozialversicherungsausweis (ESSPASS) ist ein Beitrag dazu. Er soll die Übertragbarkeit von
Ansprüchen über Grenzen hinweg verbessern und durch digitale Überprüfung entbürokratisieren.
Wir wollen darüber hinaus die sogenannte A1-Bescheinigung durch ein digitales
Echtzeitregister ersetzen, um grenzüberschreitende Arbeitsausbeutung zu verhindern und einen
wirksamen Sozialschutz zu gewährleisten.
Das Arbeiten im Homeoffice gehörte in der Coronakrise für sehr viele Beschäftigte zum Alltag
und wird spätestens seitdem von mehr und mehr Arbeitnehmer*innen geschätzt. Wir wollen, dass
auch das mobile Arbeiten nicht an den europäischen Grenzen haltmacht, sondern prinzipiell
auch aus einem anderen Land als dem Beschäftigungsland möglich ist. Deshalb setzen wir uns
dafür ein, dass es eine Richtlinie für Homeoffice gibt, die es erleichtert, EU-weit im
Homeoffice zu arbeiten.
Ausbeutung bekämpfen
Damit Freizügigkeit für alle Arbeitnehmer*innen funktioniert, ist darüber hinaus ein
wirksamer Schutz vor Ausbeutung unerlässlich. Egal ob eine Arbeitnehmerin aus Österreich in
Frankreich arbeitet oder ein Saisonarbeiter aus Georgien in Rumänien: Unionsbürger*innen und
Menschen aus Drittstaaten brauchen umfassenden Schutz vor Diskriminierung und Ausbeutung,
wenn sie in einem anderen EU-Land arbeiten.
Das führen nicht zuletzt die Skandale in der Fleischindustrie, bei Lkw-Fernfahrer*innen, bei
Saisonarbeiter*innen oder im Baugewerbe deutlich vor Augen. Wir sagen diesen Formen der
Ausbeutung den Kampf an. Ein wirksames Mittel sind regelmäßig stattfindende
Arbeitsinspektionen, für die die Mitgliedstaaten das Personal aufstocken sowie Schulungen in
europäischer Gesetzgebung und grenzüberschreitenden Angelegenheiten verbessern sollten. Auch
eine bessere Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden und der Europäischen
Arbeitsbehörde (ELA) ist nötig. Sie sollte zudem eine stärkere Rolle für gemeinsame
koordinierte Inspektionen erhalten.
Wir wollen weitere Maßnahmen ergreifen, um missbräuchliche Praktiken von Subunternehmen zu
unterbinden, beispielsweise die gesamtschuldnerische Haftung rechtlich verankern. Immer
wieder werden Arbeiter*innen zu katastrophalen Bedingungen untergebracht, in überfüllten
Zimmern, unter schlechten hygienischen Bedingungen und mit überteuerter Miete, die direkt
vom Lohn einbehalten wird. Die Verpflichtung zu angemessener Unterbringung wollen wir
deshalb rechtlich absichern und wirksam durchsetzen.
Eine wirksame Bekämpfung der Arbeitsausbeutung beginnt damit, dass sich Betroffene einfach
und in der eigenen Sprache über ihre Rechte informieren können – und für deren Durchsetzung
Hilfe erhalten. Wir setzen uns für eine langfristige und verlässliche Finanzierung für die
Schaffung und europaweite Vernetzung entsprechender Beratungs- und Unterstützungsstrukturen
ein. Die Gewerkschaften sind mit ihrer fachlichen Expertise wertvolle Partnerinnen in der
Entwicklung und Durchführung solcher Angebote. Wir begrüßen, dass europäische Zahlungen im
Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik künftig von der Einhaltung von Arbeitsnormen in der
Landwirtschaft abhängig gemacht werden. Diese sogenannte soziale Konditionalität muss nun
effektiv umgesetzt werden.
Kinderarmut abbauen
Jedes vierte Kind in Europa ist von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht – das entspricht
fast 20 Millionen Kindern, die an gesunder Ernährung, Sport, Bildung und Kultur nur sehr
eingeschränkt teilhaben können. Kinderarmut bedeutet einerseits existenziellen Mangel im
Hier und Jetzt, andererseits weniger Chancen auf ein selbstbestimmtes und erfolgreiches
Leben in der Zukunft. Wir wollen, dass alle Kinder gut ins Leben starten können. Dazu
brauchen sie eine bessere finanzielle Absicherung sowie den Zugang zu einer gut ausgebauten
Betreuung und sozialen Infrastruktur. Mit der Kindergrundsicherung hat die Bundesregierung
auf unsere Initiative in Deutschland ein zentrales Instrument im Kampf gegen Kinderarmut auf
den Weg gebracht. Armutsgefährdeten Kindern wird es besser gehen, Armut nicht mehr versteckt
sein und Eltern sorgen- und angstfreier leben können, weil sie und ihre Kinder abgesichert
sind.
Auch die EU unterstützt die Mitgliedstaaten im Kampf gegen Kinderarmut. Mit der Europäischen
Kindergarantie gibt es seit 2021 erstmals ein europaweites Instrument, um Kinder aus
benachteiligten Verhältnissen zu unterstützen; das reicht vom kostenlosen Zugang zu Bildung
über gesunde Ernährung bis hin zu angemessener Unterbringung. Bei der Umsetzung der
Kindergarantie in Deutschland binden wir auch die Zivilgesellschaft aktiv ein.
Soziale Mindeststandards verankern
Über 95 Mio. Menschen in der EU sind von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Hohe
Lebenshaltungskosten haben die soziale Lage der Menschen zum Teil existenziell verschärft.
Wir wollen, dass sich alle Menschen in Europa auf starke Sozialsysteme verlassen können, die
sie vor Armut schützen. Dafür brauchen die Sozialstaaten der Mitgliedsländer verbindliche
Mindeststandards.
Wir wollen die bisherige europäische Empfehlung für angemessene Mindestsicherungssysteme zu
einer verbindlichen Richtlinie weiterentwickeln und die darin festgelegten Standards mit
einem sozialen Rechtsanspruch für Betroffene in den Mitgliedstaaten verbinden. In diesem
Zuge sollen alle Mitgliedstaaten ihre Sozialsysteme stufenweise gemäß ihrem jeweiligen
Wohlstandsniveau armutsfest ausgestalten, nachhaltige Integration in gute Arbeit fördern und
die soziale Infrastruktur ausbauen. Das bedeutet auch für Deutschland Rückenwind für einen
starken Sozialstaat und mehr soziale Gerechtigkeit.
Soziale Sicherung krisenfest machen
Der Sozialstaat muss sich gerade in Krisenzeiten bewähren. Eine bessere Vorsorge gegen
wirtschaftliche und soziale Folgen externer Schocks muss daher eine zentrale Lehre aus den
Krisen der letzten Jahre sein. Die Sozialsysteme der Mitgliedstaaten müssen krisenfest
gemacht werden und in Notlagen schnellen und wirksamen Schutz für die Menschen ermöglichen.
Krisenbedingte Massenarbeitslosigkeit mit hohen sozialen Folgekosten und Härten aber
überfordert viele Mitgliedstaaten der EU. Ihre Folgen destabilisieren die ganze EU. Mit dem
europäischen Kriseninstrument SURE wurden den Mitgliedstaaten während der Coronapandemie
finanzielle Darlehen und Garantien bereitgestellt, um Arbeitsplätze durch den Einsatz von
Kurzarbeitergeld zu retten – ein großer Erfolg. Mit dem Instrument konnten allein im Jahr
2020 in Europa schätzungsweise 1,5 Millionen Jobs gerettet werden. Aufbauend auf dieser
Erfahrung wollen wir mit einer Arbeitslosenrückversicherung für die Mitgliedstaaten ein
dauerhaftes Kriseninstrument schaffen, das die nationalen Arbeitslosenversicherungen – und
damit die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt – in schweren ökonomischen Ausnahmesituationen
durch kreditbasierte Soforthilfen stabilisiert und Arbeitsplätze sichert.
Junge Erwachsene brauchen in Zeiten multipler Krisen Perspektiven, die Mut machen und ein System, das sie im Notfall auffängt. Daher nehmen wir die europäische Jugendarbeitslosigkeit weiter in den Blick. Die europäische Jugendgarantie ist ein Weg um jungen Menschen berufliche Perspektiven zu eröffnen und als Fachkräfte in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Wir begrüßen die Stärkung im Rahmen der Coronapandemie und setzen uns weiter für eine Verstetigung ein. Insbesondere die Standards der Ausbildungs- und Qualifizierungsangebote wollen wir weiterentwickeln. Mit guter Beratung und Qualifizierung bekommt jeder junge Erwachsene in Europa die Chance einen Beruf zu erlernen.
Wohnen bezahlbar machen
Wohnen ist eine der zentralen sozialen Fragen unserer Zeit. Es muss als Teil der
Daseinsvorsorge verstanden werden. In gesicherten Wohnverhältnissen zu leben, ist für alle
Menschen existenziell. Knapper Wohnraum in den Städten, vielerorts steigende Mieten und ein
rückläufiger Bestand an Sozialwohnungen belasten Mieter*innen bis in die Mitte der
Gesellschaft und führen zu Verdrängung und Unsicherheit. Wir wollen mehr bezahlbaren
Wohnraum schaffen und steigende Mieten begrenzen. Investor*innen, die europaweit im
erheblichen Umfang städtische Wohnimmobilien aufkaufen, treiben vielerorts Immobilien- und
Mietpreise in die Höhe. Wir wollen die bestehenden europäischen Regelungen den Prüfstand
stellen, um Mieter*innen in den Mitgliedstaaten besser vor steigenden Preisen zu schützen.
Obdach- und Wohnungslosigkeit verletzt die Menschenwürde und gehört zu den extremsten
Ausprägungen von Armut. Die EU hat sich das Ziel gesetzt, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu
beenden und eine Europäische Plattform zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit ins Leben gerufen.
Der Dialog zwischen den Mitgliedstaaten muss weiter gestärkt werden, damit sie voneinander
lernen können und bewährte Konzepte wie Housing First adaptieren können. Ferner wollen wir
die Unterstützung der betroffenen Menschen vor Ort stärken. Die europäischen Fördermittel
für entsprechende Vorhaben und Projekte wollen wir angemessen ausgestalten.
2. Starke Regionen
Kommunen stärken
Die Stärke und Attraktivität der EU liegt auch in der Vielfalt ihrer Regionen und Kommunen.
Sie sind das Fundament der EU. Hier leben, lernen und arbeiten die Menschen. Starke Kommunen
florieren in einem starken Europa, das kommunalen Bedürfnissen und der kommunalen
Gestaltungsfreiheit eine besondere Bedeutung beimisst. Das Subsidiaritätsprinzip – also
Entscheidungen möglichst bürgernah zu treffen – ist die Grundlage für ein Europa, das
schützt und ermöglicht. Dieses Prinzip wollen wir stärken.
Dazu gehört auch, dass die EU mit ihren Möglichkeiten da unterstützend wirken soll, wo
Kommunen an ihre Grenzen stoßen. In den Kommunen Europas findet das Alltagsleben der
Bürger*innen statt. Hier wird gewohnt und gearbeitet, werden Kinder betreut und das Ehrenamt
gepflegt. Kommunen bieten die Basis unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens und mit einer
funktionierenden Grundversorgung auch attraktive Standorte für Unternehmen und
Arbeitnehmer*innen aus ganz Europa. Die Umsetzung der Wettbewerbsregeln darf nicht dazu
führen, dass Kommunen zur Privatisierung öffentlicher Güter gezwungen werden. Es braucht
deshalb gutes Vergabe- und Konzessionsrecht, das soziale und ökologische Kriterien in den
Mittelpunkt stellt – und dabei die öffentliche Hand stärkt. Es fördert die Rechtssicherheit
und ermöglicht Kommunen, sich für qualitativ hochwertige Angebote zu entscheiden. So können
Kommunen selbst die Wertschöpfung aus öffentlicher Infrastruktur stärken. Indem wir in der
EU die Rekommunalisierung vergangener Privatisierungen ermöglichen, sorgen wir für neue
Entscheidungsspielräume vor Ort. Eine EU, die die kommunalen Gestaltungsspielräume
verteidigt und ausbaut, sichert Lebensqualität und sozialen Zusammenhalt.
Insbesondere der Zugang zu sauberem und günstigem Trinkwasser ist eine existenzielle
Grundlage für ein gesundes Leben. Europa garantiert durch den Erfolg der Bürgerinitiative
Right2Water die weltweit höchsten Standards für Trinkwasser. Die Versorgung mit Trinkwasser
soll weiterhin in kommunaler Hand bleiben und nicht nach rein marktwirtschaftlichen
Interessen bestimmt werden. Wir verteidigen daher die Ausnahme der Wasserversorgung aus der
Konzessionsrichtlinie und schützen das Recht auf Trinkwasser in der EU.
Europa muss vor Ort gelebt werden. Kommunen, Regionen, Unternehmen und die Zivilgesellschaft
brauchen mehr Mitspracherecht bei der Gestaltung europäischer Politik. Deshalb wollen wir
den Europäischen Ausschuss der Regionen und den Europäischen Wirtschafts- und
Sozialausschuss stärken. Die grenzüberschreitende europäische Zusammenarbeit wie die
Städtepartnerschaften oder Initiativen zur Stärkung der grenzüberschreitenden regionalen
Wettbewerbsfähigkeit (INTERREG-Programme) stärken die Kommunen und Regionen. Sie wollen wir
ausweiten. Die Ebene der europäischen Regionen (Euregios und Eurodistrikte) soll
entbürokratisiert und flexibler gestaltet werden. Sie tragen mit grenzüberschreitenden
Programmen wie etwa einer Beratung für Grenzpendler*innen, der Zusammenarbeit der
Handwerkskammern oder der gemeinsamen Raumentwicklung maßgeblich und nah am Alltag der
Bürger*innen zum Gelingen der Europäischen Union bei.
Zusammenhalt vor Ort fördern
Der Erfolg des Green Deal und der Zusammenhalt der EU entscheiden sich vor Ort: in den
europäischen Regionen und anhand konkreter Projekte. Eine effiziente Förderpolitik in der EU
ist an den Chancen und Herausforderungen des digitalen und ökologischen Wandels
ausgerichtet. Wir stellen dabei die wirtschaftliche und soziale Annäherung der Regionen in
Europa in den Vordergrund. Der Umfang der Fonds und Förderprogramme soll sich in seiner
Größe an den Herausforderungen orientieren.
Europäische Regionen sind bislang unterschiedlich stark auf diese Herausforderungen
vorbereitet. Das gilt sowohl innerhalb als auch zwischen den europäischen Mitgliedstaaten.
Eine konsistente und an klaren Kriterien ausgerichtete Förderpolitik wird bei der
Bewältigung dieser Herausforderungen zu Antrieb und Kompass zugleich. Strukturschwache und
ländliche Regionen, sowie Regionen mit industrieller Prägung und
Modernisierungsherausforderungen, wollen wir bei der Auszahlung in den Mittelpunkt stellen,
um gleichwertige Lebensverhältnisse für alle Menschen zu schaffen.
Gerade in strukturschwachen Regionen stellt der demografische Wandel eine große
Herausforderung dar. Die Abwanderung von Fachkräften, insbesondere jungen Menschen und
Frauen, führt diese Regionen in eine Spirale der Perspektivlosigkeit. Dem muss die EU-
Förderpolitik entgegenwirken. So stärken wir die Gestalter*innen der Zukunft vor Ort und
schaffen gute Perspektiven für die Regionen.
Große Herausforderungen brauchen eine große Kraftanstrengung und gleichzeitig Effizienz und
Zielgenauigkeit im Einsatz der Mittel. Das stellen wir sicher, indem wir die Fördermittel an
Kriterien im Sinne des europäischen Green Deal ausrichten. Der Europäische Sozialfonds
(ESF+) spielt dabei eine bedeutende Rolle. Durch ihn werden auch bei uns zahlreiche
Gründer*innen und Angestellte beraten, unterstützt und lebenslang weiter gebildet. Wir
statten den ESF+ mit ausreichend Mitteln aus, um über ihn unter anderem aktive
Beschäftigungspolitik und soziale Teilhabe zu fördern. Dabei setzen wir uns dafür ein, dass
die Bedingungen guter Arbeit eine große Rolle spielen und die Mittel zu Treibern für eine
gerechte EU werden. Durch ein starkes Bekenntnis zu Tarifen, einen guten Arbeits- und
Gesundheitsschutz und vielfältige Möglichkeiten, Aus- und Weiterbildungen wahrzunehmen,
werden attraktive Arbeitsplätze für die geförderten Regionen zum Standortvorteil.
Europäische Fördermittel bieten eine große Chance, innovative Projekte zu entwickeln. Die
Beantragung der Mittel ist jedoch oft zu kompliziert. Das reduziert die Zahl der Anträge und
manche gute Projekte werden nicht verwirklicht. Das ändern wir, indem wir uns dafür
einsetzen, den Zugang zu Fördermitteln zu vereinfachen und die Umsetzung zu erleichtern.
Dabei stellen wir die Zielgenauigkeit sicher. Gleichzeitig erhalten wir die nötige
Flexibilität, um auf neue Herausforderungen reagieren zu können. Um bürokratische Hürden
abzubauen, wollen wir unter anderem bei kleineren Fördersummen mehr Pauschalen einführen und
ehrenamtliche Antragsteller*innen nach Projektbewilligung von der Vorfinanzierung befreien.
Bürokratieabbau schafft so mehr Effizienz.
Jede wichtige Veränderung braucht die Beteiligung der Bürger*innen und der Zivilgesellschaft
vor Ort. Eine Politik des Gehörtwerdens nutzt die lokale Expertise und schafft gegenseitiges
Verständnis. Dieses Wissen kann durch die Partnerschaft für Bürgerbeteiligung
(Partnerschaftsprinzip) einfließen. Mechanismen wie Bürgerdialoge, öffentliche Beratungen
oder Foren sollen Teil der Prozesse zur Mittelvergabe in allen Mitgliedstaaten sein. So
sichern wir Mitbestimmung und demokratisieren die Förderpolitik der EU.
Chancen in ländlichen Räumen nutzen
Ländliche Räume sind Zukunfts- und Chancenräume. Ihre Entwicklung entscheidet erheblich über
den Erfolg einer EU, die zusammenhält. Die Verkehrswende kann die ländlichen Räume näher
zusammenbringen. Die Energiewende kann neue Wertschöpfung und finanziell gestärkte Kommunen
schaffen. Die Entwicklung aller ländlichen Räume ist für uns ein zentrales Ziel. Alle
Menschen sollen mitentscheiden und davon profitieren können. Dazu brauchen sie eine
verlässliche Daseinsvorsorge und Orte, an denen sie sich begegnen und austauschen können.
Wir wollen die Daseinsvorsorge stärken, indem wir Bürgergenossenschaften und
multifunktionale Einrichtungen unterstützen. Um das zu erreichen, wollen wir Förderansätze
wie LEADER und den EU-Multifondsansatz in der Strukturpolitik weiter stärken.
Energie wird wieder zunehmend in der Fläche erzeugt, das schafft zusätzliche Wertschöpfung
auf dem Land. Den Flächenverbrauch wollen wir dabei minimieren und konsequent Mehrfachnutzen
mitdenken, beispielsweise über Agri-Photovoltaik-Anlagen, Biodiversitäts-Photovoltaik oder
mehr erneuerbare Stromerzeugung über versiegelten Flächen. Den Ausbau der Erneuerbaren und
die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft werden wir durch den gezielten Einsatz
von Förderungen so unterstützen, dass die Menschen vor Ort davon profitieren. Wir setzen uns
dementsprechend dafür ein, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des
ländlichen Raums (ELER) in die Kohäsionsmittel zu integrieren und es auszubauen.
Vergaberecht modernisieren
Eine echte Infrastrukturunion, ein starker europäischer Markt und die Umsetzung des Green
Deal in ganz Europa gehen Hand in Hand mit massiven Investitionen in eine sichere Zukunft,
auf nationaler wie europäischer Ebene. Mit einem an sozialen und nachhaltigen Kriterien
ausgerichteten Vergaberecht werden diese Investitionen einmal mehr zum Motor für eine
gerechte und zukunftsfeste EU. Besonders dort, wo wir in eine stabile europäische
Infrastruktur, in effiziente Stromnetze, ein zuverlässiges Bahnnetz oder ein am Menschen
ausgerichtetes Gesundheitssystem investieren, können wir viel bewirken. Die europäische
Infrastrukturunion anzukurbeln, hat positive Effekte auf den europäischen Arbeitsmarkt: Es
entstehen gerade in diesen Sektoren neue Jobs. Diese Jobs sollen auch gute Jobs werden. Ein
starkes Vergaberecht sichert die Zukunft vieler Arbeitnehmer*innen in ganz Europa.
Der Staat ist selbst ein großer wirtschaftlicher Akteur, diesen riesigen Hebel wollen wir
nutzen. Egal ob Dienstleistungen oder Waren: Öffentliche Beschaffungen sollten in der EU
konsequent nachhaltig erfolgen. Daher wollen wir die Richtlinie für öffentliches
Beschaffungswesen modernisieren und auf Nachhaltigkeitskriterien ausrichten.
Dabei bleiben Transparenz, Digitalisierung, Entbürokratisierung und unkomplizierte Verfahren
unsere Leitlinien. Jedes Unternehmen soll sich einfach und erfolgreich um die Vergabe
öffentlicher Aufträge bewerben können. Geldverschwendung wird durch eine klare
Beschaffungspolitik minimiert. Die einfache Kommunikation der Regeln und eine aktive
Unterstützung für kleine und lokale Anbieter, beispielsweise mit Hinweisen auf die
rechtlichen Rahmenbedingungen, sorgen dabei für Gerechtigkeit. Die Vergabe öffentlicher
Aufträge wird so zum Wettbewerb um die besten Konditionen.
3. Eine verlässliche Gesundheitsversorgung
Gesundheitskrisen europäisch bewältigen
Wir wollen ein Europa, das gemeinsam die Gesundheit aller Menschen schützt.
Die Coronapandemie hat einmal mehr gezeigt, dass die großen Herausforderungen für unsere
Gesundheit keine nationalen Grenzen kennen. Sie hat uns auch gezeigt, dass wir ihnen
gemeinsam besser begegnen können. Die schnelle Entwicklung und Verfügbarkeit der
Coronaimpfstoffe zum Beispiel war auch ein europäischer Erfolg, der durch langjährige
Forschung, innovative Unternehmen und grenzüberschreitende Zusammenarbeit zustande gekommen
ist. Die EU hat in der Pandemie die gemeinsame Beschaffung von Schutzausrüstungen und
Impfstoffen vorangetrieben, gemeinsame Forschungstätigkeit gestärkt, bei Grenzschließungen
Freizügigkeiten und Warenlieferungen koordiniert sowie ökonomische Notsituationen
abgefedert. Auch die Kompetenzen des Europäischen Zentrums für die Prävention und die
Kontrolle von Krankheiten (ECDC) wurden erweitert, um den Austausch mit und zwischen den
Mitgliedstaaten zu stärken sowie Gesundheitskrisen früher zu erkennen und zu bewältigen.
Um grenzüberschreitende Gesundheitskrisen besser zu bewältigen und die Krisenvorsorge zu
stärken, wollen wir noch enger auf europäischer und globaler Ebene zusammenarbeiten. Die EU
hat hier eine wichtige Rolle, um nationale Maßnahmen zu unterstützen und zu ergänzen. Sie
kann auch global einen wichtigen Einfluss ausüben. Auf internationaler Ebene setzen wir uns
dafür ein, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und multilaterale Gesundheitsinitiativen
politisch, finanziell und personell zu stärken sowie den globalen Zugang zu bezahlbaren
Medikamenten zu verbessern. Das ist eine Frage der Solidarität, denn Gesundheitskrisen
treffen die Ärmsten häufig am stärksten. Es liegt aber auch in unserem Eigeninteresse, denn
Pandemien sind globale Herausforderungen. Wir setzen uns für einen aktiven Technologie- und
Wissenstransfer bezüglich der Herstellung entscheidender Arzneimittel ein. Monopole auf
geistiges Eigentum zur Bekämpfung von Krankheiten dürfen den Zugang zu überlebenswichtigen
Schutzmaterialien, Gesundheitstechnologien, Impfstoffen und Medikamenten nicht verhindern.
Lehren aus der Pandemie ziehen
Auch wenn mit den Ausgangsbeschränkungen oder der Maskenpflicht die sichtbarsten Zeichen der
Coronapandemie verschwunden sind, leiden noch immer viele Menschen unter den Folgen von
Covid-19. Betroffene von myalgischer Enzephalomyelitis bzw. dem chronischen
Erschöpfungssyndrom (ME/CFS), von Post-Vac oder von Long Covid finden nicht die notwendige
Aufmerksamkeit, werden fehldiagnostiziert oder treffen auf Vorurteile. Deshalb wollen wir
auf europäischer Ebene Forschungsgelder zur Diagnostik dieser Krankheitsbilder sowie zu
Heilungsmethoden bereitstellen. Zudem braucht es mehr europäischen Austausch, beispielsweise
durch ein EU-Sachverständigennetzwerk.
Covid-19 ist – neben beispielsweise Aids oder Ebola – ein weiterer Fall einer sogenannten
Zoonose, also einer Krankheit, die von Tieren auf den Menschen übertragen wurde. Damit
unterstreicht die Coronapandemie einmal mehr, dass die menschliche Gesundheit nicht isoliert
betrachtet werden sollte, sondern in engem Zusammenhang mit der Umwelt und der
Tiergesundheit steht. Deshalb ist der One-Health-Ansatz ein Leitbild für unsere
Gesundheitspolitik: Ausreichend Raum für die Natur hilft im Kampf gegen Zoonosen; weniger
Antibiotika in der Massentierhaltung führt zu weniger Antibiotikaresistenzen; saubere Luft
und weniger Giftstoffe in der Umwelt retten Menschenleben.
Mentale Gesundheit in den Fokus nehmen
Krieg, Inflation, Klimakrise, Pandemie – die vergangenen Jahre waren unruhig, konfliktreich
und geprägt von Krisen und Umbrüchen, die an niemandem spurlos vorbeigegangen sind. Diese
Zeit ist für viele Menschen auch eine seelische Belastung. Gerade auch bei vielen jungen
Menschen haben sich psychische Probleme verschärft. Im Gegensatz zur körperlichen wird der
seelischen Gesundheit im öffentlichen Gesundheitswesen aber oft nicht die nötige
Aufmerksamkeit zuteil. Das wollen wir auch mit der Unterstützung aus Europa ändern. Wir
setzen uns sowohl für eine verbesserte europaweite Prävention ein als auch dafür, die
bisherigen Ansätze um die psychische Gesundheit zu verbessern und Erkrankungen besser zu
behandeln. Wir treten für eine Vernetzung von Expert*innen in Europa ein und wollen zusammen
mit den Mitgliedstaaten umfassende Lösungsstrategien entwickeln. Da die Ursachen für mentale
Gesundheitsprobleme vielfältig sind, müssen wir sie auch auf allen Ebenen angehen. Darum
setzen wir uns dafür ein, dass die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit übergreifend in
allen relevanten Politikfeldern mitgedacht werden. Dafür braucht es ein größeres
Problembewusstsein in der EU und ihren Institutionen. Wir begrüßen in dieser Hinsicht die
Strategie der EU-Kommission für psychische Gesundheit und setzen uns für eine möglichst
rasche und umfassende Umsetzung ein.
Auch Einsamkeit erfahren immer mehr Menschen in Europa. Das ist für die Betroffenen häufig
ein sehr belastender Zustand. Gerade auch ältere Menschen sind davon betroffen. Die Pandemie
hat die Situation für viele Menschen diesbezüglich weiter verschärft. Wir setzen uns mit
unserer Politik für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt, Teilhabe und Integration ein.
Arzneimittelversorgung sicherstellen
Die Herausforderungen für die europäischen Gesundheitssysteme sind immens: alternde
Gesellschaften, eine steigende Zahl chronischer Erkrankungen und Epidemien. Die
Coronapandemie hat zudem deutlich gemacht, dass die EU bei Arzneimitteln und ihren
Wirkstoffen zu sehr von Importen aus Drittstaaten abhängig ist – und damit häufig auch eine
Produktion unter schlechten Arbeitsbedingungen und schlechten Umweltstandards in Kauf nimmt.
Um die großen Herausforderungen für den Gesundheitsbereich zu adressieren, hat die EU-
Kommission ein Gesetzespaket zur Reform des Pharmasektors vorgelegt. Wir begrüßen die
Vorschläge, die darauf abzielen, Lieferketten zu diversifizieren und nachhaltiger zu machen
sowie Pharmaunternehmen zu verpflichten, Arzneimittelengpässen besser vorzubeugen und diese
früher zu melden.
Um Unternehmen zu ermutigen, Arzneimittel und Wirkstoffe in Europa zu entwickeln und zu
produzieren, braucht es Anreize und weniger bürokratische Verfahren. Dabei setzen wir zwei
Prioritäten: Zum einen müssen kritische Arzneimittel, die jederzeit unentbehrlich sind,
beispielsweise wichtige Antibiotika, durch eine Produktion in Europa zuverlässig verfügbar
sein. Zum anderen wollen wir hier Wirkstoffe für Krankheiten entwickeln, für die es bislang
keine oder nur unbefriedigende Diagnose- oder Therapiemöglichkeiten gibt. Die Anreize für
Forschung und Entwicklung sowie der Schutz von geistigem Eigentum dürfen zugleich aber nicht
die Bezahlbarkeit von essenziellen Arzneimitteln gefährden und den Markteintritt von
Generika unverhältnismäßig verzögern. Zudem setzen wir uns für geschlechterspezifische
Forschung und Medizin ein, damit Unterschiede bei Diagnose und Behandlung zwischen Frauen
und Männern besser berücksichtigt werden.
Es ist viel zu undurchsichtig, wie Preise für Arzneimittel festgesetzt werden. Der Mangel an
Transparenz und Rechenschaftspflichten in diesem Bereich führt teilweise zu immensen
Preisanstiegen. Gerade wenn öffentliche Mittel für die Arzneimittelentwicklung eingesetzt
werden, sollte das mit Transparenz über die Kosten für Forschung und Entwicklung sowie die
Preisgestaltung einhergehen.
Gesundheitsdaten sicher nutzen
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen hat große Vorteile für die gesundheitliche
Versorgung von Patient*innen und die Forschung. Krankheiten können besser diagnostiziert,
Krankheitsursachen erforscht, Doppeluntersuchungen vermieden und die Behandlung von
Patient*innen zwischen verschiedenen Ärzt*innen und Krankenhäusern grenzüberschreitend in
ganz Europa vereinfacht werden. Der europäische Gesundheitsdatenraum soll deshalb europaweit
den Zugang zu digitalen Patient*innen-Akten ermöglichen.
Wir wollen dabei durch effektiven Datenschutz die Rechte der Patient*innen stärken. Eine
Weitergabe der Daten erfolgt dabei nicht gegen den Willen der Patient*innen, eine
Rückverfolgbarkeit der Daten muss ausgeschlossen werden. Sie sollen Zugang zu den Daten
bekommen, die über sie gespeichert sind. Auch die Bedürfnisse vulnerabler Gruppen müssen
umfassend berücksichtigt werden.
Wir möchten die anonymisierten bzw. pseudonymisierten Gesundheitsdaten auch für die
Forschung und für öffentliche Stellen zur besseren Einschätzung von Notsituationen in der
Gesundheitsversorgung zugänglich machen. Dies stellt einen wichtigen Paradigmenwechsel in
der Gesundheitsdatennutzung dar, den wir gestalten wollen. Der Zugang zu größeren
Datenmengen und deren Analyse fördert Innovationspotenzial und kann damit die Versorgung der
Patient*innen verbessern. Wichtig ist dabei, dass dies rechtssicher und unter Wahrung des
Datenschutzes erfolgen darf, denn die Informationen zur eigenen Gesundheit gehören zu den
sensibelsten und persönlichsten Daten überhaupt.
Grundlegend für den Erfolg der Digitalisierung im Gesundheitswesen ist eine einheitliche
technische Sprache, um eine Zusammenführung von Daten und eine grenzüberschreitende Nutzung
in Europa zu ermöglichen. Daher wollen wir die Entwicklung und verpflichtende Nutzung von
international gebräuchlichen Datenstandards und interoperablen Schnittstellen durch die
Softwaresysteme von Beginn an sicherstellen.
Antibiotikaresistenzen eindämmen
Antibiotika können Menschenleben retten Das soll auch in Zukunft gewährleistet sein. Daher
müssen Maßnahmen ergriffen werden, um ihre Wirksamkeit dauerhaft zu garantieren. Durch einen
verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika wollen wir die Entstehung und Verbreitung
multiresistenter Keime verhindern. Denn diese sind eine der größten gesundheitlichen
Herausforderungen der Menschheit. Besonders bei Menschen mit schwachen Immunsystemen wie
Älteren, Kindern oder Menschen mit Erkrankungen führen sie jedes Jahr zu Hunderttausenden
Todesfällen weltweit. Darum ist es wichtig, dass Antibiotika nur dort eingesetzt werden, wo
es sie wirklich braucht. Das muss besonders die Landwirtschaft in den Blick nehmen. Wir
wollen den umsichtigen Einsatz von Antibiotika in der Humanmedizin stärken und die Forschung
fördern. Zudem sollten schnelle Diagnosetests, die vor einer Verschreibung überprüfen, ob
die Behandlung mit Antibiotika geboten ist, in ausreichender Menge verfügbar sein.
Wir wollen die EU-Liste für Reserveantibiotika, die für die Humanmedizin vorbehalten bleiben
und nicht in der industriellen Tierhaltung eingesetzt werden dürfen, an den entsprechenden
Kriterien der WHO ausrichten. Außerdem wollen wir den Import von tierischen Produkten
beenden, bei denen in der EU verbotene Antibiotika eingesetzt wurden. Durch Maßnahmen für
bessere Hygiene und Abwasserentsorgung wollen wir den Eintrag von Antibiotikarückständen in
die Umwelt verringern. Wir wollen die Entwicklung neuer Antibiotika und wirksamer
alternativer Behandlungsmethoden durch Anreize fördern.
Der Pflege den Rücken stärken
Ein starkes öffentliches Gesundheitswesen und eine bedarfsgerechte Pflege sind
unverzichtbar, um die menschliche Würde zu schützen und Selbstbestimmung zu fördern. Der
Mangel an Pflegefachpersonen spitzt sich immer weiter zu, in der EU und auch hier in
Deutschland. Deshalb wollen wir die Attraktivität des Pflegeberufs steigern, die berufliche
Freizügigkeit innerhalb der EU in diesem Bereich erleichtern und die Arbeitsbedingungen des
Pflegepersonals verbessern. Unser Ziel sind einfachere Anerkennungsverfahren für
Studienabschlüsse sowie für Aus- und Weiterbildungen von Pflegefachpersonen innerhalb der EU
und aus dem Ausland. Im Rahmen der EU-Pflegestrategie setzen wir uns für wettbewerbsfähige
Arbeitsbedingungen und Gehälter der professionellen Pflege gegenüber anderen Branchen ein.
Zudem braucht es mehr Investitionen in Pflegeeinrichtungen sowie in die Aus- und
Weiterbildung von Pflegefachpersonen. Auch ein stärkeres Engagement der EU in Forschungs-
und Modellprojekten sowie ein Wissens- und Erfahrungstransfer zur Verbesserung der
Arbeitsbedingungen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen der Mitgliedstaaten wollen wir
fördern.
Um die Situation der Pflegekräfte in der häuslichen Betreuung zu verbessern, fordern wir
eine Überarbeitung der Rechtsvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der
Arbeit, um sicherzustellen, dass auch angestellte Pflegekräfte in privaten Haushalten
einbezogen werden und gute Arbeitsbedingungen haben.
Cannabis europaweit legalisieren
An verschiedenen Orten der Welt ist der Wechsel hin zu einem unideologischen und zeitgemäßen
Umgang mit Cannabis bereits gelungen. Wir setzen uns auch in Europa für eine zeitgemäße
Drogenpolitik ein, die Gesundheit und Jugendschutz in den Vordergrund stellt und die
kriminellen Strukturen hinter dem Drogenhandel effektiv bekämpft. Mit einem ersten großen
Schritt bei der Legalisierung von Cannabis in Deutschland macht die Ampelkoalition endlich
Schluss mit der gescheiterten Drogenpolitik der letzten Jahrzehnte und setzt auf Vernunft
statt Kriminalisierung. Wir entlasten Polizei und Justiz und stärken die Konsument*innen in
ihrer freien bewussten Entscheidung.
Indem wir kontrollierte, aber legale Bezugswege für Cannabis schaffen, stärken wir die
Verbraucher*innen und dämmen den Schwarzmarkt ein. Gleichzeitig stärken wir Prävention und
Verbraucherschutz. Das europäische und internationale Recht setzt aktuell den
Mitgliedstaaten im Umgang mit Cannabis enge Grenzen. Wir streben eine europaweite
Legalisierung und kontrollierte Abgabe von Cannabis an. Deshalb werden wir uns in Europa
dafür einsetzen, dass das europäische und internationale Recht in Bezug auf die Produktion,
den Vertrieb und Verkauf von Cannabisprodukten entschärft wird.
4. Bildung und Chancen
Europas Hochschulen besser vernetzen
Europas Hochschulen sind die Grundlage für Chancen und Innovation. Wenn wir sie vernetzen,
können wir ihre vielfältigen Kompetenzen und Profile noch besser für den ganzen Kontinent
nutzen. Wir haben uns deshalb lange für die Gründung von europäischen Hochschulen oder
Hochschulnetzwerken eingesetzt – und begrüßen, dass nach einer Pilotphase 2018 jetzt bereits
zwei Ausschreibungsrunden stattfinden konnten. Wir setzen uns für weitere
Ausschreibungsrunden sowie eine engere Zusammenarbeit der Hochschulnetzwerke ein.
Wir unterstützen die Idee eines europäischen Hochschulabschlusses (European Degree). Ein
European Degree kann ein zusätzliches Qualitätssiegel darstellen, das binationale,
trinationale bzw. europäische und internationale Abschlüsse als zusätzliches Qualitätssiegel
aufwertet und damit Anreize für die Internationalisierung von Studiengängen schafft.
Egal in welchem Land: Studierende haben selten viel Geld zur Verfügung. Besuche in Museen,
Theatern, aber auch beispielsweise Ausflüge in andere Städte eröffnen neue Horizonte. Viele
dieser Einrichtungen bieten Rabatte für Studierende an. Aber gerade für Studierende aus
anderen Ländern ist es oft schwierig, diese Vergünstigungen mit ihren heimischen
Studierendenausweisen zu erhalten. Die EU hat mit der European Student Card (ESC) und dem
digitalen Studierendenausweis in der Erasmus+-App bereits erste Schritte für einen
europäischen Studierendenausweis unternommen, aber nur für einen sehr begrenzten
Personenkreis. Wir wollen, dass alle Studierenden an europäischen Universitäten und
Hochschulen einen (digitalen) europäischen Studierendenausweis bekommen können.
Berufsabschlüsse europaweit anerkennen
Die Möglichkeit, in jedem europäischen Land zu studieren oder zu arbeiten, eröffnet viele
neue Perspektiven. Wenn es aber konkret wird, wird es oft schwierig: Zwar haben wir mit
Bachelor und Master im Bologna-Prozess ein vergleichbares Abschlusssystem in der EU
geschaffen. Aber es ist kein Automatismus, dass zum Beispiel der Bachelor aus einem Land in
einem anderen Land für ein Masterstudium anerkannt wird. Studierende und Absolvent*innen
müssen in dem jeweiligen Land eine oftmals noch sehr bürokratische Prozedur durchlaufen.
Teils wird dann der heimische Abschluss geringwertiger eingestuft, teils ist die Anerkennung
sehr kostspielig. Darum setzen wir uns dafür ein, dass Universitätsabschlüsse einfacher und
schneller in jedem Land der EU anerkannt werden.
Noch schwieriger wird es bei Berufsabschlüssen. Hier ist die Anerkennung oft kompliziert,
langwierig und teuer. In Zeiten des Fachkräftemangels ist das besonders kontraproduktiv. Für
eine Handvoll Berufe können Menschen deshalb den Europäischen Berufsausweis (EBA) in ihrem
Heimatland beantragen. Mit diesem elektronischen Verfahren ist es leichter, sich die
Qualifikation in einem reglementierten Beruf in einem anderen EU-Land anerkennen lassen zu
können. Wir wollen die Anzahl der Berufe, für die der EBA möglich ist, deutlich erweitern.
Politische Bildung gegen Desinformation
Unsere Demokratien und unsere Werte sind stetigen Angriffen autoritärer und
demokratiefeindlicher Strömungen aus dem In- und Ausland ausgesetzt. Ihre Mittel:
Desinformationen und Fake News. Sie operieren immer mehr grenzüberschreitend und versuchen,
den Zusammenhalt in der EU und unsere europäischen Werte zu unterminieren. Ihre
Verschwörungsmythen säen Hass und Ausgrenzung. Dem müssen wir stärker und europäisch
koordiniert entgegenwirken. Wir wollen daher eine Europäische Zentrale für politische
Bildung gründen, einen Anlaufpunkt für politische Bildung, der gezielt die europäische
Dimension von Desinformation adressiert. Sie soll sich vor allem an Jugendliche und junge
Erwachsene wenden, zugleich aber allen Bürger*innen als Informationsquelle zur Verfügung
stehen und breite Angebote im digitalen Raum schaffen.
Sie kann den europäischen Gedanken und komplexe europäische Prozesse zielgruppengerecht
erklären. Diese Zentrale soll zudem die digitale Medienkompetenz der Menschen in Zeiten von
Desinformation und Fake News stärken. Dazu kann sie in der Forschung und Aufklärung auch
eine Vernetzung der europäischen Akteure vorantreiben. Sie soll unabhängig und nach klaren
wissenschaftlichen und ethischen Kriterien arbeiten können. So fördern wir unsere
demokratischen Werte und stärken den Einsatz gegen Diskriminierung.
Mit Erasmus Europa kennenlernen
Erasmus+ ist für viele die erste und oft auch persönlichste Begegnung mit der EU. Über
Erasmus+ wird gelebte europäische Gemeinschaft gefördert und der akademische und berufliche
Austausch ermöglicht.
Im Zentrum des Programms steht der Studierendenaustausch: Wir wollen, dass mehr Menschen
diese Erfahrungen machen können, vor allem aus Familien, denen das Geld für Urlaub oder
Austauschzeit im Ausland fehlt. Für viele ist es ein großer Schritt, von zuhause ins Ausland
zu gehen, und die Aussicht, sich in dieser Zeit keinen Besuch bei der Familie leisten zu
können, eine Hemmschwelle. Deshalb wollen wir ein Mobilitätsticket für Erasmus-
Teilnehmer*innen einführen, das es ihnen ermöglicht, einmal pro Halbjahr kostenlos nach
Hause und zurück zu fahren.
Wir wollen, dass sich auch Menschen mit Behinderung für eine wertvolle Erasmus+-Erfahrung
entscheiden können. Deshalb wollen wir die Beratungsangebote ausbauen sowie Informationen
barrierefrei zur Verfügung stellen. Wir wollen mit Großbritannien Wege finden, wie Menschen
auf beiden Seiten nach dem Brexit wieder vom Austausch profitieren können.
Für viele Studierende ist Erasmus+ ein Begriff. Bei Auszubildenden aber ist das Programm
noch nicht ausreichend bekannt. Das wollen wir ändern. Denn es bietet viele Möglichkeiten,
neue fachliche Kompetenzen zu lernen und neue Erfahrungen zu sammeln. Mit besseren
Informationen, mehr Beratung sowie einfacheren Anträgen und Anerkennungen wollen wir
Erasmus+ für Auszubildende stärken.
Erasmus+ ist eine der europäischen Erfolgsgeschichten, auch für die Jugendarbeit. Mit Blick
auf die Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen ab 2028 werden wir uns dafür einsetzen,
die Mittel für Erasmus+ zu verdoppeln.
5. Europas Jugend
Jugend beteiligen
Europa lebt durch Gemeinschaft, Begegnungen, Toleranz und Verständnis füreinander. Um dies
zu ermöglichen, spielt europäische und internationale Jugendarbeit eine außerordentliche
Rolle. Sie ermöglicht es jungen Menschen, über den Tellerrand hinauszuschauen und europaweit
Freundschaften zu schließen. Jugendverbände und Jugendgruppen sind Grundlage für die
Gestaltung von Freizeit und Bildung von Millionen Jugendlichen in Europa. In unserer
Zivilgesellschaft muss sichergestellt werden, dass ehrenamtliches Engagement von
Jugendlichen wertgeschätzt wird und Jugendarbeit nicht an bürokratischen Hürden scheitert.
Wir sprechen uns daher für eine Stärkung und Vereinfachung der Projektförderung über
Erasmus+ aus.
Viele reden über Jugendliche und ihre Bedürfnisse. Wir wollen, dass sie selbst zu Wort
kommen und ein Mitspracherecht für das Europa haben, in dem sie leben. Sie sind derzeit im
politischen Geschehen massiv unterrepräsentiert. Darum ist es gut, dass jetzt in Deutschland
Jugendliche ab 16 Jahren erstmals bei der Europawahl wählen können. Wir setzen uns dafür
ein, dass dies in allen Mitgliedstaaten und in Deutschland auf allen Ebenen Wirklichkeit
wird.
Auch über das Wahlrecht hinaus wollen wir die Jugendbeteiligung in Europa strukturell weiter
stärken. Über den EU-Jugenddialog hat die Europäische Union einen direkten Kanal für die
Beteiligung junger Menschen und Jugendverbände auf europäischer Ebene geschaffen, dieser
soll weiter gestärkt und bei anderen Beteiligungsformaten integriert werden. Die Ergebnisse
dieser Beratungen sollen zukünftig noch stärker in die Arbeit der EU-Kommission einfließen
und junge Menschen und ihre Interessenvertreter*innen künftig regelmäßig im Europäischen
Parlament angehört werden. Wir unterstützen zudem den EU Youth Check, mit dem die
Auswirkungen von EU-Entscheidungen auf junge Menschen überprüft werden sollen. In der EU-
Jugendstrategie werden die Leitlinien für europäische Jugendpolitik gezogen. Wir wollen
sicherstellen, dass eine Weiterentwicklung der EU-Jugendstrategie die Interessen junger
Menschen in allen Politikbereichen stärkt. Wir setzen uns außerdem dafür ein, dass die
Stelle der EU-Jugendkoordinatorin aufgewertet wird.
Freiwilligendienste ausbauen
Eine Gemeinschaft ist so stark wie das Engagement ihrer Mitglieder. Der Zivilgesellschaft
kommt hierbei eine besondere Rolle zu. Gerade das Engagement von jungen Europäer*innen ist
elementar – zum Beispiel für die Flüchtlingshilfe oder, Projekte der Demokratieförderung,
Klimaschutz oder soziale Gerechtigkeit.
Darum wollen wir eine Million Plätze im Europäischen Freiwilligendienst schaffen, gerade
auch für Jugendliche aus Elternhäusern mit niedrigem Einkommen. Für sie müssen wir bessere
Rahmenbedingungen schaffen, damit Engagement etwas ist, das sich jede und jeder leisten
kann. Für die Durchführung von Freiwilligendiensten braucht es aber auch Vereine, Verbände
und Organisationen, die sie anbieten. Diese wollen wir stärken, denn sie schaffen Orte der
Demokratie und des zivilgesellschaftlichen Engagements.
Diese Idee wollen wir nicht nur für Jugendliche anbieten. Wir wollen auch die Erfahrungen,
das Wissen und das Engagement von Senior*innen in ganz Europa fruchtbar machen: Viele von
ihnen haben Kenntnisse, die sie auch im Rentenalter noch einsetzen wollen. Mit einem
europäischen Programm wollen wir den Rahmen bereitstellen, mit dem Senior*innen überall in
der EU an Projekten in Ausbildung, Vermittlung oder Zivilgesellschaft mitarbeiten können.
Europa entdecken
Mit dem DiscoverEU-Programm können 18-Jährige die EU praktisch erleben. Zweimal im Jahr
werden unter jungen Menschen sogenannte TravelPasses verlost, mit denen sie dann in einem
bestimmten Zeitraum 30 Tage lang mit dem Zug durch Europa reisen können. Gemeinsam mit
anderen jungen Menschen aus unterschiedlichen Ländern können sie entdecken, wie vielfältig
Europa ist. Daher unterstützen wir das DiscoverEU-Programm und wollen es zukünftig noch
ausbauen. Unser Ziel ist es, aus vielen parallelen Reisen mehr gemeinsame Erlebnisse zu
schaffen. Wir wollen das Programm bekannter machen, besonders unter jungen Menschen aus
weniger wohlhabenden Elternhäusern. Außerdem wollen wir Anreize dafür setzen, dass Gruppen
aus mehreren europäischen Ländern zusammen verreisen.
6. Verbraucherschutz
Verbraucherschutz als Standortvorteil begreifen
Der Rechtsschutz der Verbraucher*innen macht die EU zu einer Union der starken Bürger*innen.
Die Freiheiten für Waren, Kapital, Dienstleistungen und Personen im europäischen Binnenmarkt
gehören zu den größten Standortvorteilen der EU. Der Verbraucherschutz sichert Konsum,
Gesundheit und Freiheiten weitreichend ab und macht die EU damit weltweit zur Vorreiterin:
Gebührenfreies Roaming, ein nutzer*innenfreundlicher Strommarkt, moderne Infrastruktur oder
sichere und langlebige Konsumgüter sind nur einige wenige Beispiele.
Und es funktioniert: So verspricht etwa ein einheitliches Ladekabel für mobile Endgeräte,
den Kabelsalat in unzähligen Schubladen zu beenden. Der verbindliche europäische Standard
stärkt die europäische Kreislaufwirtschaft, verringert Elektroabfall und erleichtert
merklich das Leben der Verbraucher*innen. Wir wollen dabei das ganze Spektrum digitaler
Endgeräte wie Smartwatches, E-Reader oder Kopfhörer abdecken und auch kabellose
Ladetechnologien mit einschließen.
Das verbindliche Ökodesign, also die Produktion nach Kriterien der Haltbarkeit,
Reparierbarkeit und ökologischen Verträglichkeit, beschert den Verbraucher*innen bessere
Produkte. Wir setzen uns für eine schnelle Umsetzung der Richtlinien ein, sodass relevante
Produktgruppen wie Spielzeug, Möbel oder Kleidung zeitnah umfasst werden.
Geht ein Produkt doch mal kaputt, verspricht das europäische Recht auf Reparatur
Konsument*innen den langfristigen Zugang zu Ersatzteilen und Reparaturanleitungen. Ein
kaputter Handyakku, Drucker oder Staubsauger müssen noch lange keine Neuanschaffung
bedeuten. Die Lebensdauer von teuren oder lieb gewonnenen Anschaffungen verlängert sich mit
dem Recht auf Reparatur erheblich. So werden langlebige und reparierbare Produkte die
Geldbeutel der Bürger*innen entlasten.
Produkte des Alltags sicher nutzen zu können, wird mit der EU zur Selbstverständlichkeit.
Von Essen über Kleidung bis hin zu Kosmetika, Spielzeug und einfachen Gebrauchsgegenständen
geht Sicherheit vor. Schadstoffe, Nanopartikel und Rückstände gesundheitsschädlicher Halb-
oder Schwermetalle kommen in vielen dieser Verbrauchs- und Konsumgüter vor. Um Sicherheit
und Transparenz zu gewährleisten, weiten wir die Risikoforschung aus und schaffen ein
Register für Nanopartikel.
Auch das Design des europäischen Strommarkts wollen wir im Sinne der Verbraucher*innen
gestalten. Mit geringen Infrastrukturkosten sowie intelligent aufeinander abgestimmten
Mechaniken von Stromverbrauch und -erzeugung bleibt der Vorteil der günstigen Stromerzeugung
bei ihnen. Wir stärken die Teilhabe von Verbraucher*innen durch die einfache Integration von
Wärmepumpen oder Wallboxen für Elektroautos in den Strommarkt.
Fahrgastrechte garantieren
Die Reisefreiheit in der EU soll für alle Bürger*innen komfortabel und sicher nutzbar sein.
Fahrgäste sollen bei ihren Reisen durch Europa in ihren Rechten geschützt werden – ganz
egal, ob mit Bus, Bahn oder Flugzeug. Auch deshalb wollen wir ein europaweites einheitliches
Ticketsystem einführen, das Reisen mit dem Zug attraktiver macht und den Planungsaufwand
erheblich senkt.
Wir setzen uns für einen durchgehenden Schutz der Fahrgastrechte ein. Die Entschädigung für
Bahnverspätungen sollte auf 50 Prozent des Fahrpreises nach 60 Minuten und 75 Prozent nach
90 Minuten angehoben werden, wie es das Europäische Parlament fordert.
Auch wer sich für eine Flugreise entscheidet, soll sicher und pünktlich am Ziel ankommen.
Die Novellierung der Fluggastrechte soll die bestehenden Lücken im Verbraucherschutz bei
Flugreisen schließen und die Rechte weiter ausbauen. Wir stärken den Anspruch der
Verbraucher*innen auf Entschädigungen bei Verspätungen oder Verschiebungen von Flugreisen.
Ansprüche der Reisenden sollen bei einer großen Verspätung ab drei Stunden in die Verordnung
aufgenommen werden. Bei einer Verschiebung von Flügen soll die Frist zur Information der
Reisenden auf vier Wochen vor Reisebeginn verlängert werden. So stärken wir den Anspruch der
Verbraucher*innen auf Entschädigungen.
Besonders für Reisende, die nur gelegentlich fliegen, und Familien sind die Regelungen zur
Mitnahme von Gepäck häufig intransparent und kompliziert. Wir setzen uns für eine
einheitliche Regelung für die Maße von Handgepäck und eine transparente Preisgestaltung für
alle Gepäckvarianten ein.
Ausfälle dürfen nicht zulasten der Reisenden gehen. Deswegen wollen wir, dass alle
Fluggesellschaften sich gegen Insolvenz versichern müssen.
Vor Kostenfallen schützen
Verträge online abzuschließen, ist für viele Menschen längst Alltag und eine erhebliche
Erleichterung. Genauso unkompliziert wie der Abschluss sollte die Kündigung sein.
Verbraucher*innen finden oft keine Möglichkeit, online abgeschlossene Verträge zu kündigen,
oder haben keine Sicherheit über den Eingang und die Rechtssicherheit der Kündigung. Die
Bindung an ungewollte oder nicht mehr benötigte Verträge wird so schnell zur Kostenfalle.
Bei langfristigen Verträgen, die online abgeschlossen werden können, wollen wir einen leicht
zugänglichen Kündigungsbutton auf der Webseite der Unternehmen einführen. Wir sorgen so für
ein europaweit hohes Verbraucherschutzniveau nach deutschem Vorbild. Damit wird die
europaweite Nutzung von Dienstleistungen vereinfacht und sicherer gemacht. Die Beweislast
für die ordnungsgemäße Umsetzung soll dabei bei den Unternehmen liegen. Ist diese nicht
rechtssicher ausgestaltet, geht das nicht zulasten der Verbraucher*innen: Verträge sollen
dann jederzeit, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist, aufgehoben werden können. Wir setzen
uns für die Ergänzung der entsprechenden Verbraucherrichtlinie ein und geben Kund*innen so
die Kontrolle über ihre Verträge zurück.
Antragstext
Von Zeile 325 bis 327 einfügen:
bereithalten – besonders auch für ältere Arbeitnehmer*innen – und Fachkräfte von außerhalb gewinnen. Deswegen setzen wir uns für eine europäische, umlagefinanizerte Ausbildungsplatzgarantie ein: Unternehmen, die nicht ausbilden wollen, zahlen Abgaben, um Ausbildungsplätze in anderen Unternehmen zu ermöglichen. Gleichzeitig müssen wir Frauen die Möglichkeit geben, sich voll einzubringen. In vielen EU-Ländern arbeiten Millionen Frauen oft unfreiwillig in Teilzeit oder gar nicht. Wir
Vom kleinen Handwerksbetrieb über den regional verankerten Mittelständler bis hin zum
internationalen Großunternehmen: Europas vielgestaltige und innovative Wirtschaft ist global
wettbewerbsfähig – und Deutschland profitiert wie kein zweiter Mitgliedstaat von der
europäischen Integration und dem Binnenmarkt. Produkte und Dienstleistungen aus Thüringen
oder Hessen werden zwischen Andalusien und Lappland, zwischen Riga und Nikosia gehandelt,
als lägen diese Orte nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Wir sind auch deshalb die
viertstärkste Wirtschaftsnation der Welt, weil wir auf europäischer Ebene die Kräfte
bündeln.
Europa macht uns stark. Europa zu stärken, ist deshalb in unserem ureigenen Interesse. Vor
allem geht es nun darum, dort voranzugehen, wo die Stärke der nächsten Jahre und Jahrzehnte
entsteht. Dafür haben wir einen Plan: die klimaneutrale Modernisierung unserer Wirtschaft
und Infrastruktur. Sie ist für uns kein Selbstzweck, sondern der Schlüssel zu mehr
Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand, zu Lebensqualität, zu guten Arbeitsplätzen und fairen
Löhnen, zur Sicherung unserer Lebensgrundlagen – und damit zu einer stabilen Grundlage für
mehr soziale Sicherheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt in ganz Europa.
Wir setzen alles daran, dass Europa nicht an der Seitenlinie steht, während China oder die
USA massiv in die Entwicklung ihres Standortes und der Zukunftstechnologien investieren. Wir
nehmen die Herausforderung an: Wir wollen, dass sich Deutschland und Europa auf den Märkten
der Zukunft durchsetzen – bei erneuerbaren Energien und Wasserstoff, bei digitalen
Dienstleistungen und Künstlicher Intelligenz (KI), bei modernster Batterietechnik und grünem
Stahl. Das ist eine Frage der Unabhängigkeit. Wirtschaftspolitik ist heute auch
Sicherheitspolitik.
Europas Wohlstand und seine Lebensqualität sind unmittelbar mit seinen natürlichen
Grundlagen verbunden – mit fruchtbaren Böden und sauberen Meeren, mit Lebensräumen für eine
große Artenvielfalt, mit einer intakten Natur an den Küsten und in den Wäldern. In ihrem
Zusammenspiel gedeiht Landwirtschaft in unmittelbarer Nachbarschaft zu High-Tech-
Unternehmen, sind Handwerksbetriebe in lebenswerten ländlichen Räumen verankert, lässt sich
aus den Städten in wenigen Stunden in Wälder oder Berge reisen.
Wohlstand in Europa bedeutet fair bezahlte Jobs und gute öffentliche Dienstleistungen in
einem funktionierenden Wirtschaftsraum. Wohlstand bedeutet aber eben auch saubere Luft,
reines Wasser und bezahlbare, gute Lebensmittel.
Wir treten an, unseren Wohlstand zu erneuern, indem wir ihn auf ein klimaneutrales Fundament
stellen – eines, das über die nächsten Jahre und Jahrzehnte trägt. Wir haben den European
Green Deal auf die Agenda gesetzt, er ist die richtige Strategie. Jetzt sorgen wir dafür,
dass er in allen Bereichen seine Wirkung entfaltet: von der Energieerzeugung über Mobilität
und Landwirtschaft bis hin zur Industriepolitik. Denn Klimaschutz wird zunehmend zu einem
entscheidenden Wettbewerbs- und Standortfaktor. Wollen wir unseren Wohlstand bewahren und
neuen schaffen, müssen wir Europäer*innen nicht nur das Klima schützen, sondern auch diesen
Wettbewerb annehmen.
Voraussetzung hierfür ist eine aktive europäische Wirtschafts- und Industriepolitik, die
Innovation ermöglicht und nachhaltige Infrastruktur baut; die den Mut zu gezielten
strategischen Investitionen aufbringt; die uns unabhängig macht von den Autokratien dieser
Welt – und unser aller Leben damit krisenfest und bezahlbar. Wir wollen deshalb jetzt – von
der Sonnenenergie aus Andalusien bis hin zum Wind über der Nordsee – die erneuerbaren
Energien und die Stromnetze in ganz Europa ausbauen. Wenn wir aus der Europäischen Union
(EU) eine moderne Infrastrukturunion machen wollen, dann tun wir das, um die industrielle
Produktion, um Strom und Wärme, um günstige Energie für alle zu sichern.
Wenn wir in Forschung und Entwicklung investieren, dann tun wir das, damit sich die besten
Ideen weiterhin auf unserem Kontinent zu Hause fühlen. Wenn wir Bürokratie abbauen, dann tun
wir das, um die EU in den Dienst der Europäer*innen, nicht der Paragrafen und Behörden zu
stellen. Und wenn wir die Potenziale der Digitalisierung nutzen, dann tun wir das, um Daten
im Sinne der Menschen in Europa nutzbar zu machen, nicht umgekehrt.
Kein Land in Europa ist diesen Aufgaben allein gewachsen. Gemeinsam aber sind wir es.
Gemeinsam in der EU sind wir in der Lage, politische Antworten zu geben, die wirksam und
wirkmächtig genug sind, um es mit der globalen Erwärmung und systemischer Konkurrenz
gleichermaßen aufzunehmen.
Diesen Weg gehen wir. Wir wollen eine gerechte und handlungsfähige EU, die Sicherheit
schafft im Hier und Jetzt – und zugleich die Weichen stellt für den Wohlstand und
Zusammenhalt von morgen. Wir wollen eine EU, in der Wohlstand im Einklang mit der Natur und
dem Klima entsteht. Und wir wollen eine EU, in der nicht die soziale oder geografische
Herkunft, der Zugang zu Bildung oder das Geschlecht über die Chance auf ein gutes Leben
entscheiden, sondern in der alle Menschen am Wohlstand teilhaben können.
Für dieses Europa treten wir an. Dieses Europa wollen wir sein.
1. Ein klimaneutrales Europa
In Energiesicherheit investieren
Um die Klimaziele zu erreichen, braucht Europa eine echte Energieunion mit effizienter und
nachhaltiger Energieversorgung, die die Potenziale des gesamten Kontinents nutzt und
miteinander verbindet. Wir bauen erneuerbare Energien als Teil einer aktiven Wirtschafts-
und Industriepolitik europaweit massiv aus: Bis 2035 sollen sie den wesentlichen Beitrag
dazu leisten, die europäische Stromversorgung zu 100 Prozent klimaneutral sicherzustellen.
Denn nur die Erneuerbaren garantieren eine unabhängige Versorgung und auf Dauer günstigen
Strom, mit dem Europa langfristig wettbewerbsfähig wirtschaften kann. Wir wollen, dass
Deutschland auf diesem Weg mit gutem Beispiel vorangeht.
Deshalb brauchen wir in den nächsten Jahren überall in Europa die Elektrifizierung von
Verkehr, Industrie und Haushalten sowie massive Investitionen in den Ausbau von Wind und
Solar. In Zukunft wollen wir dabei noch stärker europäisch zusammenarbeiten. Gleichzeitig
müssen wir energieeffizienter werden und die entsprechenden Vorgaben weiter anpassen.
Um den Strom überall in Europa verlässlich dorthin zu transportieren, wo er gebraucht wird,
wollen wir im Rahmen der Infrastrukturunion das europäische Stromnetz stärken und dabei vor
allem die Verbindungen zwischen den Mitgliedstaaten massiv ausbauen. Ein stabiles
europäisches Stromnetz macht uns widerstandsfähiger und erhöht unsere Versorgungssicherheit.
Das hat die Energiekrise sehr deutlich gezeigt, als die Staaten Europas sich gegenseitig
beispringen konnten. Wir wollen es deshalb nun auch für 100 Prozent erneuerbare Energien fit
machen. So können wir die Synergien in der EU nutzen, in der immer irgendwo der Wind weht
oder die Sonne scheint. Wir etablieren eine EU-Netzplanung – insbesondere für
grenzüberschreitende Projekte und den Ausbau der Windenergie in den Meeren der EU. In
Zukunft müssen darüber hinausgehend die Stromnetze, Wasserstoffnetze, Gasnetze und
Wärmenetze zusammengedacht werden. Wir richten das Strommarktdesign, die Netzentgelte und
die Bedingungen von Stromspeichern systematisch auf die Integration erneuerbarer Energien
aus.
Generationen von Menschen in den Kohlerevieren haben einen wertvollen Beitrag zu
Energiesicherheit, zum Fortschritt und zu unserem Wirtschaftsstandort geleistet. An diesen
Einsatz und diese Expertise knüpfen wir in den europäischen Energieregionen an. Jedoch wird
Kohle zunehmend unrentabel, ist zudem die klima- und gesundheitsschädlichste Form der
Energieerzeugung und hat deshalb keine Zukunft. Wir werden die Voraussetzungen schaffen, um
in der EU die Kohleverstromung beenden zu können. Die Kohleregionen unterstützen wir dabei,
dass ihnen der Umstieg auf die neuen Energien bis zum Jahr 2030 gelingt. Gleichzeitig hat
uns insbesondere der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine gezeigt, wie abhängig wir
noch von Erdgas sind und welche Schwierigkeiten das mit sich bringt. In den kommenden Jahren
ist im Einklang mit unseren Klimazielen deshalb auch ein endgültiger Abschied vom fossilen
Erdgas nötig. Wir wollen es vollständig durch erneuerbare Energien kombiniert mit grünem
Wasserstoff ersetzen.
Atomkraft ist keine nachhaltige Form der Energieerzeugung und sie ist nicht geeignet, die
Klimakrise zu bekämpfen. Sie ist erheblich teurer als Erneuerbare, mit hohen Risiken
verbunden und gerade in Zeiten von Hitze und Dürre unzuverlässig. Der Bau neuer Kraftwerke
ist teuer und langwierig. Der Müll belastet noch unzählige nachfolgende Generationen. Wir
setzen in der EU nicht auf Atomkraft als taugliche Form der Energiegewinnung.
Uns begeistern zukünftige Chancen und Potenziale neuer Energietechnologien, weshalb wir
Forschung und Entwicklung neuer Ideen auch weiterhin vorantreiben wollen. Um in den nächsten
Dekaden einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der Klimakrise und zur Energiesicherheit
leisten zu können, kommt die Kernfusion jedoch zu spät.
Den Weg zum klimaneutralen Kontinent beschreiten
Echte Fortschritte sind gemacht: Bis heute hat Europa die Emissionen gegenüber 1990 um rund
ein Drittel gesenkt. Mit dem „Fit for 55“-Paket will die EU bis 2030 mindestens 55 Prozent
ihrer Emissionen im Vergleich zu 1990 einsparen. Durch den reformierten Emissionshandel wird
ein schnellerer europäischer Kohleausstieg rentabel. Wir haben die Ausbauziele für
erneuerbare Energien verdoppelt. Und für fossile Energie, Stahl oder Chemieprodukte, die
nach Europa importiert werden, muss bald an der Grenze ein Preis für ihren CO2-Fußabdruck
bezahlt werden. Die Autoindustrie stellt ihre Produktion auf Elektrofahrzeuge um. Gebäude in
der EU werden gedämmt und Anreize für klimafreundliches Heizen gesetzt. Damit hat Europa den
richtigen Weg eingeschlagen.
Die EU muss diesen Weg zum klimaneutralen Wohlstand entschieden weitergehen. Europa soll der
erste klimaneutrale Kontinent werden. Von diesem Ziel darf es kein Abrücken geben, und es
muss zuverlässig erreicht werden. Für 2035 und 2040 braucht es deswegen Zwischenziele, die
die EU sicher zu Klimaneutralität in Erfüllung des Pariser Klimaabkommens führen. Das
Zwischenziel für 2035 wollen wir, wie es alle Staaten im Rahmen des Pariser Klimaabkommens
international zugesagt haben, auch bei den Vereinten Nationen (UN) verbindlich hinterlegen.
Für die Umsetzung müssen unter anderem der Rahmen für Klimaschutzmaßnahmen und die
europäischen Emissionshandelssysteme angepasst werden.
Natürliche CO2-Senken und technologischen Fortschritt nutzen
Um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir schnell raus aus Kohle, Öl und Gas und rein in
erneuerbare Energien und Wasserstoff. In einigen wenigen Branchen wird es aber auch in
Zukunft Emissionen geben, die schwer oder nach heutigem Stand der Technologie gar nicht zu
vermeiden sind, etwa in der Zementindustrie. In diesen Bereichen wollen wir technologische
Chancen nutzen und das CO2 direkt bei der Produktion abscheiden, speichern und
gegebenenfalls nutzen (Carbon Capture Use and Storage, CCUS). Wo nötig, soll dies aktiv
gefördert werden. Wir wollen einen europaweit einheitlichen Regelungsrahmen dafür schaffen
und eine integrierte europäische Infrastruktur – inklusive gemeinsamer europäischer CO2-
Speicher – entwickeln.
In der Zukunft wird es laut Analysen des Weltklimarats zunehmend schwieriger, auf den 1,5-
Grad-Pfad zu kommen. Deshalb müssen wir die CO2-Konzentration in der Atmosphäre aktiv
senken, damit sich wieder ein stabiles und nachhaltiges Niveau einstellt. Dafür stärken und
entwickeln wir negative Emissionen – also natürliche und technische Prozesse, die der
Atmosphäre CO2 wieder entziehen. Intakte Ökosysteme sind unsere besten Verbündeten, denn vor
allem Wälder und Moorböden sind natürliche CO2-Speicher. Deswegen benötigen wir klare Regeln
für die Landwirtschaft, den Humusaufbau, die Wiedervernässung von Mooren und die Aufforstung
von Wäldern. Gleichzeitig wollen wir die Potenziale technischer Negativemissionen wie die
CO2-Entnahme aus der Luft oder Bioenergie mit CO2-Speicherung in der Anwendung prüfen und an
Pilotprojekten evaluieren. Die EU braucht – wie Deutschland – klare Ziele für das Erreichen
von Negativemissionen, ohne diese gegen die Reduktionsziele des Emissionshandels zu handeln.
Grünen Wasserstoff als Energieträger der Zukunft einsetzen
Wasserstoff aus erneuerbaren Energien, also grüner Wasserstoff, kann Energie speichern und
transportabel machen. Er ist ein unverzichtbarer Bestandteil unserer zukünftigen
Energieversorgung, denn er kann fossile Energieträger überall dort ersetzen, wo
Elektrifizierung keine Option ist. Wir wollen dafür sorgen, dass Europa bei der Anwendung
Vorreiterin wird. Um ihre Potenziale zu heben, entwickeln wir die Europäische
Wasserstoffstrategie weiter und unterstützen die Erforschung von umfassenden Ansätzen zur
Erzeugung und Anwendung. Beispielsweise können durch dezentrale Lösungen die
Netzausbaukosten minimiert und wo immer möglich die Abwärme in Wärmenetzen eingesetzt
werden. Mit Instrumenten wie Klimaschutzverträgen und einem umfassenden Investitionsprogramm
sorgen wir für einen schnellen Hochlauf der Produktion dieser Schlüsseltechnologie.
Wir wollen die Investitionen in den Aufbau eines neuen transeuropäischen
Wasserstoffkernnetzes erhöhen und die Umrüstung der bestehenden Gasinfrastruktur für den
Transport und die Speicherung fördern. Durch neue Pipelines wie H2Med können wir grünen
Wasserstoff beispielsweise aus den sonnenreichen Regionen Südeuropas in die Industriezentren
Deutschlands transportieren. Das ist ein Bestandteil einer leistungsfähigen
Infrastrukturunion.
Wir setzen uns zusätzlich für den Aufbau eines globalen Marktes für grünen Wasserstoff und
strategische Partnerschaften für dessen Handel zwischen der EU sowie wind- und sonnenreichen
Ländern weltweit ein. Dank einer Vielzahl potenzieller Partnerländer können wir auf diesem
Weg eine diversifizierte Energieversorgung sichern und einseitige Abhängigkeiten vermeiden.
Durch Partnerschaften und den Transfer von Know-how sorgen wir zudem dafür, dass die Länder
des Globalen Südens in die Wertschöpfungskette integriert werden und von der grünen
Energiezukunft profitieren.
Da die Produktionskapazitäten erst aufgebaut werden müssen, wird Wasserstoff vorerst ein
sehr knapper Rohstoff bleiben. Zur Senkung der CO2-Emissionen setzen wir daher vorrangig auf
die Elektrifizierung von Antrieben, Produktionsprozessen und Heizungen, da sich grüner Strom
so am effizientesten nutzen lässt. Wasserstoff wollen wir also priorisiert dort einsetzen,
wo eine Elektrifizierung nicht oder nur sehr schwer möglich ist. Dazu gehören etwa die
Produktion von Grundstoffen wie Stahl- oder Chemieerzeugnisse, der Schwerlasttransport sowie
der interkontinentale See- und Luftverkehr. Zudem werden wir grünen Wasserstoff bei geringer
Solar- und Windenergieerzeugung sowie besonders hoher Last zur Stromerzeugung einsetzen, um
die Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Energien jederzeit sicherzustellen.
Klimaneutralität sozial und bürgernah erreichen
Klimaneutralität sichert und mehrt Wohlstand, ist aber auch mit Veränderungen verbunden.
Dieser Prozess verlangt den Menschen viel ab. Nicht nur deshalb muss klimaneutral immer auch
sozial heißen. Mit dem Klimasozialfonds, der primär aus dem Emissionshandel gespeist wird,
geben wir den Mitgliedstaaten die Mittel an die Hand, das umzusetzen. Dabei werden
Leistungen für Menschen finanziert, die besonders von steigenden Energie- und
Transportkosten betroffen sind. Wir wollen deshalb, dass die Mitgliedstaaten – wie etwa
Österreich mit dem Klimabonus – ein Klimageld pro Kopf auszahlen.
Erneuerbare Energien sind Bürgerenergien. Sie ermöglichen es den Menschen und Kommunen, ihre
Energieversorgung selbst in die Hand zu nehmen. Das ist solidarisch und demokratisch, denn
damit bleiben die Erträge vor Ort. Wir haben es in der Bundesregierung erheblich
vereinfacht, selbst erneuerbare Energien zu nutzen. Das soll europaweit gelten: Der Einsatz
von Bürgerenergie soll noch finanziell attraktiver und einfacher werden. Wir wollen
europäisch besser verankern, dass Bürger*innen an der Energiewende teilhaben können – indem
sie Mitglied eines Bürgerwindparks werden, den Strom ihrer Photovoltaikanlage direkt an ihre
Nachbar*innen verkaufen oder die in ihren Autos und Pufferbatterien gespeicherte Energie
einfach zur Netzstabilisierung einsetzen.
Erneuerbare Energien garantieren den Menschen, dass sie ihre Wohnungen auch zukünftig
bezahlbar heizen können. Deshalb unterstützen wir die Weiterentwicklung der europäischen
Anforderungen an die Effizienz von Gebäuden und Heizungen, um Gebäude schnell und günstig
von der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu befreien. Wir setzen dabei vor allem auf
Beratung und finanzielle Anreize. Wir möchten, dass alle Mitgliedstaaten kommunale
Wärmepläne entwickeln, die aufzeigen, welche Potenziale es für Erneuerbare gibt und wie
Abwärme oder Kraft-Wärme-Kopplung genutzt werden kann.
Mit einem effizienten Strommarkt, geringen Infrastrukturkosten und intelligent aufeinander
abgestimmten Mechaniken von Stromverbrauch und -erzeugung bleibt der Vorteil der günstigen
Stromerzeugung bei den Verbraucher*innen. Durch die Umstellung der Förderung von
erneuerbaren Energien auf Differenzverträge sichern wir die Stromverbraucher*innen gegen
hohe Kosten ab.
2. Ein wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort
In Innovation und Resilienz investieren
Um die Infrastrukturunion zu verwirklichen, entscheiden wir uns für eine strategische
europäische Investitionspolitik. Das Wiederaufbauprogramm Next-Generation-EU (NGEU) hat uns
in der Pandemie vor einer schweren Krise bewahrt und stark dazu beigetragen, dass Europa
wirtschaftlich und politisch zusammengehalten hat. Mit dem Ende von NGEU im Jahr 2026 droht
diese wichtige Säule der Finanzierung europäischer Investitionen wegzubrechen. NGEU kann uns
als Vorbild für eine effektive gemeinsame europäische Finanzierung von großen
Investitionsvorhaben – wie dem Aufbau der Infrastrukturunion – dienen.
Wir wollen daher ab 2026 ein großes Investitionsprogramm für Innovation und Resilienz mit
drei klaren Zielen schaffen: Erstens wollen wir, dass Europa im Rahmen der
Infrastrukturunion durch starke gemeinsame Infrastrukturen weiter zusammenwächst – mit einem
voll ausgebauten und integrierten europäischen Schienen-, Strom- und Wasserstoffnetz.
Zweitens wollen wir überall in Europa den klimaneutralen Umbau der Industrie genauso wie den
Aufbau der Industrien von morgen fördern. Und drittens wollen wir unsere Wirtschaft und
unsere Gesellschaften widerstandsfähiger gegen und unabhängiger von Autokratien machen.
Industriepolitik aktiv gestalten
Europa ist ein starker Wirtschaftsstandort mit einer vielfältigen Landschaft aus kleinen,
mittleren und großen Unternehmen, die eine wesentliche Grundlage für unseren Wohlstand ist.
Wir werden dafür sorgen, dass das so bleibt. Dafür sind zwei Hebel für uns zentral:
Zum einen stärken wir den Binnenmarkt, also den gemeinsamen Regulierungsrahmen der EU für
Unternehmen. Dieser gemeinsame Rahmen, in dem kein Mitgliedstaat seinen eigenen Firmen
unfaire Vorteile verschaffen darf und dessen Regeln in vielen Bereichen den Goldstandard auf
der Welt setzen, leistet gerade für Deutschland als Exportland einen unschätzbaren Beitrag
zu unserem Wohlstand. Ihn werden wir weiter vertiefen und seine Grundlagen verteidigen.
Zum anderen müssen wir feststellen: Insbesondere China, aber auch die USA mit ihrem
Inflation Reduction Act investieren massiv in den Aufbau neuer Produktionsstandorte für
Zukunftstechnologien. Wir nehmen diesen Wettbewerb an: Für die EU gilt es, dem eine eigene
aktive Wirtschafts- und Industriepolitik entgegenzusetzen, die Europas Stärken stärkt. Sie
setzt bei der Forschung an und reicht bis zur Unterstützung bei Investitionen. Dazu gehört
einerseits eine Angebotspolitik, die Bürokratie abbaut und Anreize für private Investitionen
setzt, andererseits starke öffentliche Förderprogramme etwa für Zukunftstechnologien wie
Elektrolyseure, Windräder, E-Autos und Mikrochips. Denn wir wollen, dass Europa an der
Spitze der Märkte der Zukunft steht und dass die Produkte der Zukunft in Europa erdacht und
hergestellt werden. So sichern wir Jobs und Wohlstand in Europa. Gerade der Aufbau einer
europäischen Halbleiterindustrie ist elementar für die Erneuerung des Industriestandortes
Europa und dient unserer wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit und Unabhängigkeit.
Hier werden wir einen Neuanfang anschieben: In der EU hat sich ein Förderdschungel
entwickelt, der es Unternehmen sehr schwer macht, schnell und unbürokratisch an die
bereitstehenden Mittel zu kommen. Das ist ein entscheidender Wettbewerbsnachteil – etwa im
Vergleich zu den USA. Wir treten für eine kohärente und leicht verständliche
Industriepolitik ein, bei der auch Förderpolitik und Beihilferecht Hand in Hand gehen. Dafür
wollen wir relevante Teile der bisher nationalen Industriepolitiken auf die europäische
Ebene verlagern, die dafür finanziell sehr viel besser ausgestattet und in die Lage versetzt
wird, schnell und wirksam zu handeln.
Unsere Wirtschaft für den globalen Wettbewerb rüsten
Die europäische Industrie kann nur langfristig wettbewerbsfähig sein und Europa gleichzeitig
seine Klimaziele einhalten, wenn industrielle Produktionsprozesse komplett klimaneutral
werden. Dafür werden wir die industrielle Basis erneuern.
Immer mehr Unternehmen investieren massiv in eine Umstellung ihrer Produktion. Dafür muss
die Politik den Rahmen schaffen: einen klaren Reduktionspfad im europäischen
Emissionshandel. Wir füllen ihn durch einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und
der Infrastruktur für Strom und grünen Wasserstoff mit Leben, damit genug grüne Energie zu
wettbewerbsfähigen Preisen überall in Europa zur Verfügung steht.
Das wird allerdings nicht reichen: Wir wollen die Unternehmen mit einem europäischen
Programm zur Dekarbonisierung der Industrie unterstützen. Dazu wollen wir einen europaweiten
Einsatz von Klimaschutzverträgen (Carbon Contracts for Difference) aus dem EU-Haushalt
finanzieren und somit in einem Auktionsverfahren diejenigen Unternehmen finanziell fördern,
die möglichst kosteneffizient ihre Produktion klimaneutral umrüsten und dabei am meisten CO2
einsparen. Hier gilt das Effizienzprinzip: größere Fußabdrücke, die einfacher und günstiger
eingespart werden können, zuerst. Zusätzlich wollen wir europäische grüne Leitmärkte für
einige besonders energieintensive Produkte aus klimaneutraler Produktion wie etwa grünen
Stahl schaffen. Dafür wollen wir beispielsweise bei öffentlichen Aufträgen eine Mindestquote
von grünem Stahl vorschreiben, die stetig ansteigt. Somit wird ein neuer Absatzmarkt
geschaffen, der klimaneutrale Produktion über einen Marktmechanismus in Gang setzt.
Schließlich wollen wir auch für die Umstellung von Produktionsprozessen auf klimaneutrale
Verfahren die Planungs- und Genehmigungsverfahren erheblich beschleunigen, weil dies zu
schnellerer Emissionsminderung bei gleichzeitigem Erhalt von industrieller Substanz und
guten Arbeitsplätzen beiträgt.
Mit der zeitlich gestaffelten Einführung von Resilienz- und Nachhaltigkeitskriterien bei
öffentlichen Ausschreibungen und öffentlichen Förderprogrammen wollen wir gezielt die
Produktion dieser Produkte in Europa begünstigen.
Den Binnenmarkt stärken
Der EU-Binnenmarkt ist zentral für den Wohlstand der Bevölkerung der EU und hilft,
Wettbewerbsverzerrungen entgegenzuwirken. Er ist auch ein zentraler Hebel, die klimaneutrale
Modernisierung unserer Wirtschaft voranzubringen. Er ermöglicht es den europäischen
Unternehmen, Waren und Dienstleistungen überall in der EU anzubieten. Und Arbeitnehmer*innen
ermöglicht er, überall in der EU zu arbeiten. Deshalb wollen wir den Binnenmarkt stärken und
vertiefen: Wo es in Europa eine gemeinsame Regel gibt, müssen Unternehmen nicht mehr 27
verschiedene befolgen.
Wir gestalten die Regeln für den Binnenmarkt so, dass er dabei hilft, übergeordnete Ziele zu
erreichen: Demokratie, Wohlstand, soziale Gerechtigkeit, Umwelt- und Klimaschutz sowie die
Schaffung von fair bezahlten Arbeitsplätzen. Wir wollen den Binnenmarkt auch nutzen, um
widerstandsfähiger gegenüber Krisen und unabhängiger von Rohstoffimporten zu werden.
Um funktionierenden Wettbewerb zum Nutzen von Verbraucher*innen und kleinen Unternehmen
durchzusetzen, haben wir in Deutschland das Wettbewerbsrecht verschärft. Ein solches Update
braucht auch das EU-Wettbewerbsrecht. Dafür wollen wir das New Competition Tool
wiederbeleben, das die Kommission schon einmal vorgeschlagen hatte.
Eine starke Wettbewerbspolitik, die die Bildung von zu starker Marktmacht bekämpft und
Subventionswettläufe innerhalb der EU möglichst unterbindet, macht den Erfolg des
Binnenmarktes aus. Daran wollen wir auch in Zukunft festhalten. Allerdings steht Europa
heute im Ringen um die Märkte der Zukunft im globalen Wettbewerb mit anderen Staaten, die
sich nicht an diese Regeln halten. Gerade für die grünen Zukunftstechnologien muss die EU-
Kommission deshalb einen dauerhaften neuen Beihilferahmen schaffen, der den Mitgliedstaaten
eine aktivere, europäisch koordinierte Industriepolitik ermöglicht und dabei zugleich
Wettbewerbsverzerrungen verhindert. Dazu gehören schnellere Planungssicherheit bei
Beihilfeverfahren, Ausnahmen für die Unterstützung von neuen Produktionsanlagen in den
Zukunftstechnologien und bei der Umstellung von Produktionsprozessen auf Klimaneutralität.
Ein Ansatz dafür sind die strategischen Förderprojekte IPCEI, mit denen die EU die
Industriepolitik der Mitgliedstaaten in Schlüsselsektoren wie dem Aufbau der europäischen
Wasserstoffinfrastruktur und die Wertschöpfungsketten rund um Mikroelektronik ermöglicht und
koordinieren will. Für mehr Planungssicherheit für Unternehmen müssen die Beihilfeverfahren
gerade im Kontext der IPCEIs beschleunigt werden.
Fachkräfte ausbilden, gewinnen und halten
Wir wollen, dass der Wohlstand denjenigen zukommt, die ihn erarbeiten. Wir wollen mehr
Gerechtigkeit für die Mitte der Gesellschaft. Dazu sind gute Arbeitsbedingungen, sichere
Jobs und anständige Löhne das beste Mittel. So wachsen wir aus der Mitte heraus. Fachkräfte
sind das Rückgrat der europäischen Wirtschaft. Das gilt gleichermaßen für akademisch
ausgebildete Fachkräfte wie für solche mit handwerklicher oder industrienaher Ausbildung.
Davon hängt auch das Gelingen der Energiewende ab. Das heißt auch: Mit Investitionen in
Klimaschutz fördern wir gleichzeitig sichere und zukunftsfeste Arbeitsplätze.
Dafür müssen wir junge Menschen entsprechend ausbilden, Weiterbildungsangebote für alle
bereithalten – besonders auch für ältere Arbeitnehmer*innen – und Fachkräfte von außerhalb
gewinnen. Deswegen setzen wir uns für eine europäische, umlagefinanizerte Ausbildungsplatzgarantie ein: Unternehmen, die nicht ausbilden wollen, zahlen Abgaben, um Ausbildungsplätze in anderen Unternehmen zu ermöglichen. Gleichzeitig müssen wir Frauen die Möglichkeit geben, sich voll einzubringen. In
vielen EU-Ländern arbeiten Millionen Frauen oft unfreiwillig in Teilzeit oder gar nicht. Wir
brauchen auf EU-Ebene eine feministische Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die soziale
Infrastruktur für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mitdenkt.
Wir wollen es Frauen leichter machen, einen technischen – und damit häufig auch gut
bezahlten – Beruf zu wählen. Wir wollen einen Bonus einführen, den Unternehmen und Betriebe,
in denen bislang unterdurchschnittlich wenig Frauen beschäftigt sind, bei der EU-
Fördermittelvergabe erhalten können, wenn sie mehr Frauen ausbilden bzw. beschäftigen.
Gemeinsam mit den Gewerkschaften und den Betrieben werden wir neue Ideen entwickeln, wie wir
eine gleichberechtigte Teilhabe der Geschlechter in der Wirtschaft ermöglichen können.
Europa konkurriert mit weiteren Weltregionen, wenn es um die Anwerbung von Fachkräften geht,
vom Bauingenieur über die Handwerkerin bis zur Fachkraft im Krankenhaus. Wir setzen uns
daher für eine umfassende EU-Fachkräftestrategie ein. Bei der Anwerbung aus Drittstaaten
sollte die EU-Blue-Card-Initiative ausgeweitet werden und vielen weiteren Berufsgruppen
zugutekommen.
Viele Beschäftigte, die in der fossilen Industrie arbeiten, sorgen sich um ihr Auskommen,
wenn ihre Industriezweige elektrifiziert werden. Den Wandel zu einer klimaneutralen
Wirtschaft wollen wir deshalb mit gut bezahlten Arbeitsplätzen, attraktiven Aus- und
Weiterbildungsmöglichkeiten, Tarifbindung sowie wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit
zusammenbringen, gerade in noch strukturschwachen Regionen. Unsere Industriepolitik bietet
dafür einen Hebel: Die Vergabe von EU-Geldern wollen wir stärker daran koppeln, dass
Ausbildungsplätze eingerichtet, Sozialstandards eingehalten und geltende Tarife befolgt
werden.
3. Stabile Finanzen
Europa finanziell wappnen
Eine zentrale Stellschraube für die Handlungsfähigkeit der EU ist ihre finanzielle
Ausstattung: Was wir uns in Europa gemeinsam vornehmen, müssen wir auch zu einem relevanten
Teil mit europäischen Mitteln finanzieren können. Diesen Anspruch wollen wir endlich
erfüllen, denn in den nächsten fünf Jahren sind weitreichende Entscheidungen zur
Finanzierung unserer gemeinsamen europäischen Vorhaben bis weit in die 2030er-Jahre zu
treffen.
Dabei werden uns zwei Prinzipien leiten: Erstens wollen wir die finanzielle Ausstattung der
EU insgesamt durch neue Eigenmittel und höhere nationale Beiträge verbessern. Im Krisenfall
haben sich zudem auch gemeinsame europäische Anleihen bewährt. Zweitens muss die EU deutlich
mehr Handlungsspielraum im Einsatz ihrer Mittel bekommen, um sie für gemeinsame
Investitionen in strategisch wichtigen Bereichen wie der Industriepolitik und für eine
Infrastrukturunion einzusetzen. In diesem Sinne werden wir sowohl für einen starken
Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), die Grundlage für den Haushalt der EU, als auch für ein
neues großes Investitionsprogramm streiten.
Wir wollen, dass der MFR für die Jahre 2028 bis 2035 gegenüber dem jetzigen deutlich
aufwächst. Dafür muss auch Deutschland seinen Beitrag leisten. Es gilt, gezielt die
Ausgabenposten zu stärken, die Europas Handlungsfähigkeit in den entscheidenden Feldern der
Zukunft verbessern. Dafür müssen wir auch die Ausgaben im MFR kritisch auf ihre Wirkung hin
überprüfen. Das betrifft insbesondere die Bereiche, in denen die Mitgliedstaaten die
Ausgaben verwalten.
Der Schutz unseres Gemeinwohls setzt eine auch finanziell handlungsfähige EU voraus. Gerade
in Zeiten massiv wachsender Aufgaben kann sie sich auf Dauer nicht nur aus den Beiträgen der
Mitgliedstaaten finanzieren. Sie braucht auch eigene Einnahmen, die ihre finanzielle
Ausstattung langfristig sichern. Dafür wollen wir das Prinzip festschreiben, dass Einnahmen,
die infolge europäischer Instrumente entstehen, im Grundsatz mehrheitlich dem EU-Haushalt
zugutekommen.
In einem ersten Umsetzungsschritt wollen wir festlegen, dass 75 Prozent der möglichen
Geldschöpfungsgewinne des Eurosystems in Zukunft dem EU-Haushalt zugutekommen. Auch die
Einnahmen aus dem neuen CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) sollen zu 75 Prozent dem EU-
Haushalt zufließen.
Damit die anstehenden Zins- und Tilgungszahlungen für das NGEU-Programm nicht zu einer
Kürzung des EU-Haushalts führen, wollen wir so schnell wie möglich den bereits 2020 von Rat
und Parlament beschlossenen Fahrplan zu neuen Eigenmitteln in die Tat umsetzen. Dabei muss
die Finanzierung der notwendigen nationalen Klimafinanzierung in den Mitgliedstaaten
sichergestellt werden.
Wirtschafts- und Währungsunion vervollständigen
Eine stabile und solidarische Wirtschafts- und Währungsunion ist eine Grundvoraussetzung für
Wohlstand und politischen wie sozialen Zusammenhalt in Europa. Doch die Architektur der
Währungsunion ist weiterhin unvollständig und Europa damit weiter anfällig für Krisen. Das
wollen wir durch ein umfassendes Maßnahmenpaket ändern.
Mit dem neuen Investitionsprogramm für Innovation und Resilienz verstetigen wir die
gemeinsame Fiskalpolitik – auch als wichtigen Puffer für Krisenzeiten. Mit der Überführung
des Europäischen Stabilitätsmechanismus in den EU-Rechtsrahmen und der Umstellung auf
Mehrheitsentscheidungen schaffen wir nationale Vetos in Krisen ab und etablieren endlich
eine gemeinsame europäische parlamentarische Kontrolle über zukünftige EU-Hilfsprogramme.
Mit der Einführung einer Arbeitslosenrückversicherung nach Vorbild des EU-Kurzarbeitergeldes
SURE schaffen wir ein zusätzliches Auffangnetz in Krisenzeiten, damit die Mitgliedstaaten
Jobs sicher schützen können. Und wir wollen die Banken- und Kapitalmarktunion vollenden,
damit auch der Finanzsektor in Krisen stabilisierend wirkt.
Eine widerstandsfähige Währungsunion braucht auch funktionierende Regeln für die
Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten, die die Schuldentragfähigkeit in allen Ländern
jederzeit sicherstellen und gleichzeitig genug Raum für Investitionen und Wachstum schaffen.
Die seit einem Jahrzehnt geltenden Regeln und auch der Vorschlag der Europäischen Kommission
werden diesem Anspruch nicht gerecht. Deshalb braucht es eine ambitionierte Reform, deren
Ergebnis von der Kommission konsequent durchgesetzt wird.
Wir unterstützen die Einführung des digitalen Euros als Ergänzung zum Bargeld und zum
Buchgeld der Geschäftsbanken. Der digitale Euro befördert die Digitalisierung der Wirtschaft
und ermöglicht Verbraucher*innen digitalen Zugriff auf sicheres und wertstabiles
Zentralbankgeld. Als öffentliches Gut kann er einen wertvollen Beitrag zur finanziellen
Inklusion, zur Souveränität der EU und zur Stabilität unseres Zahlungssystems im digitalen
Zeitalter leisten.
Bankenunion vollenden
Um die klimaneutrale Erneuerung unserer Wirtschaft zu unterstützen, muss das Finanzsystem
resilienter werden und konsequent an den europäischen Nachhaltigkeitszielen ausgerichtet
sein. Jede Finanzierungsentscheidung ist eine Entscheidung über die Wirtschaft der Zukunft
und muss deshalb auch mit unseren Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen kompatibel
sein.
Der Bankensektor ist in der EU zentral für die Finanzierung der Investitionen von
Unternehmen und Bürger*innen in die Modernisierung unserer Wirtschaft. Eine weitere
Bankenkrise können wir uns schon allein deshalb nicht leisten. Mit einer hohen
Eigenkapitalquote, regelmäßigen Stresstests und der Vollendung der Bankenunion stellen wir
die Banken stabil auf. Mit einer europäischen Einlagenrückversicherung, die den Erhalt der
Institutssicherungssysteme von Sparkassen und Genossenschaftsbanken erlaubt, einem
funktionierenden Abwicklungsregime sowie einer Trennung des Kreditgeschäfts mit
Privatkund*innen vom Investmentbanking bei Großbanken können wir verhindern, dass
Kreditinstitute im Fall einer Insolvenz mit Steuergeld gerettet werden müssen. Indem wir
Banken verpflichten, die von ihnen finanzierten Emissionen schrittweise zu reduzieren,
sorgen wir dafür, dass ihr Geschäft in Einklang mit dem Ziel der Klimaneutralität steht.
Neben den Banken müssen auch alle anderen Akteure des Finanzsektors wie Ratingagenturen,
Versicherer und Pensionsfonds Klimarisiken offenlegen und berücksichtigen. Wir setzen uns
dabei für mehr Kohärenz bei der europäischen Gesetzgebung ein, um unnötige Bürokratie –
insbesondere bei kleineren Unternehmen – zu verhindern.
Die grüne Taxonomie der EU ist ein Mittel, um die Finanzierung umweltverträglicher
Wirtschaftsaktivitäten zu unterstützen. Deshalb bleibt es falsch, Atomenergie und Erdgas als
nachhaltig einzustufen. Nachhaltigkeit ist aber komplexer als ein binäres Ja oder Nein, denn
dafür brauchen wir auch starke und innovative Zulieferer, zum Beispiel für E-Autos oder
Windräder, die bisher in der Taxonomie nicht erfasst sind. Das wollen wir zukünftig besser
abbilden. Wir wollen bei der grünen Taxonomie weitere Abstufungen ergänzen, damit
Investitionen in den Übergang in eine nachhaltige Wirtschaft ausreichend finanziert werden.
Es sollen zukünftig auch soziale Aspekte berücksichtigt werden.
Grüne Geldanlagen sind im Mainstream angekommen, denn viele Menschen wollen sich an
Zukunftsbranchen beteiligen und dabei auch das Klima schützen. Die Finanzaufsicht hat mit
dem schnellen Wachstum nachhaltiger Finanzprodukte jedoch nicht Schritt gehalten. Um das
Vertrauen der Anleger*innen zu festigen, wollen wir deshalb die europäischen
Finanzaufsichtsbehörden mit weitreichenden Kompetenzen gegen Greenwashing ausstatten und ein
staatliches Labelsystem für nachhaltige Geldanlagen einführen. Verbraucher*innen sollen
Klarheit haben, welchen Beitrag ein Finanzprodukt zur klimaneutralen Modernisierung unserer
Wirtschaft leistet.
Wir wollen die Kapitalmarktunion zu einem Erfolg machen. Hierfür müssen wir das Vertrauen
der Sparer*innen zurückgewinnen. Denn Interessenkonflikte durch Provisionen haben dafür
gesorgt, dass Sparer*innen viel zu oft teure, riskante oder unpassende Finanzprodukte
verkauft wurden. Wir wollen, dass Provisionen in der Finanzberatung mittelfristig keine
Rolle mehr spielen und jedem den Zugang zu unabhängiger provisionsfreier Beratung
ermöglichen. Nur so können wir die Potenziale der Kapitalmarktunion für alle zugänglich
machen.
4. Steuergerechtigkeit
Steuerhinterziehung bekämpfen
Die Finanzierung unseres demokratischen Gemeinwesens hängt davon ab, dass alle ihren fairen
Beitrag leisten – für Schulen und Kinderbetreuung, für Krankenhäuser, für eine gute Bus- und
Bahninfrastruktur. Mutige Whistleblower*innen und unabhängige Medien haben in den letzten
Jahren eine ganze Reihe internationaler Steuerskandale aufgedeckt. Sie haben belegt, wie
Superreiche und viele Großunternehmen Steuertricks nutzen, um Gewinne in Niedrigsteuerländer
zu verschieben: über Steuerschlupflöcher, Briefkastenfirmen und Steueroasen bis hin zu
Steuerbetrug. Diese Praktiken wälzen die Steuerlast auf die Bürger*innen und besonders
kleine und mittlere Unternehmen ab, die rechtmäßig ihre Steuern zahlen. Schätzungen zufolge
verursacht Steuermissbrauch EU-weit Verluste von jährlich mehr als 170 Milliarden Euro.
Steuerbetrug und Steuerhinterziehung sind häufig grenzüberschreitende Probleme. Die EU kann
hier einen wirkungsvollen Beitrag zur Bekämpfung leisten.
Auch im Kampf gegen Steuervermeidung, die beispielsweise durch Verlagerung von Gewinnen in
Steueroasen geschieht, wollen wir weiter voranschreiten. Es braucht strengere Kriterien, um
sicherzustellen, dass die EU-Liste der Steueroasen wirklich vollständig wird. So fehlen
aktuell namhafte Steueroasen wie beispielsweise Singapur. Länder mit einem Steuersatz von
null Prozent müssen automatisch auf der EU-Liste der Steueroasen landen, wie beispielsweise
Bermuda oder die Cayman Islands. Entscheidungen darüber, welches Land auf die Liste gesetzt
wird, müssen transparent, nach einheitlichen Kriterien und unparteiisch getroffen werden.
Ebenso wollen wir die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Steuerbehörden wesentlich
verbessern, um den EU-weiten Austausch steuerrelevanter Informationen zu stärken. Wir
begrüßen, dass dabei nun ebenfalls Kryptoassets voll erfasst werden sollen.
Wir werden den Missbrauch von Briefkastenfirmen angehen, also Firmen, die nur existieren, um
Steuern zu hinterziehen oder zu verlagern. Wir fordern die Mitgliedstaaten auf, den
entsprechenden Vorschlag der EU-Kommission schnell und ohne ihn abzuschwächen anzunehmen –
die EU wäre mit dieser Gesetzgebung weltweit Vorreiterin.
Quellensteuern senken das Risiko von Steuerhinterziehung und -umgehung, wie es sich beim
Cum-Ex- und Cum-Cum-Skandal gezeigt hat, sowie die Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerländer.
Wir unterstützen daher die Pläne der EU-Kommission zur Einführung eines EU-weiten Systems
für die Quellensteuer auf Dividenden und Zinszahlungen und setzen uns für einen weiteren
Schritt ein – einen EU-weiten Quellensteuer-Mindestsatz. International müssen wir das
Problem von Quellensteuern auf Auslandszahlungen in Drittländern außerhalb der EU angehen.
Steuerdumping beenden
Der Flickenteppich nationaler Steuervorschriften und der Steuerwettbewerb zwischen den EU-
Mitgliedstaaten bei den Körperschaftssteuersätzen erschweren faire Wettbewerbsbedingungen im
Binnenmarkt. Um dem entgegenzuwirken, muss die Steuergesetzgebung Schritt halten mit neuen
Geschäftsmodellen, die internationaler, komplexer und digitaler geworden sind. So
profitieren die großen Digitalunternehmen mit ihren immateriellen Gütern (wie Daten, Wissen
oder Algorithmen) davon, dass Unternehmensgewinne am Ort einer physischen Niederlassung oder
Fabrik besteuert werden und nicht beispielsweise dort, wo die Nutzer*innen digitaler Dienste
verortet sind. Wir wollen verhindern, dass der Bäckerladen um die Ecke einen deutlich
höheren Steuersatz zahlt als ein internationaler Großkonzern. Alle Unternehmen müssen ihren
gerechten Anteil zur Finanzierung des Gemeinwohls beitragen.
Auf dem Weg zu einer fairen und effektiven Unternehmensbesteuerung in Europa ist ein großer
Schritt genommen worden: Die EU hat sich – infolge eines Durchbruchs auf Ebene der
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) – endlich auf eine
Mindestbesteuerung großer multinationaler Unternehmen von 15 Prozent geeinigt. Damit können
sie sich einem Mindeststandard an Besteuerung nicht mehr entziehen. Die Umsetzung in den
Mitgliedstaaten und der Vorschlag der EU-Kommission für einen neuen EU-Rahmen zur
Unternehmensbesteuerung (BEFIT) müssen nun folgen. Die Einigung auf die Mindestbesteuerung
ist ein zentraler Schritt bei der Reform des internationalen Steuersystems. Er reicht aber
noch nicht aus, damit die großen Digitalunternehmen, der E-Commerce oder multinationale
Unternehmen in Europa fairer besteuert werden. Sollten bei den auf OECD-Ebene aktuell
stockenden Verhandlungen in diesem Bereich keine Fortschritte absehbar sein, sollte die EU-
Kommission vorschlagen, wie dieses Ziel europäisch weiterverfolgt werden kann.
Steuertransparenz ist ein wirkungsvolles Instrument, da es Steuerdumping für alle sichtbar
macht. Die Einigung auf die öffentliche länderbezogene Steuerberichterstattung von
Großunternehmen im Jahr 2021 war in diesem Sinne ein Meilenstein. Wenn große Unternehmen
offenlegen, wie viel Steuern sie in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten zahlen, führt das zu
einer besseren Kontrolle ihrer Steuerpraktiken. Aber es werden noch nicht alle Länder
erfasst. Wir werden darauf hinarbeiten, die im Gesetz verankerte Klausel zur Überprüfung der
Richtlinie zu nutzen, um die Richtlinie zu verbessern und eine weltweite Aufschlüsselung
relevanter Steuerdaten zu erreichen. Um einen zerstörerischen Steuerwettbewerb zwischen den
EU-Mitgliedstaaten zu verhindern, braucht es darüber hinaus ein klares Rahmenwerk der EU für
Steuerbegünstigungen, die einzelne Mitgliedstaaten Unternehmen gewähren können.
Gemeinwesen solidarisch finanzieren
Steuergerechtigkeit heißt, dass hohe Vermögen und Milliardengewinne von Unternehmen einen
fairen Beitrag leisten müssen, um das Gemeinwesen solidarisch zu finanzieren, Klimaschutz
und Nachhaltigkeit zu fördern und soziale Ungleichheit abzubauen. In der ganzen EU hat die
starke Ungleichverteilung und Konzentration insbesondere von Vermögen weiter zugenommen.
Um diese Probleme adressieren zu können, muss die EU auch in der Steuerpolitik
handlungsfähig sein. Vorstöße gegen Steuerdumping und Steuerflucht werden immer wieder durch
Vetos einzelner EU-Mitgliedstaaten verhindert. Wir wollen die bestehenden Möglichkeiten der
Verträge ausschöpfen, qualifizierte Mehrheitsentscheidungen zu treffen. Perspektivisch
eröffnet die Überwindung des Einstimmigkeitsprinzips größeren gemeinsamen
Handlungsspielraum.
Infolge des russischen Kriegs in der Ukraine erzielten Öl- und Gaskonzerne durch hohe
Energiepreise extrem hohe Zufallsgewinne. Diesen unverhältnismäßigen Gewinnen einiger
Krisengewinner stehen Höchststände bei der Armut gegenüber, die durch sprunghaft gestiegene
Lebenshaltungskosten noch verstärkt wurden. Dass sich die EU in dieser Situation auf eine
Übergewinnsteuer geeinigt hat, durch die die großen Energiekonzerne einen Krisenbeitrag an
die Gesellschaften zurückgeben, ist ein großer Erfolg. Ein Teil der gegenwärtigen Inflation
wurde durch überzogene Profite verursacht und ist nicht durch gestiegene Produktionskosten
gerechtfertigt. Wir fordern, das Instrument der Übergewinnsteuer auch für andere Bereiche
fest zu verankern, um in ökonomischen Sondersituationen die öffentlichen Haushalte zu
entlasten. Schlupflöcher wie das Kleinrechnen von Gewinnen über mehrere Geschäftsjahre oder
die Gewinnverlagerung ins Ausland müssen geschlossen werden. Unternehmen, die in erneuerbare
Energien reinvestieren, sollten eine Gutschrift erhalten.
5. Innovationskraft und Bürokratieabbau
Europäische Forschung an der Weltspitze verankern
Für die großen technologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen
unserer Zeit brauchen wir das gebündelte Wissen unseres gesamten Kontinents und darüber
hinaus. Deswegen ist eine europäische Wissenschafts- und Forschungspolitik, die Menschen und
Institutionen aus ganz Europa verbindet und sie bei der Entfaltung einer freien Forschung
unterstützt, ein Schlüsselelement für eine Zukunft in Freiheit und Wohlstand. Wir wollen,
dass die nächsten großen Durchbrüche für eine komfortable und klimafreundliche Mobilität,
für Hochleistungsrechner oder ein Medikament gegen Krebs oder Alzheimer in Europa erdacht
und produziert werden.
Im Zentrum steht dabei das Programm Horizont Europa, das die Forschungsaktivitäten der EU
bündelt. Es ist ein höchst erfolgreiches und bei Antragsteller*innen sehr beliebtes
Förderprogramm, das weltweit seinesgleichen sucht. Wir wollen seinen Umfang im nächsten
europäischen Finanzrahmen ausbauen.
Europäische Forschungspolitik muss die freie Grundlagenforschung ebenso wie die missions-
und anwendungsorientierte Forschung beinhalten. Zentral dafür ist die Klimaforschung, für
die wir im laufenden Zyklus von Horizont Europa eine feste Quote von 35 Prozent für die
europäische Klimaforschung verankern konnten. Wir treten für eine gut ausgestattete
Grundlagenforschung ein – etwa im European Research Council, der Exzellenzforschung par
excellence. Die für Forschende so wichtige Marie-Skłodowska-Curie-Mobilitätsförderung wollen
wir verstetigen. Wir machen uns auch weiterhin dafür stark, dass Sozial- und
Geisteswissenschaften (SSH) einen festen Platz in der EU-Förderkulisse bekommen, denn sie
sind von hoher Bedeutung für lebendige und resiliente Kultur, Gesellschaft und Demokratie.
Open Science, also das Prinzip, dass Forschungsergebnisse frei zugänglich sein sollen,
wollen wir als Prinzip von Horizont Europa weiterhin stärken.
Horizont Europa ist bereits mit vielen Partnerländern weltweit verbunden, was den
Wissensaustausch fördert. Wir haben aber für unsere Forschenden den Anspruch: Horizont
Europa muss noch internationaler werden und weitere Partnerländer einbinden.
Aus Ideen Wohlstand machen
Für die wirtschaftliche Zukunft Europas sind Innovationen von entscheidender Bedeutung. Wir
wollen sie auf ihrem Weg vom Labor in die Praxis unterstützen. Innovationen sind als
Wachstumskeime ein entscheidender Baustein für den wirtschaftlichen Erfolg von morgen.
Aufbauend auf der Grundlagenforschung gestalten wir eine missionsorientierte Forschung, die
uns dabei hilft, die großen Herausforderungen unserer Zeit anzugehen: Wir brauchen
beispielsweise einen schnelleren Roll-out der erneuerbaren Energien, effektive Behandlungen
für Krebs, smarte digitale Lösungen für Klima, Energie und Mobilität und nicht zuletzt
soziale Innovationen, um kluge Konzepte umzusetzen. Die Missionen von Horizont Europa sollen
sich weiterhin insbesondere am Green Deal orientieren. Um sie umzusetzen, wollen wir
Hochschulen, Institute, Zivilgesellschaft, Start-ups und die Industrie zusammenbringen.
Innovationspolitik ist ein entscheidender Teil unserer aktiven Wirtschafts- und
Industriepolitik. Wir wollen die Programmbestandteile von Horizont Europa so ausbauen, dass
sie schnell und dynamisch die besten Ideen auf dem Weg zu ihrer Umsetzung unterstützen.
Dafür soll die EU auch verstärkt regionale Innovationsökosysteme unterstützen und dabei
neben den Universitäten die Hochschulen für angewandte Wissenschaften bzw. Fachhochschulen
in den Blick nehmen. Bislang profitieren diese von der EU-Förderung häufig nicht im selben
Maße wie Universitäten, sind aber besonders in der anwendungsnahen Forschung sehr stark.
Solche Cluster von Forschung, Lehre und Anwendung sind zentral, um Innovationen zu fördern,
sichtbar zu machen und vor Ort klimaneutralen Wohlstand zu schaffen.
Die bestehenden Instrumente wollen wir handhabbarer und schneller machen. Dies gilt
beispielsweise für die Wissensgemeinschaften (KIC), die sich besonders der
Nachwuchsausbildung widmen, zum Beispiel in Master- oder Weiterbildungsprogrammen. So können
wir dafür sorgen, dass wir möglichst vielen eine Chance geben, sich in die Zukunftsbranchen
einzubringen.
Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen sind auch in diesem relevanten
Bereich von großer Bedeutung: Die Kommission hat eine Vielzahl von öffentlich-privaten
Partnerschaften geschaffen, die EU-Gelder gemeinsam mit der Industrie verwalten. Wir möchten
hier eine Transparenzinitiative starten und sicherstellen, dass Hochschulen,
Forschungsinstitute und Gründer*innen stärker von diesen Förderinstrumenten profitieren.
Mit Europäischen Start-ups durchstarten
Eine innovative Unternehmenslandschaft braucht ein lebendiges Gründungsgeschehen. Hier
entstehen die erfolgreichen Geschäftsmodelle von morgen. Dafür muss Gründen schneller und
einfacher werden. Wir setzen uns dafür ein, dass bisher weniger aktive Mitgliedstaaten
beispielsweise von Estland, dem europäischen Vorreiterland für Start-ups, lernen können.
Wir brauchen in der Kommission eine klare Zuständigkeit für Start-ups, damit der Know-How-
Transfer in der EU besser koordiniert und eine Strategie für das europäische
Gründungsgeschehen erarbeitet wird.
Wir wollen sicherstellen, dass es in jedem Mitgliedsland One-Stop-Shops gibt. Dort finden
Gründer*innen Begleitung und Beratung aus einer Hand. Einen Überblick über alle
Förderprogramme für Gründer*innen soll ein digitaler Kompass bieten. Mit einem Klick ohne
Umwege zur Antragstellung – das ist unser Ziel.
Die European Tech Champions Initiative, die die Bundesregierung gemeinsam mit anderen EU-
Mitgliedstaaten ins Leben gerufen hat, ist ein wichtiger Baustein, um Start-ups in der
Wachstumsphase besser zu unterstützen. Ergänzend wollen wir regelmäßige europäische Matching
Hubs ins Leben rufen, die private Investor*innen mit Gründer*innen an einen Tisch bringen,
eine Messe für Geschäftsmodelle der Zukunft.
Mittelstand fördern
Die Innovationsfähigkeit und die Tatkraft der KMU und des Handwerks sind Motor der
europäischen Wirtschaft. Diese Unternehmen werden im Verhältnis besonders stark durch die
Einführung neuer Regelungen belastet. Um sie zu unterstützen, wollen wir KMU-Tests
verbessern und konsequent anwenden, mit denen neue Gesetze auf ihre Auswirkungen auf KMU
überprüft werden. Wir setzen uns zusätzlich für angemessene Ausnahmen und Übergangsfristen
für KMU in neuen Gesetzen ein. Durch vereinfachte Antragsverfahren erleichtern wir den
Zugang von KMU zu Förder- und Investitionsprogrammen der EU. Mithilfe von festgelegten KMU-
Quoten stellen wir sicher, dass diese Programme ihnen auch tatsächlich zugutekommen. Die
Förderlandschaft in der EU werden wir vereinheitlichen und stärker mit nationalen
Förderinstrumenten verzahnen.
Manche Gesetzesvorschriften erweisen sich als mittlerweile überholt, andere in der Praxis
als untauglich. Wir setzen uns für eine regelmäßige Überprüfung aller Regulierungen ein, um
bürokratische Anforderungen zu vereinfachen und Vorschriften, die ihr Ziel verfehlen, wieder
zu streichen. Beispielsweise wollen wir die Meldepflicht bei touristischen Übernachtungen
und die A1-Bescheinigungen durch einen praktikableren Ansatz ersetzen.
Ein zentrales Mittel für den Bürokratieabbau ist die Digitalisierung der Verwaltung. Dadurch
können viele Behördengänge entfallen, der Datenaustausch automatisiert und Anträge leichter
gestellt werden. Verwaltungsleistungen sollen so weit wie möglich digital erfolgen.
Verfahrensstände sollen online einsehbar werden. Durch eine stärkere Vernetzung von
europäischen und nationalen Behörden soll das Once-Only-Prinzip eingeführt werden, damit
Daten künftig nur noch einmal bei Unternehmen abgefragt werden, um sie dann im Rahmen der
datenschutzrechtlichen Vorgaben und innerhalb der Behörden austauschen zu können. Die
Schriftformerfordernis in Verwaltungsverfahren wollen wir weitgehend abschaffen.
6. Digitale Souveränität
Europa digital fit machen
Digitalisierung liefert einen Schlüssel für zentrale Herausforderungen unserer Zeit. Sie
erlaubt es, grundlegende Lebensbereiche wie Verkehr, Bildung, Gesundheit oder Energie völlig
neu zu denken. Damit bietet sie enorme Chancen für die wirtschaftliche Entwicklung und für
die Vereinfachung vieler Aufgaben für alle – von lästigen Verwaltungsgängen über das
Management von Lieferketten in der Industrie bis hin zur Erforschung und Therapie schwerer
Krankheiten. Wir wollen sie als Grundlage eines fairen, dezentralen, hoch vernetzten und
resilienten Wirtschaftssystems gestalten.
Auch im digitalen Bereich erleben wir einen Systemwettbewerb – zwischen einer
emanzipatorischen Digitalisierung, die Bürger*innen befähigt und Freiheit stärkt, und einer
Digitalisierung, die entmündigt und Überwachung fördert. Europa muss sich in diesem
Wettstreit selbstbewusst positionieren. Wir wollen deshalb die digitale Souveränität Europas
sichern, stärken und ausbauen.
Basis einer digitalen europäischen Souveränität ist unter anderem eine resiliente und
klimafreundliche Infrastruktur, zu der Breitbandnetze, Mobilfunknetze, Knotenpunkte,
Rechenzentren und die Verlässlichkeit sensibler Lieferketten zählen. Wir wollen vermehrt die
Entwicklung und Produktion von Infrastrukturkomponenten in Europa vorantreiben, seien es
Halbleiter oder Mobilfunktechnik. Dabei können wir auf starke europäische Unternehmen in
verschiedenen Sektoren der Digitalisierung aufbauen. Die Anbindung an die globale
Netzinfrastruktur, ob bei Unterseekabeln oder Knotenpunkten, wollen wir mit starken
europäischen Akteuren gestalten.
Digitalisierung voranzutreiben, heißt auch, sie in politischen Vorhaben mitzudenken. Wir
wollen die digitale Umsetzung von Gesetzesvorhaben bereits im legislativen Prozess
berücksichtigen. Damit können staatliche Dienstleistungen schneller und effizienter erbracht
werden. Vor allem kann die Digitalisierung der Verwaltungsprozesse helfen, politische Regeln
– vom Grenzausgleichsmechanismus CBAM bis zum Datenschutz – in der wirtschaftlichen Praxis
handhabbar zu machen.
Die rasanten Fortschritte in der Entwicklung und Anwendung von KI stellen eine riesige
Chance für viele Lebensbereiche dar. Sie kann dem Menschen dienen, unser Leben vereinfachen
und unseren Wohlstand mehren, sie kann Prozesse in Alltag, Wissenschaft, Verwaltung und
Wirtschaft verändern und vereinfachen. Moderne KI-gestützte Verfahren können beispielsweise
dabei helfen, den Einsatz von Wasser sowie Pestiziden zu verringern und gleichzeitig den
Ernteertrag erhöhen. Sie schonen die Umwelt und erhöhen die Wirtschaftlichkeit. Wir wollen
KI nach unseren gemeinsamen Werten einsetzen. Mit dem KI-Gesetz macht Europa einen großen
Schritt in diese Richtung, der weltweit wahrgenommen und genau beobachtet wird. Wir wollen
diese Potenziale gestalten und nutzbar machen, dazu gehören die bessere Verfügbarkeit von
Daten und die Unterstützung bei Forschung und Transfer.
Mit datensparsamen und nachhaltigen technologischen Lösungen sowie mit Open-Source- und
Open-Data-Lösungen schaffen wir europäische Standortvorteile.
Wir wollen ökologische Standards in der IT international etablieren,
Nachhaltigkeitsstandards für Softwaredesigns entwickeln und implementieren sowie
energieintensive Rechenzentren klimaneutral betreiben lassen. Für Software und vernetzte
Geräte muss „Sustainability by Design“ die Regel sein; für KI, Cloud-Plattformen, Browser,
Suchmaschinen, digitale Marktplätze und soziale Netzwerke muss die EU
Nachhaltigkeitsstandards entwickeln. Dazu fordern wir einen Digital Sustainability Act, ein
europäisches Gesetz, das die Innovationskraft des Sektors für Informations- und
Kommunikationstechnologie für Nachhaltigkeit optimiert. Eine Abwärmeinfrastruktur von
Rechenzentren wollen wir in die europäische Energieinfrastruktur integrieren.
Daten rechtebasiert nutzen
Daten und die Verarbeitung von großen Datensätzen sind die Grundlage für zahlreiche
innovative Technologien und besonders der KI. Die kluge Nutzung von Daten leistet einen
wichtigen Beitrag dazu, unser Zusammenleben zu bereichern und zahlreiche gesellschaftliche
Probleme anzugehen sowie wirtschaftliches Wachstum zu fördern, Ressourcen zu schonen und die
wissenschaftliche Forschung voranzubringen.
Die Entwicklung von KI und der Erfolg europäischer KI-Modelle hängen vor allem an der
Verfügbarkeit von Daten. Wir wollen nicht personenbezogene Daten rechtebasiert besser
nutzbar und leichter zugänglich machen. Wir haben dazu beigetragen, dass dieses Prinzip bei
der Gesetzgebung zur Nutzung und dem verbesserten Austausch von Daten zwischen Unternehmen
im Rahmen der Datenstrategie umgesetzt wurde. Projekte wie die Smart City Barcelona können
ein Vorbild sein, wie Daten verfügbar gemacht werden und Forschung sowie Innovation
vorangetrieben werden.
Die EU hat mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) den Datenschutz in den vergangenen
Jahren weltweit stark geprägt und globale Maßstäbe bei der Regelung des Schutzes von
personenbezogenen Daten gesetzt.
Die Durchsetzung der Regeln in den Mitgliedstaaten ist allerdings unterschiedlich. Während
in Deutschland Entbürokratisierung und mehr Rechtssicherheit nötig sind, müssen die Regeln
gegenüber den internationalen Digitalkonzernen mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten genauso
konsequent durchgesetzt werden. Gerade die Big-Tech-Unternehmen haben sich aufgrund der
laxen Durchsetzung in den letzten Jahren Wettbewerbsvorteile verschaffen können, die für
alle Wirtschaftsbereiche und insbesondere im Bereich Werbung, soziale Netzwerke und KI
entscheidend sind. Deshalb muss die Europäische Kommission für eine einheitliche und
konsequente Durchsetzung der DSGVO sorgen, um die Grund- und Bürger*innen-Rechte wirksam zu
schützen sowie gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen zu schaffen, die eine
Sonderbehandlung von Großkonzernen gegenüber KMU ausschließen.
Durch die Digitalisierung des Datenschutzes sehen wir weitere Möglichkeiten, Nutzer*innen in
der Durchsetzung ihrer Ansprüche zu unterstützen, KMU die Umsetzung zu vereinfachen und
allseitige Rechtssicherheit zu schaffen. Darüber hinaus erleichtert der Ansatz es
Bürger*innen, ihre Daten für Forschungszwecke zu spenden und so die für KI-Modelle
notwendigen Datenpools zu erzeugen.
Digitale Standards setzen
Vertrauen und Verlässlichkeit sind für Verbraucher*innen und Unternehmen das A und O einer
erfolgreichen Digitalisierung. Dieses Vertrauen wird durch gemeinsame Standards gefördert
und gewährleistet. Daher treten wir für faire, offene und resiliente digitale
Regelungsrahmen ein. Unser besonderes Augenmerk richtet sich auf die notwendige
Investitionssicherheit für europäische Unternehmen, insbesondere KMU. Denn nur klare und
verlässliche Regeln stellen innovative, vertrauenswürdige und somit erfolgreiche
Wirtschaftsräume sicher. Mit dem Digitale-Dienste-Gesetz (DSA) und dem Digitale-Märkte-
Gesetz (DMA) haben wir in der EU dazu wichtige Schritte getan. Die Vollendung des digitalen
Binnenmarktes kann Europa dabei helfen, global wettbewerbsfähig zu sein.
Ein wesentlicher Schlüssel erfolgreicher Digitalpolitik liegt in der Interoperabilität:
Europas digitale Systeme müssen die gleiche Sprache sprechen. Interoperabilität bezeichnet
die Fähigkeit von IT-Systemen, über die Grenzen von Unternehmen, Behörden und
Forschungseinrichtungen hinweg Geschäftsprozesse abzuwickeln – vollautomatisch, ohne
manuelle Zuarbeiten. Das erfordert die Standardisierung gemeinschaftlicher
Softwareschnittstellen, spezifisch für jeden Anwendungsfall. Auf diese Weise können
Einzelpersonen, Firmen, Forschungseinrichtungen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs)
gleichermaßen miteinander Transaktionen ausführen.
Die Erfahrung zeigt, dass Standardisierung innovativen Technologien zum Durchbruch verhelfen
kann. Beispiele dafür sind das World Wide Web oder der digitale Mobilfunk (GSM).
Interoperabilität durchbricht Monopolstellungen, eröffnet damit Wirtschaftsräume und
milliardenschwere Märkte, die vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen aus Europa
riesige Chancen bieten.
Die EU hat mit dem European Interoperability Framework (EIF) einen ersten
Kristallisationspunkt geschaffen, an dem wir ansetzen: In verschiedenen Gruppen erarbeiten
Vertreter*innen unterschiedlicher Interessensgruppen die standardisierten IT-Schnittstellen
(Profile) für den jeweiligen Anwendungsfall.
Das Erarbeiten dieser Standards muss demokratisch legitimiert sein. Willkürlichen Konsortien
internationaler Großunternehmen fehlt es daran. Wir wollen die Standardisierung daher ebenso
für Entwickler*innen, die Zivilgesellschaft und kleine und mittlere Unternehmen öffnen.
Damit alle unter gleichen Voraussetzungen an dieser Gestaltung mitwirken können, muss ihr
Engagement vergütet werden. Wir sehen es als zentrale Aufgabe der EU, über diese
demokratische Governance zu wachen sowie für Planungs- und Investitionssicherheit zu sorgen.
Die EU kann darüber hinaus durch die Macht der öffentlichen Hand als Kundin einen
entscheidenden Beitrag dazu leisten, diese Standards am Markt durchzusetzen.
Verbraucherschutz digitalisieren
Die zunehmende Relevanz von Software und digitalen Plattformen muss sich im
Verbraucher*innenschutz widerspiegeln. In den vergangenen Jahren hat die EU hier bedeutende
Fortschritte gemacht. Mit dem DSA und dem DMA haben wir in Europa die Grundsteine gelegt, um
klare Regeln im Internet zu schaffen und Wettbewerb wiederherzustellen. Die Big-Tech-
Konzerne müssen nun regelmäßig das Risiko bewerten, das ihre Algorithmen für die
Gesellschaft darstellen – und wo nötig Gegenmaßnahmen vorschlagen. Auf unseren Druck hin
erhalten Wissenschaftler*innen und NGOs Zugang zu den Daten der Plattformen, um deren
Wirkungsweise zu erforschen und öffentlich zu machen. Diese Regeln gilt es jetzt, in
Deutschland und Europa konsequent durchzusetzen und aufgrund der durch Datenzugänge
gewonnenen Erkenntnisse weiterzuentwickeln. Gesetze zum Schutz von Verbraucher*innen im
digitalen Raum müssen durchgesetzt und angewendet werden; hierzu wollen wir auf nationaler
und europäischer Ebene die Verbraucherschutzstellen stärken. Die Regulierung digitaler
Plattformen muss die Dominanz großer digitaler Marktplätze stärker in den Blick nehmen.
Immer stärker kommt es in diesem Zusammenhang auch zu Grundrechtsverletzungen dieser
Plattformen, wenn Nutzer*innen grundlos gesperrt werden.
Wir wollen für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen, die KMU gute Zugänge bieten und
Verbraucher*innen nicht unbegrenzter Marktmacht aussetzen. Es muss gewährleistet sein, dass
diese ihre Produkte zu fairen Bedingungen online handeln können. Dafür werden wir
nötigenfalls das Wettbewerbsrecht nachschärfen. Wir wollen die Rechte von Nutzer*innen auf
digitalen Kommunikationsplattformen stärken. Interoperabilität hilft dabei: Plattformen
sollen miteinander kommunizieren können, sodass Nutzer*innen unterschiedlicher Dienste
miteinander in Austausch treten können. Das Umziehen von Daten wird dadurch möglich und
verbessert, damit Nutzer*innen beim Verlassen von Plattformen darauf zurückgreifen können.
7. Kreislaufwirtschaft
Abhängigkeiten bei Rohstoffen reduzieren
Sie stecken im E-Auto auf der Straße oder im Solarpanel auf dem Dach: Für eine klimaneutrale
Wirtschaft, die nötigen Technologien und Produkte brauchen wir Rohstoffe. Laut
Internationaler Energieagentur (IEA) wird sich der Bedarf an metallischen Rohstoffen allein
für grüne Energietechnologien bis zum Jahr 2040 vervierfachen, um die Ziele des Pariser
Klimaabkommens zu erfüllen. Ein großer Teil dieser Rohstoffe wird derzeit in Ländern des
Globalen Südens abgebaut – und in der Volksrepublik China in Schmelzen und Raffinerien
weiterverarbeitet. Deutsche und europäische Unternehmen sind bei einer Reihe von Metallen zu
75 bis 100 Prozent auf Importe angewiesen. Da mit China derzeit ein einziges Land die
zentrale Stellung in der Rohstofflieferkette einnimmt, muss Europa seine Rohstoffquellen
diversifizieren, um die eigene Unabhängigkeit zu sichern. Wir setzen uns deshalb für die
Gründung einer europäischen Rohstoffagentur sowie für regelmäßige und verpflichtende
Stresstests für betroffene Unternehmen ein, um die Rohstoffsicherheit der europäischen
Wirtschaft zu gewährleisten.
Mit dem EU Critical Raw Materials Act (CRMA) haben wir einen großen Schritt für mehr
Rohstoffsicherheit gemacht. Das Ziel des CRMA ist, dass nicht mehr als 65 Prozent der
Importe kritischer Rohstoffe aus einem einzigen Drittstaat kommen dürfen. Unser Ansatz der
Diversifizierung basiert auf verschiedenen Säulen: die Reduktion des Rohstoffverbrauchs und
die Umsetzung einer effektiven Kreislaufwirtschaft, die Substitution besonders knapper
Rohstoffe, die Verwendung und Weiterverarbeitung heimischer Rohstoffe in der EU sowie die
Umsetzung einer nachhaltigen Rohstoffaußenpolitik, die auf die Ausweitung der
partnerschaftlichen Kooperationen mit Ländern weltweit setzt und dabei ambitionierte
Nachhaltigkeitsziele verfolgt.
Zirkulär wirtschaften
Der kluge Umgang mit Ressourcen ist eine der zentralen Voraussetzungen für eine
wettbewerbsfähige Wirtschaft. Kreislaufwirtschaft ist im Mainstream angekommen und wir
machen sie zum europäischen Erfolgsmodell. Der größte Beitrag zur Rohstoffsicherheit ist das
Einsparen von knappen Rohstoffen und ihre wiederholte Nutzung. Die Kreislaufwirtschaft
verfolgt das Ziel, dass Materialien und Produkte so lange wie möglich geteilt, geleast,
wiederverwendet, repariert, aufgearbeitet und recycelt und Abfälle auf ein Minimum reduziert
werden. Das beginnt schon beim Entwerfen von neuen Produkten. Deshalb wollen wir eine
ressourcenschonende, langlebige und umweltfreundliche Gestaltung im Sinne eines „Designs for
Recycling“ unterstützen. Es ist gut, dass die Ökodesign-Richtlinie nun auch in diesem Sinne
weiterentwickelt wird. Verbrauchsgüter sollen strengere Mindestkriterien erfüllen, um Klima
und Ressourcen zu schonen. Produzenten müssen den gesamten Lebenszyklus ihrer Produkte in
den Blick nehmen, damit neben der Produktion auch die Verwendung und die Verwertung
möglichst nachhaltig sind. Wir setzen auch auf die nachhaltige Nutzung des bestehenden
Gebäudebestands und den Einsatz modularer Bauweisen.
Viel zu oft landet zum Beispiel die Waschmaschine auf dem Müll, weil es einfacher und
günstiger ist, sie neu zu kaufen, als sie reparieren zu lassen. So werden Ressourcen unnötig
verbraucht und in der EU jährlich 35 Millionen Tonnen Abfall aus noch gebrauchsfähigen Waren
verursacht. Für eine Gesellschaft ohne Müll wollen wir das Recht auf Reparatur, eine Pflicht
zur Bereitstellung von Ersatzteilen und die Zerstörung von Neuwaren minimieren. Auch das
Zerstören zurückgeschickter Waren aus dem Onlinehandel soll so bald ein Ende haben.
Noch immer verlieren wir wertvolle Rohstoffe zur Produktion von Waren aufgrund lückenhafter
Regeln. Illegalen Abfallexporten wollen wir durch eine konsequente Umsetzung der neuen
Abfallverbringungsverordnung den Riegel vorschieben. Wir setzen uns dafür ein, dass
Plastikmüllexporte in Drittstaaten gänzlich beendet werden.
Für die Erhöhung der Versorgungssicherheit in der EU brauchen wir einen europäischen Ansatz,
damit wir die Rohstoffquellen und -verarbeitungskapazität auf unserem Kontinent effektiv
nutzen können. Dazu gehört auch der heimische Bergbau von knappen Rohstoffen und die
Stärkung der Weiterverarbeitungskapazitäten in der EU. Wir werden uns dafür einsetzen, dass
die EU dies unter Einhaltung von hohen Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsstandards
ambitioniert voranbringt.
Doch Rohstoffquellen gibt es nicht nur unter der Erde: In unseren Häusern, Infrastrukturen,
aber auch in unseren Deponien und Halden liegen Rohstoffquellen, die wir bislang nicht
ausreichend erschlossen haben. Deshalb wollen wir eine konsequente Wiederverwendung und
Weiternutzung von Rohstoffen durch eine zirkuläre Wirtschaft fördern, die die Chancen der
Digitalisierung nutzt, sowie das sogenannte Urban Mining vorantreiben. Dadurch schaffen wir
neue Geschäftsmodelle und verringern gleichzeitig den Bedarf an knappen Primärrohstoffen.
Mehrweg- und Pfandsysteme möchten wir europaweit vereinheitlichen und ausweiten. Wir wollen
die Sammelquoten von Batterien erhöhen und insbesondere ein Rückgabesystem für Lithium-
Ionen-Batterien einführen. Die Verwendung von kritischen Rohstoffen wie Lithium sollte durch
weniger kritische Mineralien ersetzt werden, etwa durch den verstärkten Einsatz von Natrium-
Ionen-Batterien. Hierfür wollen wir weitere Forschungsgelder bereitstellen.
Rohstoffpartnerschaften schließen
Um unsere Rohstofflieferquellen außerhalb der EU vielfältiger zu gestalten, setzen wir uns
für eine nachhaltige Rohstoffaußenpolitik ein. Sie zielt darauf ab, neue und strategische
Partnerschaften im Rohstoffsektor aufzubauen und bestehende Partnerschaften zu vertiefen.
Wir unterstützen internationale Kooperationsformate wie die Minerals Security Partnership
(MSP) und eine verstärkte Zusammenarbeit der G7 im Rahmen des Clubs für kritische Rohstoffe.
Darüber hinaus wollen wir partnerschaftliche Kooperationen mit rohstoffreichen Ländern
weltweit vertiefen und diese bei der Um- und Durchsetzung ihrer Nachhaltigkeits- und
Menschenrechtsstandards unterstützen. Wir wollen Kooperationsangebote nicht nur einseitig im
europäischen Versorgungsinteresse ausrichten, sondern Partnerländern dabei zur Seite stehen,
ihre Wertschöpfung im Rohstoffsektor zu erhöhen und sie so besser in Lieferketten zu
integrieren. Wir wollen Länder bei dieser Aufgabe über den Global Gateway und andere
Finanzierungsinitiativen unterstützen und in diesem Kontext auch den Ausbau von Transport-
und Energieinfrastruktur fördern.
8. Moderne Mobilität
Europas Verkehrswende voranbringen
Jeder Mensch sollte die Möglichkeit haben, in Europa sicher und bezahlbar mobil zu sein.
Damit das auch morgen noch so ist, gestalten wir ein Verkehrssystem, das klimaneutral
funktioniert. Dazu gehört, dass Menschen sich auch ohne eigenen Personenkraftwagen (Pkw)
komfortabel bewegen können. Wir brauchen gut ausgebaute Schienenwege und attraktive Züge,
ein engmaschiges Netz an Radwegen und Radrouten, den Ausbau der E-Ladeinfrastruktur, ein
sicheres Straßennetz, klimaneutralen Flug- und Schiffsverkehr und attraktive Angebote, um
verschiedene Verkehrsträger zu kombinieren.
Eine solche Verkehrswende ist ein zentraler Baustein für ein gutes und selbstbestimmtes
Leben im Einklang mit dem Klimaschutz – in der Stadt und auf dem Land. Wir setzen uns
deshalb dafür ein, dass das europäische Bahnnetz weiter ausgebaut wird. Insbesondere die
Wiederherstellung von Lückenschlüssen zwischen den Ländern, europäischer Güterverkehr und
gute Nachtzüge haben für uns Priorität.
Nachtzüge sind eine komfortable und klimafreundliche Möglichkeit, lange Strecken innerhalb
Europas zurückzulegen, und damit eine gute Alternative zum Fliegen. Ein massiver Ausbau des
Nachtzugverkehrs ist daher geboten. Wir setzen uns deshalb für reduzierte Trassenpreise,
eine bessere Förderung für grenzüberschreitende Züge, für den zügigen Ausbau der
Eisenbahninfrastruktur und insbesondere eine industriepolitische Offensive für moderne
Schlafwagen ein.
Die Stärkung von Bahn- und Fahrradwirtschaft bietet nicht zuletzt große
Beschäftigungspotenziale in der Entwicklung, Produktion und Instandhaltung. Insbesondere das
industriepolitische Potenzial der Fahrradwirtschaft für lokale, ressourceneffiziente
Produktion ist bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Deshalb setzen wir uns für eine
europäische Fahrradstrategie ein, die auch den Bau sicherer Fahrradwege und die Förderung
der privaten und gewerblichen Nutzung von Cargobikes umfasst.
Tickets einfach buchen
Was beim Buchen von Flügen selbstverständlich ist, soll künftig auch für alle Zugreisen in
Europa Standard sein. Mit einem anbieterübergreifenden Ticketing-System können wir
Buchungsplattformen in die Lage versetzen, durchgehende Fahrkarten einschließlich Sharing-
Angeboten für alle anzubieten. Dabei werden jeweils die günstigsten Fahrkarten auf einfache
Weise zugänglich gemacht. Reisende werden anschauliche und transparente Informationen zu den
Kosten, Fahrzeiten sowie zur Klimawirkung der jeweiligen Reiseoption bekommen und die für
sie beste Option wählen können. Damit Europa auf der Schiene zusammenrückt, müssen Buchungen
einfacher erfolgen.
Dies sollte auch für den Offlineverkauf von Fahrscheinen gelten. Interrailtickets sollten
leichter reserviert werden können. Wir wollen zum unbeschwerten Reisen einladen und deshalb
die Fahrgastrechte stärken. Zum Beispiel sollen Reisende bei Zugausfall jeden beliebigen
nächsten Zug oder Bus nutzen können, auch wenn dieser von einem anderen Unternehmen
betrieben wird.
Auch im europaweiten öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) soll eine konsequente Umsetzung
des Open-Data-Prinzips dafür sorgen, dass Mobilitätsangebote für alle leicht und günstig
nutzbar sind. Insbesondere Sharing-Modelle und die Kombination verschiedener Verkehrsmittel,
zum Beispiel E-Bike und Bahn oder Park and Ride, sollen davon profitieren. Um
klimafreundliche Mobilität zu fördern, wollen wir Fahrgästen in neuen Zügen die
Fahrradmitnahme ermöglichen.
Daneben wollen wir in Europa für das Flatrate-Prinzip im ÖPNV werben, das wir mit dem
Deutschland-Ticket erfolgreich im eigenen Land etabliert haben. Das Deutschland-Ticket soll
auch in der ersten Station im Nachbarland gelten, um den grenzübergreifenden Austausch zu
stärken.
Antriebswende umsetzen
Damit auch morgen noch alle mobil sein können, wollen wir die Antriebswende zur
Klimaneutralität beschleunigen. Dabei muss das Prinzip gelten, so viele Verkehrsmittel wie
möglich elektrisch mit erneuerbaren Energien zu betreiben. Grüner Wasserstoff und die darauf
basierenden E-Fuels sollten bevorzugt dort eingesetzt werden, wo Verkehrsmittel nicht
preiswerter elektrisch betrieben werden können.
Die Automobilindustrie ist ein zentraler Industriezweig in Deutschland und bietet viele
Arbeitsplätze. Wir wollen sie auch deshalb auf dem Weg der Antriebswende unterstützen. Die
EU hat in einer historischen Entscheidung beschlossen, dass ab 2035 keine fossilen
Verbrennungsmotoren in Pkw mehr neu zugelassen werden dürfen. Nun braucht es eine
flächendeckende, intelligent vernetzte und effiziente Ladeinfrastruktur für alle
Verkehrsmittel. Es muss ohne Probleme möglich sein, mit einem E-Auto von Stockholm nach
Syrakus zu fahren. Um den Übergang zur E-Mobilität möglichst attraktiv zu gestalten, wollen
wir aktuelle Mängel im Verbraucherschutz, zum Beispiel teure Roaming-Gebühren beim Laden
eines E-Autos, abschaffen.
Neueste Entwicklungen deuten darauf hin, dass auch der schwere Güterverkehr auf der Straße
in Zukunft zum größten Teil batterieelektrisch abgewickelt werden kann. Dazu braucht es den
schnellen Ausbau der Ladeinfrastruktur für Lastkraftwagen (Lkw) entlang der europäischen
Fernstraßen und in den Güterverteilzentren.
Neue Pkw und andere Verkehrsmittel sollen schon in der Herstellung und Entwicklung durch
Effizienzstandards stärker an Energie- und Ressourceneffizienz orientiert werden. So wollen
wir größere Anreize für Hersteller schaffen, um leichte und effiziente Lösungen anzubieten.
Um den schweren Luft- und Schiffsverkehr klimaneutral zu gestalten, unterstützen wir die
Produktion nachhaltiger Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien, zum Beispiel E-Kerosin. Für
Häfen unterstützen wir den schnellen Aufbau einer klimaneutralen Versorgung. So werden
fossile und biogene Brennstoffe im Verkehr in einer Generation der Vergangenheit angehören.
Für den Flugverkehr unterstützen wir die Forschung und Entwicklung von klimaneutralen
Technologien.
Verkehr sicher machen
Wir verfolgen die Vision Zero für den Straßenverkehr. Diese zielt darauf ab, dass es keine
Verkehrsunfälle mit schweren Verletzungen mehr gibt. Wir setzen uns deshalb für sichere
Schulwege, Tempo 30 und Verkehrssicherheitszonen in dicht bevölkerten Innenstädten sowie für
ein EU-weites Tempolimit auf Autobahnen ein.
Lärm wird als Gesundheitsfaktor noch immer unterschätzt. Wir setzen uns für ambitioniertere
Reduktionsziele im Verkehr ein. Flugzeuge, Bahnen, Autos und Motorräder wollen wir stärker
für die Gesundheit der Menschen in die Verantwortung nehmen. Dazu wollen wir die EU-
Umgebungslärmrichtlinie sowie quellenbezogene Lärmrichtlinien (beispielsweise Grenzwerte für
die Geräuschemission von Fahrzeugen) weiterentwickeln und an den Stand der Technik anpassen.
Mehrfachbelastungen wollen wir stärker berücksichtigen. So kann die Gesundheitsbelastung der
Menschen durch Verkehr um bis zu 50 Prozent gesenkt werden. Auch Stickoxide, (Ultra-
)Feinstaub, Reifen- und Bremsabrieb müssen für den Schutz der Gesundheit minimiert werden.
Die Luftreinhaltungsrichtlinie und die Euro-7-Abgasnorm sind hierfür wichtige Schritte.
9. Gesunde Natur
Unsere Natur bewahren
Wir sind Teil der Natur. Unser Wohlstand, unsere Lebensqualität, unsere Zukunft hängen von
ihr ab. Die Natur zu schützen und dafür Sorge zu tragen, dass wir sie auch in Zukunft noch
verantwortungs- und respektvoll nutzen können, ist eine entscheidende Aufgabe der Politik.
Das gilt nicht zuletzt, weil der Reichtum der europäischen Lebensräume – von den unberührten
Wäldern Nord- und Osteuropas über die vielfältigen Kulturlandschaften Mitteleuropas bis hin
zum Mittelmeer – unser Selbstverständnis als Europäer*innen prägt und weltweit für unseren
Kontinent steht.
Wir haben hier auch dank unserer Anstrengungen in Deutschland und Europa in den vergangenen
Monaten große Durchbrüche erzielt:
Das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law, NRL) sowie die
Vereinbarungen der Weltnaturkonferenz in Montreal 2022 und das Abkommen der UN zum Schutz
der Biodiversität auf Hoher See sind historische Meilensteine. 30 Prozent der Land- und
Meeresflächen sollen dank dieser Abkommen unter Naturschutz stehen, 10 Prozent der Flächen
sogar unter besonderem Schutz. Bedrohte Arten und Lebensräume sollen endlich besser
geschützt und geschädigte Ökosysteme wiederhergestellt werden. Zudem wurden erstmals
verbindliche Regeln für den Schutz der Hohen See vereinbart. Insgesamt dürfen damit
Meeresressourcen nur noch nachhaltig genutzt werden. Mit dem NRL haben wir im Europäischen
Parlament unseren Kontinent auf den Kurs für die dringend notwendige Wiederherstellung der
europäischen Natur gesetzt. Diese Pläne müssen wir jetzt verwirklichen: Eine verbesserte
Naturschutzfinanzierung ist zum Erreichen der globalen und europäischen Ziele unabdingbar.
Deshalb fordern wir einen eigenen Naturschutzfonds ein. Mit dem NRL sollen bis 2050 alle
Ökosysteme auf den Weg der Erholung geführt werden. Wir setzen uns dafür ein, dass die
entsprechenden Konzepte bis 2035 vorliegen müssen.
Artenvielfalt retten
Die Klimakrise geht einher mit einer Biodiversitätskrise extremen Ausmaßes. Beide bedingen
einander: Die Natur ist unsere wichtigste Verbündete im Kampf gegen die Klimakrise.
Naturschutz und Klimaschutz müssen gemeinsam gedacht werden.
Wir möchten daher besonders den natürlichen Klimaschutz fördern. Schlüsselelemente sind hier
die Wiedervernässung von Mooren und Auen, ein naturnaher Waldumbau und effektiver
Meeresschutz.
Wir setzen uns dafür ein, dass es keinen Tiefseebergbau geben wird, bis ausreichend
wissenschaftliche Erkenntnisse über dessen Auswirkungen vorliegen und ernsthafte
Umweltschäden ausgeschlossen werden können. Denn neben Mooren und Wäldern gehören die Ozeane
zu den wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen die Klima- und Biodiversitätskrisen.
Intakte Ökosysteme gibt es nur mit einer lebendigen Artenvielfalt. Von den 8 Millionen Tier-
und Pflanzenarten auf unserer Erde sind 1 Million vom Aussterben bedroht – und damit ein
unendlicher Reichtum. Dieses Massensterben muss dringend gestoppt werden. Ein wichtiger
Hebel dafür ist die Art und Weise, wie wir Flächen bewirtschaften. Den Artenschwund in und
um Agrarflächen und Wälder wollen wir stoppen, indem wir die Flächenversiegelung aufhalten
und den Naturschutz in der Bewirtschaftung von Flächen stärken. Der Erhalt von Ökosystemen
muss deshalb immer mitgedacht werden. Wir setzen uns insbesondere für den Insekten-, Vogel-
und Bodenschutz ein.In der Bewirtschaftung wollen wir die ökologische Landwirtschaft und
naturnahe Waldbewirtschaftung fördern. Wir brauchen Misch- statt Monokulturen in Land- und
Forstwirtschaft, weniger Pestizideinsatz sowie eine Abkehr von degradierenden Praktiken wie
Kahlschlägen. Wir machen uns gegen illegale Rodungen stark und fordern klare, einheitliche
Definitionen für die europäische Forstwirtschaft. Dafür braucht es ein einheitliches
Monitoring und europaweite ökologische Mindeststandards im Wald. Im Hinblick auf die
zunehmende Trockenheit brauchen wir außerdem eine europäische Waldbrandstrategie, die durch
naturnahe Wälder, die Vermeidung von Kahlschlägen und ökologische Schutzkorridore die
Brandgefahr eindämmt.
Zur Erhaltung der Artenvielfalt wollen wir die natürlichen Lebensräume wieder miteinander
vernetzen, sodass Wanderungen und ein genetischer Austausch möglich und dadurch stabile
Populationen gesichert sind. Das ist eine grüne Infrastruktur für Europas Natur. Zentral
dafür ist das Natura-2000-Netzwerk. Die genetische Vielfalt fördert die Resilienz unserer
Ökosysteme und schafft somit auch einen gesellschaftlichen Mehrwert. Die Korridore sollen in
engem Austausch mit den Kommunen, Landwirt*innen und Förster*innen entstehen. Darüber hinaus
wollen wir sicherstellen, dass Ökosysteme nicht zusätzlich zerschnitten werden, ohne einen
genetischen Austausch zu gewährleisten. Wir engagieren uns für die Bereitstellung
finanzieller Anreize für Landwirt*innen und Landbesitzer*innen, um nachhaltige Praktiken
einzuführen, die den Schutz der Natur und der Artenvielfalt fördern.
In diesem Rahmen wollen wir klimaresiliente Ökosysteme wiederherstellen und
Ausweichschutzgebiete für kälteliebende Arten sowie Hilfsprogramme für besonders betroffene
Arten schaffen.
Umwelt schützen
Die zunehmende Verschmutzung und Vermüllung ist neben der Klima- und Biodiversitätskrise die
dritte große Herausforderung für den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Sie
belastet Mensch und Ökosysteme. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Auswirkungen der
Nutzung umwelt- und gesundheitsschädlicher Chemikalien. Besonders vordringlich ist es,
Stoffe in den Blick zu nehmen, die Mensch und Ökosysteme dauerhaft schädigen. Dazu zählen
sogenannte Ewigkeitschemikalien wie per- und polyfluorierte Chemikalien (PFAS). Diese werden
seit Jahrzehnten zum Beispiel in der Herstellung von Halbleitern, Medizinprodukten,
Textilien oder Kältemitteln vielfältig verwendet. Überall dort, wo sie gut ersetzt werden
können und insbesondere in verbrauchernahen Produkten, wollen wir aus ihrer Verwendung rasch
aussteigen. Gleichzeitig brauchen wir einen differenzierten Regulierungsrahmen, um die
Entwicklung von Alternativen zu verstärken und den Produktionshochlauf wichtiger
Zukunftstechnologien wie Elektrolyseuren oder elektrischer Antriebe nicht zu gefährden.
Wir setzen uns zudem für eine Chemikalienstrategie ein, die Nachhaltigkeitsanforderungen
wirklich umsetzt, vor allem bei Spielzeug-, Lebensmittelkontaktmaterialien und Kosmetik. Wir
wollen deshalb bei der Reform des europäischen Instruments für die Sicherheit von
Chemikalien (REACH-Regelung) schneller vorankommen. Wir setzen uns für die Verwendung eines
umfassenderen Ansatzes zur Risikobewertung ein, der verschiedene Dimensionen der Wirkung von
Chemikalien, schnellere Verfahren und bessere Sanktionsmöglichkeiten berücksichtigt.
Vor allem aber wollen wir unsere Chemie nachhaltig und damit zukunftstauglich aufstellen.
Deshalb setzen wir uns für ein neues Investitionsprogramm für sichere und nachhaltige
Chemikalien „made in EU“ (EU Sustainable Chemistry Act) zur Förderung des Markthochlaufs von
Green Chemistry ein. Dies ist ein Teil unseres Programms für eine klimagerechte
Industriepolitik.
Sauberes Wasser für alle
Besonders extreme Dürren und Starkregenereignisse nehmen in Europa deutlich zu. Das ist eine
große Herausforderung, um in ganz Europa die Versorgung mit sauberem Wasser sicherzustellen,
und ein Stressfaktor für unsere Natur. Bilanziell hat etwa Deutschland in den vergangenen 20
Jahren 20 Prozent seiner Wasservorräte verloren. Wir brauchen deshalb eine europäische
Wasserstrategie, die Extreme abpuffert, sauberes Trinkwasser für alle sichert sowie den
Bedarf in der Landwirtschaft und in den natürlichen Lebensräumen deckt. Neben dem Gesetz zur
Wiederherstellung der Natur müssen auch die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie
schnellstmöglich umgesetzt werden, um die Übernutzung von Grundwasser und die dadurch
drohende Schädigung von Feuchtgebieten und Flüssen zu verhindern.
Wir setzen uns ein für den Umbau hin zu einer klimaresilienten Wasserinfrastruktur und einem
naturverträglichen Hochwasserschutz. Das Risiko von Überflutungen durch Starkregenereignisse
reduzieren wir durch mehr Regenwasserbecken, Grünflächen, Bäume und Fassadenbegrünung.
Dieser Umbau zur Schwammstadt bietet gleichzeitig Kühlung und verbessert die Luftqualität.
Wir brauchen klare europaweite Grenzwerte, um bei länderübergreifenden Wasserkrisen, wie an
der Oder, konsequent handeln zu können. Wir verschreiben uns dem Ziel, 25.000 Kilometer in
der EU in frei fließende Flüsse zu renaturieren – wie in der EU-Biodiversitätsstrategie
vorgesehen. Und wir setzen uns für einen Vorrang für Trinkwasser gegenüber gewerblicher oder
landwirtschaftlicher Nutzung ein.
Dazu ist es auch notwendig, die sparsame Nutzung und die Speicherung von Wasser in der
Landschaft stärker in den Mittelpunkt zu stellen, ob im Gemüsebau durch
Tröpfchenbewässerung, im Wald durch naturnahen Mischwald oder in Gewerbe und Industrie durch
sparsame Prozesse und Wiederaufbereitung. Hier setzen wir verstärkt auf Kooperation
innerhalb Europas und mit den Mittelmeeranrainern. Denn die Erfahrungen in den semiariden
Gebieten des Südens werden in den anderen Teilen Europas dringend gebraucht.
Tiere schützen
Wir haben eine besondere Verantwortung für Tiere in menschlicher Obhut. Wir wollen, dass
Europa alle Tiere durch konsequente und ambitionierte Gesetzgebung sowie die Durchsetzung
bestehender Regelungen schützt. Denn Europäer*innen wollen Tierschutz: Sechs der zehn
erfolgreichen europäischen Bürgerinitiativen setzen sich dafür ein.
Wir fordern die Umsetzung der Initiative „Fur Free Europe“, um die Pelztierzucht und den
Handel mit Zuchtpelzprodukten auf dem europäischen Markt zu verbieten.
Wir setzen uns darauf aufbauend für eine konsequente Umsetzung des EU-Aktionsplans zur
Bekämpfung des illegalen Artenhandels ein. Den Import von Wildfängen für die Privathaltung
wollen wir beenden sowie den Import und Handel von Arten unter Strafe stellen, die in ihrem
Herkunftsland national geschützt sind. Wir sind für ein Einfuhrverbot von Jagdtrophäen von
Tierarten, die durch das Washingtoner Artenschutzübereinkommen und die EU-
Artenschutzverordnung geschützt sind, wie bereits vom EU-Parlament gefordert. In
Handelsabkommen setzen wir uns für hohe Tierschutzstandards ein.
EU und Mitgliedsländer sollen konkrete Ausstiegspläne aus Tierversuchen erstellen, die
Experimente an Tieren für Chemikalienprüfungen und Medizinprodukte wo immer möglich beenden,
für Arzneimittelentwicklung und Grundlagenforschung reduzieren und auch die Förderung
tierversuchsfreier Bildungs- und Ausbildungsinitiativen umfassen. Die Entwicklung und
Anerkennung von Ersatzmethoden wollen wir verstärken und beschleunigen. Geprüfte tierfreie
Methoden sollen unverzüglich in Testrichtlinien aufgenommen werden und an die Stelle von
Tierversuchen treten.
10. Eine starke Landwirtschaft
Gemeinsame Agrarpolitik weiter entwickeln
Landwirt*innen versorgen uns nicht nur mit dem, was wir zum Überleben brauchen. Sie sorgen
auch für eine Vielfalt an Lebensmitteln in Europa, die ihresgleichen sucht. Gleichzeitig
erhalten und pflegen sie so unsere Kulturlandschaften, die Felder, Wiesen und Weinberge, die
Europa auszeichnen. Wir wollen diese Landwirtschaft stärken – im Einklang mit der Natur und
im Dienste aller Menschen, der Produzent*innen wie der Verbraucher*innen.
Wir wollen dazu die europäische Agrarpolitik so umbauen, dass diejenigen, die die Flächen
bewirtschaften, unbürokratisch für den Erhalt der Natur und der Kulturlandschaft bezahlt
werden. Denn sie sind es, die diese gesellschaftliche Leistung erbringen, und nicht die
Eigentümer*innen der Flächen.
Statt pauschalen, flächenbezogenen Direktzahlungen in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP),
die Fehlanreize setzen und nicht zielgerichtet zu einer zukunftsfähigen landwirtschaftlichen
Struktur beitragen, wollen wir konsequent Leistungen für Klima, Umwelt, Biodiversität,
Gesundheit – und damit für das Gemeinwohl entlohnen. Leistungen sind so zu gestalten, dass
sie Planungssicherheit ermöglichen und direkt bei den Landwirt*innen ankommen, die vor Ort
verankert sind.
Die EU-Agrarpolitik können wir damit so gestalten, dass sie allen in der Landwirtschaft
tätigen Frauen und Männern eine Perspektive bietet, denn jeder Hof zählt. Indem wir
regionale Wertschöpfungsketten vom Bauernhof bis zum Teller und das Lebensmittelhandwerk
stärken, verbessern wir ihre wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Landwirt*innen müssen dabei gegenüber den Verarbeiter*innen und dem Einzelhandel in der
Wertschöpfungskette gestärkt werden. Insbesondere der Einzelhandel kann und muss einen
höheren Beitrag zur Stabilisierung der Erlöse für die Produzenten und der Preise für die
Verbraucher*innen leisten. Wir setzen uns deshalb für europaweite Regelungen ein, um
Preisdumping im Lebensmittelbereich zu beenden.
Gute Lebensmittel für alle
Ernährung ist ein zentraler Teil unserer Kultur und individuellen Identität. Sie ist
maßgeblich für unsere Gesundheit und unsere Lebensqualität. Wir wollen eine gute Ernährung
für alle ermöglichen. Das ist auch ein Beitrag zur Stärkung regionaler Wirtschaftsräume,
denn die Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln vor Ort schafft Wohlstand und
regionale Identität.
Jede und jeder soll frei entscheiden können, was auf den Teller kommt. Die EU kann die
Entscheidungsfreiheit von Verbraucher*innen schützen, indem sie für verlässliche
Informationen über Herkunft und Inhalt von Lebensmitteln sorgt. Wir unterstützen daher
europaweite Labels, um nachhaltigen, regionalen, saisonalen, vielfältigen und
tierschutzkonformen Konsum zu ermöglichen. Mit einem EU-weiten Rahmen für nachhaltige
Ernährungssysteme stellen wir die Zeichen auf Nachhaltigkeit. Wir wollen etwa durch
Änderungen des Vergaberechts Anreize setzen für eine bessere Ernährung in der
Gemeinschaftsverpflegung, von Kita bis Krankenhaus. Wir wollen ein Umfeld schaffen, in dem
es leicht ist, sich gesund und nachhaltig zu ernähren. Wir wollen, dass Nahrungsmittel frei
von chemischen Rückständen wie Pestiziden und hormonwirksamen Stoffen sind. So schaffen wir
eine nachhaltige und gesunde Ernährung für alle, besonders für Kinder.
Lebensmittel gehören auf den Teller und nicht in den Müll. Wir setzen uns deshalb für
rechtsverbindliche Maßnahmen ein, um die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren,
einschließlich der Neubewertung von Aussortierungsmerkmalen und Supermarktnormen sowie der
Einführung von Verzehr- statt Mindesthaltbarkeitsdaten, um verbindlichere Angaben für die
sichere Verzehrbarkeit von Lebensmitteln zu liefern.
Ökologische Landwirtschaft gestalten
Europas Landwirtschaft muss nachhaltiger wirtschaften, um die Ernährung der Zukunft zu
sichern. Agrarökologische Ansätze, die dieses Ziel verfolgen, können dabei der gesamten
Landwirtschaft helfen. Ökologische Landwirtschaft ist die Vorreiterin dafür: Unser Ziel ist
es, bis 2030 einen Anteil von 25 Prozent ökologischer Landwirtschaft zu erreichen und diesen
Anteil bis 2035 und darüber hinaus weiter zu erhöhen. Ökologisch wirtschaftende Betriebe
erzielen in Deutschland ein höheres Einkommen pro Person als konventionelle Betriebe. Das
zeigt, dass es sich schon jetzt finanziell lohnt, in eine regionale und nachhaltige
Wirtschaftsweise zu investieren. Wir wollen die Rahmenbedingungen dafür stärken.
Dazu gehört auch die Forschungs- und Förderpolitik der EU. Es braucht mindestens 30 Prozent
der Mittel für den Ökolandbau in der Züchtungsforschung sowie Unterstützung bei der
Entwicklung innovativer Konzepte für die Bio-Wertschöpfungskette. Außerdem sollen
Ökobetriebe nicht mehr doppelt nachweisen müssen, dass sie Vorschriften einhalten. Das EU-
Biosiegel wollen wir beim Tierschutz, insbesondere in der Eierproduktion, nachschärfen.
Für eine nachhaltige und transparente Landwirtschaft ist es unabdingbar, dass Betriebe, die
gentechnikfrei wirtschaften wollen, dies sicher tun können. Die EU soll garantieren, dass
alle wissen, was bei ihnen auf den Teller kommt und wo es hergestellt wurde. Transparenz und
Wahlfreiheit müssen besonders bei gentechnisch veränderten Futter- und Lebensmitteln
sichergestellt werden. Patente auf Pflanzen lehnen wir ab, egal ob diese ihren Ursprung in
konventioneller Züchtung oder in gentechnischen Verfahren haben. Damit sichern wir die
Zukunft besonders kleiner und mittelständischer Landwirtschafts- und Zuchtbetriebe.
Der übermäßige Einsatz von Pestiziden belastet unsere Natur auf vielfache Weise. Die bisher
verabschiedeten europäischen Pläne zur Schadstoffreduktion aber werden noch nicht konkret
umgesetzt. Das wollen wir ändern und dafür sorgen, dass die Ziele der EU auf
wissenschaftlicher Basis weiterentwickelt werden. Die Mitgliedstaaten wollen wir zu weiteren
wirksamen Maßnahmen verpflichten, etwa einer Pestizidabgabe.
Wir schließen Rechtslücken, die bisher zum Beispiel den Einsatz von
fruchtbarkeitsschädigenden Chemikalien in Dünger oder von Mikroplastik in Pestiziden
erlauben. Die Genehmigungsverfahren für Pestizide wollen wir reformieren, indem die
vorgelegten Studien nicht mehr von den Herstellern, sondern von den Bewertungsbehörden in
Auftrag gegeben werden. Die Hersteller dürfen sich nicht länger aussuchen können, in welchem
Mitgliedstaat die Behörden ihre Anträge prüfen. Um Zeit und Kapazitäten zu gewinnen,
beschleunigen wir die Genehmigungsverfahren von Stoffen, bei denen früh klar ist, dass sie
aufgrund von Ausschlusskriterien nicht genehmigungsfähig sind. Zudem setzen wir uns für die
konsequente Umsetzung des Verursacherprinzips ein, sodass Unternehmen, die Pestizide in den
Verkehr bringen, für entstandene Schäden im Grundwasser oder in der Biolandwirtschaft
haften.
Mit Nachhaltigkeit Ernährung sichern
Die Landwirtschaft leidet besonders unter der Klimakrise mit langen Dürren und plötzlichem
Starkregen. Wenn wir die Überdüngung beenden, den Einsatz von fossilen Düngern zurückfahren
und die Böden wieder zu Senken von CO2 machen, ist die Landwirtschaft ein zentraler Teil des
natürlichen Klimaschutzes. Deshalb setzen wir uns für die Wiedervernässung von Mooren, den
Aufbau von Holzmasse und die Weidewirtschaft ein – mit stabilen Einkommensperspektiven für
Landwirt*innen. So kann die Landwirtschaft ihren nötigen Beitrag zum Klimaschutz und zur
Klimaanpassung leisten.
Die Wiedervernässung der Moore geht nur mit den Landwirt*innen zusammen. Uns ist wichtig,
dass die Wertschöpfung in den Moorregionen erhalten bleibt. Deswegen unterstützen wir
Landwirt*innen bei der Bewirtschaftung von wiedervernässten Moorflächen und fördern den
Aufbau neuer Wertschöpfungsketten in ländlichen Räumen. Sowohl Moore als auch die
Weidewirtschaft auf mineralischen Böden sind ein echter Klimaschützer, da hier deutlich mehr
Kohlenstoff gespeichert wird als im Ackerboden. Außerdem stellt die Weidewirtschaft die
tierfreundlichste Haltung dar. Diese wollen wir stärker fördern.
Die europäischen Meere und ihre Fischbestände sind in einem schlechten Zustand. Wir werden
deshalb die Meeresumwelt besser schützen, um auch den Fischbeständen und unseren
Fischer*innen eine nachhaltige Perspektive zu geben. Deshalb unterstützen wir den
Aktionsplan der Kommission zur Erhaltung der Fischereiressourcen und zum Schutz der
Meeresökosysteme. Wir fördern Alternativen zur Stellnetz- und Schleppnetzfischerei und gehen
gegen besonders umweltschädliche Fangmethoden vor.
Tiere gut halten
Wir wollen die Tierhaltung so gestalten, dass sie wertvolle Lebensmittel liefern kann, Tiere
als Lebewesen in ihren Bedürfnissen respektiert und Teil einer nachhaltigen Bewirtschaftung
unserer vielfältigen Landschaften ist. Die industrielle Tierhaltung dagegen gefährdet
essenzielle Lebensgrundlagen und die Gesundheit der Menschen: zoonotische Erreger,
multiresistente Keime, Trinkwasserverschmutzung, Lebensraumzerstörung, Artenverlust,
Lebensmittelverschwendung in der Tiermast und hohe Klimagasemissionen – wenn wir Tieren
schaden, schaden wir uns letztlich selbst.
Deshalb wollen wir weniger Tiere besser halten und die Züchtung auf ihre Gesundheit
konzentrieren. Daher setzen wir uns für die Etablierung, Verbesserung und bessere Kontrolle
einheitlicher europaweiter Tierschutzstandards in Zucht, Haltung, Transport, Tötung und
Handel ein. Das umfasst das Ende von Käfig- und Kastenhaltung sowie von fehlenden
Brandschutzvorkehrungen. Im Mittelpunkt steht für uns die möglichst lokale Verarbeitung: Wir
brauchen eine deutliche Reduzierung von Lebendtiertransporten. Dabei möchten wir
Langstreckentransporte auf acht Stunden begrenzen und Tiertransporte in schwer
kontrollierbare Regionen unterbinden. Bei der Schlachtung fordern wir eine bessere
Kontrolle, ein Ende der CO2- und Wasserbadbetäubung, die Betäubungspflicht bei der Tötung
von Fischen, Krebsen, Hummern und Tintenfischen und ein Verbot der Tötung von Küken.
Die Gesundheit von Mensch und Tier ist durch den übermäßigen Antibiotikaeinsatz in der
landwirtschaftlichen Tierhaltung massiv bedroht. Derzeit werden mehr Antibiotika an gesunde
Tiere als an kranke Menschen verabreicht. Den Antibiotikaeinsatz wollen wir drastisch
reduzieren, um die Entstehung multiresistenter Keime zu vermeiden, die eine der größten
gesundheitlichen Bedrohungen auch für den Menschen darstellen. Dafür braucht es eine
Umstellung auf bessere Haltungsformen, eine Steigerung der Tiergesundheit, die Einschränkung
der Gruppenbehandlung und vorrangige Behandlung kranker Einzeltiere. Reserveantibiotika
sollen der Humanmedizin vorbehalten sein.
Von Zeile 225 bis 226 einfügen (EP-G-01: B – Was Gerechtigkeit schützt):
damit die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt – in schweren ökonomischen Ausnahmesituationen durch kreditbasierte Soforthilfen stabilisiert und Arbeitsplätze sichert.
Junge Erwachsene brauchen in Zeiten multipler Krisen Perspektiven, die Mut machen und ein System, das sie im Notfall auffängt. Daher nehmen wir die europäische Jugendarbeitslosigkeit weiter in den Blick. Die europäische Jugendgarantie ist ein Weg um jungen Menschen berufliche Perspektiven zu eröffnen und als Fachkräfte in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Wir begrüßen die Stärkung im Rahmen der Coronapandemie und setzen uns weiter für eine Verstetigung ein. Insbesondere die Standards der Ausbildungs- und Qualifizierungsangebote wollen wir weiterentwickeln. Mit guter Beratung und Qualifizierung bekommt jeder junge Erwachsene in Europa die Chance einen Beruf zu erlernen.
Inflation mit steigenden Lebenshaltungskosten, Pandemie und zunehmende Wetterextreme haben
viele Menschen in ganz Europa vor große Herausforderungen gestellt. Familien und
Rentner*innen mussten wegen der gestiegenen Lebenshaltungskosten schmerzhafte Einschnitte
hinnehmen. Für viele Selbstständige und kleine Betriebe ist die Existenzgrundlage
weggebrochen. Und bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein sorgen gestiegene
Lebenshaltungskosten für akute, bisweilen gar existenzielle Nöte.
Zugleich hat die Krisenbewältigung der letzten Jahre gezeigt, was alles möglich ist, wenn
wir zusammenstehen – in Deutschland und Europa.
Menschen sehnen sich in diesen Zeiten der Krise nach Stabilität und Zusammenhalt. Europa
bietet darauf die Antwort. Die europäische Einigung hat den Lebensstandard von Millionen von
Menschen angehoben und mehr soziale Sicherheit gebracht. Wir sind überzeugt: Die Menschen in
Europa müssen sich gerade in Krisenzeiten auf einen starken Sozialstaat verlassen können,
der wirksam vor Armut und sozialer Ausgrenzung schützt.
Die Europäische Union (EU) kann einen Schutzraum bieten, der die sozialen Rechte
grenzüberschreitend und für die gesamte Breite der Gesellschaft sichert. Die EU kann
zugleich für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sorgen, die gerechten Wohlstand
überhaupt erst ermöglichen. Ein Wohlstand, der bei denen ankommen muss, die ihn erarbeiten.
Ein Wohlstand für die Vielen. Indem wir europaweit die Infrastruktur für klimaneutrales
Wirtschaften bauen, erzeugen wir Wertschöpfung, erhalten und schaffen gute Jobs für
Millionen von Menschen: Wirtschaftliche und soziale Infrastruktur gehen Hand in Hand und
bedingen einander.
Das starke und gerechte Europa, das wir gestalten wollen, zielt im Kern auf den Schutz jeder
und jedes Einzelnen, auf den Respekt vor der Leistung aller. Es schützt die Rechte der
Arbeitnehmer*innen gegen Ausbeutung. Es reduziert Ungleichheit. Es sichert den Anspruch der
Bürger*innen auf wirksame Medikamente und den Zugang zu hochwertiger Gesundheitsversorgung.
Es sorgt dafür, dass Verbraucher*innen ihre Ansprüche durchsetzen können. Es trägt dazu bei,
dass Familien besser abgesichert sind und Kinder eine gute Zukunft haben.
Europa ist mehr als ein Wirtschaftsraum. Die Europäische ist auch eine soziale Union, die
sich dem sozialen Fortschritt verschrieben hat. Das Versprechen von einem Leben in Würde und
Freiheit, von guten Arbeits- und Lebensbedingungen, von gleichen Chancen und einem Auskommen
ohne Armut, Ausgrenzung oder Diskriminierung zeichnet Europa aus – ein
Gerechtigkeitsversprechen an die Breite der Gesellschaft.
Wir setzen uns dafür ein, dass dieses Versprechen nun auch überall eingelöst wird. Dafür
wollen wir die soziale Dimension der EU weiter stärken. Wir wollen die Bedingungen dafür
verbessern, dass alle Europäer*innen noch einfacher und sicherer überall in der Union leben
und arbeiten können. So wird soziale Sicherheit zu einem Mehr an Freiheit.
Dazu wollen wir ein Europa, das verbindliche Standards setzt – für faire Löhne und starke
Gewerkschaften, gegen Willkür und Ausbeutung. Davon profitieren letztlich alle in der EU,
egal ob in wohlhabenden oder ärmeren Regionen. So ergänzt die soziale Infrastruktur die
wirtschaftliche; so erfüllen wir den europäischen Anspruch an eine Infrastrukturunion für
alle; so schaffen wir Zusammenhalt über den ganzen Kontinent hinweg. Denn klare
Mindeststandards beugen einem Wettlauf nach unten bei der sozialen Sicherung wirksam vor.
Wir stehen für ein starkes soziales Europa, das die Menschen vor Krisen schützt und vor Ort
einen echten Unterschied macht. Wenn wir über die europäische Souveränität sprechen, dann
geht es uns auch um die Ausgestaltung und die Verteidigung des europäischen Sozialmodells,
das sich in einer globalisierten Welt behauptet – und für Wohlstand und materielle
Sicherheit, gute Arbeit und hohe Sozialstandards steht. Dies gilt umso mehr, als die
Herausforderung der Klimaneutralität, technologischer Fortschritt und der demografische
Wandel die Arbeitswelt verändern.
In der Europäischen Säule sozialer Rechte sind die Grundsätze für ein soziales Europa
angelegt. Sie ist ein wichtiger Meilenstein einer europäisch abgestimmten sozialen Politik.
Doch bei Grundsätzen und Empfehlungen darf es nicht bleiben. Wir wollen rechtsverbindliche
und einklagbare Arbeits- und Sozialstandards daraus ableiten. Auch wenn der Sozialstaat
institutionell in erster Linie in den Mitgliedstaaten verankert ist, darf soziale
Gerechtigkeit nicht an Landesgrenzen haltmachen.
Wir wollen ein gerechtes Europa bauen. Das gerechte Europa ist ein Gemeinwesen, das
solidarisch finanziert wird, ohne Steuerschlupflöcher für Superreiche. Das gerechte Europa
ist ein Kontinent, auf dem jede und jeder gut leben kann – ob im Großraum Mailand, in der
Lausitz oder im ländlichen Rumänien. Das gerechte Europa bietet Zugang zu fair bezahlter
Arbeit und öffentlichen Dienstleistungen, zu guter Bildung und intakter Natur.
Kurzum: Das gerechte Europa ist ein Raum der Chancen und der Solidarität. Es bekämpft
soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen. Es fördert soziale Gerechtigkeit, die
Gleichstellung von Frauen und Männern, den Zusammenhalt zwischen den Generationen, Familien
und den Schutz der Rechte des Kindes. So ist es im Gründungsvertrag der EU angelegt. Für
diese Gerechtigkeit streiten wir. Dieses Europa wollen wir sein.
1. Gute Arbeit und soziale Sicherheit
Faire Löhne erreichen
Gute Arbeit mit fairen und verlässlichen Arbeitsbedingungen und einer wirksamen Mitsprache
gibt gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Umbruchs Sicherheit und Rückhalt. Wer von seiner
Arbeit verlässlich leben und seinen Arbeitsplatz aktiv mitgestalten kann, kann sich auch bei
Veränderungen einbringen. Das stärkt auch die Demokratie. Wir wollen gute Standards in ganz
Europa gestalten und prekäre Beschäftigung und Ausbeutung unterbinden. Eine starke
Sozialpartnerschaft und eine hohe Reichweite von Tarifverträgen sind wichtige Grundlagen für
gute Arbeit.
Ein konkreter Erfolg des sozialen Europas ist die Mindestlohnrichtlinie. Sie schützt Wert
und Würde von Arbeit. Und sie trägt dazu bei, dass viele Millionen Beschäftigte in Europa
künftig ein höheres Einkommen haben werden – wie die Bundesregierung auch auf unsere
Initiative mit der deutlichen Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns vorgemacht hat. Die
Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, angemessene Mindestlöhne nach klaren
Kriterien festzulegen und das Ergreifen wirksamer Maßnahmen nachzuweisen. Wir wollen, dass
die Mindestlohnrichtlinie in Deutschland konsequent umgesetzt wird, sodass der gesetzliche
Mindestlohn steigt und auch in Zukunft einen effektiven Mindestschutz für Beschäftigte
bietet. Darüber hinaus soll mit der Richtlinie die Tarifbindung verbindlich gestärkt werden:
Mitgliedstaaten mit einer tarifvertraglichen Abdeckung von weniger als 80 Prozent müssen
einen Aktionsplan vorlegen. Das werden wir auch in Deutschland umsetzen und damit
Gerechtigkeit in der Mitte der Gesellschaft stärken. Denn hierzulande ist die Reichweite von
Tarifverträgen in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen. Damit die
Mindestlohnrichtlinie in allen Mitgliedstaaten tatsächlich greift, muss ein wirksames
Monitoring erfolgen. So wirkt Europa konkret gegen Dumpinglöhne, damit Arbeit sich immer
lohnt.
Wir wollen Demokratie und Mitbestimmung am Arbeitsplatz länderübergreifend ausbauen, indem
wir die Europäischen Betriebsräte stärken. Bereits seit Jahren fordern wir an der Seite der
Gewerkschaften, dass die EU-Kommission endlich die bestehende Richtlinie zu den Europäischen
Betriebsräten überarbeitet und Ausnahmeregeln beendet. Dabei wollen wir die
Rechtssicherheit, den Rechtszugang und Durchsetzungsmöglichkeiten für Europäische
Betriebsräte verbessern. Um Schlupflöcher zu schließen, sollen auch Franchise-Unternehmen in
die Richtlinie einbezogen werden. Zudem setzen wir uns für eine stärkere Vertretung von
Frauen sowie jungen Beschäftigten und Auszubildenden in den Europäischen Betriebsräten ein.
Um die Mitbestimmung in der gesamten EU zu stärken, setzen wir uns für eine neue
Rahmenrichtlinie zur Unterrichtung, Anhörung und Beteiligung von Arbeitnehmer*innen ein, die
auf die verschiedenen europäischen Gesellschaftsformen von Unternehmen abgestimmt ist.
Darüber hinaus kämpfen wir für einen zeitgemäßen Arbeitsschutz in Europa – in einer sich
rasant beschleunigenden digitalen Arbeitswelt, die für viele Beschäftigte mit ständiger
Erreichbarkeit, Arbeitsverdichtung und Stress einhergeht. Wir wollen daher den Schutz der
Arbeitnehmer*innen vor psychischen und körperlichen Belastungen voranbringen.
Beschäftigte in der digitalen Arbeitswelt stärken
Neue Technologien bieten große Chancen: Mit neuen Geschäftsfeldern und -modellen entstehen
neue Jobs, digitalisierte Prozesse bringen Produktivitätsgewinne, Arbeiten wird flexibler,
beispielsweise durch Homeoffice-Regelungen. Ausbeutung darf auch in der digitalen
Arbeitswelt kein Geschäftsmodell sein. Deshalb setzen wir uns für starke Rechte von
Arbeitnehmer*innen im digitalen Zeitalter ein.
EU-weit arbeiten rund 28 Millionen Menschen für Unternehmen, die digitale Dienste anbieten
und zusammenführen, sogenannte Plattformunternehmen. Die EU-Kommission schätzt, dass 4
Millionen davon Scheinselbstständige sind. In der laufenden europäischen Gesetzgebung zu
Arbeitsbedingungen auf digitalen Plattformen setzen wir uns dafür ein,
Scheinselbstständigkeiten, die zu schlechten Arbeitsbedingungen und zu unzureichender
sozialer Absicherung führen, europaweit einen Riegel vorzuschieben. Es braucht zudem bessere
Möglichkeiten, die Regeln durchzusetzen. Dazu wollen wir unter anderem Arbeitsinspektionen
stärken.
Viele Unternehmen setzen Software ein, um automatisiert Aufgaben zuzuteilen und
Arbeitnehmer*innen zu überprüfen, zu evaluieren und zu disziplinieren oder auch
Einstellungsentscheidungen zu treffen – das sogenannte algorithmische Management. Die
ständige Überwachung, der Wegfall persönlicher Planungssicherheit im Alltag und der
übermäßige Arbeitsdruck, die mit seinem Einsatz einhergehen können, wollen wir beenden. Um
die Rechte der Arbeitnehmer*innen zu stärken und Missbrauch vorzubeugen, setzen wir uns für
eine neue EU-Richtlinie zum algorithmischen Management am Arbeitsplatz ein.
Freizügigkeit einfacher machen
Dass EU-Bürger*innen in jedem Mitgliedstaat arbeiten und leben können, ist ein Grundprinzip
der EU. Das eröffnet Freiheiten und fördert gleiche Chancen für alle in der EU. Damit das
für die Beschäftigten im Alltag funktioniert, setzen wir uns für eine bessere Koordinierung
der nationalen Sozialversicherungssysteme ein.
Es ist eine große Errungenschaft, dass Bürger*innen der EU Sozialversicherungsansprüche, die
sie in einem anderen EU-Land erworben haben, über die Grenzen mitnehmen können
(Portabilität). Doch die Realität löst dieses Versprechen noch nicht immer ein: Die
Unterschiede der nationalen Sicherungssysteme, aber auch die Bürokratie machen die
Handhabung kompliziert, und Lücken in den Leistungen lassen einige zurück. Wir wollen
deshalb mehr Koordinierung zwischen den nationalen Sozialversicherungssystemen, um soziale
Leistungsansprüche leichter von einem Land in das andere übertragen zu können und die
bestehenden Lücken gerade für Grenzpendler*innen abzubauen.
Auch die Langzeitpflege, beispielsweise für Rentner*innen oder Menschen mit chronischen
Krankheiten oder Behinderungen, soll auf diese Weise abgedeckt werden. Ein Europäischer
Sozialversicherungsausweis (ESSPASS) ist ein Beitrag dazu. Er soll die Übertragbarkeit von
Ansprüchen über Grenzen hinweg verbessern und durch digitale Überprüfung entbürokratisieren.
Wir wollen darüber hinaus die sogenannte A1-Bescheinigung durch ein digitales
Echtzeitregister ersetzen, um grenzüberschreitende Arbeitsausbeutung zu verhindern und einen
wirksamen Sozialschutz zu gewährleisten.
Das Arbeiten im Homeoffice gehörte in der Coronakrise für sehr viele Beschäftigte zum Alltag
und wird spätestens seitdem von mehr und mehr Arbeitnehmer*innen geschätzt. Wir wollen, dass
auch das mobile Arbeiten nicht an den europäischen Grenzen haltmacht, sondern prinzipiell
auch aus einem anderen Land als dem Beschäftigungsland möglich ist. Deshalb setzen wir uns
dafür ein, dass es eine Richtlinie für Homeoffice gibt, die es erleichtert, EU-weit im
Homeoffice zu arbeiten.
Ausbeutung bekämpfen
Damit Freizügigkeit für alle Arbeitnehmer*innen funktioniert, ist darüber hinaus ein
wirksamer Schutz vor Ausbeutung unerlässlich. Egal ob eine Arbeitnehmerin aus Österreich in
Frankreich arbeitet oder ein Saisonarbeiter aus Georgien in Rumänien: Unionsbürger*innen und
Menschen aus Drittstaaten brauchen umfassenden Schutz vor Diskriminierung und Ausbeutung,
wenn sie in einem anderen EU-Land arbeiten.
Das führen nicht zuletzt die Skandale in der Fleischindustrie, bei Lkw-Fernfahrer*innen, bei
Saisonarbeiter*innen oder im Baugewerbe deutlich vor Augen. Wir sagen diesen Formen der
Ausbeutung den Kampf an. Ein wirksames Mittel sind regelmäßig stattfindende
Arbeitsinspektionen, für die die Mitgliedstaaten das Personal aufstocken sowie Schulungen in
europäischer Gesetzgebung und grenzüberschreitenden Angelegenheiten verbessern sollten. Auch
eine bessere Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden und der Europäischen
Arbeitsbehörde (ELA) ist nötig. Sie sollte zudem eine stärkere Rolle für gemeinsame
koordinierte Inspektionen erhalten.
Wir wollen weitere Maßnahmen ergreifen, um missbräuchliche Praktiken von Subunternehmen zu
unterbinden, beispielsweise die gesamtschuldnerische Haftung rechtlich verankern. Immer
wieder werden Arbeiter*innen zu katastrophalen Bedingungen untergebracht, in überfüllten
Zimmern, unter schlechten hygienischen Bedingungen und mit überteuerter Miete, die direkt
vom Lohn einbehalten wird. Die Verpflichtung zu angemessener Unterbringung wollen wir
deshalb rechtlich absichern und wirksam durchsetzen.
Eine wirksame Bekämpfung der Arbeitsausbeutung beginnt damit, dass sich Betroffene einfach
und in der eigenen Sprache über ihre Rechte informieren können – und für deren Durchsetzung
Hilfe erhalten. Wir setzen uns für eine langfristige und verlässliche Finanzierung für die
Schaffung und europaweite Vernetzung entsprechender Beratungs- und Unterstützungsstrukturen
ein. Die Gewerkschaften sind mit ihrer fachlichen Expertise wertvolle Partnerinnen in der
Entwicklung und Durchführung solcher Angebote. Wir begrüßen, dass europäische Zahlungen im
Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik künftig von der Einhaltung von Arbeitsnormen in der
Landwirtschaft abhängig gemacht werden. Diese sogenannte soziale Konditionalität muss nun
effektiv umgesetzt werden.
Kinderarmut abbauen
Jedes vierte Kind in Europa ist von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht – das entspricht
fast 20 Millionen Kindern, die an gesunder Ernährung, Sport, Bildung und Kultur nur sehr
eingeschränkt teilhaben können. Kinderarmut bedeutet einerseits existenziellen Mangel im
Hier und Jetzt, andererseits weniger Chancen auf ein selbstbestimmtes und erfolgreiches
Leben in der Zukunft. Wir wollen, dass alle Kinder gut ins Leben starten können. Dazu
brauchen sie eine bessere finanzielle Absicherung sowie den Zugang zu einer gut ausgebauten
Betreuung und sozialen Infrastruktur. Mit der Kindergrundsicherung hat die Bundesregierung
auf unsere Initiative in Deutschland ein zentrales Instrument im Kampf gegen Kinderarmut auf
den Weg gebracht. Armutsgefährdeten Kindern wird es besser gehen, Armut nicht mehr versteckt
sein und Eltern sorgen- und angstfreier leben können, weil sie und ihre Kinder abgesichert
sind.
Auch die EU unterstützt die Mitgliedstaaten im Kampf gegen Kinderarmut. Mit der Europäischen
Kindergarantie gibt es seit 2021 erstmals ein europaweites Instrument, um Kinder aus
benachteiligten Verhältnissen zu unterstützen; das reicht vom kostenlosen Zugang zu Bildung
über gesunde Ernährung bis hin zu angemessener Unterbringung. Bei der Umsetzung der
Kindergarantie in Deutschland binden wir auch die Zivilgesellschaft aktiv ein.
Soziale Mindeststandards verankern
Über 95 Mio. Menschen in der EU sind von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Hohe
Lebenshaltungskosten haben die soziale Lage der Menschen zum Teil existenziell verschärft.
Wir wollen, dass sich alle Menschen in Europa auf starke Sozialsysteme verlassen können, die
sie vor Armut schützen. Dafür brauchen die Sozialstaaten der Mitgliedsländer verbindliche
Mindeststandards.
Wir wollen die bisherige europäische Empfehlung für angemessene Mindestsicherungssysteme zu
einer verbindlichen Richtlinie weiterentwickeln und die darin festgelegten Standards mit
einem sozialen Rechtsanspruch für Betroffene in den Mitgliedstaaten verbinden. In diesem
Zuge sollen alle Mitgliedstaaten ihre Sozialsysteme stufenweise gemäß ihrem jeweiligen
Wohlstandsniveau armutsfest ausgestalten, nachhaltige Integration in gute Arbeit fördern und
die soziale Infrastruktur ausbauen. Das bedeutet auch für Deutschland Rückenwind für einen
starken Sozialstaat und mehr soziale Gerechtigkeit.
Soziale Sicherung krisenfest machen
Der Sozialstaat muss sich gerade in Krisenzeiten bewähren. Eine bessere Vorsorge gegen
wirtschaftliche und soziale Folgen externer Schocks muss daher eine zentrale Lehre aus den
Krisen der letzten Jahre sein. Die Sozialsysteme der Mitgliedstaaten müssen krisenfest
gemacht werden und in Notlagen schnellen und wirksamen Schutz für die Menschen ermöglichen.
Krisenbedingte Massenarbeitslosigkeit mit hohen sozialen Folgekosten und Härten aber
überfordert viele Mitgliedstaaten der EU. Ihre Folgen destabilisieren die ganze EU. Mit dem
europäischen Kriseninstrument SURE wurden den Mitgliedstaaten während der Coronapandemie
finanzielle Darlehen und Garantien bereitgestellt, um Arbeitsplätze durch den Einsatz von
Kurzarbeitergeld zu retten – ein großer Erfolg. Mit dem Instrument konnten allein im Jahr
2020 in Europa schätzungsweise 1,5 Millionen Jobs gerettet werden. Aufbauend auf dieser
Erfahrung wollen wir mit einer Arbeitslosenrückversicherung für die Mitgliedstaaten ein
dauerhaftes Kriseninstrument schaffen, das die nationalen Arbeitslosenversicherungen – und
damit die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt – in schweren ökonomischen Ausnahmesituationen
durch kreditbasierte Soforthilfen stabilisiert und Arbeitsplätze sichert.
Junge Erwachsene brauchen in Zeiten multipler Krisen Perspektiven, die Mut machen und ein System, das sie im Notfall auffängt. Daher nehmen wir die europäische Jugendarbeitslosigkeit weiter in den Blick. Die europäische Jugendgarantie ist ein Weg um jungen Menschen berufliche Perspektiven zu eröffnen und als Fachkräfte in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Wir begrüßen die Stärkung im Rahmen der Coronapandemie und setzen uns weiter für eine Verstetigung ein. Insbesondere die Standards der Ausbildungs- und Qualifizierungsangebote wollen wir weiterentwickeln. Mit guter Beratung und Qualifizierung bekommt jeder junge Erwachsene in Europa die Chance einen Beruf zu erlernen.
Wohnen bezahlbar machen
Wohnen ist eine der zentralen sozialen Fragen unserer Zeit. Es muss als Teil der
Daseinsvorsorge verstanden werden. In gesicherten Wohnverhältnissen zu leben, ist für alle
Menschen existenziell. Knapper Wohnraum in den Städten, vielerorts steigende Mieten und ein
rückläufiger Bestand an Sozialwohnungen belasten Mieter*innen bis in die Mitte der
Gesellschaft und führen zu Verdrängung und Unsicherheit. Wir wollen mehr bezahlbaren
Wohnraum schaffen und steigende Mieten begrenzen. Investor*innen, die europaweit im
erheblichen Umfang städtische Wohnimmobilien aufkaufen, treiben vielerorts Immobilien- und
Mietpreise in die Höhe. Wir wollen die bestehenden europäischen Regelungen den Prüfstand
stellen, um Mieter*innen in den Mitgliedstaaten besser vor steigenden Preisen zu schützen.
Obdach- und Wohnungslosigkeit verletzt die Menschenwürde und gehört zu den extremsten
Ausprägungen von Armut. Die EU hat sich das Ziel gesetzt, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu
beenden und eine Europäische Plattform zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit ins Leben gerufen.
Der Dialog zwischen den Mitgliedstaaten muss weiter gestärkt werden, damit sie voneinander
lernen können und bewährte Konzepte wie Housing First adaptieren können. Ferner wollen wir
die Unterstützung der betroffenen Menschen vor Ort stärken. Die europäischen Fördermittel
für entsprechende Vorhaben und Projekte wollen wir angemessen ausgestalten.
2. Starke Regionen
Kommunen stärken
Die Stärke und Attraktivität der EU liegt auch in der Vielfalt ihrer Regionen und Kommunen.
Sie sind das Fundament der EU. Hier leben, lernen und arbeiten die Menschen. Starke Kommunen
florieren in einem starken Europa, das kommunalen Bedürfnissen und der kommunalen
Gestaltungsfreiheit eine besondere Bedeutung beimisst. Das Subsidiaritätsprinzip – also
Entscheidungen möglichst bürgernah zu treffen – ist die Grundlage für ein Europa, das
schützt und ermöglicht. Dieses Prinzip wollen wir stärken.
Dazu gehört auch, dass die EU mit ihren Möglichkeiten da unterstützend wirken soll, wo
Kommunen an ihre Grenzen stoßen. In den Kommunen Europas findet das Alltagsleben der
Bürger*innen statt. Hier wird gewohnt und gearbeitet, werden Kinder betreut und das Ehrenamt
gepflegt. Kommunen bieten die Basis unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens und mit einer
funktionierenden Grundversorgung auch attraktive Standorte für Unternehmen und
Arbeitnehmer*innen aus ganz Europa. Die Umsetzung der Wettbewerbsregeln darf nicht dazu
führen, dass Kommunen zur Privatisierung öffentlicher Güter gezwungen werden. Es braucht
deshalb gutes Vergabe- und Konzessionsrecht, das soziale und ökologische Kriterien in den
Mittelpunkt stellt – und dabei die öffentliche Hand stärkt. Es fördert die Rechtssicherheit
und ermöglicht Kommunen, sich für qualitativ hochwertige Angebote zu entscheiden. So können
Kommunen selbst die Wertschöpfung aus öffentlicher Infrastruktur stärken. Indem wir in der
EU die Rekommunalisierung vergangener Privatisierungen ermöglichen, sorgen wir für neue
Entscheidungsspielräume vor Ort. Eine EU, die die kommunalen Gestaltungsspielräume
verteidigt und ausbaut, sichert Lebensqualität und sozialen Zusammenhalt.
Insbesondere der Zugang zu sauberem und günstigem Trinkwasser ist eine existenzielle
Grundlage für ein gesundes Leben. Europa garantiert durch den Erfolg der Bürgerinitiative
Right2Water die weltweit höchsten Standards für Trinkwasser. Die Versorgung mit Trinkwasser
soll weiterhin in kommunaler Hand bleiben und nicht nach rein marktwirtschaftlichen
Interessen bestimmt werden. Wir verteidigen daher die Ausnahme der Wasserversorgung aus der
Konzessionsrichtlinie und schützen das Recht auf Trinkwasser in der EU.
Europa muss vor Ort gelebt werden. Kommunen, Regionen, Unternehmen und die Zivilgesellschaft
brauchen mehr Mitspracherecht bei der Gestaltung europäischer Politik. Deshalb wollen wir
den Europäischen Ausschuss der Regionen und den Europäischen Wirtschafts- und
Sozialausschuss stärken. Die grenzüberschreitende europäische Zusammenarbeit wie die
Städtepartnerschaften oder Initiativen zur Stärkung der grenzüberschreitenden regionalen
Wettbewerbsfähigkeit (INTERREG-Programme) stärken die Kommunen und Regionen. Sie wollen wir
ausweiten. Die Ebene der europäischen Regionen (Euregios und Eurodistrikte) soll
entbürokratisiert und flexibler gestaltet werden. Sie tragen mit grenzüberschreitenden
Programmen wie etwa einer Beratung für Grenzpendler*innen, der Zusammenarbeit der
Handwerkskammern oder der gemeinsamen Raumentwicklung maßgeblich und nah am Alltag der
Bürger*innen zum Gelingen der Europäischen Union bei.
Zusammenhalt vor Ort fördern
Der Erfolg des Green Deal und der Zusammenhalt der EU entscheiden sich vor Ort: in den
europäischen Regionen und anhand konkreter Projekte. Eine effiziente Förderpolitik in der EU
ist an den Chancen und Herausforderungen des digitalen und ökologischen Wandels
ausgerichtet. Wir stellen dabei die wirtschaftliche und soziale Annäherung der Regionen in
Europa in den Vordergrund. Der Umfang der Fonds und Förderprogramme soll sich in seiner
Größe an den Herausforderungen orientieren.
Europäische Regionen sind bislang unterschiedlich stark auf diese Herausforderungen
vorbereitet. Das gilt sowohl innerhalb als auch zwischen den europäischen Mitgliedstaaten.
Eine konsistente und an klaren Kriterien ausgerichtete Förderpolitik wird bei der
Bewältigung dieser Herausforderungen zu Antrieb und Kompass zugleich. Strukturschwache und
ländliche Regionen, sowie Regionen mit industrieller Prägung und
Modernisierungsherausforderungen, wollen wir bei der Auszahlung in den Mittelpunkt stellen,
um gleichwertige Lebensverhältnisse für alle Menschen zu schaffen.
Gerade in strukturschwachen Regionen stellt der demografische Wandel eine große
Herausforderung dar. Die Abwanderung von Fachkräften, insbesondere jungen Menschen und
Frauen, führt diese Regionen in eine Spirale der Perspektivlosigkeit. Dem muss die EU-
Förderpolitik entgegenwirken. So stärken wir die Gestalter*innen der Zukunft vor Ort und
schaffen gute Perspektiven für die Regionen.
Große Herausforderungen brauchen eine große Kraftanstrengung und gleichzeitig Effizienz und
Zielgenauigkeit im Einsatz der Mittel. Das stellen wir sicher, indem wir die Fördermittel an
Kriterien im Sinne des europäischen Green Deal ausrichten. Der Europäische Sozialfonds
(ESF+) spielt dabei eine bedeutende Rolle. Durch ihn werden auch bei uns zahlreiche
Gründer*innen und Angestellte beraten, unterstützt und lebenslang weiter gebildet. Wir
statten den ESF+ mit ausreichend Mitteln aus, um über ihn unter anderem aktive
Beschäftigungspolitik und soziale Teilhabe zu fördern. Dabei setzen wir uns dafür ein, dass
die Bedingungen guter Arbeit eine große Rolle spielen und die Mittel zu Treibern für eine
gerechte EU werden. Durch ein starkes Bekenntnis zu Tarifen, einen guten Arbeits- und
Gesundheitsschutz und vielfältige Möglichkeiten, Aus- und Weiterbildungen wahrzunehmen,
werden attraktive Arbeitsplätze für die geförderten Regionen zum Standortvorteil.
Europäische Fördermittel bieten eine große Chance, innovative Projekte zu entwickeln. Die
Beantragung der Mittel ist jedoch oft zu kompliziert. Das reduziert die Zahl der Anträge und
manche gute Projekte werden nicht verwirklicht. Das ändern wir, indem wir uns dafür
einsetzen, den Zugang zu Fördermitteln zu vereinfachen und die Umsetzung zu erleichtern.
Dabei stellen wir die Zielgenauigkeit sicher. Gleichzeitig erhalten wir die nötige
Flexibilität, um auf neue Herausforderungen reagieren zu können. Um bürokratische Hürden
abzubauen, wollen wir unter anderem bei kleineren Fördersummen mehr Pauschalen einführen und
ehrenamtliche Antragsteller*innen nach Projektbewilligung von der Vorfinanzierung befreien.
Bürokratieabbau schafft so mehr Effizienz.
Jede wichtige Veränderung braucht die Beteiligung der Bürger*innen und der Zivilgesellschaft
vor Ort. Eine Politik des Gehörtwerdens nutzt die lokale Expertise und schafft gegenseitiges
Verständnis. Dieses Wissen kann durch die Partnerschaft für Bürgerbeteiligung
(Partnerschaftsprinzip) einfließen. Mechanismen wie Bürgerdialoge, öffentliche Beratungen
oder Foren sollen Teil der Prozesse zur Mittelvergabe in allen Mitgliedstaaten sein. So
sichern wir Mitbestimmung und demokratisieren die Förderpolitik der EU.
Chancen in ländlichen Räumen nutzen
Ländliche Räume sind Zukunfts- und Chancenräume. Ihre Entwicklung entscheidet erheblich über
den Erfolg einer EU, die zusammenhält. Die Verkehrswende kann die ländlichen Räume näher
zusammenbringen. Die Energiewende kann neue Wertschöpfung und finanziell gestärkte Kommunen
schaffen. Die Entwicklung aller ländlichen Räume ist für uns ein zentrales Ziel. Alle
Menschen sollen mitentscheiden und davon profitieren können. Dazu brauchen sie eine
verlässliche Daseinsvorsorge und Orte, an denen sie sich begegnen und austauschen können.
Wir wollen die Daseinsvorsorge stärken, indem wir Bürgergenossenschaften und
multifunktionale Einrichtungen unterstützen. Um das zu erreichen, wollen wir Förderansätze
wie LEADER und den EU-Multifondsansatz in der Strukturpolitik weiter stärken.
Energie wird wieder zunehmend in der Fläche erzeugt, das schafft zusätzliche Wertschöpfung
auf dem Land. Den Flächenverbrauch wollen wir dabei minimieren und konsequent Mehrfachnutzen
mitdenken, beispielsweise über Agri-Photovoltaik-Anlagen, Biodiversitäts-Photovoltaik oder
mehr erneuerbare Stromerzeugung über versiegelten Flächen. Den Ausbau der Erneuerbaren und
die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft werden wir durch den gezielten Einsatz
von Förderungen so unterstützen, dass die Menschen vor Ort davon profitieren. Wir setzen uns
dementsprechend dafür ein, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des
ländlichen Raums (ELER) in die Kohäsionsmittel zu integrieren und es auszubauen.
Vergaberecht modernisieren
Eine echte Infrastrukturunion, ein starker europäischer Markt und die Umsetzung des Green
Deal in ganz Europa gehen Hand in Hand mit massiven Investitionen in eine sichere Zukunft,
auf nationaler wie europäischer Ebene. Mit einem an sozialen und nachhaltigen Kriterien
ausgerichteten Vergaberecht werden diese Investitionen einmal mehr zum Motor für eine
gerechte und zukunftsfeste EU. Besonders dort, wo wir in eine stabile europäische
Infrastruktur, in effiziente Stromnetze, ein zuverlässiges Bahnnetz oder ein am Menschen
ausgerichtetes Gesundheitssystem investieren, können wir viel bewirken. Die europäische
Infrastrukturunion anzukurbeln, hat positive Effekte auf den europäischen Arbeitsmarkt: Es
entstehen gerade in diesen Sektoren neue Jobs. Diese Jobs sollen auch gute Jobs werden. Ein
starkes Vergaberecht sichert die Zukunft vieler Arbeitnehmer*innen in ganz Europa.
Der Staat ist selbst ein großer wirtschaftlicher Akteur, diesen riesigen Hebel wollen wir
nutzen. Egal ob Dienstleistungen oder Waren: Öffentliche Beschaffungen sollten in der EU
konsequent nachhaltig erfolgen. Daher wollen wir die Richtlinie für öffentliches
Beschaffungswesen modernisieren und auf Nachhaltigkeitskriterien ausrichten.
Dabei bleiben Transparenz, Digitalisierung, Entbürokratisierung und unkomplizierte Verfahren
unsere Leitlinien. Jedes Unternehmen soll sich einfach und erfolgreich um die Vergabe
öffentlicher Aufträge bewerben können. Geldverschwendung wird durch eine klare
Beschaffungspolitik minimiert. Die einfache Kommunikation der Regeln und eine aktive
Unterstützung für kleine und lokale Anbieter, beispielsweise mit Hinweisen auf die
rechtlichen Rahmenbedingungen, sorgen dabei für Gerechtigkeit. Die Vergabe öffentlicher
Aufträge wird so zum Wettbewerb um die besten Konditionen.
3. Eine verlässliche Gesundheitsversorgung
Gesundheitskrisen europäisch bewältigen
Wir wollen ein Europa, das gemeinsam die Gesundheit aller Menschen schützt.
Die Coronapandemie hat einmal mehr gezeigt, dass die großen Herausforderungen für unsere
Gesundheit keine nationalen Grenzen kennen. Sie hat uns auch gezeigt, dass wir ihnen
gemeinsam besser begegnen können. Die schnelle Entwicklung und Verfügbarkeit der
Coronaimpfstoffe zum Beispiel war auch ein europäischer Erfolg, der durch langjährige
Forschung, innovative Unternehmen und grenzüberschreitende Zusammenarbeit zustande gekommen
ist. Die EU hat in der Pandemie die gemeinsame Beschaffung von Schutzausrüstungen und
Impfstoffen vorangetrieben, gemeinsame Forschungstätigkeit gestärkt, bei Grenzschließungen
Freizügigkeiten und Warenlieferungen koordiniert sowie ökonomische Notsituationen
abgefedert. Auch die Kompetenzen des Europäischen Zentrums für die Prävention und die
Kontrolle von Krankheiten (ECDC) wurden erweitert, um den Austausch mit und zwischen den
Mitgliedstaaten zu stärken sowie Gesundheitskrisen früher zu erkennen und zu bewältigen.
Um grenzüberschreitende Gesundheitskrisen besser zu bewältigen und die Krisenvorsorge zu
stärken, wollen wir noch enger auf europäischer und globaler Ebene zusammenarbeiten. Die EU
hat hier eine wichtige Rolle, um nationale Maßnahmen zu unterstützen und zu ergänzen. Sie
kann auch global einen wichtigen Einfluss ausüben. Auf internationaler Ebene setzen wir uns
dafür ein, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und multilaterale Gesundheitsinitiativen
politisch, finanziell und personell zu stärken sowie den globalen Zugang zu bezahlbaren
Medikamenten zu verbessern. Das ist eine Frage der Solidarität, denn Gesundheitskrisen
treffen die Ärmsten häufig am stärksten. Es liegt aber auch in unserem Eigeninteresse, denn
Pandemien sind globale Herausforderungen. Wir setzen uns für einen aktiven Technologie- und
Wissenstransfer bezüglich der Herstellung entscheidender Arzneimittel ein. Monopole auf
geistiges Eigentum zur Bekämpfung von Krankheiten dürfen den Zugang zu überlebenswichtigen
Schutzmaterialien, Gesundheitstechnologien, Impfstoffen und Medikamenten nicht verhindern.
Lehren aus der Pandemie ziehen
Auch wenn mit den Ausgangsbeschränkungen oder der Maskenpflicht die sichtbarsten Zeichen der
Coronapandemie verschwunden sind, leiden noch immer viele Menschen unter den Folgen von
Covid-19. Betroffene von myalgischer Enzephalomyelitis bzw. dem chronischen
Erschöpfungssyndrom (ME/CFS), von Post-Vac oder von Long Covid finden nicht die notwendige
Aufmerksamkeit, werden fehldiagnostiziert oder treffen auf Vorurteile. Deshalb wollen wir
auf europäischer Ebene Forschungsgelder zur Diagnostik dieser Krankheitsbilder sowie zu
Heilungsmethoden bereitstellen. Zudem braucht es mehr europäischen Austausch, beispielsweise
durch ein EU-Sachverständigennetzwerk.
Covid-19 ist – neben beispielsweise Aids oder Ebola – ein weiterer Fall einer sogenannten
Zoonose, also einer Krankheit, die von Tieren auf den Menschen übertragen wurde. Damit
unterstreicht die Coronapandemie einmal mehr, dass die menschliche Gesundheit nicht isoliert
betrachtet werden sollte, sondern in engem Zusammenhang mit der Umwelt und der
Tiergesundheit steht. Deshalb ist der One-Health-Ansatz ein Leitbild für unsere
Gesundheitspolitik: Ausreichend Raum für die Natur hilft im Kampf gegen Zoonosen; weniger
Antibiotika in der Massentierhaltung führt zu weniger Antibiotikaresistenzen; saubere Luft
und weniger Giftstoffe in der Umwelt retten Menschenleben.
Mentale Gesundheit in den Fokus nehmen
Krieg, Inflation, Klimakrise, Pandemie – die vergangenen Jahre waren unruhig, konfliktreich
und geprägt von Krisen und Umbrüchen, die an niemandem spurlos vorbeigegangen sind. Diese
Zeit ist für viele Menschen auch eine seelische Belastung. Gerade auch bei vielen jungen
Menschen haben sich psychische Probleme verschärft. Im Gegensatz zur körperlichen wird der
seelischen Gesundheit im öffentlichen Gesundheitswesen aber oft nicht die nötige
Aufmerksamkeit zuteil. Das wollen wir auch mit der Unterstützung aus Europa ändern. Wir
setzen uns sowohl für eine verbesserte europaweite Prävention ein als auch dafür, die
bisherigen Ansätze um die psychische Gesundheit zu verbessern und Erkrankungen besser zu
behandeln. Wir treten für eine Vernetzung von Expert*innen in Europa ein und wollen zusammen
mit den Mitgliedstaaten umfassende Lösungsstrategien entwickeln. Da die Ursachen für mentale
Gesundheitsprobleme vielfältig sind, müssen wir sie auch auf allen Ebenen angehen. Darum
setzen wir uns dafür ein, dass die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit übergreifend in
allen relevanten Politikfeldern mitgedacht werden. Dafür braucht es ein größeres
Problembewusstsein in der EU und ihren Institutionen. Wir begrüßen in dieser Hinsicht die
Strategie der EU-Kommission für psychische Gesundheit und setzen uns für eine möglichst
rasche und umfassende Umsetzung ein.
Auch Einsamkeit erfahren immer mehr Menschen in Europa. Das ist für die Betroffenen häufig
ein sehr belastender Zustand. Gerade auch ältere Menschen sind davon betroffen. Die Pandemie
hat die Situation für viele Menschen diesbezüglich weiter verschärft. Wir setzen uns mit
unserer Politik für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt, Teilhabe und Integration ein.
Arzneimittelversorgung sicherstellen
Die Herausforderungen für die europäischen Gesundheitssysteme sind immens: alternde
Gesellschaften, eine steigende Zahl chronischer Erkrankungen und Epidemien. Die
Coronapandemie hat zudem deutlich gemacht, dass die EU bei Arzneimitteln und ihren
Wirkstoffen zu sehr von Importen aus Drittstaaten abhängig ist – und damit häufig auch eine
Produktion unter schlechten Arbeitsbedingungen und schlechten Umweltstandards in Kauf nimmt.
Um die großen Herausforderungen für den Gesundheitsbereich zu adressieren, hat die EU-
Kommission ein Gesetzespaket zur Reform des Pharmasektors vorgelegt. Wir begrüßen die
Vorschläge, die darauf abzielen, Lieferketten zu diversifizieren und nachhaltiger zu machen
sowie Pharmaunternehmen zu verpflichten, Arzneimittelengpässen besser vorzubeugen und diese
früher zu melden.
Um Unternehmen zu ermutigen, Arzneimittel und Wirkstoffe in Europa zu entwickeln und zu
produzieren, braucht es Anreize und weniger bürokratische Verfahren. Dabei setzen wir zwei
Prioritäten: Zum einen müssen kritische Arzneimittel, die jederzeit unentbehrlich sind,
beispielsweise wichtige Antibiotika, durch eine Produktion in Europa zuverlässig verfügbar
sein. Zum anderen wollen wir hier Wirkstoffe für Krankheiten entwickeln, für die es bislang
keine oder nur unbefriedigende Diagnose- oder Therapiemöglichkeiten gibt. Die Anreize für
Forschung und Entwicklung sowie der Schutz von geistigem Eigentum dürfen zugleich aber nicht
die Bezahlbarkeit von essenziellen Arzneimitteln gefährden und den Markteintritt von
Generika unverhältnismäßig verzögern. Zudem setzen wir uns für geschlechterspezifische
Forschung und Medizin ein, damit Unterschiede bei Diagnose und Behandlung zwischen Frauen
und Männern besser berücksichtigt werden.
Es ist viel zu undurchsichtig, wie Preise für Arzneimittel festgesetzt werden. Der Mangel an
Transparenz und Rechenschaftspflichten in diesem Bereich führt teilweise zu immensen
Preisanstiegen. Gerade wenn öffentliche Mittel für die Arzneimittelentwicklung eingesetzt
werden, sollte das mit Transparenz über die Kosten für Forschung und Entwicklung sowie die
Preisgestaltung einhergehen.
Gesundheitsdaten sicher nutzen
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen hat große Vorteile für die gesundheitliche
Versorgung von Patient*innen und die Forschung. Krankheiten können besser diagnostiziert,
Krankheitsursachen erforscht, Doppeluntersuchungen vermieden und die Behandlung von
Patient*innen zwischen verschiedenen Ärzt*innen und Krankenhäusern grenzüberschreitend in
ganz Europa vereinfacht werden. Der europäische Gesundheitsdatenraum soll deshalb europaweit
den Zugang zu digitalen Patient*innen-Akten ermöglichen.
Wir wollen dabei durch effektiven Datenschutz die Rechte der Patient*innen stärken. Eine
Weitergabe der Daten erfolgt dabei nicht gegen den Willen der Patient*innen, eine
Rückverfolgbarkeit der Daten muss ausgeschlossen werden. Sie sollen Zugang zu den Daten
bekommen, die über sie gespeichert sind. Auch die Bedürfnisse vulnerabler Gruppen müssen
umfassend berücksichtigt werden.
Wir möchten die anonymisierten bzw. pseudonymisierten Gesundheitsdaten auch für die
Forschung und für öffentliche Stellen zur besseren Einschätzung von Notsituationen in der
Gesundheitsversorgung zugänglich machen. Dies stellt einen wichtigen Paradigmenwechsel in
der Gesundheitsdatennutzung dar, den wir gestalten wollen. Der Zugang zu größeren
Datenmengen und deren Analyse fördert Innovationspotenzial und kann damit die Versorgung der
Patient*innen verbessern. Wichtig ist dabei, dass dies rechtssicher und unter Wahrung des
Datenschutzes erfolgen darf, denn die Informationen zur eigenen Gesundheit gehören zu den
sensibelsten und persönlichsten Daten überhaupt.
Grundlegend für den Erfolg der Digitalisierung im Gesundheitswesen ist eine einheitliche
technische Sprache, um eine Zusammenführung von Daten und eine grenzüberschreitende Nutzung
in Europa zu ermöglichen. Daher wollen wir die Entwicklung und verpflichtende Nutzung von
international gebräuchlichen Datenstandards und interoperablen Schnittstellen durch die
Softwaresysteme von Beginn an sicherstellen.
Antibiotikaresistenzen eindämmen
Antibiotika können Menschenleben retten Das soll auch in Zukunft gewährleistet sein. Daher
müssen Maßnahmen ergriffen werden, um ihre Wirksamkeit dauerhaft zu garantieren. Durch einen
verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika wollen wir die Entstehung und Verbreitung
multiresistenter Keime verhindern. Denn diese sind eine der größten gesundheitlichen
Herausforderungen der Menschheit. Besonders bei Menschen mit schwachen Immunsystemen wie
Älteren, Kindern oder Menschen mit Erkrankungen führen sie jedes Jahr zu Hunderttausenden
Todesfällen weltweit. Darum ist es wichtig, dass Antibiotika nur dort eingesetzt werden, wo
es sie wirklich braucht. Das muss besonders die Landwirtschaft in den Blick nehmen. Wir
wollen den umsichtigen Einsatz von Antibiotika in der Humanmedizin stärken und die Forschung
fördern. Zudem sollten schnelle Diagnosetests, die vor einer Verschreibung überprüfen, ob
die Behandlung mit Antibiotika geboten ist, in ausreichender Menge verfügbar sein.
Wir wollen die EU-Liste für Reserveantibiotika, die für die Humanmedizin vorbehalten bleiben
und nicht in der industriellen Tierhaltung eingesetzt werden dürfen, an den entsprechenden
Kriterien der WHO ausrichten. Außerdem wollen wir den Import von tierischen Produkten
beenden, bei denen in der EU verbotene Antibiotika eingesetzt wurden. Durch Maßnahmen für
bessere Hygiene und Abwasserentsorgung wollen wir den Eintrag von Antibiotikarückständen in
die Umwelt verringern. Wir wollen die Entwicklung neuer Antibiotika und wirksamer
alternativer Behandlungsmethoden durch Anreize fördern.
Der Pflege den Rücken stärken
Ein starkes öffentliches Gesundheitswesen und eine bedarfsgerechte Pflege sind
unverzichtbar, um die menschliche Würde zu schützen und Selbstbestimmung zu fördern. Der
Mangel an Pflegefachpersonen spitzt sich immer weiter zu, in der EU und auch hier in
Deutschland. Deshalb wollen wir die Attraktivität des Pflegeberufs steigern, die berufliche
Freizügigkeit innerhalb der EU in diesem Bereich erleichtern und die Arbeitsbedingungen des
Pflegepersonals verbessern. Unser Ziel sind einfachere Anerkennungsverfahren für
Studienabschlüsse sowie für Aus- und Weiterbildungen von Pflegefachpersonen innerhalb der EU
und aus dem Ausland. Im Rahmen der EU-Pflegestrategie setzen wir uns für wettbewerbsfähige
Arbeitsbedingungen und Gehälter der professionellen Pflege gegenüber anderen Branchen ein.
Zudem braucht es mehr Investitionen in Pflegeeinrichtungen sowie in die Aus- und
Weiterbildung von Pflegefachpersonen. Auch ein stärkeres Engagement der EU in Forschungs-
und Modellprojekten sowie ein Wissens- und Erfahrungstransfer zur Verbesserung der
Arbeitsbedingungen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen der Mitgliedstaaten wollen wir
fördern.
Um die Situation der Pflegekräfte in der häuslichen Betreuung zu verbessern, fordern wir
eine Überarbeitung der Rechtsvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der
Arbeit, um sicherzustellen, dass auch angestellte Pflegekräfte in privaten Haushalten
einbezogen werden und gute Arbeitsbedingungen haben.
Cannabis europaweit legalisieren
An verschiedenen Orten der Welt ist der Wechsel hin zu einem unideologischen und zeitgemäßen
Umgang mit Cannabis bereits gelungen. Wir setzen uns auch in Europa für eine zeitgemäße
Drogenpolitik ein, die Gesundheit und Jugendschutz in den Vordergrund stellt und die
kriminellen Strukturen hinter dem Drogenhandel effektiv bekämpft. Mit einem ersten großen
Schritt bei der Legalisierung von Cannabis in Deutschland macht die Ampelkoalition endlich
Schluss mit der gescheiterten Drogenpolitik der letzten Jahrzehnte und setzt auf Vernunft
statt Kriminalisierung. Wir entlasten Polizei und Justiz und stärken die Konsument*innen in
ihrer freien bewussten Entscheidung.
Indem wir kontrollierte, aber legale Bezugswege für Cannabis schaffen, stärken wir die
Verbraucher*innen und dämmen den Schwarzmarkt ein. Gleichzeitig stärken wir Prävention und
Verbraucherschutz. Das europäische und internationale Recht setzt aktuell den
Mitgliedstaaten im Umgang mit Cannabis enge Grenzen. Wir streben eine europaweite
Legalisierung und kontrollierte Abgabe von Cannabis an. Deshalb werden wir uns in Europa
dafür einsetzen, dass das europäische und internationale Recht in Bezug auf die Produktion,
den Vertrieb und Verkauf von Cannabisprodukten entschärft wird.
4. Bildung und Chancen
Europas Hochschulen besser vernetzen
Europas Hochschulen sind die Grundlage für Chancen und Innovation. Wenn wir sie vernetzen,
können wir ihre vielfältigen Kompetenzen und Profile noch besser für den ganzen Kontinent
nutzen. Wir haben uns deshalb lange für die Gründung von europäischen Hochschulen oder
Hochschulnetzwerken eingesetzt – und begrüßen, dass nach einer Pilotphase 2018 jetzt bereits
zwei Ausschreibungsrunden stattfinden konnten. Wir setzen uns für weitere
Ausschreibungsrunden sowie eine engere Zusammenarbeit der Hochschulnetzwerke ein.
Wir unterstützen die Idee eines europäischen Hochschulabschlusses (European Degree). Ein
European Degree kann ein zusätzliches Qualitätssiegel darstellen, das binationale,
trinationale bzw. europäische und internationale Abschlüsse als zusätzliches Qualitätssiegel
aufwertet und damit Anreize für die Internationalisierung von Studiengängen schafft.
Egal in welchem Land: Studierende haben selten viel Geld zur Verfügung. Besuche in Museen,
Theatern, aber auch beispielsweise Ausflüge in andere Städte eröffnen neue Horizonte. Viele
dieser Einrichtungen bieten Rabatte für Studierende an. Aber gerade für Studierende aus
anderen Ländern ist es oft schwierig, diese Vergünstigungen mit ihren heimischen
Studierendenausweisen zu erhalten. Die EU hat mit der European Student Card (ESC) und dem
digitalen Studierendenausweis in der Erasmus+-App bereits erste Schritte für einen
europäischen Studierendenausweis unternommen, aber nur für einen sehr begrenzten
Personenkreis. Wir wollen, dass alle Studierenden an europäischen Universitäten und
Hochschulen einen (digitalen) europäischen Studierendenausweis bekommen können.
Berufsabschlüsse europaweit anerkennen
Die Möglichkeit, in jedem europäischen Land zu studieren oder zu arbeiten, eröffnet viele
neue Perspektiven. Wenn es aber konkret wird, wird es oft schwierig: Zwar haben wir mit
Bachelor und Master im Bologna-Prozess ein vergleichbares Abschlusssystem in der EU
geschaffen. Aber es ist kein Automatismus, dass zum Beispiel der Bachelor aus einem Land in
einem anderen Land für ein Masterstudium anerkannt wird. Studierende und Absolvent*innen
müssen in dem jeweiligen Land eine oftmals noch sehr bürokratische Prozedur durchlaufen.
Teils wird dann der heimische Abschluss geringwertiger eingestuft, teils ist die Anerkennung
sehr kostspielig. Darum setzen wir uns dafür ein, dass Universitätsabschlüsse einfacher und
schneller in jedem Land der EU anerkannt werden.
Noch schwieriger wird es bei Berufsabschlüssen. Hier ist die Anerkennung oft kompliziert,
langwierig und teuer. In Zeiten des Fachkräftemangels ist das besonders kontraproduktiv. Für
eine Handvoll Berufe können Menschen deshalb den Europäischen Berufsausweis (EBA) in ihrem
Heimatland beantragen. Mit diesem elektronischen Verfahren ist es leichter, sich die
Qualifikation in einem reglementierten Beruf in einem anderen EU-Land anerkennen lassen zu
können. Wir wollen die Anzahl der Berufe, für die der EBA möglich ist, deutlich erweitern.
Politische Bildung gegen Desinformation
Unsere Demokratien und unsere Werte sind stetigen Angriffen autoritärer und
demokratiefeindlicher Strömungen aus dem In- und Ausland ausgesetzt. Ihre Mittel:
Desinformationen und Fake News. Sie operieren immer mehr grenzüberschreitend und versuchen,
den Zusammenhalt in der EU und unsere europäischen Werte zu unterminieren. Ihre
Verschwörungsmythen säen Hass und Ausgrenzung. Dem müssen wir stärker und europäisch
koordiniert entgegenwirken. Wir wollen daher eine Europäische Zentrale für politische
Bildung gründen, einen Anlaufpunkt für politische Bildung, der gezielt die europäische
Dimension von Desinformation adressiert. Sie soll sich vor allem an Jugendliche und junge
Erwachsene wenden, zugleich aber allen Bürger*innen als Informationsquelle zur Verfügung
stehen und breite Angebote im digitalen Raum schaffen.
Sie kann den europäischen Gedanken und komplexe europäische Prozesse zielgruppengerecht
erklären. Diese Zentrale soll zudem die digitale Medienkompetenz der Menschen in Zeiten von
Desinformation und Fake News stärken. Dazu kann sie in der Forschung und Aufklärung auch
eine Vernetzung der europäischen Akteure vorantreiben. Sie soll unabhängig und nach klaren
wissenschaftlichen und ethischen Kriterien arbeiten können. So fördern wir unsere
demokratischen Werte und stärken den Einsatz gegen Diskriminierung.
Mit Erasmus Europa kennenlernen
Erasmus+ ist für viele die erste und oft auch persönlichste Begegnung mit der EU. Über
Erasmus+ wird gelebte europäische Gemeinschaft gefördert und der akademische und berufliche
Austausch ermöglicht.
Im Zentrum des Programms steht der Studierendenaustausch: Wir wollen, dass mehr Menschen
diese Erfahrungen machen können, vor allem aus Familien, denen das Geld für Urlaub oder
Austauschzeit im Ausland fehlt. Für viele ist es ein großer Schritt, von zuhause ins Ausland
zu gehen, und die Aussicht, sich in dieser Zeit keinen Besuch bei der Familie leisten zu
können, eine Hemmschwelle. Deshalb wollen wir ein Mobilitätsticket für Erasmus-
Teilnehmer*innen einführen, das es ihnen ermöglicht, einmal pro Halbjahr kostenlos nach
Hause und zurück zu fahren.
Wir wollen, dass sich auch Menschen mit Behinderung für eine wertvolle Erasmus+-Erfahrung
entscheiden können. Deshalb wollen wir die Beratungsangebote ausbauen sowie Informationen
barrierefrei zur Verfügung stellen. Wir wollen mit Großbritannien Wege finden, wie Menschen
auf beiden Seiten nach dem Brexit wieder vom Austausch profitieren können.
Für viele Studierende ist Erasmus+ ein Begriff. Bei Auszubildenden aber ist das Programm
noch nicht ausreichend bekannt. Das wollen wir ändern. Denn es bietet viele Möglichkeiten,
neue fachliche Kompetenzen zu lernen und neue Erfahrungen zu sammeln. Mit besseren
Informationen, mehr Beratung sowie einfacheren Anträgen und Anerkennungen wollen wir
Erasmus+ für Auszubildende stärken.
Erasmus+ ist eine der europäischen Erfolgsgeschichten, auch für die Jugendarbeit. Mit Blick
auf die Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen ab 2028 werden wir uns dafür einsetzen,
die Mittel für Erasmus+ zu verdoppeln.
5. Europas Jugend
Jugend beteiligen
Europa lebt durch Gemeinschaft, Begegnungen, Toleranz und Verständnis füreinander. Um dies
zu ermöglichen, spielt europäische und internationale Jugendarbeit eine außerordentliche
Rolle. Sie ermöglicht es jungen Menschen, über den Tellerrand hinauszuschauen und europaweit
Freundschaften zu schließen. Jugendverbände und Jugendgruppen sind Grundlage für die
Gestaltung von Freizeit und Bildung von Millionen Jugendlichen in Europa. In unserer
Zivilgesellschaft muss sichergestellt werden, dass ehrenamtliches Engagement von
Jugendlichen wertgeschätzt wird und Jugendarbeit nicht an bürokratischen Hürden scheitert.
Wir sprechen uns daher für eine Stärkung und Vereinfachung der Projektförderung über
Erasmus+ aus.
Viele reden über Jugendliche und ihre Bedürfnisse. Wir wollen, dass sie selbst zu Wort
kommen und ein Mitspracherecht für das Europa haben, in dem sie leben. Sie sind derzeit im
politischen Geschehen massiv unterrepräsentiert. Darum ist es gut, dass jetzt in Deutschland
Jugendliche ab 16 Jahren erstmals bei der Europawahl wählen können. Wir setzen uns dafür
ein, dass dies in allen Mitgliedstaaten und in Deutschland auf allen Ebenen Wirklichkeit
wird.
Auch über das Wahlrecht hinaus wollen wir die Jugendbeteiligung in Europa strukturell weiter
stärken. Über den EU-Jugenddialog hat die Europäische Union einen direkten Kanal für die
Beteiligung junger Menschen und Jugendverbände auf europäischer Ebene geschaffen, dieser
soll weiter gestärkt und bei anderen Beteiligungsformaten integriert werden. Die Ergebnisse
dieser Beratungen sollen zukünftig noch stärker in die Arbeit der EU-Kommission einfließen
und junge Menschen und ihre Interessenvertreter*innen künftig regelmäßig im Europäischen
Parlament angehört werden. Wir unterstützen zudem den EU Youth Check, mit dem die
Auswirkungen von EU-Entscheidungen auf junge Menschen überprüft werden sollen. In der EU-
Jugendstrategie werden die Leitlinien für europäische Jugendpolitik gezogen. Wir wollen
sicherstellen, dass eine Weiterentwicklung der EU-Jugendstrategie die Interessen junger
Menschen in allen Politikbereichen stärkt. Wir setzen uns außerdem dafür ein, dass die
Stelle der EU-Jugendkoordinatorin aufgewertet wird.
Freiwilligendienste ausbauen
Eine Gemeinschaft ist so stark wie das Engagement ihrer Mitglieder. Der Zivilgesellschaft
kommt hierbei eine besondere Rolle zu. Gerade das Engagement von jungen Europäer*innen ist
elementar – zum Beispiel für die Flüchtlingshilfe oder, Projekte der Demokratieförderung,
Klimaschutz oder soziale Gerechtigkeit.
Darum wollen wir eine Million Plätze im Europäischen Freiwilligendienst schaffen, gerade
auch für Jugendliche aus Elternhäusern mit niedrigem Einkommen. Für sie müssen wir bessere
Rahmenbedingungen schaffen, damit Engagement etwas ist, das sich jede und jeder leisten
kann. Für die Durchführung von Freiwilligendiensten braucht es aber auch Vereine, Verbände
und Organisationen, die sie anbieten. Diese wollen wir stärken, denn sie schaffen Orte der
Demokratie und des zivilgesellschaftlichen Engagements.
Diese Idee wollen wir nicht nur für Jugendliche anbieten. Wir wollen auch die Erfahrungen,
das Wissen und das Engagement von Senior*innen in ganz Europa fruchtbar machen: Viele von
ihnen haben Kenntnisse, die sie auch im Rentenalter noch einsetzen wollen. Mit einem
europäischen Programm wollen wir den Rahmen bereitstellen, mit dem Senior*innen überall in
der EU an Projekten in Ausbildung, Vermittlung oder Zivilgesellschaft mitarbeiten können.
Europa entdecken
Mit dem DiscoverEU-Programm können 18-Jährige die EU praktisch erleben. Zweimal im Jahr
werden unter jungen Menschen sogenannte TravelPasses verlost, mit denen sie dann in einem
bestimmten Zeitraum 30 Tage lang mit dem Zug durch Europa reisen können. Gemeinsam mit
anderen jungen Menschen aus unterschiedlichen Ländern können sie entdecken, wie vielfältig
Europa ist. Daher unterstützen wir das DiscoverEU-Programm und wollen es zukünftig noch
ausbauen. Unser Ziel ist es, aus vielen parallelen Reisen mehr gemeinsame Erlebnisse zu
schaffen. Wir wollen das Programm bekannter machen, besonders unter jungen Menschen aus
weniger wohlhabenden Elternhäusern. Außerdem wollen wir Anreize dafür setzen, dass Gruppen
aus mehreren europäischen Ländern zusammen verreisen.
6. Verbraucherschutz
Verbraucherschutz als Standortvorteil begreifen
Der Rechtsschutz der Verbraucher*innen macht die EU zu einer Union der starken Bürger*innen.
Die Freiheiten für Waren, Kapital, Dienstleistungen und Personen im europäischen Binnenmarkt
gehören zu den größten Standortvorteilen der EU. Der Verbraucherschutz sichert Konsum,
Gesundheit und Freiheiten weitreichend ab und macht die EU damit weltweit zur Vorreiterin:
Gebührenfreies Roaming, ein nutzer*innenfreundlicher Strommarkt, moderne Infrastruktur oder
sichere und langlebige Konsumgüter sind nur einige wenige Beispiele.
Und es funktioniert: So verspricht etwa ein einheitliches Ladekabel für mobile Endgeräte,
den Kabelsalat in unzähligen Schubladen zu beenden. Der verbindliche europäische Standard
stärkt die europäische Kreislaufwirtschaft, verringert Elektroabfall und erleichtert
merklich das Leben der Verbraucher*innen. Wir wollen dabei das ganze Spektrum digitaler
Endgeräte wie Smartwatches, E-Reader oder Kopfhörer abdecken und auch kabellose
Ladetechnologien mit einschließen.
Das verbindliche Ökodesign, also die Produktion nach Kriterien der Haltbarkeit,
Reparierbarkeit und ökologischen Verträglichkeit, beschert den Verbraucher*innen bessere
Produkte. Wir setzen uns für eine schnelle Umsetzung der Richtlinien ein, sodass relevante
Produktgruppen wie Spielzeug, Möbel oder Kleidung zeitnah umfasst werden.
Geht ein Produkt doch mal kaputt, verspricht das europäische Recht auf Reparatur
Konsument*innen den langfristigen Zugang zu Ersatzteilen und Reparaturanleitungen. Ein
kaputter Handyakku, Drucker oder Staubsauger müssen noch lange keine Neuanschaffung
bedeuten. Die Lebensdauer von teuren oder lieb gewonnenen Anschaffungen verlängert sich mit
dem Recht auf Reparatur erheblich. So werden langlebige und reparierbare Produkte die
Geldbeutel der Bürger*innen entlasten.
Produkte des Alltags sicher nutzen zu können, wird mit der EU zur Selbstverständlichkeit.
Von Essen über Kleidung bis hin zu Kosmetika, Spielzeug und einfachen Gebrauchsgegenständen
geht Sicherheit vor. Schadstoffe, Nanopartikel und Rückstände gesundheitsschädlicher Halb-
oder Schwermetalle kommen in vielen dieser Verbrauchs- und Konsumgüter vor. Um Sicherheit
und Transparenz zu gewährleisten, weiten wir die Risikoforschung aus und schaffen ein
Register für Nanopartikel.
Auch das Design des europäischen Strommarkts wollen wir im Sinne der Verbraucher*innen
gestalten. Mit geringen Infrastrukturkosten sowie intelligent aufeinander abgestimmten
Mechaniken von Stromverbrauch und -erzeugung bleibt der Vorteil der günstigen Stromerzeugung
bei ihnen. Wir stärken die Teilhabe von Verbraucher*innen durch die einfache Integration von
Wärmepumpen oder Wallboxen für Elektroautos in den Strommarkt.
Fahrgastrechte garantieren
Die Reisefreiheit in der EU soll für alle Bürger*innen komfortabel und sicher nutzbar sein.
Fahrgäste sollen bei ihren Reisen durch Europa in ihren Rechten geschützt werden – ganz
egal, ob mit Bus, Bahn oder Flugzeug. Auch deshalb wollen wir ein europaweites einheitliches
Ticketsystem einführen, das Reisen mit dem Zug attraktiver macht und den Planungsaufwand
erheblich senkt.
Wir setzen uns für einen durchgehenden Schutz der Fahrgastrechte ein. Die Entschädigung für
Bahnverspätungen sollte auf 50 Prozent des Fahrpreises nach 60 Minuten und 75 Prozent nach
90 Minuten angehoben werden, wie es das Europäische Parlament fordert.
Auch wer sich für eine Flugreise entscheidet, soll sicher und pünktlich am Ziel ankommen.
Die Novellierung der Fluggastrechte soll die bestehenden Lücken im Verbraucherschutz bei
Flugreisen schließen und die Rechte weiter ausbauen. Wir stärken den Anspruch der
Verbraucher*innen auf Entschädigungen bei Verspätungen oder Verschiebungen von Flugreisen.
Ansprüche der Reisenden sollen bei einer großen Verspätung ab drei Stunden in die Verordnung
aufgenommen werden. Bei einer Verschiebung von Flügen soll die Frist zur Information der
Reisenden auf vier Wochen vor Reisebeginn verlängert werden. So stärken wir den Anspruch der
Verbraucher*innen auf Entschädigungen.
Besonders für Reisende, die nur gelegentlich fliegen, und Familien sind die Regelungen zur
Mitnahme von Gepäck häufig intransparent und kompliziert. Wir setzen uns für eine
einheitliche Regelung für die Maße von Handgepäck und eine transparente Preisgestaltung für
alle Gepäckvarianten ein.
Ausfälle dürfen nicht zulasten der Reisenden gehen. Deswegen wollen wir, dass alle
Fluggesellschaften sich gegen Insolvenz versichern müssen.
Vor Kostenfallen schützen
Verträge online abzuschließen, ist für viele Menschen längst Alltag und eine erhebliche
Erleichterung. Genauso unkompliziert wie der Abschluss sollte die Kündigung sein.
Verbraucher*innen finden oft keine Möglichkeit, online abgeschlossene Verträge zu kündigen,
oder haben keine Sicherheit über den Eingang und die Rechtssicherheit der Kündigung. Die
Bindung an ungewollte oder nicht mehr benötigte Verträge wird so schnell zur Kostenfalle.
Bei langfristigen Verträgen, die online abgeschlossen werden können, wollen wir einen leicht
zugänglichen Kündigungsbutton auf der Webseite der Unternehmen einführen. Wir sorgen so für
ein europaweit hohes Verbraucherschutzniveau nach deutschem Vorbild. Damit wird die
europaweite Nutzung von Dienstleistungen vereinfacht und sicherer gemacht. Die Beweislast
für die ordnungsgemäße Umsetzung soll dabei bei den Unternehmen liegen. Ist diese nicht
rechtssicher ausgestaltet, geht das nicht zulasten der Verbraucher*innen: Verträge sollen
dann jederzeit, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist, aufgehoben werden können. Wir setzen
uns für die Ergänzung der entsprechenden Verbraucherrichtlinie ein und geben Kund*innen so
die Kontrolle über ihre Verträge zurück.
Antragstext
Von Zeile 325 bis 327 einfügen:
bereithalten – besonders auch für ältere Arbeitnehmer*innen – und Fachkräfte von außerhalb gewinnen. Deswegen setzen wir uns für eine europäische, umlagefinanizerte Ausbildungsplatzgarantie ein: Unternehmen, die nicht ausbilden wollen, zahlen Abgaben, um Ausbildungsplätze in anderen Unternehmen zu ermöglichen. Gleichzeitig müssen wir Frauen die Möglichkeit geben, sich voll einzubringen. In vielen EU-Ländern arbeiten Millionen Frauen oft unfreiwillig in Teilzeit oder gar nicht. Wir
Vom kleinen Handwerksbetrieb über den regional verankerten Mittelständler bis hin zum
internationalen Großunternehmen: Europas vielgestaltige und innovative Wirtschaft ist global
wettbewerbsfähig – und Deutschland profitiert wie kein zweiter Mitgliedstaat von der
europäischen Integration und dem Binnenmarkt. Produkte und Dienstleistungen aus Thüringen
oder Hessen werden zwischen Andalusien und Lappland, zwischen Riga und Nikosia gehandelt,
als lägen diese Orte nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Wir sind auch deshalb die
viertstärkste Wirtschaftsnation der Welt, weil wir auf europäischer Ebene die Kräfte
bündeln.
Europa macht uns stark. Europa zu stärken, ist deshalb in unserem ureigenen Interesse. Vor
allem geht es nun darum, dort voranzugehen, wo die Stärke der nächsten Jahre und Jahrzehnte
entsteht. Dafür haben wir einen Plan: die klimaneutrale Modernisierung unserer Wirtschaft
und Infrastruktur. Sie ist für uns kein Selbstzweck, sondern der Schlüssel zu mehr
Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand, zu Lebensqualität, zu guten Arbeitsplätzen und fairen
Löhnen, zur Sicherung unserer Lebensgrundlagen – und damit zu einer stabilen Grundlage für
mehr soziale Sicherheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt in ganz Europa.
Wir setzen alles daran, dass Europa nicht an der Seitenlinie steht, während China oder die
USA massiv in die Entwicklung ihres Standortes und der Zukunftstechnologien investieren. Wir
nehmen die Herausforderung an: Wir wollen, dass sich Deutschland und Europa auf den Märkten
der Zukunft durchsetzen – bei erneuerbaren Energien und Wasserstoff, bei digitalen
Dienstleistungen und Künstlicher Intelligenz (KI), bei modernster Batterietechnik und grünem
Stahl. Das ist eine Frage der Unabhängigkeit. Wirtschaftspolitik ist heute auch
Sicherheitspolitik.
Europas Wohlstand und seine Lebensqualität sind unmittelbar mit seinen natürlichen
Grundlagen verbunden – mit fruchtbaren Böden und sauberen Meeren, mit Lebensräumen für eine
große Artenvielfalt, mit einer intakten Natur an den Küsten und in den Wäldern. In ihrem
Zusammenspiel gedeiht Landwirtschaft in unmittelbarer Nachbarschaft zu High-Tech-
Unternehmen, sind Handwerksbetriebe in lebenswerten ländlichen Räumen verankert, lässt sich
aus den Städten in wenigen Stunden in Wälder oder Berge reisen.
Wohlstand in Europa bedeutet fair bezahlte Jobs und gute öffentliche Dienstleistungen in
einem funktionierenden Wirtschaftsraum. Wohlstand bedeutet aber eben auch saubere Luft,
reines Wasser und bezahlbare, gute Lebensmittel.
Wir treten an, unseren Wohlstand zu erneuern, indem wir ihn auf ein klimaneutrales Fundament
stellen – eines, das über die nächsten Jahre und Jahrzehnte trägt. Wir haben den European
Green Deal auf die Agenda gesetzt, er ist die richtige Strategie. Jetzt sorgen wir dafür,
dass er in allen Bereichen seine Wirkung entfaltet: von der Energieerzeugung über Mobilität
und Landwirtschaft bis hin zur Industriepolitik. Denn Klimaschutz wird zunehmend zu einem
entscheidenden Wettbewerbs- und Standortfaktor. Wollen wir unseren Wohlstand bewahren und
neuen schaffen, müssen wir Europäer*innen nicht nur das Klima schützen, sondern auch diesen
Wettbewerb annehmen.
Voraussetzung hierfür ist eine aktive europäische Wirtschafts- und Industriepolitik, die
Innovation ermöglicht und nachhaltige Infrastruktur baut; die den Mut zu gezielten
strategischen Investitionen aufbringt; die uns unabhängig macht von den Autokratien dieser
Welt – und unser aller Leben damit krisenfest und bezahlbar. Wir wollen deshalb jetzt – von
der Sonnenenergie aus Andalusien bis hin zum Wind über der Nordsee – die erneuerbaren
Energien und die Stromnetze in ganz Europa ausbauen. Wenn wir aus der Europäischen Union
(EU) eine moderne Infrastrukturunion machen wollen, dann tun wir das, um die industrielle
Produktion, um Strom und Wärme, um günstige Energie für alle zu sichern.
Wenn wir in Forschung und Entwicklung investieren, dann tun wir das, damit sich die besten
Ideen weiterhin auf unserem Kontinent zu Hause fühlen. Wenn wir Bürokratie abbauen, dann tun
wir das, um die EU in den Dienst der Europäer*innen, nicht der Paragrafen und Behörden zu
stellen. Und wenn wir die Potenziale der Digitalisierung nutzen, dann tun wir das, um Daten
im Sinne der Menschen in Europa nutzbar zu machen, nicht umgekehrt.
Kein Land in Europa ist diesen Aufgaben allein gewachsen. Gemeinsam aber sind wir es.
Gemeinsam in der EU sind wir in der Lage, politische Antworten zu geben, die wirksam und
wirkmächtig genug sind, um es mit der globalen Erwärmung und systemischer Konkurrenz
gleichermaßen aufzunehmen.
Diesen Weg gehen wir. Wir wollen eine gerechte und handlungsfähige EU, die Sicherheit
schafft im Hier und Jetzt – und zugleich die Weichen stellt für den Wohlstand und
Zusammenhalt von morgen. Wir wollen eine EU, in der Wohlstand im Einklang mit der Natur und
dem Klima entsteht. Und wir wollen eine EU, in der nicht die soziale oder geografische
Herkunft, der Zugang zu Bildung oder das Geschlecht über die Chance auf ein gutes Leben
entscheiden, sondern in der alle Menschen am Wohlstand teilhaben können.
Für dieses Europa treten wir an. Dieses Europa wollen wir sein.
1. Ein klimaneutrales Europa
In Energiesicherheit investieren
Um die Klimaziele zu erreichen, braucht Europa eine echte Energieunion mit effizienter und
nachhaltiger Energieversorgung, die die Potenziale des gesamten Kontinents nutzt und
miteinander verbindet. Wir bauen erneuerbare Energien als Teil einer aktiven Wirtschafts-
und Industriepolitik europaweit massiv aus: Bis 2035 sollen sie den wesentlichen Beitrag
dazu leisten, die europäische Stromversorgung zu 100 Prozent klimaneutral sicherzustellen.
Denn nur die Erneuerbaren garantieren eine unabhängige Versorgung und auf Dauer günstigen
Strom, mit dem Europa langfristig wettbewerbsfähig wirtschaften kann. Wir wollen, dass
Deutschland auf diesem Weg mit gutem Beispiel vorangeht.
Deshalb brauchen wir in den nächsten Jahren überall in Europa die Elektrifizierung von
Verkehr, Industrie und Haushalten sowie massive Investitionen in den Ausbau von Wind und
Solar. In Zukunft wollen wir dabei noch stärker europäisch zusammenarbeiten. Gleichzeitig
müssen wir energieeffizienter werden und die entsprechenden Vorgaben weiter anpassen.
Um den Strom überall in Europa verlässlich dorthin zu transportieren, wo er gebraucht wird,
wollen wir im Rahmen der Infrastrukturunion das europäische Stromnetz stärken und dabei vor
allem die Verbindungen zwischen den Mitgliedstaaten massiv ausbauen. Ein stabiles
europäisches Stromnetz macht uns widerstandsfähiger und erhöht unsere Versorgungssicherheit.
Das hat die Energiekrise sehr deutlich gezeigt, als die Staaten Europas sich gegenseitig
beispringen konnten. Wir wollen es deshalb nun auch für 100 Prozent erneuerbare Energien fit
machen. So können wir die Synergien in der EU nutzen, in der immer irgendwo der Wind weht
oder die Sonne scheint. Wir etablieren eine EU-Netzplanung – insbesondere für
grenzüberschreitende Projekte und den Ausbau der Windenergie in den Meeren der EU. In
Zukunft müssen darüber hinausgehend die Stromnetze, Wasserstoffnetze, Gasnetze und
Wärmenetze zusammengedacht werden. Wir richten das Strommarktdesign, die Netzentgelte und
die Bedingungen von Stromspeichern systematisch auf die Integration erneuerbarer Energien
aus.
Generationen von Menschen in den Kohlerevieren haben einen wertvollen Beitrag zu
Energiesicherheit, zum Fortschritt und zu unserem Wirtschaftsstandort geleistet. An diesen
Einsatz und diese Expertise knüpfen wir in den europäischen Energieregionen an. Jedoch wird
Kohle zunehmend unrentabel, ist zudem die klima- und gesundheitsschädlichste Form der
Energieerzeugung und hat deshalb keine Zukunft. Wir werden die Voraussetzungen schaffen, um
in der EU die Kohleverstromung beenden zu können. Die Kohleregionen unterstützen wir dabei,
dass ihnen der Umstieg auf die neuen Energien bis zum Jahr 2030 gelingt. Gleichzeitig hat
uns insbesondere der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine gezeigt, wie abhängig wir
noch von Erdgas sind und welche Schwierigkeiten das mit sich bringt. In den kommenden Jahren
ist im Einklang mit unseren Klimazielen deshalb auch ein endgültiger Abschied vom fossilen
Erdgas nötig. Wir wollen es vollständig durch erneuerbare Energien kombiniert mit grünem
Wasserstoff ersetzen.
Atomkraft ist keine nachhaltige Form der Energieerzeugung und sie ist nicht geeignet, die
Klimakrise zu bekämpfen. Sie ist erheblich teurer als Erneuerbare, mit hohen Risiken
verbunden und gerade in Zeiten von Hitze und Dürre unzuverlässig. Der Bau neuer Kraftwerke
ist teuer und langwierig. Der Müll belastet noch unzählige nachfolgende Generationen. Wir
setzen in der EU nicht auf Atomkraft als taugliche Form der Energiegewinnung.
Uns begeistern zukünftige Chancen und Potenziale neuer Energietechnologien, weshalb wir
Forschung und Entwicklung neuer Ideen auch weiterhin vorantreiben wollen. Um in den nächsten
Dekaden einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der Klimakrise und zur Energiesicherheit
leisten zu können, kommt die Kernfusion jedoch zu spät.
Den Weg zum klimaneutralen Kontinent beschreiten
Echte Fortschritte sind gemacht: Bis heute hat Europa die Emissionen gegenüber 1990 um rund
ein Drittel gesenkt. Mit dem „Fit for 55“-Paket will die EU bis 2030 mindestens 55 Prozent
ihrer Emissionen im Vergleich zu 1990 einsparen. Durch den reformierten Emissionshandel wird
ein schnellerer europäischer Kohleausstieg rentabel. Wir haben die Ausbauziele für
erneuerbare Energien verdoppelt. Und für fossile Energie, Stahl oder Chemieprodukte, die
nach Europa importiert werden, muss bald an der Grenze ein Preis für ihren CO2-Fußabdruck
bezahlt werden. Die Autoindustrie stellt ihre Produktion auf Elektrofahrzeuge um. Gebäude in
der EU werden gedämmt und Anreize für klimafreundliches Heizen gesetzt. Damit hat Europa den
richtigen Weg eingeschlagen.
Die EU muss diesen Weg zum klimaneutralen Wohlstand entschieden weitergehen. Europa soll der
erste klimaneutrale Kontinent werden. Von diesem Ziel darf es kein Abrücken geben, und es
muss zuverlässig erreicht werden. Für 2035 und 2040 braucht es deswegen Zwischenziele, die
die EU sicher zu Klimaneutralität in Erfüllung des Pariser Klimaabkommens führen. Das
Zwischenziel für 2035 wollen wir, wie es alle Staaten im Rahmen des Pariser Klimaabkommens
international zugesagt haben, auch bei den Vereinten Nationen (UN) verbindlich hinterlegen.
Für die Umsetzung müssen unter anderem der Rahmen für Klimaschutzmaßnahmen und die
europäischen Emissionshandelssysteme angepasst werden.
Natürliche CO2-Senken und technologischen Fortschritt nutzen
Um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir schnell raus aus Kohle, Öl und Gas und rein in
erneuerbare Energien und Wasserstoff. In einigen wenigen Branchen wird es aber auch in
Zukunft Emissionen geben, die schwer oder nach heutigem Stand der Technologie gar nicht zu
vermeiden sind, etwa in der Zementindustrie. In diesen Bereichen wollen wir technologische
Chancen nutzen und das CO2 direkt bei der Produktion abscheiden, speichern und
gegebenenfalls nutzen (Carbon Capture Use and Storage, CCUS). Wo nötig, soll dies aktiv
gefördert werden. Wir wollen einen europaweit einheitlichen Regelungsrahmen dafür schaffen
und eine integrierte europäische Infrastruktur – inklusive gemeinsamer europäischer CO2-
Speicher – entwickeln.
In der Zukunft wird es laut Analysen des Weltklimarats zunehmend schwieriger, auf den 1,5-
Grad-Pfad zu kommen. Deshalb müssen wir die CO2-Konzentration in der Atmosphäre aktiv
senken, damit sich wieder ein stabiles und nachhaltiges Niveau einstellt. Dafür stärken und
entwickeln wir negative Emissionen – also natürliche und technische Prozesse, die der
Atmosphäre CO2 wieder entziehen. Intakte Ökosysteme sind unsere besten Verbündeten, denn vor
allem Wälder und Moorböden sind natürliche CO2-Speicher. Deswegen benötigen wir klare Regeln
für die Landwirtschaft, den Humusaufbau, die Wiedervernässung von Mooren und die Aufforstung
von Wäldern. Gleichzeitig wollen wir die Potenziale technischer Negativemissionen wie die
CO2-Entnahme aus der Luft oder Bioenergie mit CO2-Speicherung in der Anwendung prüfen und an
Pilotprojekten evaluieren. Die EU braucht – wie Deutschland – klare Ziele für das Erreichen
von Negativemissionen, ohne diese gegen die Reduktionsziele des Emissionshandels zu handeln.
Grünen Wasserstoff als Energieträger der Zukunft einsetzen
Wasserstoff aus erneuerbaren Energien, also grüner Wasserstoff, kann Energie speichern und
transportabel machen. Er ist ein unverzichtbarer Bestandteil unserer zukünftigen
Energieversorgung, denn er kann fossile Energieträger überall dort ersetzen, wo
Elektrifizierung keine Option ist. Wir wollen dafür sorgen, dass Europa bei der Anwendung
Vorreiterin wird. Um ihre Potenziale zu heben, entwickeln wir die Europäische
Wasserstoffstrategie weiter und unterstützen die Erforschung von umfassenden Ansätzen zur
Erzeugung und Anwendung. Beispielsweise können durch dezentrale Lösungen die
Netzausbaukosten minimiert und wo immer möglich die Abwärme in Wärmenetzen eingesetzt
werden. Mit Instrumenten wie Klimaschutzverträgen und einem umfassenden Investitionsprogramm
sorgen wir für einen schnellen Hochlauf der Produktion dieser Schlüsseltechnologie.
Wir wollen die Investitionen in den Aufbau eines neuen transeuropäischen
Wasserstoffkernnetzes erhöhen und die Umrüstung der bestehenden Gasinfrastruktur für den
Transport und die Speicherung fördern. Durch neue Pipelines wie H2Med können wir grünen
Wasserstoff beispielsweise aus den sonnenreichen Regionen Südeuropas in die Industriezentren
Deutschlands transportieren. Das ist ein Bestandteil einer leistungsfähigen
Infrastrukturunion.
Wir setzen uns zusätzlich für den Aufbau eines globalen Marktes für grünen Wasserstoff und
strategische Partnerschaften für dessen Handel zwischen der EU sowie wind- und sonnenreichen
Ländern weltweit ein. Dank einer Vielzahl potenzieller Partnerländer können wir auf diesem
Weg eine diversifizierte Energieversorgung sichern und einseitige Abhängigkeiten vermeiden.
Durch Partnerschaften und den Transfer von Know-how sorgen wir zudem dafür, dass die Länder
des Globalen Südens in die Wertschöpfungskette integriert werden und von der grünen
Energiezukunft profitieren.
Da die Produktionskapazitäten erst aufgebaut werden müssen, wird Wasserstoff vorerst ein
sehr knapper Rohstoff bleiben. Zur Senkung der CO2-Emissionen setzen wir daher vorrangig auf
die Elektrifizierung von Antrieben, Produktionsprozessen und Heizungen, da sich grüner Strom
so am effizientesten nutzen lässt. Wasserstoff wollen wir also priorisiert dort einsetzen,
wo eine Elektrifizierung nicht oder nur sehr schwer möglich ist. Dazu gehören etwa die
Produktion von Grundstoffen wie Stahl- oder Chemieerzeugnisse, der Schwerlasttransport sowie
der interkontinentale See- und Luftverkehr. Zudem werden wir grünen Wasserstoff bei geringer
Solar- und Windenergieerzeugung sowie besonders hoher Last zur Stromerzeugung einsetzen, um
die Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Energien jederzeit sicherzustellen.
Klimaneutralität sozial und bürgernah erreichen
Klimaneutralität sichert und mehrt Wohlstand, ist aber auch mit Veränderungen verbunden.
Dieser Prozess verlangt den Menschen viel ab. Nicht nur deshalb muss klimaneutral immer auch
sozial heißen. Mit dem Klimasozialfonds, der primär aus dem Emissionshandel gespeist wird,
geben wir den Mitgliedstaaten die Mittel an die Hand, das umzusetzen. Dabei werden
Leistungen für Menschen finanziert, die besonders von steigenden Energie- und
Transportkosten betroffen sind. Wir wollen deshalb, dass die Mitgliedstaaten – wie etwa
Österreich mit dem Klimabonus – ein Klimageld pro Kopf auszahlen.
Erneuerbare Energien sind Bürgerenergien. Sie ermöglichen es den Menschen und Kommunen, ihre
Energieversorgung selbst in die Hand zu nehmen. Das ist solidarisch und demokratisch, denn
damit bleiben die Erträge vor Ort. Wir haben es in der Bundesregierung erheblich
vereinfacht, selbst erneuerbare Energien zu nutzen. Das soll europaweit gelten: Der Einsatz
von Bürgerenergie soll noch finanziell attraktiver und einfacher werden. Wir wollen
europäisch besser verankern, dass Bürger*innen an der Energiewende teilhaben können – indem
sie Mitglied eines Bürgerwindparks werden, den Strom ihrer Photovoltaikanlage direkt an ihre
Nachbar*innen verkaufen oder die in ihren Autos und Pufferbatterien gespeicherte Energie
einfach zur Netzstabilisierung einsetzen.
Erneuerbare Energien garantieren den Menschen, dass sie ihre Wohnungen auch zukünftig
bezahlbar heizen können. Deshalb unterstützen wir die Weiterentwicklung der europäischen
Anforderungen an die Effizienz von Gebäuden und Heizungen, um Gebäude schnell und günstig
von der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu befreien. Wir setzen dabei vor allem auf
Beratung und finanzielle Anreize. Wir möchten, dass alle Mitgliedstaaten kommunale
Wärmepläne entwickeln, die aufzeigen, welche Potenziale es für Erneuerbare gibt und wie
Abwärme oder Kraft-Wärme-Kopplung genutzt werden kann.
Mit einem effizienten Strommarkt, geringen Infrastrukturkosten und intelligent aufeinander
abgestimmten Mechaniken von Stromverbrauch und -erzeugung bleibt der Vorteil der günstigen
Stromerzeugung bei den Verbraucher*innen. Durch die Umstellung der Förderung von
erneuerbaren Energien auf Differenzverträge sichern wir die Stromverbraucher*innen gegen
hohe Kosten ab.
2. Ein wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort
In Innovation und Resilienz investieren
Um die Infrastrukturunion zu verwirklichen, entscheiden wir uns für eine strategische
europäische Investitionspolitik. Das Wiederaufbauprogramm Next-Generation-EU (NGEU) hat uns
in der Pandemie vor einer schweren Krise bewahrt und stark dazu beigetragen, dass Europa
wirtschaftlich und politisch zusammengehalten hat. Mit dem Ende von NGEU im Jahr 2026 droht
diese wichtige Säule der Finanzierung europäischer Investitionen wegzubrechen. NGEU kann uns
als Vorbild für eine effektive gemeinsame europäische Finanzierung von großen
Investitionsvorhaben – wie dem Aufbau der Infrastrukturunion – dienen.
Wir wollen daher ab 2026 ein großes Investitionsprogramm für Innovation und Resilienz mit
drei klaren Zielen schaffen: Erstens wollen wir, dass Europa im Rahmen der
Infrastrukturunion durch starke gemeinsame Infrastrukturen weiter zusammenwächst – mit einem
voll ausgebauten und integrierten europäischen Schienen-, Strom- und Wasserstoffnetz.
Zweitens wollen wir überall in Europa den klimaneutralen Umbau der Industrie genauso wie den
Aufbau der Industrien von morgen fördern. Und drittens wollen wir unsere Wirtschaft und
unsere Gesellschaften widerstandsfähiger gegen und unabhängiger von Autokratien machen.
Industriepolitik aktiv gestalten
Europa ist ein starker Wirtschaftsstandort mit einer vielfältigen Landschaft aus kleinen,
mittleren und großen Unternehmen, die eine wesentliche Grundlage für unseren Wohlstand ist.
Wir werden dafür sorgen, dass das so bleibt. Dafür sind zwei Hebel für uns zentral:
Zum einen stärken wir den Binnenmarkt, also den gemeinsamen Regulierungsrahmen der EU für
Unternehmen. Dieser gemeinsame Rahmen, in dem kein Mitgliedstaat seinen eigenen Firmen
unfaire Vorteile verschaffen darf und dessen Regeln in vielen Bereichen den Goldstandard auf
der Welt setzen, leistet gerade für Deutschland als Exportland einen unschätzbaren Beitrag
zu unserem Wohlstand. Ihn werden wir weiter vertiefen und seine Grundlagen verteidigen.
Zum anderen müssen wir feststellen: Insbesondere China, aber auch die USA mit ihrem
Inflation Reduction Act investieren massiv in den Aufbau neuer Produktionsstandorte für
Zukunftstechnologien. Wir nehmen diesen Wettbewerb an: Für die EU gilt es, dem eine eigene
aktive Wirtschafts- und Industriepolitik entgegenzusetzen, die Europas Stärken stärkt. Sie
setzt bei der Forschung an und reicht bis zur Unterstützung bei Investitionen. Dazu gehört
einerseits eine Angebotspolitik, die Bürokratie abbaut und Anreize für private Investitionen
setzt, andererseits starke öffentliche Förderprogramme etwa für Zukunftstechnologien wie
Elektrolyseure, Windräder, E-Autos und Mikrochips. Denn wir wollen, dass Europa an der
Spitze der Märkte der Zukunft steht und dass die Produkte der Zukunft in Europa erdacht und
hergestellt werden. So sichern wir Jobs und Wohlstand in Europa. Gerade der Aufbau einer
europäischen Halbleiterindustrie ist elementar für die Erneuerung des Industriestandortes
Europa und dient unserer wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit und Unabhängigkeit.
Hier werden wir einen Neuanfang anschieben: In der EU hat sich ein Förderdschungel
entwickelt, der es Unternehmen sehr schwer macht, schnell und unbürokratisch an die
bereitstehenden Mittel zu kommen. Das ist ein entscheidender Wettbewerbsnachteil – etwa im
Vergleich zu den USA. Wir treten für eine kohärente und leicht verständliche
Industriepolitik ein, bei der auch Förderpolitik und Beihilferecht Hand in Hand gehen. Dafür
wollen wir relevante Teile der bisher nationalen Industriepolitiken auf die europäische
Ebene verlagern, die dafür finanziell sehr viel besser ausgestattet und in die Lage versetzt
wird, schnell und wirksam zu handeln.
Unsere Wirtschaft für den globalen Wettbewerb rüsten
Die europäische Industrie kann nur langfristig wettbewerbsfähig sein und Europa gleichzeitig
seine Klimaziele einhalten, wenn industrielle Produktionsprozesse komplett klimaneutral
werden. Dafür werden wir die industrielle Basis erneuern.
Immer mehr Unternehmen investieren massiv in eine Umstellung ihrer Produktion. Dafür muss
die Politik den Rahmen schaffen: einen klaren Reduktionspfad im europäischen
Emissionshandel. Wir füllen ihn durch einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und
der Infrastruktur für Strom und grünen Wasserstoff mit Leben, damit genug grüne Energie zu
wettbewerbsfähigen Preisen überall in Europa zur Verfügung steht.
Das wird allerdings nicht reichen: Wir wollen die Unternehmen mit einem europäischen
Programm zur Dekarbonisierung der Industrie unterstützen. Dazu wollen wir einen europaweiten
Einsatz von Klimaschutzverträgen (Carbon Contracts for Difference) aus dem EU-Haushalt
finanzieren und somit in einem Auktionsverfahren diejenigen Unternehmen finanziell fördern,
die möglichst kosteneffizient ihre Produktion klimaneutral umrüsten und dabei am meisten CO2
einsparen. Hier gilt das Effizienzprinzip: größere Fußabdrücke, die einfacher und günstiger
eingespart werden können, zuerst. Zusätzlich wollen wir europäische grüne Leitmärkte für
einige besonders energieintensive Produkte aus klimaneutraler Produktion wie etwa grünen
Stahl schaffen. Dafür wollen wir beispielsweise bei öffentlichen Aufträgen eine Mindestquote
von grünem Stahl vorschreiben, die stetig ansteigt. Somit wird ein neuer Absatzmarkt
geschaffen, der klimaneutrale Produktion über einen Marktmechanismus in Gang setzt.
Schließlich wollen wir auch für die Umstellung von Produktionsprozessen auf klimaneutrale
Verfahren die Planungs- und Genehmigungsverfahren erheblich beschleunigen, weil dies zu
schnellerer Emissionsminderung bei gleichzeitigem Erhalt von industrieller Substanz und
guten Arbeitsplätzen beiträgt.
Mit der zeitlich gestaffelten Einführung von Resilienz- und Nachhaltigkeitskriterien bei
öffentlichen Ausschreibungen und öffentlichen Förderprogrammen wollen wir gezielt die
Produktion dieser Produkte in Europa begünstigen.
Den Binnenmarkt stärken
Der EU-Binnenmarkt ist zentral für den Wohlstand der Bevölkerung der EU und hilft,
Wettbewerbsverzerrungen entgegenzuwirken. Er ist auch ein zentraler Hebel, die klimaneutrale
Modernisierung unserer Wirtschaft voranzubringen. Er ermöglicht es den europäischen
Unternehmen, Waren und Dienstleistungen überall in der EU anzubieten. Und Arbeitnehmer*innen
ermöglicht er, überall in der EU zu arbeiten. Deshalb wollen wir den Binnenmarkt stärken und
vertiefen: Wo es in Europa eine gemeinsame Regel gibt, müssen Unternehmen nicht mehr 27
verschiedene befolgen.
Wir gestalten die Regeln für den Binnenmarkt so, dass er dabei hilft, übergeordnete Ziele zu
erreichen: Demokratie, Wohlstand, soziale Gerechtigkeit, Umwelt- und Klimaschutz sowie die
Schaffung von fair bezahlten Arbeitsplätzen. Wir wollen den Binnenmarkt auch nutzen, um
widerstandsfähiger gegenüber Krisen und unabhängiger von Rohstoffimporten zu werden.
Um funktionierenden Wettbewerb zum Nutzen von Verbraucher*innen und kleinen Unternehmen
durchzusetzen, haben wir in Deutschland das Wettbewerbsrecht verschärft. Ein solches Update
braucht auch das EU-Wettbewerbsrecht. Dafür wollen wir das New Competition Tool
wiederbeleben, das die Kommission schon einmal vorgeschlagen hatte.
Eine starke Wettbewerbspolitik, die die Bildung von zu starker Marktmacht bekämpft und
Subventionswettläufe innerhalb der EU möglichst unterbindet, macht den Erfolg des
Binnenmarktes aus. Daran wollen wir auch in Zukunft festhalten. Allerdings steht Europa
heute im Ringen um die Märkte der Zukunft im globalen Wettbewerb mit anderen Staaten, die
sich nicht an diese Regeln halten. Gerade für die grünen Zukunftstechnologien muss die EU-
Kommission deshalb einen dauerhaften neuen Beihilferahmen schaffen, der den Mitgliedstaaten
eine aktivere, europäisch koordinierte Industriepolitik ermöglicht und dabei zugleich
Wettbewerbsverzerrungen verhindert. Dazu gehören schnellere Planungssicherheit bei
Beihilfeverfahren, Ausnahmen für die Unterstützung von neuen Produktionsanlagen in den
Zukunftstechnologien und bei der Umstellung von Produktionsprozessen auf Klimaneutralität.
Ein Ansatz dafür sind die strategischen Förderprojekte IPCEI, mit denen die EU die
Industriepolitik der Mitgliedstaaten in Schlüsselsektoren wie dem Aufbau der europäischen
Wasserstoffinfrastruktur und die Wertschöpfungsketten rund um Mikroelektronik ermöglicht und
koordinieren will. Für mehr Planungssicherheit für Unternehmen müssen die Beihilfeverfahren
gerade im Kontext der IPCEIs beschleunigt werden.
Fachkräfte ausbilden, gewinnen und halten
Wir wollen, dass der Wohlstand denjenigen zukommt, die ihn erarbeiten. Wir wollen mehr
Gerechtigkeit für die Mitte der Gesellschaft. Dazu sind gute Arbeitsbedingungen, sichere
Jobs und anständige Löhne das beste Mittel. So wachsen wir aus der Mitte heraus. Fachkräfte
sind das Rückgrat der europäischen Wirtschaft. Das gilt gleichermaßen für akademisch
ausgebildete Fachkräfte wie für solche mit handwerklicher oder industrienaher Ausbildung.
Davon hängt auch das Gelingen der Energiewende ab. Das heißt auch: Mit Investitionen in
Klimaschutz fördern wir gleichzeitig sichere und zukunftsfeste Arbeitsplätze.
Dafür müssen wir junge Menschen entsprechend ausbilden, Weiterbildungsangebote für alle
bereithalten – besonders auch für ältere Arbeitnehmer*innen – und Fachkräfte von außerhalb
gewinnen. Deswegen setzen wir uns für eine europäische, umlagefinanizerte Ausbildungsplatzgarantie ein: Unternehmen, die nicht ausbilden wollen, zahlen Abgaben, um Ausbildungsplätze in anderen Unternehmen zu ermöglichen. Gleichzeitig müssen wir Frauen die Möglichkeit geben, sich voll einzubringen. In
vielen EU-Ländern arbeiten Millionen Frauen oft unfreiwillig in Teilzeit oder gar nicht. Wir
brauchen auf EU-Ebene eine feministische Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die soziale
Infrastruktur für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mitdenkt.
Wir wollen es Frauen leichter machen, einen technischen – und damit häufig auch gut
bezahlten – Beruf zu wählen. Wir wollen einen Bonus einführen, den Unternehmen und Betriebe,
in denen bislang unterdurchschnittlich wenig Frauen beschäftigt sind, bei der EU-
Fördermittelvergabe erhalten können, wenn sie mehr Frauen ausbilden bzw. beschäftigen.
Gemeinsam mit den Gewerkschaften und den Betrieben werden wir neue Ideen entwickeln, wie wir
eine gleichberechtigte Teilhabe der Geschlechter in der Wirtschaft ermöglichen können.
Europa konkurriert mit weiteren Weltregionen, wenn es um die Anwerbung von Fachkräften geht,
vom Bauingenieur über die Handwerkerin bis zur Fachkraft im Krankenhaus. Wir setzen uns
daher für eine umfassende EU-Fachkräftestrategie ein. Bei der Anwerbung aus Drittstaaten
sollte die EU-Blue-Card-Initiative ausgeweitet werden und vielen weiteren Berufsgruppen
zugutekommen.
Viele Beschäftigte, die in der fossilen Industrie arbeiten, sorgen sich um ihr Auskommen,
wenn ihre Industriezweige elektrifiziert werden. Den Wandel zu einer klimaneutralen
Wirtschaft wollen wir deshalb mit gut bezahlten Arbeitsplätzen, attraktiven Aus- und
Weiterbildungsmöglichkeiten, Tarifbindung sowie wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit
zusammenbringen, gerade in noch strukturschwachen Regionen. Unsere Industriepolitik bietet
dafür einen Hebel: Die Vergabe von EU-Geldern wollen wir stärker daran koppeln, dass
Ausbildungsplätze eingerichtet, Sozialstandards eingehalten und geltende Tarife befolgt
werden.
3. Stabile Finanzen
Europa finanziell wappnen
Eine zentrale Stellschraube für die Handlungsfähigkeit der EU ist ihre finanzielle
Ausstattung: Was wir uns in Europa gemeinsam vornehmen, müssen wir auch zu einem relevanten
Teil mit europäischen Mitteln finanzieren können. Diesen Anspruch wollen wir endlich
erfüllen, denn in den nächsten fünf Jahren sind weitreichende Entscheidungen zur
Finanzierung unserer gemeinsamen europäischen Vorhaben bis weit in die 2030er-Jahre zu
treffen.
Dabei werden uns zwei Prinzipien leiten: Erstens wollen wir die finanzielle Ausstattung der
EU insgesamt durch neue Eigenmittel und höhere nationale Beiträge verbessern. Im Krisenfall
haben sich zudem auch gemeinsame europäische Anleihen bewährt. Zweitens muss die EU deutlich
mehr Handlungsspielraum im Einsatz ihrer Mittel bekommen, um sie für gemeinsame
Investitionen in strategisch wichtigen Bereichen wie der Industriepolitik und für eine
Infrastrukturunion einzusetzen. In diesem Sinne werden wir sowohl für einen starken
Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), die Grundlage für den Haushalt der EU, als auch für ein
neues großes Investitionsprogramm streiten.
Wir wollen, dass der MFR für die Jahre 2028 bis 2035 gegenüber dem jetzigen deutlich
aufwächst. Dafür muss auch Deutschland seinen Beitrag leisten. Es gilt, gezielt die
Ausgabenposten zu stärken, die Europas Handlungsfähigkeit in den entscheidenden Feldern der
Zukunft verbessern. Dafür müssen wir auch die Ausgaben im MFR kritisch auf ihre Wirkung hin
überprüfen. Das betrifft insbesondere die Bereiche, in denen die Mitgliedstaaten die
Ausgaben verwalten.
Der Schutz unseres Gemeinwohls setzt eine auch finanziell handlungsfähige EU voraus. Gerade
in Zeiten massiv wachsender Aufgaben kann sie sich auf Dauer nicht nur aus den Beiträgen der
Mitgliedstaaten finanzieren. Sie braucht auch eigene Einnahmen, die ihre finanzielle
Ausstattung langfristig sichern. Dafür wollen wir das Prinzip festschreiben, dass Einnahmen,
die infolge europäischer Instrumente entstehen, im Grundsatz mehrheitlich dem EU-Haushalt
zugutekommen.
In einem ersten Umsetzungsschritt wollen wir festlegen, dass 75 Prozent der möglichen
Geldschöpfungsgewinne des Eurosystems in Zukunft dem EU-Haushalt zugutekommen. Auch die
Einnahmen aus dem neuen CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) sollen zu 75 Prozent dem EU-
Haushalt zufließen.
Damit die anstehenden Zins- und Tilgungszahlungen für das NGEU-Programm nicht zu einer
Kürzung des EU-Haushalts führen, wollen wir so schnell wie möglich den bereits 2020 von Rat
und Parlament beschlossenen Fahrplan zu neuen Eigenmitteln in die Tat umsetzen. Dabei muss
die Finanzierung der notwendigen nationalen Klimafinanzierung in den Mitgliedstaaten
sichergestellt werden.
Wirtschafts- und Währungsunion vervollständigen
Eine stabile und solidarische Wirtschafts- und Währungsunion ist eine Grundvoraussetzung für
Wohlstand und politischen wie sozialen Zusammenhalt in Europa. Doch die Architektur der
Währungsunion ist weiterhin unvollständig und Europa damit weiter anfällig für Krisen. Das
wollen wir durch ein umfassendes Maßnahmenpaket ändern.
Mit dem neuen Investitionsprogramm für Innovation und Resilienz verstetigen wir die
gemeinsame Fiskalpolitik – auch als wichtigen Puffer für Krisenzeiten. Mit der Überführung
des Europäischen Stabilitätsmechanismus in den EU-Rechtsrahmen und der Umstellung auf
Mehrheitsentscheidungen schaffen wir nationale Vetos in Krisen ab und etablieren endlich
eine gemeinsame europäische parlamentarische Kontrolle über zukünftige EU-Hilfsprogramme.
Mit der Einführung einer Arbeitslosenrückversicherung nach Vorbild des EU-Kurzarbeitergeldes
SURE schaffen wir ein zusätzliches Auffangnetz in Krisenzeiten, damit die Mitgliedstaaten
Jobs sicher schützen können. Und wir wollen die Banken- und Kapitalmarktunion vollenden,
damit auch der Finanzsektor in Krisen stabilisierend wirkt.
Eine widerstandsfähige Währungsunion braucht auch funktionierende Regeln für die
Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten, die die Schuldentragfähigkeit in allen Ländern
jederzeit sicherstellen und gleichzeitig genug Raum für Investitionen und Wachstum schaffen.
Die seit einem Jahrzehnt geltenden Regeln und auch der Vorschlag der Europäischen Kommission
werden diesem Anspruch nicht gerecht. Deshalb braucht es eine ambitionierte Reform, deren
Ergebnis von der Kommission konsequent durchgesetzt wird.
Wir unterstützen die Einführung des digitalen Euros als Ergänzung zum Bargeld und zum
Buchgeld der Geschäftsbanken. Der digitale Euro befördert die Digitalisierung der Wirtschaft
und ermöglicht Verbraucher*innen digitalen Zugriff auf sicheres und wertstabiles
Zentralbankgeld. Als öffentliches Gut kann er einen wertvollen Beitrag zur finanziellen
Inklusion, zur Souveränität der EU und zur Stabilität unseres Zahlungssystems im digitalen
Zeitalter leisten.
Bankenunion vollenden
Um die klimaneutrale Erneuerung unserer Wirtschaft zu unterstützen, muss das Finanzsystem
resilienter werden und konsequent an den europäischen Nachhaltigkeitszielen ausgerichtet
sein. Jede Finanzierungsentscheidung ist eine Entscheidung über die Wirtschaft der Zukunft
und muss deshalb auch mit unseren Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen kompatibel
sein.
Der Bankensektor ist in der EU zentral für die Finanzierung der Investitionen von
Unternehmen und Bürger*innen in die Modernisierung unserer Wirtschaft. Eine weitere
Bankenkrise können wir uns schon allein deshalb nicht leisten. Mit einer hohen
Eigenkapitalquote, regelmäßigen Stresstests und der Vollendung der Bankenunion stellen wir
die Banken stabil auf. Mit einer europäischen Einlagenrückversicherung, die den Erhalt der
Institutssicherungssysteme von Sparkassen und Genossenschaftsbanken erlaubt, einem
funktionierenden Abwicklungsregime sowie einer Trennung des Kreditgeschäfts mit
Privatkund*innen vom Investmentbanking bei Großbanken können wir verhindern, dass
Kreditinstitute im Fall einer Insolvenz mit Steuergeld gerettet werden müssen. Indem wir
Banken verpflichten, die von ihnen finanzierten Emissionen schrittweise zu reduzieren,
sorgen wir dafür, dass ihr Geschäft in Einklang mit dem Ziel der Klimaneutralität steht.
Neben den Banken müssen auch alle anderen Akteure des Finanzsektors wie Ratingagenturen,
Versicherer und Pensionsfonds Klimarisiken offenlegen und berücksichtigen. Wir setzen uns
dabei für mehr Kohärenz bei der europäischen Gesetzgebung ein, um unnötige Bürokratie –
insbesondere bei kleineren Unternehmen – zu verhindern.
Die grüne Taxonomie der EU ist ein Mittel, um die Finanzierung umweltverträglicher
Wirtschaftsaktivitäten zu unterstützen. Deshalb bleibt es falsch, Atomenergie und Erdgas als
nachhaltig einzustufen. Nachhaltigkeit ist aber komplexer als ein binäres Ja oder Nein, denn
dafür brauchen wir auch starke und innovative Zulieferer, zum Beispiel für E-Autos oder
Windräder, die bisher in der Taxonomie nicht erfasst sind. Das wollen wir zukünftig besser
abbilden. Wir wollen bei der grünen Taxonomie weitere Abstufungen ergänzen, damit
Investitionen in den Übergang in eine nachhaltige Wirtschaft ausreichend finanziert werden.
Es sollen zukünftig auch soziale Aspekte berücksichtigt werden.
Grüne Geldanlagen sind im Mainstream angekommen, denn viele Menschen wollen sich an
Zukunftsbranchen beteiligen und dabei auch das Klima schützen. Die Finanzaufsicht hat mit
dem schnellen Wachstum nachhaltiger Finanzprodukte jedoch nicht Schritt gehalten. Um das
Vertrauen der Anleger*innen zu festigen, wollen wir deshalb die europäischen
Finanzaufsichtsbehörden mit weitreichenden Kompetenzen gegen Greenwashing ausstatten und ein
staatliches Labelsystem für nachhaltige Geldanlagen einführen. Verbraucher*innen sollen
Klarheit haben, welchen Beitrag ein Finanzprodukt zur klimaneutralen Modernisierung unserer
Wirtschaft leistet.
Wir wollen die Kapitalmarktunion zu einem Erfolg machen. Hierfür müssen wir das Vertrauen
der Sparer*innen zurückgewinnen. Denn Interessenkonflikte durch Provisionen haben dafür
gesorgt, dass Sparer*innen viel zu oft teure, riskante oder unpassende Finanzprodukte
verkauft wurden. Wir wollen, dass Provisionen in der Finanzberatung mittelfristig keine
Rolle mehr spielen und jedem den Zugang zu unabhängiger provisionsfreier Beratung
ermöglichen. Nur so können wir die Potenziale der Kapitalmarktunion für alle zugänglich
machen.
4. Steuergerechtigkeit
Steuerhinterziehung bekämpfen
Die Finanzierung unseres demokratischen Gemeinwesens hängt davon ab, dass alle ihren fairen
Beitrag leisten – für Schulen und Kinderbetreuung, für Krankenhäuser, für eine gute Bus- und
Bahninfrastruktur. Mutige Whistleblower*innen und unabhängige Medien haben in den letzten
Jahren eine ganze Reihe internationaler Steuerskandale aufgedeckt. Sie haben belegt, wie
Superreiche und viele Großunternehmen Steuertricks nutzen, um Gewinne in Niedrigsteuerländer
zu verschieben: über Steuerschlupflöcher, Briefkastenfirmen und Steueroasen bis hin zu
Steuerbetrug. Diese Praktiken wälzen die Steuerlast auf die Bürger*innen und besonders
kleine und mittlere Unternehmen ab, die rechtmäßig ihre Steuern zahlen. Schätzungen zufolge
verursacht Steuermissbrauch EU-weit Verluste von jährlich mehr als 170 Milliarden Euro.
Steuerbetrug und Steuerhinterziehung sind häufig grenzüberschreitende Probleme. Die EU kann
hier einen wirkungsvollen Beitrag zur Bekämpfung leisten.
Auch im Kampf gegen Steuervermeidung, die beispielsweise durch Verlagerung von Gewinnen in
Steueroasen geschieht, wollen wir weiter voranschreiten. Es braucht strengere Kriterien, um
sicherzustellen, dass die EU-Liste der Steueroasen wirklich vollständig wird. So fehlen
aktuell namhafte Steueroasen wie beispielsweise Singapur. Länder mit einem Steuersatz von
null Prozent müssen automatisch auf der EU-Liste der Steueroasen landen, wie beispielsweise
Bermuda oder die Cayman Islands. Entscheidungen darüber, welches Land auf die Liste gesetzt
wird, müssen transparent, nach einheitlichen Kriterien und unparteiisch getroffen werden.
Ebenso wollen wir die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Steuerbehörden wesentlich
verbessern, um den EU-weiten Austausch steuerrelevanter Informationen zu stärken. Wir
begrüßen, dass dabei nun ebenfalls Kryptoassets voll erfasst werden sollen.
Wir werden den Missbrauch von Briefkastenfirmen angehen, also Firmen, die nur existieren, um
Steuern zu hinterziehen oder zu verlagern. Wir fordern die Mitgliedstaaten auf, den
entsprechenden Vorschlag der EU-Kommission schnell und ohne ihn abzuschwächen anzunehmen –
die EU wäre mit dieser Gesetzgebung weltweit Vorreiterin.
Quellensteuern senken das Risiko von Steuerhinterziehung und -umgehung, wie es sich beim
Cum-Ex- und Cum-Cum-Skandal gezeigt hat, sowie die Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerländer.
Wir unterstützen daher die Pläne der EU-Kommission zur Einführung eines EU-weiten Systems
für die Quellensteuer auf Dividenden und Zinszahlungen und setzen uns für einen weiteren
Schritt ein – einen EU-weiten Quellensteuer-Mindestsatz. International müssen wir das
Problem von Quellensteuern auf Auslandszahlungen in Drittländern außerhalb der EU angehen.
Steuerdumping beenden
Der Flickenteppich nationaler Steuervorschriften und der Steuerwettbewerb zwischen den EU-
Mitgliedstaaten bei den Körperschaftssteuersätzen erschweren faire Wettbewerbsbedingungen im
Binnenmarkt. Um dem entgegenzuwirken, muss die Steuergesetzgebung Schritt halten mit neuen
Geschäftsmodellen, die internationaler, komplexer und digitaler geworden sind. So
profitieren die großen Digitalunternehmen mit ihren immateriellen Gütern (wie Daten, Wissen
oder Algorithmen) davon, dass Unternehmensgewinne am Ort einer physischen Niederlassung oder
Fabrik besteuert werden und nicht beispielsweise dort, wo die Nutzer*innen digitaler Dienste
verortet sind. Wir wollen verhindern, dass der Bäckerladen um die Ecke einen deutlich
höheren Steuersatz zahlt als ein internationaler Großkonzern. Alle Unternehmen müssen ihren
gerechten Anteil zur Finanzierung des Gemeinwohls beitragen.
Auf dem Weg zu einer fairen und effektiven Unternehmensbesteuerung in Europa ist ein großer
Schritt genommen worden: Die EU hat sich – infolge eines Durchbruchs auf Ebene der
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) – endlich auf eine
Mindestbesteuerung großer multinationaler Unternehmen von 15 Prozent geeinigt. Damit können
sie sich einem Mindeststandard an Besteuerung nicht mehr entziehen. Die Umsetzung in den
Mitgliedstaaten und der Vorschlag der EU-Kommission für einen neuen EU-Rahmen zur
Unternehmensbesteuerung (BEFIT) müssen nun folgen. Die Einigung auf die Mindestbesteuerung
ist ein zentraler Schritt bei der Reform des internationalen Steuersystems. Er reicht aber
noch nicht aus, damit die großen Digitalunternehmen, der E-Commerce oder multinationale
Unternehmen in Europa fairer besteuert werden. Sollten bei den auf OECD-Ebene aktuell
stockenden Verhandlungen in diesem Bereich keine Fortschritte absehbar sein, sollte die EU-
Kommission vorschlagen, wie dieses Ziel europäisch weiterverfolgt werden kann.
Steuertransparenz ist ein wirkungsvolles Instrument, da es Steuerdumping für alle sichtbar
macht. Die Einigung auf die öffentliche länderbezogene Steuerberichterstattung von
Großunternehmen im Jahr 2021 war in diesem Sinne ein Meilenstein. Wenn große Unternehmen
offenlegen, wie viel Steuern sie in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten zahlen, führt das zu
einer besseren Kontrolle ihrer Steuerpraktiken. Aber es werden noch nicht alle Länder
erfasst. Wir werden darauf hinarbeiten, die im Gesetz verankerte Klausel zur Überprüfung der
Richtlinie zu nutzen, um die Richtlinie zu verbessern und eine weltweite Aufschlüsselung
relevanter Steuerdaten zu erreichen. Um einen zerstörerischen Steuerwettbewerb zwischen den
EU-Mitgliedstaaten zu verhindern, braucht es darüber hinaus ein klares Rahmenwerk der EU für
Steuerbegünstigungen, die einzelne Mitgliedstaaten Unternehmen gewähren können.
Gemeinwesen solidarisch finanzieren
Steuergerechtigkeit heißt, dass hohe Vermögen und Milliardengewinne von Unternehmen einen
fairen Beitrag leisten müssen, um das Gemeinwesen solidarisch zu finanzieren, Klimaschutz
und Nachhaltigkeit zu fördern und soziale Ungleichheit abzubauen. In der ganzen EU hat die
starke Ungleichverteilung und Konzentration insbesondere von Vermögen weiter zugenommen.
Um diese Probleme adressieren zu können, muss die EU auch in der Steuerpolitik
handlungsfähig sein. Vorstöße gegen Steuerdumping und Steuerflucht werden immer wieder durch
Vetos einzelner EU-Mitgliedstaaten verhindert. Wir wollen die bestehenden Möglichkeiten der
Verträge ausschöpfen, qualifizierte Mehrheitsentscheidungen zu treffen. Perspektivisch
eröffnet die Überwindung des Einstimmigkeitsprinzips größeren gemeinsamen
Handlungsspielraum.
Infolge des russischen Kriegs in der Ukraine erzielten Öl- und Gaskonzerne durch hohe
Energiepreise extrem hohe Zufallsgewinne. Diesen unverhältnismäßigen Gewinnen einiger
Krisengewinner stehen Höchststände bei der Armut gegenüber, die durch sprunghaft gestiegene
Lebenshaltungskosten noch verstärkt wurden. Dass sich die EU in dieser Situation auf eine
Übergewinnsteuer geeinigt hat, durch die die großen Energiekonzerne einen Krisenbeitrag an
die Gesellschaften zurückgeben, ist ein großer Erfolg. Ein Teil der gegenwärtigen Inflation
wurde durch überzogene Profite verursacht und ist nicht durch gestiegene Produktionskosten
gerechtfertigt. Wir fordern, das Instrument der Übergewinnsteuer auch für andere Bereiche
fest zu verankern, um in ökonomischen Sondersituationen die öffentlichen Haushalte zu
entlasten. Schlupflöcher wie das Kleinrechnen von Gewinnen über mehrere Geschäftsjahre oder
die Gewinnverlagerung ins Ausland müssen geschlossen werden. Unternehmen, die in erneuerbare
Energien reinvestieren, sollten eine Gutschrift erhalten.
5. Innovationskraft und Bürokratieabbau
Europäische Forschung an der Weltspitze verankern
Für die großen technologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen
unserer Zeit brauchen wir das gebündelte Wissen unseres gesamten Kontinents und darüber
hinaus. Deswegen ist eine europäische Wissenschafts- und Forschungspolitik, die Menschen und
Institutionen aus ganz Europa verbindet und sie bei der Entfaltung einer freien Forschung
unterstützt, ein Schlüsselelement für eine Zukunft in Freiheit und Wohlstand. Wir wollen,
dass die nächsten großen Durchbrüche für eine komfortable und klimafreundliche Mobilität,
für Hochleistungsrechner oder ein Medikament gegen Krebs oder Alzheimer in Europa erdacht
und produziert werden.
Im Zentrum steht dabei das Programm Horizont Europa, das die Forschungsaktivitäten der EU
bündelt. Es ist ein höchst erfolgreiches und bei Antragsteller*innen sehr beliebtes
Förderprogramm, das weltweit seinesgleichen sucht. Wir wollen seinen Umfang im nächsten
europäischen Finanzrahmen ausbauen.
Europäische Forschungspolitik muss die freie Grundlagenforschung ebenso wie die missions-
und anwendungsorientierte Forschung beinhalten. Zentral dafür ist die Klimaforschung, für
die wir im laufenden Zyklus von Horizont Europa eine feste Quote von 35 Prozent für die
europäische Klimaforschung verankern konnten. Wir treten für eine gut ausgestattete
Grundlagenforschung ein – etwa im European Research Council, der Exzellenzforschung par
excellence. Die für Forschende so wichtige Marie-Skłodowska-Curie-Mobilitätsförderung wollen
wir verstetigen. Wir machen uns auch weiterhin dafür stark, dass Sozial- und
Geisteswissenschaften (SSH) einen festen Platz in der EU-Förderkulisse bekommen, denn sie
sind von hoher Bedeutung für lebendige und resiliente Kultur, Gesellschaft und Demokratie.
Open Science, also das Prinzip, dass Forschungsergebnisse frei zugänglich sein sollen,
wollen wir als Prinzip von Horizont Europa weiterhin stärken.
Horizont Europa ist bereits mit vielen Partnerländern weltweit verbunden, was den
Wissensaustausch fördert. Wir haben aber für unsere Forschenden den Anspruch: Horizont
Europa muss noch internationaler werden und weitere Partnerländer einbinden.
Aus Ideen Wohlstand machen
Für die wirtschaftliche Zukunft Europas sind Innovationen von entscheidender Bedeutung. Wir
wollen sie auf ihrem Weg vom Labor in die Praxis unterstützen. Innovationen sind als
Wachstumskeime ein entscheidender Baustein für den wirtschaftlichen Erfolg von morgen.
Aufbauend auf der Grundlagenforschung gestalten wir eine missionsorientierte Forschung, die
uns dabei hilft, die großen Herausforderungen unserer Zeit anzugehen: Wir brauchen
beispielsweise einen schnelleren Roll-out der erneuerbaren Energien, effektive Behandlungen
für Krebs, smarte digitale Lösungen für Klima, Energie und Mobilität und nicht zuletzt
soziale Innovationen, um kluge Konzepte umzusetzen. Die Missionen von Horizont Europa sollen
sich weiterhin insbesondere am Green Deal orientieren. Um sie umzusetzen, wollen wir
Hochschulen, Institute, Zivilgesellschaft, Start-ups und die Industrie zusammenbringen.
Innovationspolitik ist ein entscheidender Teil unserer aktiven Wirtschafts- und
Industriepolitik. Wir wollen die Programmbestandteile von Horizont Europa so ausbauen, dass
sie schnell und dynamisch die besten Ideen auf dem Weg zu ihrer Umsetzung unterstützen.
Dafür soll die EU auch verstärkt regionale Innovationsökosysteme unterstützen und dabei
neben den Universitäten die Hochschulen für angewandte Wissenschaften bzw. Fachhochschulen
in den Blick nehmen. Bislang profitieren diese von der EU-Förderung häufig nicht im selben
Maße wie Universitäten, sind aber besonders in der anwendungsnahen Forschung sehr stark.
Solche Cluster von Forschung, Lehre und Anwendung sind zentral, um Innovationen zu fördern,
sichtbar zu machen und vor Ort klimaneutralen Wohlstand zu schaffen.
Die bestehenden Instrumente wollen wir handhabbarer und schneller machen. Dies gilt
beispielsweise für die Wissensgemeinschaften (KIC), die sich besonders der
Nachwuchsausbildung widmen, zum Beispiel in Master- oder Weiterbildungsprogrammen. So können
wir dafür sorgen, dass wir möglichst vielen eine Chance geben, sich in die Zukunftsbranchen
einzubringen.
Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen sind auch in diesem relevanten
Bereich von großer Bedeutung: Die Kommission hat eine Vielzahl von öffentlich-privaten
Partnerschaften geschaffen, die EU-Gelder gemeinsam mit der Industrie verwalten. Wir möchten
hier eine Transparenzinitiative starten und sicherstellen, dass Hochschulen,
Forschungsinstitute und Gründer*innen stärker von diesen Förderinstrumenten profitieren.
Mit Europäischen Start-ups durchstarten
Eine innovative Unternehmenslandschaft braucht ein lebendiges Gründungsgeschehen. Hier
entstehen die erfolgreichen Geschäftsmodelle von morgen. Dafür muss Gründen schneller und
einfacher werden. Wir setzen uns dafür ein, dass bisher weniger aktive Mitgliedstaaten
beispielsweise von Estland, dem europäischen Vorreiterland für Start-ups, lernen können.
Wir brauchen in der Kommission eine klare Zuständigkeit für Start-ups, damit der Know-How-
Transfer in der EU besser koordiniert und eine Strategie für das europäische
Gründungsgeschehen erarbeitet wird.
Wir wollen sicherstellen, dass es in jedem Mitgliedsland One-Stop-Shops gibt. Dort finden
Gründer*innen Begleitung und Beratung aus einer Hand. Einen Überblick über alle
Förderprogramme für Gründer*innen soll ein digitaler Kompass bieten. Mit einem Klick ohne
Umwege zur Antragstellung – das ist unser Ziel.
Die European Tech Champions Initiative, die die Bundesregierung gemeinsam mit anderen EU-
Mitgliedstaaten ins Leben gerufen hat, ist ein wichtiger Baustein, um Start-ups in der
Wachstumsphase besser zu unterstützen. Ergänzend wollen wir regelmäßige europäische Matching
Hubs ins Leben rufen, die private Investor*innen mit Gründer*innen an einen Tisch bringen,
eine Messe für Geschäftsmodelle der Zukunft.
Mittelstand fördern
Die Innovationsfähigkeit und die Tatkraft der KMU und des Handwerks sind Motor der
europäischen Wirtschaft. Diese Unternehmen werden im Verhältnis besonders stark durch die
Einführung neuer Regelungen belastet. Um sie zu unterstützen, wollen wir KMU-Tests
verbessern und konsequent anwenden, mit denen neue Gesetze auf ihre Auswirkungen auf KMU
überprüft werden. Wir setzen uns zusätzlich für angemessene Ausnahmen und Übergangsfristen
für KMU in neuen Gesetzen ein. Durch vereinfachte Antragsverfahren erleichtern wir den
Zugang von KMU zu Förder- und Investitionsprogrammen der EU. Mithilfe von festgelegten KMU-
Quoten stellen wir sicher, dass diese Programme ihnen auch tatsächlich zugutekommen. Die
Förderlandschaft in der EU werden wir vereinheitlichen und stärker mit nationalen
Förderinstrumenten verzahnen.
Manche Gesetzesvorschriften erweisen sich als mittlerweile überholt, andere in der Praxis
als untauglich. Wir setzen uns für eine regelmäßige Überprüfung aller Regulierungen ein, um
bürokratische Anforderungen zu vereinfachen und Vorschriften, die ihr Ziel verfehlen, wieder
zu streichen. Beispielsweise wollen wir die Meldepflicht bei touristischen Übernachtungen
und die A1-Bescheinigungen durch einen praktikableren Ansatz ersetzen.
Ein zentrales Mittel für den Bürokratieabbau ist die Digitalisierung der Verwaltung. Dadurch
können viele Behördengänge entfallen, der Datenaustausch automatisiert und Anträge leichter
gestellt werden. Verwaltungsleistungen sollen so weit wie möglich digital erfolgen.
Verfahrensstände sollen online einsehbar werden. Durch eine stärkere Vernetzung von
europäischen und nationalen Behörden soll das Once-Only-Prinzip eingeführt werden, damit
Daten künftig nur noch einmal bei Unternehmen abgefragt werden, um sie dann im Rahmen der
datenschutzrechtlichen Vorgaben und innerhalb der Behörden austauschen zu können. Die
Schriftformerfordernis in Verwaltungsverfahren wollen wir weitgehend abschaffen.
6. Digitale Souveränität
Europa digital fit machen
Digitalisierung liefert einen Schlüssel für zentrale Herausforderungen unserer Zeit. Sie
erlaubt es, grundlegende Lebensbereiche wie Verkehr, Bildung, Gesundheit oder Energie völlig
neu zu denken. Damit bietet sie enorme Chancen für die wirtschaftliche Entwicklung und für
die Vereinfachung vieler Aufgaben für alle – von lästigen Verwaltungsgängen über das
Management von Lieferketten in der Industrie bis hin zur Erforschung und Therapie schwerer
Krankheiten. Wir wollen sie als Grundlage eines fairen, dezentralen, hoch vernetzten und
resilienten Wirtschaftssystems gestalten.
Auch im digitalen Bereich erleben wir einen Systemwettbewerb – zwischen einer
emanzipatorischen Digitalisierung, die Bürger*innen befähigt und Freiheit stärkt, und einer
Digitalisierung, die entmündigt und Überwachung fördert. Europa muss sich in diesem
Wettstreit selbstbewusst positionieren. Wir wollen deshalb die digitale Souveränität Europas
sichern, stärken und ausbauen.
Basis einer digitalen europäischen Souveränität ist unter anderem eine resiliente und
klimafreundliche Infrastruktur, zu der Breitbandnetze, Mobilfunknetze, Knotenpunkte,
Rechenzentren und die Verlässlichkeit sensibler Lieferketten zählen. Wir wollen vermehrt die
Entwicklung und Produktion von Infrastrukturkomponenten in Europa vorantreiben, seien es
Halbleiter oder Mobilfunktechnik. Dabei können wir auf starke europäische Unternehmen in
verschiedenen Sektoren der Digitalisierung aufbauen. Die Anbindung an die globale
Netzinfrastruktur, ob bei Unterseekabeln oder Knotenpunkten, wollen wir mit starken
europäischen Akteuren gestalten.
Digitalisierung voranzutreiben, heißt auch, sie in politischen Vorhaben mitzudenken. Wir
wollen die digitale Umsetzung von Gesetzesvorhaben bereits im legislativen Prozess
berücksichtigen. Damit können staatliche Dienstleistungen schneller und effizienter erbracht
werden. Vor allem kann die Digitalisierung der Verwaltungsprozesse helfen, politische Regeln
– vom Grenzausgleichsmechanismus CBAM bis zum Datenschutz – in der wirtschaftlichen Praxis
handhabbar zu machen.
Die rasanten Fortschritte in der Entwicklung und Anwendung von KI stellen eine riesige
Chance für viele Lebensbereiche dar. Sie kann dem Menschen dienen, unser Leben vereinfachen
und unseren Wohlstand mehren, sie kann Prozesse in Alltag, Wissenschaft, Verwaltung und
Wirtschaft verändern und vereinfachen. Moderne KI-gestützte Verfahren können beispielsweise
dabei helfen, den Einsatz von Wasser sowie Pestiziden zu verringern und gleichzeitig den
Ernteertrag erhöhen. Sie schonen die Umwelt und erhöhen die Wirtschaftlichkeit. Wir wollen
KI nach unseren gemeinsamen Werten einsetzen. Mit dem KI-Gesetz macht Europa einen großen
Schritt in diese Richtung, der weltweit wahrgenommen und genau beobachtet wird. Wir wollen
diese Potenziale gestalten und nutzbar machen, dazu gehören die bessere Verfügbarkeit von
Daten und die Unterstützung bei Forschung und Transfer.
Mit datensparsamen und nachhaltigen technologischen Lösungen sowie mit Open-Source- und
Open-Data-Lösungen schaffen wir europäische Standortvorteile.
Wir wollen ökologische Standards in der IT international etablieren,
Nachhaltigkeitsstandards für Softwaredesigns entwickeln und implementieren sowie
energieintensive Rechenzentren klimaneutral betreiben lassen. Für Software und vernetzte
Geräte muss „Sustainability by Design“ die Regel sein; für KI, Cloud-Plattformen, Browser,
Suchmaschinen, digitale Marktplätze und soziale Netzwerke muss die EU
Nachhaltigkeitsstandards entwickeln. Dazu fordern wir einen Digital Sustainability Act, ein
europäisches Gesetz, das die Innovationskraft des Sektors für Informations- und
Kommunikationstechnologie für Nachhaltigkeit optimiert. Eine Abwärmeinfrastruktur von
Rechenzentren wollen wir in die europäische Energieinfrastruktur integrieren.
Daten rechtebasiert nutzen
Daten und die Verarbeitung von großen Datensätzen sind die Grundlage für zahlreiche
innovative Technologien und besonders der KI. Die kluge Nutzung von Daten leistet einen
wichtigen Beitrag dazu, unser Zusammenleben zu bereichern und zahlreiche gesellschaftliche
Probleme anzugehen sowie wirtschaftliches Wachstum zu fördern, Ressourcen zu schonen und die
wissenschaftliche Forschung voranzubringen.
Die Entwicklung von KI und der Erfolg europäischer KI-Modelle hängen vor allem an der
Verfügbarkeit von Daten. Wir wollen nicht personenbezogene Daten rechtebasiert besser
nutzbar und leichter zugänglich machen. Wir haben dazu beigetragen, dass dieses Prinzip bei
der Gesetzgebung zur Nutzung und dem verbesserten Austausch von Daten zwischen Unternehmen
im Rahmen der Datenstrategie umgesetzt wurde. Projekte wie die Smart City Barcelona können
ein Vorbild sein, wie Daten verfügbar gemacht werden und Forschung sowie Innovation
vorangetrieben werden.
Die EU hat mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) den Datenschutz in den vergangenen
Jahren weltweit stark geprägt und globale Maßstäbe bei der Regelung des Schutzes von
personenbezogenen Daten gesetzt.
Die Durchsetzung der Regeln in den Mitgliedstaaten ist allerdings unterschiedlich. Während
in Deutschland Entbürokratisierung und mehr Rechtssicherheit nötig sind, müssen die Regeln
gegenüber den internationalen Digitalkonzernen mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten genauso
konsequent durchgesetzt werden. Gerade die Big-Tech-Unternehmen haben sich aufgrund der
laxen Durchsetzung in den letzten Jahren Wettbewerbsvorteile verschaffen können, die für
alle Wirtschaftsbereiche und insbesondere im Bereich Werbung, soziale Netzwerke und KI
entscheidend sind. Deshalb muss die Europäische Kommission für eine einheitliche und
konsequente Durchsetzung der DSGVO sorgen, um die Grund- und Bürger*innen-Rechte wirksam zu
schützen sowie gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen zu schaffen, die eine
Sonderbehandlung von Großkonzernen gegenüber KMU ausschließen.
Durch die Digitalisierung des Datenschutzes sehen wir weitere Möglichkeiten, Nutzer*innen in
der Durchsetzung ihrer Ansprüche zu unterstützen, KMU die Umsetzung zu vereinfachen und
allseitige Rechtssicherheit zu schaffen. Darüber hinaus erleichtert der Ansatz es
Bürger*innen, ihre Daten für Forschungszwecke zu spenden und so die für KI-Modelle
notwendigen Datenpools zu erzeugen.
Digitale Standards setzen
Vertrauen und Verlässlichkeit sind für Verbraucher*innen und Unternehmen das A und O einer
erfolgreichen Digitalisierung. Dieses Vertrauen wird durch gemeinsame Standards gefördert
und gewährleistet. Daher treten wir für faire, offene und resiliente digitale
Regelungsrahmen ein. Unser besonderes Augenmerk richtet sich auf die notwendige
Investitionssicherheit für europäische Unternehmen, insbesondere KMU. Denn nur klare und
verlässliche Regeln stellen innovative, vertrauenswürdige und somit erfolgreiche
Wirtschaftsräume sicher. Mit dem Digitale-Dienste-Gesetz (DSA) und dem Digitale-Märkte-
Gesetz (DMA) haben wir in der EU dazu wichtige Schritte getan. Die Vollendung des digitalen
Binnenmarktes kann Europa dabei helfen, global wettbewerbsfähig zu sein.
Ein wesentlicher Schlüssel erfolgreicher Digitalpolitik liegt in der Interoperabilität:
Europas digitale Systeme müssen die gleiche Sprache sprechen. Interoperabilität bezeichnet
die Fähigkeit von IT-Systemen, über die Grenzen von Unternehmen, Behörden und
Forschungseinrichtungen hinweg Geschäftsprozesse abzuwickeln – vollautomatisch, ohne
manuelle Zuarbeiten. Das erfordert die Standardisierung gemeinschaftlicher
Softwareschnittstellen, spezifisch für jeden Anwendungsfall. Auf diese Weise können
Einzelpersonen, Firmen, Forschungseinrichtungen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs)
gleichermaßen miteinander Transaktionen ausführen.
Die Erfahrung zeigt, dass Standardisierung innovativen Technologien zum Durchbruch verhelfen
kann. Beispiele dafür sind das World Wide Web oder der digitale Mobilfunk (GSM).
Interoperabilität durchbricht Monopolstellungen, eröffnet damit Wirtschaftsräume und
milliardenschwere Märkte, die vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen aus Europa
riesige Chancen bieten.
Die EU hat mit dem European Interoperability Framework (EIF) einen ersten
Kristallisationspunkt geschaffen, an dem wir ansetzen: In verschiedenen Gruppen erarbeiten
Vertreter*innen unterschiedlicher Interessensgruppen die standardisierten IT-Schnittstellen
(Profile) für den jeweiligen Anwendungsfall.
Das Erarbeiten dieser Standards muss demokratisch legitimiert sein. Willkürlichen Konsortien
internationaler Großunternehmen fehlt es daran. Wir wollen die Standardisierung daher ebenso
für Entwickler*innen, die Zivilgesellschaft und kleine und mittlere Unternehmen öffnen.
Damit alle unter gleichen Voraussetzungen an dieser Gestaltung mitwirken können, muss ihr
Engagement vergütet werden. Wir sehen es als zentrale Aufgabe der EU, über diese
demokratische Governance zu wachen sowie für Planungs- und Investitionssicherheit zu sorgen.
Die EU kann darüber hinaus durch die Macht der öffentlichen Hand als Kundin einen
entscheidenden Beitrag dazu leisten, diese Standards am Markt durchzusetzen.
Verbraucherschutz digitalisieren
Die zunehmende Relevanz von Software und digitalen Plattformen muss sich im
Verbraucher*innenschutz widerspiegeln. In den vergangenen Jahren hat die EU hier bedeutende
Fortschritte gemacht. Mit dem DSA und dem DMA haben wir in Europa die Grundsteine gelegt, um
klare Regeln im Internet zu schaffen und Wettbewerb wiederherzustellen. Die Big-Tech-
Konzerne müssen nun regelmäßig das Risiko bewerten, das ihre Algorithmen für die
Gesellschaft darstellen – und wo nötig Gegenmaßnahmen vorschlagen. Auf unseren Druck hin
erhalten Wissenschaftler*innen und NGOs Zugang zu den Daten der Plattformen, um deren
Wirkungsweise zu erforschen und öffentlich zu machen. Diese Regeln gilt es jetzt, in
Deutschland und Europa konsequent durchzusetzen und aufgrund der durch Datenzugänge
gewonnenen Erkenntnisse weiterzuentwickeln. Gesetze zum Schutz von Verbraucher*innen im
digitalen Raum müssen durchgesetzt und angewendet werden; hierzu wollen wir auf nationaler
und europäischer Ebene die Verbraucherschutzstellen stärken. Die Regulierung digitaler
Plattformen muss die Dominanz großer digitaler Marktplätze stärker in den Blick nehmen.
Immer stärker kommt es in diesem Zusammenhang auch zu Grundrechtsverletzungen dieser
Plattformen, wenn Nutzer*innen grundlos gesperrt werden.
Wir wollen für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen, die KMU gute Zugänge bieten und
Verbraucher*innen nicht unbegrenzter Marktmacht aussetzen. Es muss gewährleistet sein, dass
diese ihre Produkte zu fairen Bedingungen online handeln können. Dafür werden wir
nötigenfalls das Wettbewerbsrecht nachschärfen. Wir wollen die Rechte von Nutzer*innen auf
digitalen Kommunikationsplattformen stärken. Interoperabilität hilft dabei: Plattformen
sollen miteinander kommunizieren können, sodass Nutzer*innen unterschiedlicher Dienste
miteinander in Austausch treten können. Das Umziehen von Daten wird dadurch möglich und
verbessert, damit Nutzer*innen beim Verlassen von Plattformen darauf zurückgreifen können.
7. Kreislaufwirtschaft
Abhängigkeiten bei Rohstoffen reduzieren
Sie stecken im E-Auto auf der Straße oder im Solarpanel auf dem Dach: Für eine klimaneutrale
Wirtschaft, die nötigen Technologien und Produkte brauchen wir Rohstoffe. Laut
Internationaler Energieagentur (IEA) wird sich der Bedarf an metallischen Rohstoffen allein
für grüne Energietechnologien bis zum Jahr 2040 vervierfachen, um die Ziele des Pariser
Klimaabkommens zu erfüllen. Ein großer Teil dieser Rohstoffe wird derzeit in Ländern des
Globalen Südens abgebaut – und in der Volksrepublik China in Schmelzen und Raffinerien
weiterverarbeitet. Deutsche und europäische Unternehmen sind bei einer Reihe von Metallen zu
75 bis 100 Prozent auf Importe angewiesen. Da mit China derzeit ein einziges Land die
zentrale Stellung in der Rohstofflieferkette einnimmt, muss Europa seine Rohstoffquellen
diversifizieren, um die eigene Unabhängigkeit zu sichern. Wir setzen uns deshalb für die
Gründung einer europäischen Rohstoffagentur sowie für regelmäßige und verpflichtende
Stresstests für betroffene Unternehmen ein, um die Rohstoffsicherheit der europäischen
Wirtschaft zu gewährleisten.
Mit dem EU Critical Raw Materials Act (CRMA) haben wir einen großen Schritt für mehr
Rohstoffsicherheit gemacht. Das Ziel des CRMA ist, dass nicht mehr als 65 Prozent der
Importe kritischer Rohstoffe aus einem einzigen Drittstaat kommen dürfen. Unser Ansatz der
Diversifizierung basiert auf verschiedenen Säulen: die Reduktion des Rohstoffverbrauchs und
die Umsetzung einer effektiven Kreislaufwirtschaft, die Substitution besonders knapper
Rohstoffe, die Verwendung und Weiterverarbeitung heimischer Rohstoffe in der EU sowie die
Umsetzung einer nachhaltigen Rohstoffaußenpolitik, die auf die Ausweitung der
partnerschaftlichen Kooperationen mit Ländern weltweit setzt und dabei ambitionierte
Nachhaltigkeitsziele verfolgt.
Zirkulär wirtschaften
Der kluge Umgang mit Ressourcen ist eine der zentralen Voraussetzungen für eine
wettbewerbsfähige Wirtschaft. Kreislaufwirtschaft ist im Mainstream angekommen und wir
machen sie zum europäischen Erfolgsmodell. Der größte Beitrag zur Rohstoffsicherheit ist das
Einsparen von knappen Rohstoffen und ihre wiederholte Nutzung. Die Kreislaufwirtschaft
verfolgt das Ziel, dass Materialien und Produkte so lange wie möglich geteilt, geleast,
wiederverwendet, repariert, aufgearbeitet und recycelt und Abfälle auf ein Minimum reduziert
werden. Das beginnt schon beim Entwerfen von neuen Produkten. Deshalb wollen wir eine
ressourcenschonende, langlebige und umweltfreundliche Gestaltung im Sinne eines „Designs for
Recycling“ unterstützen. Es ist gut, dass die Ökodesign-Richtlinie nun auch in diesem Sinne
weiterentwickelt wird. Verbrauchsgüter sollen strengere Mindestkriterien erfüllen, um Klima
und Ressourcen zu schonen. Produzenten müssen den gesamten Lebenszyklus ihrer Produkte in
den Blick nehmen, damit neben der Produktion auch die Verwendung und die Verwertung
möglichst nachhaltig sind. Wir setzen auch auf die nachhaltige Nutzung des bestehenden
Gebäudebestands und den Einsatz modularer Bauweisen.
Viel zu oft landet zum Beispiel die Waschmaschine auf dem Müll, weil es einfacher und
günstiger ist, sie neu zu kaufen, als sie reparieren zu lassen. So werden Ressourcen unnötig
verbraucht und in der EU jährlich 35 Millionen Tonnen Abfall aus noch gebrauchsfähigen Waren
verursacht. Für eine Gesellschaft ohne Müll wollen wir das Recht auf Reparatur, eine Pflicht
zur Bereitstellung von Ersatzteilen und die Zerstörung von Neuwaren minimieren. Auch das
Zerstören zurückgeschickter Waren aus dem Onlinehandel soll so bald ein Ende haben.
Noch immer verlieren wir wertvolle Rohstoffe zur Produktion von Waren aufgrund lückenhafter
Regeln. Illegalen Abfallexporten wollen wir durch eine konsequente Umsetzung der neuen
Abfallverbringungsverordnung den Riegel vorschieben. Wir setzen uns dafür ein, dass
Plastikmüllexporte in Drittstaaten gänzlich beendet werden.
Für die Erhöhung der Versorgungssicherheit in der EU brauchen wir einen europäischen Ansatz,
damit wir die Rohstoffquellen und -verarbeitungskapazität auf unserem Kontinent effektiv
nutzen können. Dazu gehört auch der heimische Bergbau von knappen Rohstoffen und die
Stärkung der Weiterverarbeitungskapazitäten in der EU. Wir werden uns dafür einsetzen, dass
die EU dies unter Einhaltung von hohen Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsstandards
ambitioniert voranbringt.
Doch Rohstoffquellen gibt es nicht nur unter der Erde: In unseren Häusern, Infrastrukturen,
aber auch in unseren Deponien und Halden liegen Rohstoffquellen, die wir bislang nicht
ausreichend erschlossen haben. Deshalb wollen wir eine konsequente Wiederverwendung und
Weiternutzung von Rohstoffen durch eine zirkuläre Wirtschaft fördern, die die Chancen der
Digitalisierung nutzt, sowie das sogenannte Urban Mining vorantreiben. Dadurch schaffen wir
neue Geschäftsmodelle und verringern gleichzeitig den Bedarf an knappen Primärrohstoffen.
Mehrweg- und Pfandsysteme möchten wir europaweit vereinheitlichen und ausweiten. Wir wollen
die Sammelquoten von Batterien erhöhen und insbesondere ein Rückgabesystem für Lithium-
Ionen-Batterien einführen. Die Verwendung von kritischen Rohstoffen wie Lithium sollte durch
weniger kritische Mineralien ersetzt werden, etwa durch den verstärkten Einsatz von Natrium-
Ionen-Batterien. Hierfür wollen wir weitere Forschungsgelder bereitstellen.
Rohstoffpartnerschaften schließen
Um unsere Rohstofflieferquellen außerhalb der EU vielfältiger zu gestalten, setzen wir uns
für eine nachhaltige Rohstoffaußenpolitik ein. Sie zielt darauf ab, neue und strategische
Partnerschaften im Rohstoffsektor aufzubauen und bestehende Partnerschaften zu vertiefen.
Wir unterstützen internationale Kooperationsformate wie die Minerals Security Partnership
(MSP) und eine verstärkte Zusammenarbeit der G7 im Rahmen des Clubs für kritische Rohstoffe.
Darüber hinaus wollen wir partnerschaftliche Kooperationen mit rohstoffreichen Ländern
weltweit vertiefen und diese bei der Um- und Durchsetzung ihrer Nachhaltigkeits- und
Menschenrechtsstandards unterstützen. Wir wollen Kooperationsangebote nicht nur einseitig im
europäischen Versorgungsinteresse ausrichten, sondern Partnerländern dabei zur Seite stehen,
ihre Wertschöpfung im Rohstoffsektor zu erhöhen und sie so besser in Lieferketten zu
integrieren. Wir wollen Länder bei dieser Aufgabe über den Global Gateway und andere
Finanzierungsinitiativen unterstützen und in diesem Kontext auch den Ausbau von Transport-
und Energieinfrastruktur fördern.
8. Moderne Mobilität
Europas Verkehrswende voranbringen
Jeder Mensch sollte die Möglichkeit haben, in Europa sicher und bezahlbar mobil zu sein.
Damit das auch morgen noch so ist, gestalten wir ein Verkehrssystem, das klimaneutral
funktioniert. Dazu gehört, dass Menschen sich auch ohne eigenen Personenkraftwagen (Pkw)
komfortabel bewegen können. Wir brauchen gut ausgebaute Schienenwege und attraktive Züge,
ein engmaschiges Netz an Radwegen und Radrouten, den Ausbau der E-Ladeinfrastruktur, ein
sicheres Straßennetz, klimaneutralen Flug- und Schiffsverkehr und attraktive Angebote, um
verschiedene Verkehrsträger zu kombinieren.
Eine solche Verkehrswende ist ein zentraler Baustein für ein gutes und selbstbestimmtes
Leben im Einklang mit dem Klimaschutz – in der Stadt und auf dem Land. Wir setzen uns
deshalb dafür ein, dass das europäische Bahnnetz weiter ausgebaut wird. Insbesondere die
Wiederherstellung von Lückenschlüssen zwischen den Ländern, europäischer Güterverkehr und
gute Nachtzüge haben für uns Priorität.
Nachtzüge sind eine komfortable und klimafreundliche Möglichkeit, lange Strecken innerhalb
Europas zurückzulegen, und damit eine gute Alternative zum Fliegen. Ein massiver Ausbau des
Nachtzugverkehrs ist daher geboten. Wir setzen uns deshalb für reduzierte Trassenpreise,
eine bessere Förderung für grenzüberschreitende Züge, für den zügigen Ausbau der
Eisenbahninfrastruktur und insbesondere eine industriepolitische Offensive für moderne
Schlafwagen ein.
Die Stärkung von Bahn- und Fahrradwirtschaft bietet nicht zuletzt große
Beschäftigungspotenziale in der Entwicklung, Produktion und Instandhaltung. Insbesondere das
industriepolitische Potenzial der Fahrradwirtschaft für lokale, ressourceneffiziente
Produktion ist bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Deshalb setzen wir uns für eine
europäische Fahrradstrategie ein, die auch den Bau sicherer Fahrradwege und die Förderung
der privaten und gewerblichen Nutzung von Cargobikes umfasst.
Tickets einfach buchen
Was beim Buchen von Flügen selbstverständlich ist, soll künftig auch für alle Zugreisen in
Europa Standard sein. Mit einem anbieterübergreifenden Ticketing-System können wir
Buchungsplattformen in die Lage versetzen, durchgehende Fahrkarten einschließlich Sharing-
Angeboten für alle anzubieten. Dabei werden jeweils die günstigsten Fahrkarten auf einfache
Weise zugänglich gemacht. Reisende werden anschauliche und transparente Informationen zu den
Kosten, Fahrzeiten sowie zur Klimawirkung der jeweiligen Reiseoption bekommen und die für
sie beste Option wählen können. Damit Europa auf der Schiene zusammenrückt, müssen Buchungen
einfacher erfolgen.
Dies sollte auch für den Offlineverkauf von Fahrscheinen gelten. Interrailtickets sollten
leichter reserviert werden können. Wir wollen zum unbeschwerten Reisen einladen und deshalb
die Fahrgastrechte stärken. Zum Beispiel sollen Reisende bei Zugausfall jeden beliebigen
nächsten Zug oder Bus nutzen können, auch wenn dieser von einem anderen Unternehmen
betrieben wird.
Auch im europaweiten öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) soll eine konsequente Umsetzung
des Open-Data-Prinzips dafür sorgen, dass Mobilitätsangebote für alle leicht und günstig
nutzbar sind. Insbesondere Sharing-Modelle und die Kombination verschiedener Verkehrsmittel,
zum Beispiel E-Bike und Bahn oder Park and Ride, sollen davon profitieren. Um
klimafreundliche Mobilität zu fördern, wollen wir Fahrgästen in neuen Zügen die
Fahrradmitnahme ermöglichen.
Daneben wollen wir in Europa für das Flatrate-Prinzip im ÖPNV werben, das wir mit dem
Deutschland-Ticket erfolgreich im eigenen Land etabliert haben. Das Deutschland-Ticket soll
auch in der ersten Station im Nachbarland gelten, um den grenzübergreifenden Austausch zu
stärken.
Antriebswende umsetzen
Damit auch morgen noch alle mobil sein können, wollen wir die Antriebswende zur
Klimaneutralität beschleunigen. Dabei muss das Prinzip gelten, so viele Verkehrsmittel wie
möglich elektrisch mit erneuerbaren Energien zu betreiben. Grüner Wasserstoff und die darauf
basierenden E-Fuels sollten bevorzugt dort eingesetzt werden, wo Verkehrsmittel nicht
preiswerter elektrisch betrieben werden können.
Die Automobilindustrie ist ein zentraler Industriezweig in Deutschland und bietet viele
Arbeitsplätze. Wir wollen sie auch deshalb auf dem Weg der Antriebswende unterstützen. Die
EU hat in einer historischen Entscheidung beschlossen, dass ab 2035 keine fossilen
Verbrennungsmotoren in Pkw mehr neu zugelassen werden dürfen. Nun braucht es eine
flächendeckende, intelligent vernetzte und effiziente Ladeinfrastruktur für alle
Verkehrsmittel. Es muss ohne Probleme möglich sein, mit einem E-Auto von Stockholm nach
Syrakus zu fahren. Um den Übergang zur E-Mobilität möglichst attraktiv zu gestalten, wollen
wir aktuelle Mängel im Verbraucherschutz, zum Beispiel teure Roaming-Gebühren beim Laden
eines E-Autos, abschaffen.
Neueste Entwicklungen deuten darauf hin, dass auch der schwere Güterverkehr auf der Straße
in Zukunft zum größten Teil batterieelektrisch abgewickelt werden kann. Dazu braucht es den
schnellen Ausbau der Ladeinfrastruktur für Lastkraftwagen (Lkw) entlang der europäischen
Fernstraßen und in den Güterverteilzentren.
Neue Pkw und andere Verkehrsmittel sollen schon in der Herstellung und Entwicklung durch
Effizienzstandards stärker an Energie- und Ressourceneffizienz orientiert werden. So wollen
wir größere Anreize für Hersteller schaffen, um leichte und effiziente Lösungen anzubieten.
Um den schweren Luft- und Schiffsverkehr klimaneutral zu gestalten, unterstützen wir die
Produktion nachhaltiger Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien, zum Beispiel E-Kerosin. Für
Häfen unterstützen wir den schnellen Aufbau einer klimaneutralen Versorgung. So werden
fossile und biogene Brennstoffe im Verkehr in einer Generation der Vergangenheit angehören.
Für den Flugverkehr unterstützen wir die Forschung und Entwicklung von klimaneutralen
Technologien.
Verkehr sicher machen
Wir verfolgen die Vision Zero für den Straßenverkehr. Diese zielt darauf ab, dass es keine
Verkehrsunfälle mit schweren Verletzungen mehr gibt. Wir setzen uns deshalb für sichere
Schulwege, Tempo 30 und Verkehrssicherheitszonen in dicht bevölkerten Innenstädten sowie für
ein EU-weites Tempolimit auf Autobahnen ein.
Lärm wird als Gesundheitsfaktor noch immer unterschätzt. Wir setzen uns für ambitioniertere
Reduktionsziele im Verkehr ein. Flugzeuge, Bahnen, Autos und Motorräder wollen wir stärker
für die Gesundheit der Menschen in die Verantwortung nehmen. Dazu wollen wir die EU-
Umgebungslärmrichtlinie sowie quellenbezogene Lärmrichtlinien (beispielsweise Grenzwerte für
die Geräuschemission von Fahrzeugen) weiterentwickeln und an den Stand der Technik anpassen.
Mehrfachbelastungen wollen wir stärker berücksichtigen. So kann die Gesundheitsbelastung der
Menschen durch Verkehr um bis zu 50 Prozent gesenkt werden. Auch Stickoxide, (Ultra-
)Feinstaub, Reifen- und Bremsabrieb müssen für den Schutz der Gesundheit minimiert werden.
Die Luftreinhaltungsrichtlinie und die Euro-7-Abgasnorm sind hierfür wichtige Schritte.
9. Gesunde Natur
Unsere Natur bewahren
Wir sind Teil der Natur. Unser Wohlstand, unsere Lebensqualität, unsere Zukunft hängen von
ihr ab. Die Natur zu schützen und dafür Sorge zu tragen, dass wir sie auch in Zukunft noch
verantwortungs- und respektvoll nutzen können, ist eine entscheidende Aufgabe der Politik.
Das gilt nicht zuletzt, weil der Reichtum der europäischen Lebensräume – von den unberührten
Wäldern Nord- und Osteuropas über die vielfältigen Kulturlandschaften Mitteleuropas bis hin
zum Mittelmeer – unser Selbstverständnis als Europäer*innen prägt und weltweit für unseren
Kontinent steht.
Wir haben hier auch dank unserer Anstrengungen in Deutschland und Europa in den vergangenen
Monaten große Durchbrüche erzielt:
Das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law, NRL) sowie die
Vereinbarungen der Weltnaturkonferenz in Montreal 2022 und das Abkommen der UN zum Schutz
der Biodiversität auf Hoher See sind historische Meilensteine. 30 Prozent der Land- und
Meeresflächen sollen dank dieser Abkommen unter Naturschutz stehen, 10 Prozent der Flächen
sogar unter besonderem Schutz. Bedrohte Arten und Lebensräume sollen endlich besser
geschützt und geschädigte Ökosysteme wiederhergestellt werden. Zudem wurden erstmals
verbindliche Regeln für den Schutz der Hohen See vereinbart. Insgesamt dürfen damit
Meeresressourcen nur noch nachhaltig genutzt werden. Mit dem NRL haben wir im Europäischen
Parlament unseren Kontinent auf den Kurs für die dringend notwendige Wiederherstellung der
europäischen Natur gesetzt. Diese Pläne müssen wir jetzt verwirklichen: Eine verbesserte
Naturschutzfinanzierung ist zum Erreichen der globalen und europäischen Ziele unabdingbar.
Deshalb fordern wir einen eigenen Naturschutzfonds ein. Mit dem NRL sollen bis 2050 alle
Ökosysteme auf den Weg der Erholung geführt werden. Wir setzen uns dafür ein, dass die
entsprechenden Konzepte bis 2035 vorliegen müssen.
Artenvielfalt retten
Die Klimakrise geht einher mit einer Biodiversitätskrise extremen Ausmaßes. Beide bedingen
einander: Die Natur ist unsere wichtigste Verbündete im Kampf gegen die Klimakrise.
Naturschutz und Klimaschutz müssen gemeinsam gedacht werden.
Wir möchten daher besonders den natürlichen Klimaschutz fördern. Schlüsselelemente sind hier
die Wiedervernässung von Mooren und Auen, ein naturnaher Waldumbau und effektiver
Meeresschutz.
Wir setzen uns dafür ein, dass es keinen Tiefseebergbau geben wird, bis ausreichend
wissenschaftliche Erkenntnisse über dessen Auswirkungen vorliegen und ernsthafte
Umweltschäden ausgeschlossen werden können. Denn neben Mooren und Wäldern gehören die Ozeane
zu den wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen die Klima- und Biodiversitätskrisen.
Intakte Ökosysteme gibt es nur mit einer lebendigen Artenvielfalt. Von den 8 Millionen Tier-
und Pflanzenarten auf unserer Erde sind 1 Million vom Aussterben bedroht – und damit ein
unendlicher Reichtum. Dieses Massensterben muss dringend gestoppt werden. Ein wichtiger
Hebel dafür ist die Art und Weise, wie wir Flächen bewirtschaften. Den Artenschwund in und
um Agrarflächen und Wälder wollen wir stoppen, indem wir die Flächenversiegelung aufhalten
und den Naturschutz in der Bewirtschaftung von Flächen stärken. Der Erhalt von Ökosystemen
muss deshalb immer mitgedacht werden. Wir setzen uns insbesondere für den Insekten-, Vogel-
und Bodenschutz ein.In der Bewirtschaftung wollen wir die ökologische Landwirtschaft und
naturnahe Waldbewirtschaftung fördern. Wir brauchen Misch- statt Monokulturen in Land- und
Forstwirtschaft, weniger Pestizideinsatz sowie eine Abkehr von degradierenden Praktiken wie
Kahlschlägen. Wir machen uns gegen illegale Rodungen stark und fordern klare, einheitliche
Definitionen für die europäische Forstwirtschaft. Dafür braucht es ein einheitliches
Monitoring und europaweite ökologische Mindeststandards im Wald. Im Hinblick auf die
zunehmende Trockenheit brauchen wir außerdem eine europäische Waldbrandstrategie, die durch
naturnahe Wälder, die Vermeidung von Kahlschlägen und ökologische Schutzkorridore die
Brandgefahr eindämmt.
Zur Erhaltung der Artenvielfalt wollen wir die natürlichen Lebensräume wieder miteinander
vernetzen, sodass Wanderungen und ein genetischer Austausch möglich und dadurch stabile
Populationen gesichert sind. Das ist eine grüne Infrastruktur für Europas Natur. Zentral
dafür ist das Natura-2000-Netzwerk. Die genetische Vielfalt fördert die Resilienz unserer
Ökosysteme und schafft somit auch einen gesellschaftlichen Mehrwert. Die Korridore sollen in
engem Austausch mit den Kommunen, Landwirt*innen und Förster*innen entstehen. Darüber hinaus
wollen wir sicherstellen, dass Ökosysteme nicht zusätzlich zerschnitten werden, ohne einen
genetischen Austausch zu gewährleisten. Wir engagieren uns für die Bereitstellung
finanzieller Anreize für Landwirt*innen und Landbesitzer*innen, um nachhaltige Praktiken
einzuführen, die den Schutz der Natur und der Artenvielfalt fördern.
In diesem Rahmen wollen wir klimaresiliente Ökosysteme wiederherstellen und
Ausweichschutzgebiete für kälteliebende Arten sowie Hilfsprogramme für besonders betroffene
Arten schaffen.
Umwelt schützen
Die zunehmende Verschmutzung und Vermüllung ist neben der Klima- und Biodiversitätskrise die
dritte große Herausforderung für den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Sie
belastet Mensch und Ökosysteme. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Auswirkungen der
Nutzung umwelt- und gesundheitsschädlicher Chemikalien. Besonders vordringlich ist es,
Stoffe in den Blick zu nehmen, die Mensch und Ökosysteme dauerhaft schädigen. Dazu zählen
sogenannte Ewigkeitschemikalien wie per- und polyfluorierte Chemikalien (PFAS). Diese werden
seit Jahrzehnten zum Beispiel in der Herstellung von Halbleitern, Medizinprodukten,
Textilien oder Kältemitteln vielfältig verwendet. Überall dort, wo sie gut ersetzt werden
können und insbesondere in verbrauchernahen Produkten, wollen wir aus ihrer Verwendung rasch
aussteigen. Gleichzeitig brauchen wir einen differenzierten Regulierungsrahmen, um die
Entwicklung von Alternativen zu verstärken und den Produktionshochlauf wichtiger
Zukunftstechnologien wie Elektrolyseuren oder elektrischer Antriebe nicht zu gefährden.
Wir setzen uns zudem für eine Chemikalienstrategie ein, die Nachhaltigkeitsanforderungen
wirklich umsetzt, vor allem bei Spielzeug-, Lebensmittelkontaktmaterialien und Kosmetik. Wir
wollen deshalb bei der Reform des europäischen Instruments für die Sicherheit von
Chemikalien (REACH-Regelung) schneller vorankommen. Wir setzen uns für die Verwendung eines
umfassenderen Ansatzes zur Risikobewertung ein, der verschiedene Dimensionen der Wirkung von
Chemikalien, schnellere Verfahren und bessere Sanktionsmöglichkeiten berücksichtigt.
Vor allem aber wollen wir unsere Chemie nachhaltig und damit zukunftstauglich aufstellen.
Deshalb setzen wir uns für ein neues Investitionsprogramm für sichere und nachhaltige
Chemikalien „made in EU“ (EU Sustainable Chemistry Act) zur Förderung des Markthochlaufs von
Green Chemistry ein. Dies ist ein Teil unseres Programms für eine klimagerechte
Industriepolitik.
Sauberes Wasser für alle
Besonders extreme Dürren und Starkregenereignisse nehmen in Europa deutlich zu. Das ist eine
große Herausforderung, um in ganz Europa die Versorgung mit sauberem Wasser sicherzustellen,
und ein Stressfaktor für unsere Natur. Bilanziell hat etwa Deutschland in den vergangenen 20
Jahren 20 Prozent seiner Wasservorräte verloren. Wir brauchen deshalb eine europäische
Wasserstrategie, die Extreme abpuffert, sauberes Trinkwasser für alle sichert sowie den
Bedarf in der Landwirtschaft und in den natürlichen Lebensräumen deckt. Neben dem Gesetz zur
Wiederherstellung der Natur müssen auch die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie
schnellstmöglich umgesetzt werden, um die Übernutzung von Grundwasser und die dadurch
drohende Schädigung von Feuchtgebieten und Flüssen zu verhindern.
Wir setzen uns ein für den Umbau hin zu einer klimaresilienten Wasserinfrastruktur und einem
naturverträglichen Hochwasserschutz. Das Risiko von Überflutungen durch Starkregenereignisse
reduzieren wir durch mehr Regenwasserbecken, Grünflächen, Bäume und Fassadenbegrünung.
Dieser Umbau zur Schwammstadt bietet gleichzeitig Kühlung und verbessert die Luftqualität.
Wir brauchen klare europaweite Grenzwerte, um bei länderübergreifenden Wasserkrisen, wie an
der Oder, konsequent handeln zu können. Wir verschreiben uns dem Ziel, 25.000 Kilometer in
der EU in frei fließende Flüsse zu renaturieren – wie in der EU-Biodiversitätsstrategie
vorgesehen. Und wir setzen uns für einen Vorrang für Trinkwasser gegenüber gewerblicher oder
landwirtschaftlicher Nutzung ein.
Dazu ist es auch notwendig, die sparsame Nutzung und die Speicherung von Wasser in der
Landschaft stärker in den Mittelpunkt zu stellen, ob im Gemüsebau durch
Tröpfchenbewässerung, im Wald durch naturnahen Mischwald oder in Gewerbe und Industrie durch
sparsame Prozesse und Wiederaufbereitung. Hier setzen wir verstärkt auf Kooperation
innerhalb Europas und mit den Mittelmeeranrainern. Denn die Erfahrungen in den semiariden
Gebieten des Südens werden in den anderen Teilen Europas dringend gebraucht.
Tiere schützen
Wir haben eine besondere Verantwortung für Tiere in menschlicher Obhut. Wir wollen, dass
Europa alle Tiere durch konsequente und ambitionierte Gesetzgebung sowie die Durchsetzung
bestehender Regelungen schützt. Denn Europäer*innen wollen Tierschutz: Sechs der zehn
erfolgreichen europäischen Bürgerinitiativen setzen sich dafür ein.
Wir fordern die Umsetzung der Initiative „Fur Free Europe“, um die Pelztierzucht und den
Handel mit Zuchtpelzprodukten auf dem europäischen Markt zu verbieten.
Wir setzen uns darauf aufbauend für eine konsequente Umsetzung des EU-Aktionsplans zur
Bekämpfung des illegalen Artenhandels ein. Den Import von Wildfängen für die Privathaltung
wollen wir beenden sowie den Import und Handel von Arten unter Strafe stellen, die in ihrem
Herkunftsland national geschützt sind. Wir sind für ein Einfuhrverbot von Jagdtrophäen von
Tierarten, die durch das Washingtoner Artenschutzübereinkommen und die EU-
Artenschutzverordnung geschützt sind, wie bereits vom EU-Parlament gefordert. In
Handelsabkommen setzen wir uns für hohe Tierschutzstandards ein.
EU und Mitgliedsländer sollen konkrete Ausstiegspläne aus Tierversuchen erstellen, die
Experimente an Tieren für Chemikalienprüfungen und Medizinprodukte wo immer möglich beenden,
für Arzneimittelentwicklung und Grundlagenforschung reduzieren und auch die Förderung
tierversuchsfreier Bildungs- und Ausbildungsinitiativen umfassen. Die Entwicklung und
Anerkennung von Ersatzmethoden wollen wir verstärken und beschleunigen. Geprüfte tierfreie
Methoden sollen unverzüglich in Testrichtlinien aufgenommen werden und an die Stelle von
Tierversuchen treten.
10. Eine starke Landwirtschaft
Gemeinsame Agrarpolitik weiter entwickeln
Landwirt*innen versorgen uns nicht nur mit dem, was wir zum Überleben brauchen. Sie sorgen
auch für eine Vielfalt an Lebensmitteln in Europa, die ihresgleichen sucht. Gleichzeitig
erhalten und pflegen sie so unsere Kulturlandschaften, die Felder, Wiesen und Weinberge, die
Europa auszeichnen. Wir wollen diese Landwirtschaft stärken – im Einklang mit der Natur und
im Dienste aller Menschen, der Produzent*innen wie der Verbraucher*innen.
Wir wollen dazu die europäische Agrarpolitik so umbauen, dass diejenigen, die die Flächen
bewirtschaften, unbürokratisch für den Erhalt der Natur und der Kulturlandschaft bezahlt
werden. Denn sie sind es, die diese gesellschaftliche Leistung erbringen, und nicht die
Eigentümer*innen der Flächen.
Statt pauschalen, flächenbezogenen Direktzahlungen in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP),
die Fehlanreize setzen und nicht zielgerichtet zu einer zukunftsfähigen landwirtschaftlichen
Struktur beitragen, wollen wir konsequent Leistungen für Klima, Umwelt, Biodiversität,
Gesundheit – und damit für das Gemeinwohl entlohnen. Leistungen sind so zu gestalten, dass
sie Planungssicherheit ermöglichen und direkt bei den Landwirt*innen ankommen, die vor Ort
verankert sind.
Die EU-Agrarpolitik können wir damit so gestalten, dass sie allen in der Landwirtschaft
tätigen Frauen und Männern eine Perspektive bietet, denn jeder Hof zählt. Indem wir
regionale Wertschöpfungsketten vom Bauernhof bis zum Teller und das Lebensmittelhandwerk
stärken, verbessern wir ihre wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Landwirt*innen müssen dabei gegenüber den Verarbeiter*innen und dem Einzelhandel in der
Wertschöpfungskette gestärkt werden. Insbesondere der Einzelhandel kann und muss einen
höheren Beitrag zur Stabilisierung der Erlöse für die Produzenten und der Preise für die
Verbraucher*innen leisten. Wir setzen uns deshalb für europaweite Regelungen ein, um
Preisdumping im Lebensmittelbereich zu beenden.
Gute Lebensmittel für alle
Ernährung ist ein zentraler Teil unserer Kultur und individuellen Identität. Sie ist
maßgeblich für unsere Gesundheit und unsere Lebensqualität. Wir wollen eine gute Ernährung
für alle ermöglichen. Das ist auch ein Beitrag zur Stärkung regionaler Wirtschaftsräume,
denn die Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln vor Ort schafft Wohlstand und
regionale Identität.
Jede und jeder soll frei entscheiden können, was auf den Teller kommt. Die EU kann die
Entscheidungsfreiheit von Verbraucher*innen schützen, indem sie für verlässliche
Informationen über Herkunft und Inhalt von Lebensmitteln sorgt. Wir unterstützen daher
europaweite Labels, um nachhaltigen, regionalen, saisonalen, vielfältigen und
tierschutzkonformen Konsum zu ermöglichen. Mit einem EU-weiten Rahmen für nachhaltige
Ernährungssysteme stellen wir die Zeichen auf Nachhaltigkeit. Wir wollen etwa durch
Änderungen des Vergaberechts Anreize setzen für eine bessere Ernährung in der
Gemeinschaftsverpflegung, von Kita bis Krankenhaus. Wir wollen ein Umfeld schaffen, in dem
es leicht ist, sich gesund und nachhaltig zu ernähren. Wir wollen, dass Nahrungsmittel frei
von chemischen Rückständen wie Pestiziden und hormonwirksamen Stoffen sind. So schaffen wir
eine nachhaltige und gesunde Ernährung für alle, besonders für Kinder.
Lebensmittel gehören auf den Teller und nicht in den Müll. Wir setzen uns deshalb für
rechtsverbindliche Maßnahmen ein, um die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren,
einschließlich der Neubewertung von Aussortierungsmerkmalen und Supermarktnormen sowie der
Einführung von Verzehr- statt Mindesthaltbarkeitsdaten, um verbindlichere Angaben für die
sichere Verzehrbarkeit von Lebensmitteln zu liefern.
Ökologische Landwirtschaft gestalten
Europas Landwirtschaft muss nachhaltiger wirtschaften, um die Ernährung der Zukunft zu
sichern. Agrarökologische Ansätze, die dieses Ziel verfolgen, können dabei der gesamten
Landwirtschaft helfen. Ökologische Landwirtschaft ist die Vorreiterin dafür: Unser Ziel ist
es, bis 2030 einen Anteil von 25 Prozent ökologischer Landwirtschaft zu erreichen und diesen
Anteil bis 2035 und darüber hinaus weiter zu erhöhen. Ökologisch wirtschaftende Betriebe
erzielen in Deutschland ein höheres Einkommen pro Person als konventionelle Betriebe. Das
zeigt, dass es sich schon jetzt finanziell lohnt, in eine regionale und nachhaltige
Wirtschaftsweise zu investieren. Wir wollen die Rahmenbedingungen dafür stärken.
Dazu gehört auch die Forschungs- und Förderpolitik der EU. Es braucht mindestens 30 Prozent
der Mittel für den Ökolandbau in der Züchtungsforschung sowie Unterstützung bei der
Entwicklung innovativer Konzepte für die Bio-Wertschöpfungskette. Außerdem sollen
Ökobetriebe nicht mehr doppelt nachweisen müssen, dass sie Vorschriften einhalten. Das EU-
Biosiegel wollen wir beim Tierschutz, insbesondere in der Eierproduktion, nachschärfen.
Für eine nachhaltige und transparente Landwirtschaft ist es unabdingbar, dass Betriebe, die
gentechnikfrei wirtschaften wollen, dies sicher tun können. Die EU soll garantieren, dass
alle wissen, was bei ihnen auf den Teller kommt und wo es hergestellt wurde. Transparenz und
Wahlfreiheit müssen besonders bei gentechnisch veränderten Futter- und Lebensmitteln
sichergestellt werden. Patente auf Pflanzen lehnen wir ab, egal ob diese ihren Ursprung in
konventioneller Züchtung oder in gentechnischen Verfahren haben. Damit sichern wir die
Zukunft besonders kleiner und mittelständischer Landwirtschafts- und Zuchtbetriebe.
Der übermäßige Einsatz von Pestiziden belastet unsere Natur auf vielfache Weise. Die bisher
verabschiedeten europäischen Pläne zur Schadstoffreduktion aber werden noch nicht konkret
umgesetzt. Das wollen wir ändern und dafür sorgen, dass die Ziele der EU auf
wissenschaftlicher Basis weiterentwickelt werden. Die Mitgliedstaaten wollen wir zu weiteren
wirksamen Maßnahmen verpflichten, etwa einer Pestizidabgabe.
Wir schließen Rechtslücken, die bisher zum Beispiel den Einsatz von
fruchtbarkeitsschädigenden Chemikalien in Dünger oder von Mikroplastik in Pestiziden
erlauben. Die Genehmigungsverfahren für Pestizide wollen wir reformieren, indem die
vorgelegten Studien nicht mehr von den Herstellern, sondern von den Bewertungsbehörden in
Auftrag gegeben werden. Die Hersteller dürfen sich nicht länger aussuchen können, in welchem
Mitgliedstaat die Behörden ihre Anträge prüfen. Um Zeit und Kapazitäten zu gewinnen,
beschleunigen wir die Genehmigungsverfahren von Stoffen, bei denen früh klar ist, dass sie
aufgrund von Ausschlusskriterien nicht genehmigungsfähig sind. Zudem setzen wir uns für die
konsequente Umsetzung des Verursacherprinzips ein, sodass Unternehmen, die Pestizide in den
Verkehr bringen, für entstandene Schäden im Grundwasser oder in der Biolandwirtschaft
haften.
Mit Nachhaltigkeit Ernährung sichern
Die Landwirtschaft leidet besonders unter der Klimakrise mit langen Dürren und plötzlichem
Starkregen. Wenn wir die Überdüngung beenden, den Einsatz von fossilen Düngern zurückfahren
und die Böden wieder zu Senken von CO2 machen, ist die Landwirtschaft ein zentraler Teil des
natürlichen Klimaschutzes. Deshalb setzen wir uns für die Wiedervernässung von Mooren, den
Aufbau von Holzmasse und die Weidewirtschaft ein – mit stabilen Einkommensperspektiven für
Landwirt*innen. So kann die Landwirtschaft ihren nötigen Beitrag zum Klimaschutz und zur
Klimaanpassung leisten.
Die Wiedervernässung der Moore geht nur mit den Landwirt*innen zusammen. Uns ist wichtig,
dass die Wertschöpfung in den Moorregionen erhalten bleibt. Deswegen unterstützen wir
Landwirt*innen bei der Bewirtschaftung von wiedervernässten Moorflächen und fördern den
Aufbau neuer Wertschöpfungsketten in ländlichen Räumen. Sowohl Moore als auch die
Weidewirtschaft auf mineralischen Böden sind ein echter Klimaschützer, da hier deutlich mehr
Kohlenstoff gespeichert wird als im Ackerboden. Außerdem stellt die Weidewirtschaft die
tierfreundlichste Haltung dar. Diese wollen wir stärker fördern.
Die europäischen Meere und ihre Fischbestände sind in einem schlechten Zustand. Wir werden
deshalb die Meeresumwelt besser schützen, um auch den Fischbeständen und unseren
Fischer*innen eine nachhaltige Perspektive zu geben. Deshalb unterstützen wir den
Aktionsplan der Kommission zur Erhaltung der Fischereiressourcen und zum Schutz der
Meeresökosysteme. Wir fördern Alternativen zur Stellnetz- und Schleppnetzfischerei und gehen
gegen besonders umweltschädliche Fangmethoden vor.
Tiere gut halten
Wir wollen die Tierhaltung so gestalten, dass sie wertvolle Lebensmittel liefern kann, Tiere
als Lebewesen in ihren Bedürfnissen respektiert und Teil einer nachhaltigen Bewirtschaftung
unserer vielfältigen Landschaften ist. Die industrielle Tierhaltung dagegen gefährdet
essenzielle Lebensgrundlagen und die Gesundheit der Menschen: zoonotische Erreger,
multiresistente Keime, Trinkwasserverschmutzung, Lebensraumzerstörung, Artenverlust,
Lebensmittelverschwendung in der Tiermast und hohe Klimagasemissionen – wenn wir Tieren
schaden, schaden wir uns letztlich selbst.
Deshalb wollen wir weniger Tiere besser halten und die Züchtung auf ihre Gesundheit
konzentrieren. Daher setzen wir uns für die Etablierung, Verbesserung und bessere Kontrolle
einheitlicher europaweiter Tierschutzstandards in Zucht, Haltung, Transport, Tötung und
Handel ein. Das umfasst das Ende von Käfig- und Kastenhaltung sowie von fehlenden
Brandschutzvorkehrungen. Im Mittelpunkt steht für uns die möglichst lokale Verarbeitung: Wir
brauchen eine deutliche Reduzierung von Lebendtiertransporten. Dabei möchten wir
Langstreckentransporte auf acht Stunden begrenzen und Tiertransporte in schwer
kontrollierbare Regionen unterbinden. Bei der Schlachtung fordern wir eine bessere
Kontrolle, ein Ende der CO2- und Wasserbadbetäubung, die Betäubungspflicht bei der Tötung
von Fischen, Krebsen, Hummern und Tintenfischen und ein Verbot der Tötung von Küken.
Die Gesundheit von Mensch und Tier ist durch den übermäßigen Antibiotikaeinsatz in der
landwirtschaftlichen Tierhaltung massiv bedroht. Derzeit werden mehr Antibiotika an gesunde
Tiere als an kranke Menschen verabreicht. Den Antibiotikaeinsatz wollen wir drastisch
reduzieren, um die Entstehung multiresistenter Keime zu vermeiden, die eine der größten
gesundheitlichen Bedrohungen auch für den Menschen darstellen. Dafür braucht es eine
Umstellung auf bessere Haltungsformen, eine Steigerung der Tiergesundheit, die Einschränkung
der Gruppenbehandlung und vorrangige Behandlung kranker Einzeltiere. Reserveantibiotika
sollen der Humanmedizin vorbehalten sein.
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bereithalten – besonders auch für ältere Arbeitnehmer*innen – und Fachkräfte von außerhalb gewinnen. Deswegen setzen wir uns für eine europäische, umlagefinanizerte Ausbildungsplatzgarantie ein: Unternehmen, die nicht ausbilden wollen, zahlen Abgaben, um Ausbildungsplätze in anderen Unternehmen zu ermöglichen. Gleichzeitig müssen wir Frauen die Möglichkeit geben, sich voll einzubringen. In vielen EU-Ländern arbeiten Millionen Frauen oft unfreiwillig in Teilzeit oder gar nicht. Wir
Vom kleinen Handwerksbetrieb über den regional verankerten Mittelständler bis hin zum
internationalen Großunternehmen: Europas vielgestaltige und innovative Wirtschaft ist global
wettbewerbsfähig – und Deutschland profitiert wie kein zweiter Mitgliedstaat von der
europäischen Integration und dem Binnenmarkt. Produkte und Dienstleistungen aus Thüringen
oder Hessen werden zwischen Andalusien und Lappland, zwischen Riga und Nikosia gehandelt,
als lägen diese Orte nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Wir sind auch deshalb die
viertstärkste Wirtschaftsnation der Welt, weil wir auf europäischer Ebene die Kräfte
bündeln.
Europa macht uns stark. Europa zu stärken, ist deshalb in unserem ureigenen Interesse. Vor
allem geht es nun darum, dort voranzugehen, wo die Stärke der nächsten Jahre und Jahrzehnte
entsteht. Dafür haben wir einen Plan: die klimaneutrale Modernisierung unserer Wirtschaft
und Infrastruktur. Sie ist für uns kein Selbstzweck, sondern der Schlüssel zu mehr
Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand, zu Lebensqualität, zu guten Arbeitsplätzen und fairen
Löhnen, zur Sicherung unserer Lebensgrundlagen – und damit zu einer stabilen Grundlage für
mehr soziale Sicherheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt in ganz Europa.
Wir setzen alles daran, dass Europa nicht an der Seitenlinie steht, während China oder die
USA massiv in die Entwicklung ihres Standortes und der Zukunftstechnologien investieren. Wir
nehmen die Herausforderung an: Wir wollen, dass sich Deutschland und Europa auf den Märkten
der Zukunft durchsetzen – bei erneuerbaren Energien und Wasserstoff, bei digitalen
Dienstleistungen und Künstlicher Intelligenz (KI), bei modernster Batterietechnik und grünem
Stahl. Das ist eine Frage der Unabhängigkeit. Wirtschaftspolitik ist heute auch
Sicherheitspolitik.
Europas Wohlstand und seine Lebensqualität sind unmittelbar mit seinen natürlichen
Grundlagen verbunden – mit fruchtbaren Böden und sauberen Meeren, mit Lebensräumen für eine
große Artenvielfalt, mit einer intakten Natur an den Küsten und in den Wäldern. In ihrem
Zusammenspiel gedeiht Landwirtschaft in unmittelbarer Nachbarschaft zu High-Tech-
Unternehmen, sind Handwerksbetriebe in lebenswerten ländlichen Räumen verankert, lässt sich
aus den Städten in wenigen Stunden in Wälder oder Berge reisen.
Wohlstand in Europa bedeutet fair bezahlte Jobs und gute öffentliche Dienstleistungen in
einem funktionierenden Wirtschaftsraum. Wohlstand bedeutet aber eben auch saubere Luft,
reines Wasser und bezahlbare, gute Lebensmittel.
Wir treten an, unseren Wohlstand zu erneuern, indem wir ihn auf ein klimaneutrales Fundament
stellen – eines, das über die nächsten Jahre und Jahrzehnte trägt. Wir haben den European
Green Deal auf die Agenda gesetzt, er ist die richtige Strategie. Jetzt sorgen wir dafür,
dass er in allen Bereichen seine Wirkung entfaltet: von der Energieerzeugung über Mobilität
und Landwirtschaft bis hin zur Industriepolitik. Denn Klimaschutz wird zunehmend zu einem
entscheidenden Wettbewerbs- und Standortfaktor. Wollen wir unseren Wohlstand bewahren und
neuen schaffen, müssen wir Europäer*innen nicht nur das Klima schützen, sondern auch diesen
Wettbewerb annehmen.
Voraussetzung hierfür ist eine aktive europäische Wirtschafts- und Industriepolitik, die
Innovation ermöglicht und nachhaltige Infrastruktur baut; die den Mut zu gezielten
strategischen Investitionen aufbringt; die uns unabhängig macht von den Autokratien dieser
Welt – und unser aller Leben damit krisenfest und bezahlbar. Wir wollen deshalb jetzt – von
der Sonnenenergie aus Andalusien bis hin zum Wind über der Nordsee – die erneuerbaren
Energien und die Stromnetze in ganz Europa ausbauen. Wenn wir aus der Europäischen Union
(EU) eine moderne Infrastrukturunion machen wollen, dann tun wir das, um die industrielle
Produktion, um Strom und Wärme, um günstige Energie für alle zu sichern.
Wenn wir in Forschung und Entwicklung investieren, dann tun wir das, damit sich die besten
Ideen weiterhin auf unserem Kontinent zu Hause fühlen. Wenn wir Bürokratie abbauen, dann tun
wir das, um die EU in den Dienst der Europäer*innen, nicht der Paragrafen und Behörden zu
stellen. Und wenn wir die Potenziale der Digitalisierung nutzen, dann tun wir das, um Daten
im Sinne der Menschen in Europa nutzbar zu machen, nicht umgekehrt.
Kein Land in Europa ist diesen Aufgaben allein gewachsen. Gemeinsam aber sind wir es.
Gemeinsam in der EU sind wir in der Lage, politische Antworten zu geben, die wirksam und
wirkmächtig genug sind, um es mit der globalen Erwärmung und systemischer Konkurrenz
gleichermaßen aufzunehmen.
Diesen Weg gehen wir. Wir wollen eine gerechte und handlungsfähige EU, die Sicherheit
schafft im Hier und Jetzt – und zugleich die Weichen stellt für den Wohlstand und
Zusammenhalt von morgen. Wir wollen eine EU, in der Wohlstand im Einklang mit der Natur und
dem Klima entsteht. Und wir wollen eine EU, in der nicht die soziale oder geografische
Herkunft, der Zugang zu Bildung oder das Geschlecht über die Chance auf ein gutes Leben
entscheiden, sondern in der alle Menschen am Wohlstand teilhaben können.
Für dieses Europa treten wir an. Dieses Europa wollen wir sein.
1. Ein klimaneutrales Europa
In Energiesicherheit investieren
Um die Klimaziele zu erreichen, braucht Europa eine echte Energieunion mit effizienter und
nachhaltiger Energieversorgung, die die Potenziale des gesamten Kontinents nutzt und
miteinander verbindet. Wir bauen erneuerbare Energien als Teil einer aktiven Wirtschafts-
und Industriepolitik europaweit massiv aus: Bis 2035 sollen sie den wesentlichen Beitrag
dazu leisten, die europäische Stromversorgung zu 100 Prozent klimaneutral sicherzustellen.
Denn nur die Erneuerbaren garantieren eine unabhängige Versorgung und auf Dauer günstigen
Strom, mit dem Europa langfristig wettbewerbsfähig wirtschaften kann. Wir wollen, dass
Deutschland auf diesem Weg mit gutem Beispiel vorangeht.
Deshalb brauchen wir in den nächsten Jahren überall in Europa die Elektrifizierung von
Verkehr, Industrie und Haushalten sowie massive Investitionen in den Ausbau von Wind und
Solar. In Zukunft wollen wir dabei noch stärker europäisch zusammenarbeiten. Gleichzeitig
müssen wir energieeffizienter werden und die entsprechenden Vorgaben weiter anpassen.
Um den Strom überall in Europa verlässlich dorthin zu transportieren, wo er gebraucht wird,
wollen wir im Rahmen der Infrastrukturunion das europäische Stromnetz stärken und dabei vor
allem die Verbindungen zwischen den Mitgliedstaaten massiv ausbauen. Ein stabiles
europäisches Stromnetz macht uns widerstandsfähiger und erhöht unsere Versorgungssicherheit.
Das hat die Energiekrise sehr deutlich gezeigt, als die Staaten Europas sich gegenseitig
beispringen konnten. Wir wollen es deshalb nun auch für 100 Prozent erneuerbare Energien fit
machen. So können wir die Synergien in der EU nutzen, in der immer irgendwo der Wind weht
oder die Sonne scheint. Wir etablieren eine EU-Netzplanung – insbesondere für
grenzüberschreitende Projekte und den Ausbau der Windenergie in den Meeren der EU. In
Zukunft müssen darüber hinausgehend die Stromnetze, Wasserstoffnetze, Gasnetze und
Wärmenetze zusammengedacht werden. Wir richten das Strommarktdesign, die Netzentgelte und
die Bedingungen von Stromspeichern systematisch auf die Integration erneuerbarer Energien
aus.
Generationen von Menschen in den Kohlerevieren haben einen wertvollen Beitrag zu
Energiesicherheit, zum Fortschritt und zu unserem Wirtschaftsstandort geleistet. An diesen
Einsatz und diese Expertise knüpfen wir in den europäischen Energieregionen an. Jedoch wird
Kohle zunehmend unrentabel, ist zudem die klima- und gesundheitsschädlichste Form der
Energieerzeugung und hat deshalb keine Zukunft. Wir werden die Voraussetzungen schaffen, um
in der EU die Kohleverstromung beenden zu können. Die Kohleregionen unterstützen wir dabei,
dass ihnen der Umstieg auf die neuen Energien bis zum Jahr 2030 gelingt. Gleichzeitig hat
uns insbesondere der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine gezeigt, wie abhängig wir
noch von Erdgas sind und welche Schwierigkeiten das mit sich bringt. In den kommenden Jahren
ist im Einklang mit unseren Klimazielen deshalb auch ein endgültiger Abschied vom fossilen
Erdgas nötig. Wir wollen es vollständig durch erneuerbare Energien kombiniert mit grünem
Wasserstoff ersetzen.
Atomkraft ist keine nachhaltige Form der Energieerzeugung und sie ist nicht geeignet, die
Klimakrise zu bekämpfen. Sie ist erheblich teurer als Erneuerbare, mit hohen Risiken
verbunden und gerade in Zeiten von Hitze und Dürre unzuverlässig. Der Bau neuer Kraftwerke
ist teuer und langwierig. Der Müll belastet noch unzählige nachfolgende Generationen. Wir
setzen in der EU nicht auf Atomkraft als taugliche Form der Energiegewinnung.
Uns begeistern zukünftige Chancen und Potenziale neuer Energietechnologien, weshalb wir
Forschung und Entwicklung neuer Ideen auch weiterhin vorantreiben wollen. Um in den nächsten
Dekaden einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der Klimakrise und zur Energiesicherheit
leisten zu können, kommt die Kernfusion jedoch zu spät.
Den Weg zum klimaneutralen Kontinent beschreiten
Echte Fortschritte sind gemacht: Bis heute hat Europa die Emissionen gegenüber 1990 um rund
ein Drittel gesenkt. Mit dem „Fit for 55“-Paket will die EU bis 2030 mindestens 55 Prozent
ihrer Emissionen im Vergleich zu 1990 einsparen. Durch den reformierten Emissionshandel wird
ein schnellerer europäischer Kohleausstieg rentabel. Wir haben die Ausbauziele für
erneuerbare Energien verdoppelt. Und für fossile Energie, Stahl oder Chemieprodukte, die
nach Europa importiert werden, muss bald an der Grenze ein Preis für ihren CO2-Fußabdruck
bezahlt werden. Die Autoindustrie stellt ihre Produktion auf Elektrofahrzeuge um. Gebäude in
der EU werden gedämmt und Anreize für klimafreundliches Heizen gesetzt. Damit hat Europa den
richtigen Weg eingeschlagen.
Die EU muss diesen Weg zum klimaneutralen Wohlstand entschieden weitergehen. Europa soll der
erste klimaneutrale Kontinent werden. Von diesem Ziel darf es kein Abrücken geben, und es
muss zuverlässig erreicht werden. Für 2035 und 2040 braucht es deswegen Zwischenziele, die
die EU sicher zu Klimaneutralität in Erfüllung des Pariser Klimaabkommens führen. Das
Zwischenziel für 2035 wollen wir, wie es alle Staaten im Rahmen des Pariser Klimaabkommens
international zugesagt haben, auch bei den Vereinten Nationen (UN) verbindlich hinterlegen.
Für die Umsetzung müssen unter anderem der Rahmen für Klimaschutzmaßnahmen und die
europäischen Emissionshandelssysteme angepasst werden.
Natürliche CO2-Senken und technologischen Fortschritt nutzen
Um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir schnell raus aus Kohle, Öl und Gas und rein in
erneuerbare Energien und Wasserstoff. In einigen wenigen Branchen wird es aber auch in
Zukunft Emissionen geben, die schwer oder nach heutigem Stand der Technologie gar nicht zu
vermeiden sind, etwa in der Zementindustrie. In diesen Bereichen wollen wir technologische
Chancen nutzen und das CO2 direkt bei der Produktion abscheiden, speichern und
gegebenenfalls nutzen (Carbon Capture Use and Storage, CCUS). Wo nötig, soll dies aktiv
gefördert werden. Wir wollen einen europaweit einheitlichen Regelungsrahmen dafür schaffen
und eine integrierte europäische Infrastruktur – inklusive gemeinsamer europäischer CO2-
Speicher – entwickeln.
In der Zukunft wird es laut Analysen des Weltklimarats zunehmend schwieriger, auf den 1,5-
Grad-Pfad zu kommen. Deshalb müssen wir die CO2-Konzentration in der Atmosphäre aktiv
senken, damit sich wieder ein stabiles und nachhaltiges Niveau einstellt. Dafür stärken und
entwickeln wir negative Emissionen – also natürliche und technische Prozesse, die der
Atmosphäre CO2 wieder entziehen. Intakte Ökosysteme sind unsere besten Verbündeten, denn vor
allem Wälder und Moorböden sind natürliche CO2-Speicher. Deswegen benötigen wir klare Regeln
für die Landwirtschaft, den Humusaufbau, die Wiedervernässung von Mooren und die Aufforstung
von Wäldern. Gleichzeitig wollen wir die Potenziale technischer Negativemissionen wie die
CO2-Entnahme aus der Luft oder Bioenergie mit CO2-Speicherung in der Anwendung prüfen und an
Pilotprojekten evaluieren. Die EU braucht – wie Deutschland – klare Ziele für das Erreichen
von Negativemissionen, ohne diese gegen die Reduktionsziele des Emissionshandels zu handeln.
Grünen Wasserstoff als Energieträger der Zukunft einsetzen
Wasserstoff aus erneuerbaren Energien, also grüner Wasserstoff, kann Energie speichern und
transportabel machen. Er ist ein unverzichtbarer Bestandteil unserer zukünftigen
Energieversorgung, denn er kann fossile Energieträger überall dort ersetzen, wo
Elektrifizierung keine Option ist. Wir wollen dafür sorgen, dass Europa bei der Anwendung
Vorreiterin wird. Um ihre Potenziale zu heben, entwickeln wir die Europäische
Wasserstoffstrategie weiter und unterstützen die Erforschung von umfassenden Ansätzen zur
Erzeugung und Anwendung. Beispielsweise können durch dezentrale Lösungen die
Netzausbaukosten minimiert und wo immer möglich die Abwärme in Wärmenetzen eingesetzt
werden. Mit Instrumenten wie Klimaschutzverträgen und einem umfassenden Investitionsprogramm
sorgen wir für einen schnellen Hochlauf der Produktion dieser Schlüsseltechnologie.
Wir wollen die Investitionen in den Aufbau eines neuen transeuropäischen
Wasserstoffkernnetzes erhöhen und die Umrüstung der bestehenden Gasinfrastruktur für den
Transport und die Speicherung fördern. Durch neue Pipelines wie H2Med können wir grünen
Wasserstoff beispielsweise aus den sonnenreichen Regionen Südeuropas in die Industriezentren
Deutschlands transportieren. Das ist ein Bestandteil einer leistungsfähigen
Infrastrukturunion.
Wir setzen uns zusätzlich für den Aufbau eines globalen Marktes für grünen Wasserstoff und
strategische Partnerschaften für dessen Handel zwischen der EU sowie wind- und sonnenreichen
Ländern weltweit ein. Dank einer Vielzahl potenzieller Partnerländer können wir auf diesem
Weg eine diversifizierte Energieversorgung sichern und einseitige Abhängigkeiten vermeiden.
Durch Partnerschaften und den Transfer von Know-how sorgen wir zudem dafür, dass die Länder
des Globalen Südens in die Wertschöpfungskette integriert werden und von der grünen
Energiezukunft profitieren.
Da die Produktionskapazitäten erst aufgebaut werden müssen, wird Wasserstoff vorerst ein
sehr knapper Rohstoff bleiben. Zur Senkung der CO2-Emissionen setzen wir daher vorrangig auf
die Elektrifizierung von Antrieben, Produktionsprozessen und Heizungen, da sich grüner Strom
so am effizientesten nutzen lässt. Wasserstoff wollen wir also priorisiert dort einsetzen,
wo eine Elektrifizierung nicht oder nur sehr schwer möglich ist. Dazu gehören etwa die
Produktion von Grundstoffen wie Stahl- oder Chemieerzeugnisse, der Schwerlasttransport sowie
der interkontinentale See- und Luftverkehr. Zudem werden wir grünen Wasserstoff bei geringer
Solar- und Windenergieerzeugung sowie besonders hoher Last zur Stromerzeugung einsetzen, um
die Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Energien jederzeit sicherzustellen.
Klimaneutralität sozial und bürgernah erreichen
Klimaneutralität sichert und mehrt Wohlstand, ist aber auch mit Veränderungen verbunden.
Dieser Prozess verlangt den Menschen viel ab. Nicht nur deshalb muss klimaneutral immer auch
sozial heißen. Mit dem Klimasozialfonds, der primär aus dem Emissionshandel gespeist wird,
geben wir den Mitgliedstaaten die Mittel an die Hand, das umzusetzen. Dabei werden
Leistungen für Menschen finanziert, die besonders von steigenden Energie- und
Transportkosten betroffen sind. Wir wollen deshalb, dass die Mitgliedstaaten – wie etwa
Österreich mit dem Klimabonus – ein Klimageld pro Kopf auszahlen.
Erneuerbare Energien sind Bürgerenergien. Sie ermöglichen es den Menschen und Kommunen, ihre
Energieversorgung selbst in die Hand zu nehmen. Das ist solidarisch und demokratisch, denn
damit bleiben die Erträge vor Ort. Wir haben es in der Bundesregierung erheblich
vereinfacht, selbst erneuerbare Energien zu nutzen. Das soll europaweit gelten: Der Einsatz
von Bürgerenergie soll noch finanziell attraktiver und einfacher werden. Wir wollen
europäisch besser verankern, dass Bürger*innen an der Energiewende teilhaben können – indem
sie Mitglied eines Bürgerwindparks werden, den Strom ihrer Photovoltaikanlage direkt an ihre
Nachbar*innen verkaufen oder die in ihren Autos und Pufferbatterien gespeicherte Energie
einfach zur Netzstabilisierung einsetzen.
Erneuerbare Energien garantieren den Menschen, dass sie ihre Wohnungen auch zukünftig
bezahlbar heizen können. Deshalb unterstützen wir die Weiterentwicklung der europäischen
Anforderungen an die Effizienz von Gebäuden und Heizungen, um Gebäude schnell und günstig
von der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu befreien. Wir setzen dabei vor allem auf
Beratung und finanzielle Anreize. Wir möchten, dass alle Mitgliedstaaten kommunale
Wärmepläne entwickeln, die aufzeigen, welche Potenziale es für Erneuerbare gibt und wie
Abwärme oder Kraft-Wärme-Kopplung genutzt werden kann.
Mit einem effizienten Strommarkt, geringen Infrastrukturkosten und intelligent aufeinander
abgestimmten Mechaniken von Stromverbrauch und -erzeugung bleibt der Vorteil der günstigen
Stromerzeugung bei den Verbraucher*innen. Durch die Umstellung der Förderung von
erneuerbaren Energien auf Differenzverträge sichern wir die Stromverbraucher*innen gegen
hohe Kosten ab.
2. Ein wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort
In Innovation und Resilienz investieren
Um die Infrastrukturunion zu verwirklichen, entscheiden wir uns für eine strategische
europäische Investitionspolitik. Das Wiederaufbauprogramm Next-Generation-EU (NGEU) hat uns
in der Pandemie vor einer schweren Krise bewahrt und stark dazu beigetragen, dass Europa
wirtschaftlich und politisch zusammengehalten hat. Mit dem Ende von NGEU im Jahr 2026 droht
diese wichtige Säule der Finanzierung europäischer Investitionen wegzubrechen. NGEU kann uns
als Vorbild für eine effektive gemeinsame europäische Finanzierung von großen
Investitionsvorhaben – wie dem Aufbau der Infrastrukturunion – dienen.
Wir wollen daher ab 2026 ein großes Investitionsprogramm für Innovation und Resilienz mit
drei klaren Zielen schaffen: Erstens wollen wir, dass Europa im Rahmen der
Infrastrukturunion durch starke gemeinsame Infrastrukturen weiter zusammenwächst – mit einem
voll ausgebauten und integrierten europäischen Schienen-, Strom- und Wasserstoffnetz.
Zweitens wollen wir überall in Europa den klimaneutralen Umbau der Industrie genauso wie den
Aufbau der Industrien von morgen fördern. Und drittens wollen wir unsere Wirtschaft und
unsere Gesellschaften widerstandsfähiger gegen und unabhängiger von Autokratien machen.
Industriepolitik aktiv gestalten
Europa ist ein starker Wirtschaftsstandort mit einer vielfältigen Landschaft aus kleinen,
mittleren und großen Unternehmen, die eine wesentliche Grundlage für unseren Wohlstand ist.
Wir werden dafür sorgen, dass das so bleibt. Dafür sind zwei Hebel für uns zentral:
Zum einen stärken wir den Binnenmarkt, also den gemeinsamen Regulierungsrahmen der EU für
Unternehmen. Dieser gemeinsame Rahmen, in dem kein Mitgliedstaat seinen eigenen Firmen
unfaire Vorteile verschaffen darf und dessen Regeln in vielen Bereichen den Goldstandard auf
der Welt setzen, leistet gerade für Deutschland als Exportland einen unschätzbaren Beitrag
zu unserem Wohlstand. Ihn werden wir weiter vertiefen und seine Grundlagen verteidigen.
Zum anderen müssen wir feststellen: Insbesondere China, aber auch die USA mit ihrem
Inflation Reduction Act investieren massiv in den Aufbau neuer Produktionsstandorte für
Zukunftstechnologien. Wir nehmen diesen Wettbewerb an: Für die EU gilt es, dem eine eigene
aktive Wirtschafts- und Industriepolitik entgegenzusetzen, die Europas Stärken stärkt. Sie
setzt bei der Forschung an und reicht bis zur Unterstützung bei Investitionen. Dazu gehört
einerseits eine Angebotspolitik, die Bürokratie abbaut und Anreize für private Investitionen
setzt, andererseits starke öffentliche Förderprogramme etwa für Zukunftstechnologien wie
Elektrolyseure, Windräder, E-Autos und Mikrochips. Denn wir wollen, dass Europa an der
Spitze der Märkte der Zukunft steht und dass die Produkte der Zukunft in Europa erdacht und
hergestellt werden. So sichern wir Jobs und Wohlstand in Europa. Gerade der Aufbau einer
europäischen Halbleiterindustrie ist elementar für die Erneuerung des Industriestandortes
Europa und dient unserer wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit und Unabhängigkeit.
Hier werden wir einen Neuanfang anschieben: In der EU hat sich ein Förderdschungel
entwickelt, der es Unternehmen sehr schwer macht, schnell und unbürokratisch an die
bereitstehenden Mittel zu kommen. Das ist ein entscheidender Wettbewerbsnachteil – etwa im
Vergleich zu den USA. Wir treten für eine kohärente und leicht verständliche
Industriepolitik ein, bei der auch Förderpolitik und Beihilferecht Hand in Hand gehen. Dafür
wollen wir relevante Teile der bisher nationalen Industriepolitiken auf die europäische
Ebene verlagern, die dafür finanziell sehr viel besser ausgestattet und in die Lage versetzt
wird, schnell und wirksam zu handeln.
Unsere Wirtschaft für den globalen Wettbewerb rüsten
Die europäische Industrie kann nur langfristig wettbewerbsfähig sein und Europa gleichzeitig
seine Klimaziele einhalten, wenn industrielle Produktionsprozesse komplett klimaneutral
werden. Dafür werden wir die industrielle Basis erneuern.
Immer mehr Unternehmen investieren massiv in eine Umstellung ihrer Produktion. Dafür muss
die Politik den Rahmen schaffen: einen klaren Reduktionspfad im europäischen
Emissionshandel. Wir füllen ihn durch einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und
der Infrastruktur für Strom und grünen Wasserstoff mit Leben, damit genug grüne Energie zu
wettbewerbsfähigen Preisen überall in Europa zur Verfügung steht.
Das wird allerdings nicht reichen: Wir wollen die Unternehmen mit einem europäischen
Programm zur Dekarbonisierung der Industrie unterstützen. Dazu wollen wir einen europaweiten
Einsatz von Klimaschutzverträgen (Carbon Contracts for Difference) aus dem EU-Haushalt
finanzieren und somit in einem Auktionsverfahren diejenigen Unternehmen finanziell fördern,
die möglichst kosteneffizient ihre Produktion klimaneutral umrüsten und dabei am meisten CO2
einsparen. Hier gilt das Effizienzprinzip: größere Fußabdrücke, die einfacher und günstiger
eingespart werden können, zuerst. Zusätzlich wollen wir europäische grüne Leitmärkte für
einige besonders energieintensive Produkte aus klimaneutraler Produktion wie etwa grünen
Stahl schaffen. Dafür wollen wir beispielsweise bei öffentlichen Aufträgen eine Mindestquote
von grünem Stahl vorschreiben, die stetig ansteigt. Somit wird ein neuer Absatzmarkt
geschaffen, der klimaneutrale Produktion über einen Marktmechanismus in Gang setzt.
Schließlich wollen wir auch für die Umstellung von Produktionsprozessen auf klimaneutrale
Verfahren die Planungs- und Genehmigungsverfahren erheblich beschleunigen, weil dies zu
schnellerer Emissionsminderung bei gleichzeitigem Erhalt von industrieller Substanz und
guten Arbeitsplätzen beiträgt.
Mit der zeitlich gestaffelten Einführung von Resilienz- und Nachhaltigkeitskriterien bei
öffentlichen Ausschreibungen und öffentlichen Förderprogrammen wollen wir gezielt die
Produktion dieser Produkte in Europa begünstigen.
Den Binnenmarkt stärken
Der EU-Binnenmarkt ist zentral für den Wohlstand der Bevölkerung der EU und hilft,
Wettbewerbsverzerrungen entgegenzuwirken. Er ist auch ein zentraler Hebel, die klimaneutrale
Modernisierung unserer Wirtschaft voranzubringen. Er ermöglicht es den europäischen
Unternehmen, Waren und Dienstleistungen überall in der EU anzubieten. Und Arbeitnehmer*innen
ermöglicht er, überall in der EU zu arbeiten. Deshalb wollen wir den Binnenmarkt stärken und
vertiefen: Wo es in Europa eine gemeinsame Regel gibt, müssen Unternehmen nicht mehr 27
verschiedene befolgen.
Wir gestalten die Regeln für den Binnenmarkt so, dass er dabei hilft, übergeordnete Ziele zu
erreichen: Demokratie, Wohlstand, soziale Gerechtigkeit, Umwelt- und Klimaschutz sowie die
Schaffung von fair bezahlten Arbeitsplätzen. Wir wollen den Binnenmarkt auch nutzen, um
widerstandsfähiger gegenüber Krisen und unabhängiger von Rohstoffimporten zu werden.
Um funktionierenden Wettbewerb zum Nutzen von Verbraucher*innen und kleinen Unternehmen
durchzusetzen, haben wir in Deutschland das Wettbewerbsrecht verschärft. Ein solches Update
braucht auch das EU-Wettbewerbsrecht. Dafür wollen wir das New Competition Tool
wiederbeleben, das die Kommission schon einmal vorgeschlagen hatte.
Eine starke Wettbewerbspolitik, die die Bildung von zu starker Marktmacht bekämpft und
Subventionswettläufe innerhalb der EU möglichst unterbindet, macht den Erfolg des
Binnenmarktes aus. Daran wollen wir auch in Zukunft festhalten. Allerdings steht Europa
heute im Ringen um die Märkte der Zukunft im globalen Wettbewerb mit anderen Staaten, die
sich nicht an diese Regeln halten. Gerade für die grünen Zukunftstechnologien muss die EU-
Kommission deshalb einen dauerhaften neuen Beihilferahmen schaffen, der den Mitgliedstaaten
eine aktivere, europäisch koordinierte Industriepolitik ermöglicht und dabei zugleich
Wettbewerbsverzerrungen verhindert. Dazu gehören schnellere Planungssicherheit bei
Beihilfeverfahren, Ausnahmen für die Unterstützung von neuen Produktionsanlagen in den
Zukunftstechnologien und bei der Umstellung von Produktionsprozessen auf Klimaneutralität.
Ein Ansatz dafür sind die strategischen Förderprojekte IPCEI, mit denen die EU die
Industriepolitik der Mitgliedstaaten in Schlüsselsektoren wie dem Aufbau der europäischen
Wasserstoffinfrastruktur und die Wertschöpfungsketten rund um Mikroelektronik ermöglicht und
koordinieren will. Für mehr Planungssicherheit für Unternehmen müssen die Beihilfeverfahren
gerade im Kontext der IPCEIs beschleunigt werden.
Fachkräfte ausbilden, gewinnen und halten
Wir wollen, dass der Wohlstand denjenigen zukommt, die ihn erarbeiten. Wir wollen mehr
Gerechtigkeit für die Mitte der Gesellschaft. Dazu sind gute Arbeitsbedingungen, sichere
Jobs und anständige Löhne das beste Mittel. So wachsen wir aus der Mitte heraus. Fachkräfte
sind das Rückgrat der europäischen Wirtschaft. Das gilt gleichermaßen für akademisch
ausgebildete Fachkräfte wie für solche mit handwerklicher oder industrienaher Ausbildung.
Davon hängt auch das Gelingen der Energiewende ab. Das heißt auch: Mit Investitionen in
Klimaschutz fördern wir gleichzeitig sichere und zukunftsfeste Arbeitsplätze.
Dafür müssen wir junge Menschen entsprechend ausbilden, Weiterbildungsangebote für alle
bereithalten – besonders auch für ältere Arbeitnehmer*innen – und Fachkräfte von außerhalb
gewinnen. Deswegen setzen wir uns für eine europäische, umlagefinanizerte Ausbildungsplatzgarantie ein: Unternehmen, die nicht ausbilden wollen, zahlen Abgaben, um Ausbildungsplätze in anderen Unternehmen zu ermöglichen. Gleichzeitig müssen wir Frauen die Möglichkeit geben, sich voll einzubringen. In
vielen EU-Ländern arbeiten Millionen Frauen oft unfreiwillig in Teilzeit oder gar nicht. Wir
brauchen auf EU-Ebene eine feministische Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die soziale
Infrastruktur für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mitdenkt.
Wir wollen es Frauen leichter machen, einen technischen – und damit häufig auch gut
bezahlten – Beruf zu wählen. Wir wollen einen Bonus einführen, den Unternehmen und Betriebe,
in denen bislang unterdurchschnittlich wenig Frauen beschäftigt sind, bei der EU-
Fördermittelvergabe erhalten können, wenn sie mehr Frauen ausbilden bzw. beschäftigen.
Gemeinsam mit den Gewerkschaften und den Betrieben werden wir neue Ideen entwickeln, wie wir
eine gleichberechtigte Teilhabe der Geschlechter in der Wirtschaft ermöglichen können.
Europa konkurriert mit weiteren Weltregionen, wenn es um die Anwerbung von Fachkräften geht,
vom Bauingenieur über die Handwerkerin bis zur Fachkraft im Krankenhaus. Wir setzen uns
daher für eine umfassende EU-Fachkräftestrategie ein. Bei der Anwerbung aus Drittstaaten
sollte die EU-Blue-Card-Initiative ausgeweitet werden und vielen weiteren Berufsgruppen
zugutekommen.
Viele Beschäftigte, die in der fossilen Industrie arbeiten, sorgen sich um ihr Auskommen,
wenn ihre Industriezweige elektrifiziert werden. Den Wandel zu einer klimaneutralen
Wirtschaft wollen wir deshalb mit gut bezahlten Arbeitsplätzen, attraktiven Aus- und
Weiterbildungsmöglichkeiten, Tarifbindung sowie wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit
zusammenbringen, gerade in noch strukturschwachen Regionen. Unsere Industriepolitik bietet
dafür einen Hebel: Die Vergabe von EU-Geldern wollen wir stärker daran koppeln, dass
Ausbildungsplätze eingerichtet, Sozialstandards eingehalten und geltende Tarife befolgt
werden.
3. Stabile Finanzen
Europa finanziell wappnen
Eine zentrale Stellschraube für die Handlungsfähigkeit der EU ist ihre finanzielle
Ausstattung: Was wir uns in Europa gemeinsam vornehmen, müssen wir auch zu einem relevanten
Teil mit europäischen Mitteln finanzieren können. Diesen Anspruch wollen wir endlich
erfüllen, denn in den nächsten fünf Jahren sind weitreichende Entscheidungen zur
Finanzierung unserer gemeinsamen europäischen Vorhaben bis weit in die 2030er-Jahre zu
treffen.
Dabei werden uns zwei Prinzipien leiten: Erstens wollen wir die finanzielle Ausstattung der
EU insgesamt durch neue Eigenmittel und höhere nationale Beiträge verbessern. Im Krisenfall
haben sich zudem auch gemeinsame europäische Anleihen bewährt. Zweitens muss die EU deutlich
mehr Handlungsspielraum im Einsatz ihrer Mittel bekommen, um sie für gemeinsame
Investitionen in strategisch wichtigen Bereichen wie der Industriepolitik und für eine
Infrastrukturunion einzusetzen. In diesem Sinne werden wir sowohl für einen starken
Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), die Grundlage für den Haushalt der EU, als auch für ein
neues großes Investitionsprogramm streiten.
Wir wollen, dass der MFR für die Jahre 2028 bis 2035 gegenüber dem jetzigen deutlich
aufwächst. Dafür muss auch Deutschland seinen Beitrag leisten. Es gilt, gezielt die
Ausgabenposten zu stärken, die Europas Handlungsfähigkeit in den entscheidenden Feldern der
Zukunft verbessern. Dafür müssen wir auch die Ausgaben im MFR kritisch auf ihre Wirkung hin
überprüfen. Das betrifft insbesondere die Bereiche, in denen die Mitgliedstaaten die
Ausgaben verwalten.
Der Schutz unseres Gemeinwohls setzt eine auch finanziell handlungsfähige EU voraus. Gerade
in Zeiten massiv wachsender Aufgaben kann sie sich auf Dauer nicht nur aus den Beiträgen der
Mitgliedstaaten finanzieren. Sie braucht auch eigene Einnahmen, die ihre finanzielle
Ausstattung langfristig sichern. Dafür wollen wir das Prinzip festschreiben, dass Einnahmen,
die infolge europäischer Instrumente entstehen, im Grundsatz mehrheitlich dem EU-Haushalt
zugutekommen.
In einem ersten Umsetzungsschritt wollen wir festlegen, dass 75 Prozent der möglichen
Geldschöpfungsgewinne des Eurosystems in Zukunft dem EU-Haushalt zugutekommen. Auch die
Einnahmen aus dem neuen CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) sollen zu 75 Prozent dem EU-
Haushalt zufließen.
Damit die anstehenden Zins- und Tilgungszahlungen für das NGEU-Programm nicht zu einer
Kürzung des EU-Haushalts führen, wollen wir so schnell wie möglich den bereits 2020 von Rat
und Parlament beschlossenen Fahrplan zu neuen Eigenmitteln in die Tat umsetzen. Dabei muss
die Finanzierung der notwendigen nationalen Klimafinanzierung in den Mitgliedstaaten
sichergestellt werden.
Wirtschafts- und Währungsunion vervollständigen
Eine stabile und solidarische Wirtschafts- und Währungsunion ist eine Grundvoraussetzung für
Wohlstand und politischen wie sozialen Zusammenhalt in Europa. Doch die Architektur der
Währungsunion ist weiterhin unvollständig und Europa damit weiter anfällig für Krisen. Das
wollen wir durch ein umfassendes Maßnahmenpaket ändern.
Mit dem neuen Investitionsprogramm für Innovation und Resilienz verstetigen wir die
gemeinsame Fiskalpolitik – auch als wichtigen Puffer für Krisenzeiten. Mit der Überführung
des Europäischen Stabilitätsmechanismus in den EU-Rechtsrahmen und der Umstellung auf
Mehrheitsentscheidungen schaffen wir nationale Vetos in Krisen ab und etablieren endlich
eine gemeinsame europäische parlamentarische Kontrolle über zukünftige EU-Hilfsprogramme.
Mit der Einführung einer Arbeitslosenrückversicherung nach Vorbild des EU-Kurzarbeitergeldes
SURE schaffen wir ein zusätzliches Auffangnetz in Krisenzeiten, damit die Mitgliedstaaten
Jobs sicher schützen können. Und wir wollen die Banken- und Kapitalmarktunion vollenden,
damit auch der Finanzsektor in Krisen stabilisierend wirkt.
Eine widerstandsfähige Währungsunion braucht auch funktionierende Regeln für die
Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten, die die Schuldentragfähigkeit in allen Ländern
jederzeit sicherstellen und gleichzeitig genug Raum für Investitionen und Wachstum schaffen.
Die seit einem Jahrzehnt geltenden Regeln und auch der Vorschlag der Europäischen Kommission
werden diesem Anspruch nicht gerecht. Deshalb braucht es eine ambitionierte Reform, deren
Ergebnis von der Kommission konsequent durchgesetzt wird.
Wir unterstützen die Einführung des digitalen Euros als Ergänzung zum Bargeld und zum
Buchgeld der Geschäftsbanken. Der digitale Euro befördert die Digitalisierung der Wirtschaft
und ermöglicht Verbraucher*innen digitalen Zugriff auf sicheres und wertstabiles
Zentralbankgeld. Als öffentliches Gut kann er einen wertvollen Beitrag zur finanziellen
Inklusion, zur Souveränität der EU und zur Stabilität unseres Zahlungssystems im digitalen
Zeitalter leisten.
Bankenunion vollenden
Um die klimaneutrale Erneuerung unserer Wirtschaft zu unterstützen, muss das Finanzsystem
resilienter werden und konsequent an den europäischen Nachhaltigkeitszielen ausgerichtet
sein. Jede Finanzierungsentscheidung ist eine Entscheidung über die Wirtschaft der Zukunft
und muss deshalb auch mit unseren Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen kompatibel
sein.
Der Bankensektor ist in der EU zentral für die Finanzierung der Investitionen von
Unternehmen und Bürger*innen in die Modernisierung unserer Wirtschaft. Eine weitere
Bankenkrise können wir uns schon allein deshalb nicht leisten. Mit einer hohen
Eigenkapitalquote, regelmäßigen Stresstests und der Vollendung der Bankenunion stellen wir
die Banken stabil auf. Mit einer europäischen Einlagenrückversicherung, die den Erhalt der
Institutssicherungssysteme von Sparkassen und Genossenschaftsbanken erlaubt, einem
funktionierenden Abwicklungsregime sowie einer Trennung des Kreditgeschäfts mit
Privatkund*innen vom Investmentbanking bei Großbanken können wir verhindern, dass
Kreditinstitute im Fall einer Insolvenz mit Steuergeld gerettet werden müssen. Indem wir
Banken verpflichten, die von ihnen finanzierten Emissionen schrittweise zu reduzieren,
sorgen wir dafür, dass ihr Geschäft in Einklang mit dem Ziel der Klimaneutralität steht.
Neben den Banken müssen auch alle anderen Akteure des Finanzsektors wie Ratingagenturen,
Versicherer und Pensionsfonds Klimarisiken offenlegen und berücksichtigen. Wir setzen uns
dabei für mehr Kohärenz bei der europäischen Gesetzgebung ein, um unnötige Bürokratie –
insbesondere bei kleineren Unternehmen – zu verhindern.
Die grüne Taxonomie der EU ist ein Mittel, um die Finanzierung umweltverträglicher
Wirtschaftsaktivitäten zu unterstützen. Deshalb bleibt es falsch, Atomenergie und Erdgas als
nachhaltig einzustufen. Nachhaltigkeit ist aber komplexer als ein binäres Ja oder Nein, denn
dafür brauchen wir auch starke und innovative Zulieferer, zum Beispiel für E-Autos oder
Windräder, die bisher in der Taxonomie nicht erfasst sind. Das wollen wir zukünftig besser
abbilden. Wir wollen bei der grünen Taxonomie weitere Abstufungen ergänzen, damit
Investitionen in den Übergang in eine nachhaltige Wirtschaft ausreichend finanziert werden.
Es sollen zukünftig auch soziale Aspekte berücksichtigt werden.
Grüne Geldanlagen sind im Mainstream angekommen, denn viele Menschen wollen sich an
Zukunftsbranchen beteiligen und dabei auch das Klima schützen. Die Finanzaufsicht hat mit
dem schnellen Wachstum nachhaltiger Finanzprodukte jedoch nicht Schritt gehalten. Um das
Vertrauen der Anleger*innen zu festigen, wollen wir deshalb die europäischen
Finanzaufsichtsbehörden mit weitreichenden Kompetenzen gegen Greenwashing ausstatten und ein
staatliches Labelsystem für nachhaltige Geldanlagen einführen. Verbraucher*innen sollen
Klarheit haben, welchen Beitrag ein Finanzprodukt zur klimaneutralen Modernisierung unserer
Wirtschaft leistet.
Wir wollen die Kapitalmarktunion zu einem Erfolg machen. Hierfür müssen wir das Vertrauen
der Sparer*innen zurückgewinnen. Denn Interessenkonflikte durch Provisionen haben dafür
gesorgt, dass Sparer*innen viel zu oft teure, riskante oder unpassende Finanzprodukte
verkauft wurden. Wir wollen, dass Provisionen in der Finanzberatung mittelfristig keine
Rolle mehr spielen und jedem den Zugang zu unabhängiger provisionsfreier Beratung
ermöglichen. Nur so können wir die Potenziale der Kapitalmarktunion für alle zugänglich
machen.
4. Steuergerechtigkeit
Steuerhinterziehung bekämpfen
Die Finanzierung unseres demokratischen Gemeinwesens hängt davon ab, dass alle ihren fairen
Beitrag leisten – für Schulen und Kinderbetreuung, für Krankenhäuser, für eine gute Bus- und
Bahninfrastruktur. Mutige Whistleblower*innen und unabhängige Medien haben in den letzten
Jahren eine ganze Reihe internationaler Steuerskandale aufgedeckt. Sie haben belegt, wie
Superreiche und viele Großunternehmen Steuertricks nutzen, um Gewinne in Niedrigsteuerländer
zu verschieben: über Steuerschlupflöcher, Briefkastenfirmen und Steueroasen bis hin zu
Steuerbetrug. Diese Praktiken wälzen die Steuerlast auf die Bürger*innen und besonders
kleine und mittlere Unternehmen ab, die rechtmäßig ihre Steuern zahlen. Schätzungen zufolge
verursacht Steuermissbrauch EU-weit Verluste von jährlich mehr als 170 Milliarden Euro.
Steuerbetrug und Steuerhinterziehung sind häufig grenzüberschreitende Probleme. Die EU kann
hier einen wirkungsvollen Beitrag zur Bekämpfung leisten.
Auch im Kampf gegen Steuervermeidung, die beispielsweise durch Verlagerung von Gewinnen in
Steueroasen geschieht, wollen wir weiter voranschreiten. Es braucht strengere Kriterien, um
sicherzustellen, dass die EU-Liste der Steueroasen wirklich vollständig wird. So fehlen
aktuell namhafte Steueroasen wie beispielsweise Singapur. Länder mit einem Steuersatz von
null Prozent müssen automatisch auf der EU-Liste der Steueroasen landen, wie beispielsweise
Bermuda oder die Cayman Islands. Entscheidungen darüber, welches Land auf die Liste gesetzt
wird, müssen transparent, nach einheitlichen Kriterien und unparteiisch getroffen werden.
Ebenso wollen wir die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Steuerbehörden wesentlich
verbessern, um den EU-weiten Austausch steuerrelevanter Informationen zu stärken. Wir
begrüßen, dass dabei nun ebenfalls Kryptoassets voll erfasst werden sollen.
Wir werden den Missbrauch von Briefkastenfirmen angehen, also Firmen, die nur existieren, um
Steuern zu hinterziehen oder zu verlagern. Wir fordern die Mitgliedstaaten auf, den
entsprechenden Vorschlag der EU-Kommission schnell und ohne ihn abzuschwächen anzunehmen –
die EU wäre mit dieser Gesetzgebung weltweit Vorreiterin.
Quellensteuern senken das Risiko von Steuerhinterziehung und -umgehung, wie es sich beim
Cum-Ex- und Cum-Cum-Skandal gezeigt hat, sowie die Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerländer.
Wir unterstützen daher die Pläne der EU-Kommission zur Einführung eines EU-weiten Systems
für die Quellensteuer auf Dividenden und Zinszahlungen und setzen uns für einen weiteren
Schritt ein – einen EU-weiten Quellensteuer-Mindestsatz. International müssen wir das
Problem von Quellensteuern auf Auslandszahlungen in Drittländern außerhalb der EU angehen.
Steuerdumping beenden
Der Flickenteppich nationaler Steuervorschriften und der Steuerwettbewerb zwischen den EU-
Mitgliedstaaten bei den Körperschaftssteuersätzen erschweren faire Wettbewerbsbedingungen im
Binnenmarkt. Um dem entgegenzuwirken, muss die Steuergesetzgebung Schritt halten mit neuen
Geschäftsmodellen, die internationaler, komplexer und digitaler geworden sind. So
profitieren die großen Digitalunternehmen mit ihren immateriellen Gütern (wie Daten, Wissen
oder Algorithmen) davon, dass Unternehmensgewinne am Ort einer physischen Niederlassung oder
Fabrik besteuert werden und nicht beispielsweise dort, wo die Nutzer*innen digitaler Dienste
verortet sind. Wir wollen verhindern, dass der Bäckerladen um die Ecke einen deutlich
höheren Steuersatz zahlt als ein internationaler Großkonzern. Alle Unternehmen müssen ihren
gerechten Anteil zur Finanzierung des Gemeinwohls beitragen.
Auf dem Weg zu einer fairen und effektiven Unternehmensbesteuerung in Europa ist ein großer
Schritt genommen worden: Die EU hat sich – infolge eines Durchbruchs auf Ebene der
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) – endlich auf eine
Mindestbesteuerung großer multinationaler Unternehmen von 15 Prozent geeinigt. Damit können
sie sich einem Mindeststandard an Besteuerung nicht mehr entziehen. Die Umsetzung in den
Mitgliedstaaten und der Vorschlag der EU-Kommission für einen neuen EU-Rahmen zur
Unternehmensbesteuerung (BEFIT) müssen nun folgen. Die Einigung auf die Mindestbesteuerung
ist ein zentraler Schritt bei der Reform des internationalen Steuersystems. Er reicht aber
noch nicht aus, damit die großen Digitalunternehmen, der E-Commerce oder multinationale
Unternehmen in Europa fairer besteuert werden. Sollten bei den auf OECD-Ebene aktuell
stockenden Verhandlungen in diesem Bereich keine Fortschritte absehbar sein, sollte die EU-
Kommission vorschlagen, wie dieses Ziel europäisch weiterverfolgt werden kann.
Steuertransparenz ist ein wirkungsvolles Instrument, da es Steuerdumping für alle sichtbar
macht. Die Einigung auf die öffentliche länderbezogene Steuerberichterstattung von
Großunternehmen im Jahr 2021 war in diesem Sinne ein Meilenstein. Wenn große Unternehmen
offenlegen, wie viel Steuern sie in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten zahlen, führt das zu
einer besseren Kontrolle ihrer Steuerpraktiken. Aber es werden noch nicht alle Länder
erfasst. Wir werden darauf hinarbeiten, die im Gesetz verankerte Klausel zur Überprüfung der
Richtlinie zu nutzen, um die Richtlinie zu verbessern und eine weltweite Aufschlüsselung
relevanter Steuerdaten zu erreichen. Um einen zerstörerischen Steuerwettbewerb zwischen den
EU-Mitgliedstaaten zu verhindern, braucht es darüber hinaus ein klares Rahmenwerk der EU für
Steuerbegünstigungen, die einzelne Mitgliedstaaten Unternehmen gewähren können.
Gemeinwesen solidarisch finanzieren
Steuergerechtigkeit heißt, dass hohe Vermögen und Milliardengewinne von Unternehmen einen
fairen Beitrag leisten müssen, um das Gemeinwesen solidarisch zu finanzieren, Klimaschutz
und Nachhaltigkeit zu fördern und soziale Ungleichheit abzubauen. In der ganzen EU hat die
starke Ungleichverteilung und Konzentration insbesondere von Vermögen weiter zugenommen.
Um diese Probleme adressieren zu können, muss die EU auch in der Steuerpolitik
handlungsfähig sein. Vorstöße gegen Steuerdumping und Steuerflucht werden immer wieder durch
Vetos einzelner EU-Mitgliedstaaten verhindert. Wir wollen die bestehenden Möglichkeiten der
Verträge ausschöpfen, qualifizierte Mehrheitsentscheidungen zu treffen. Perspektivisch
eröffnet die Überwindung des Einstimmigkeitsprinzips größeren gemeinsamen
Handlungsspielraum.
Infolge des russischen Kriegs in der Ukraine erzielten Öl- und Gaskonzerne durch hohe
Energiepreise extrem hohe Zufallsgewinne. Diesen unverhältnismäßigen Gewinnen einiger
Krisengewinner stehen Höchststände bei der Armut gegenüber, die durch sprunghaft gestiegene
Lebenshaltungskosten noch verstärkt wurden. Dass sich die EU in dieser Situation auf eine
Übergewinnsteuer geeinigt hat, durch die die großen Energiekonzerne einen Krisenbeitrag an
die Gesellschaften zurückgeben, ist ein großer Erfolg. Ein Teil der gegenwärtigen Inflation
wurde durch überzogene Profite verursacht und ist nicht durch gestiegene Produktionskosten
gerechtfertigt. Wir fordern, das Instrument der Übergewinnsteuer auch für andere Bereiche
fest zu verankern, um in ökonomischen Sondersituationen die öffentlichen Haushalte zu
entlasten. Schlupflöcher wie das Kleinrechnen von Gewinnen über mehrere Geschäftsjahre oder
die Gewinnverlagerung ins Ausland müssen geschlossen werden. Unternehmen, die in erneuerbare
Energien reinvestieren, sollten eine Gutschrift erhalten.
5. Innovationskraft und Bürokratieabbau
Europäische Forschung an der Weltspitze verankern
Für die großen technologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen
unserer Zeit brauchen wir das gebündelte Wissen unseres gesamten Kontinents und darüber
hinaus. Deswegen ist eine europäische Wissenschafts- und Forschungspolitik, die Menschen und
Institutionen aus ganz Europa verbindet und sie bei der Entfaltung einer freien Forschung
unterstützt, ein Schlüsselelement für eine Zukunft in Freiheit und Wohlstand. Wir wollen,
dass die nächsten großen Durchbrüche für eine komfortable und klimafreundliche Mobilität,
für Hochleistungsrechner oder ein Medikament gegen Krebs oder Alzheimer in Europa erdacht
und produziert werden.
Im Zentrum steht dabei das Programm Horizont Europa, das die Forschungsaktivitäten der EU
bündelt. Es ist ein höchst erfolgreiches und bei Antragsteller*innen sehr beliebtes
Förderprogramm, das weltweit seinesgleichen sucht. Wir wollen seinen Umfang im nächsten
europäischen Finanzrahmen ausbauen.
Europäische Forschungspolitik muss die freie Grundlagenforschung ebenso wie die missions-
und anwendungsorientierte Forschung beinhalten. Zentral dafür ist die Klimaforschung, für
die wir im laufenden Zyklus von Horizont Europa eine feste Quote von 35 Prozent für die
europäische Klimaforschung verankern konnten. Wir treten für eine gut ausgestattete
Grundlagenforschung ein – etwa im European Research Council, der Exzellenzforschung par
excellence. Die für Forschende so wichtige Marie-Skłodowska-Curie-Mobilitätsförderung wollen
wir verstetigen. Wir machen uns auch weiterhin dafür stark, dass Sozial- und
Geisteswissenschaften (SSH) einen festen Platz in der EU-Förderkulisse bekommen, denn sie
sind von hoher Bedeutung für lebendige und resiliente Kultur, Gesellschaft und Demokratie.
Open Science, also das Prinzip, dass Forschungsergebnisse frei zugänglich sein sollen,
wollen wir als Prinzip von Horizont Europa weiterhin stärken.
Horizont Europa ist bereits mit vielen Partnerländern weltweit verbunden, was den
Wissensaustausch fördert. Wir haben aber für unsere Forschenden den Anspruch: Horizont
Europa muss noch internationaler werden und weitere Partnerländer einbinden.
Aus Ideen Wohlstand machen
Für die wirtschaftliche Zukunft Europas sind Innovationen von entscheidender Bedeutung. Wir
wollen sie auf ihrem Weg vom Labor in die Praxis unterstützen. Innovationen sind als
Wachstumskeime ein entscheidender Baustein für den wirtschaftlichen Erfolg von morgen.
Aufbauend auf der Grundlagenforschung gestalten wir eine missionsorientierte Forschung, die
uns dabei hilft, die großen Herausforderungen unserer Zeit anzugehen: Wir brauchen
beispielsweise einen schnelleren Roll-out der erneuerbaren Energien, effektive Behandlungen
für Krebs, smarte digitale Lösungen für Klima, Energie und Mobilität und nicht zuletzt
soziale Innovationen, um kluge Konzepte umzusetzen. Die Missionen von Horizont Europa sollen
sich weiterhin insbesondere am Green Deal orientieren. Um sie umzusetzen, wollen wir
Hochschulen, Institute, Zivilgesellschaft, Start-ups und die Industrie zusammenbringen.
Innovationspolitik ist ein entscheidender Teil unserer aktiven Wirtschafts- und
Industriepolitik. Wir wollen die Programmbestandteile von Horizont Europa so ausbauen, dass
sie schnell und dynamisch die besten Ideen auf dem Weg zu ihrer Umsetzung unterstützen.
Dafür soll die EU auch verstärkt regionale Innovationsökosysteme unterstützen und dabei
neben den Universitäten die Hochschulen für angewandte Wissenschaften bzw. Fachhochschulen
in den Blick nehmen. Bislang profitieren diese von der EU-Förderung häufig nicht im selben
Maße wie Universitäten, sind aber besonders in der anwendungsnahen Forschung sehr stark.
Solche Cluster von Forschung, Lehre und Anwendung sind zentral, um Innovationen zu fördern,
sichtbar zu machen und vor Ort klimaneutralen Wohlstand zu schaffen.
Die bestehenden Instrumente wollen wir handhabbarer und schneller machen. Dies gilt
beispielsweise für die Wissensgemeinschaften (KIC), die sich besonders der
Nachwuchsausbildung widmen, zum Beispiel in Master- oder Weiterbildungsprogrammen. So können
wir dafür sorgen, dass wir möglichst vielen eine Chance geben, sich in die Zukunftsbranchen
einzubringen.
Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen sind auch in diesem relevanten
Bereich von großer Bedeutung: Die Kommission hat eine Vielzahl von öffentlich-privaten
Partnerschaften geschaffen, die EU-Gelder gemeinsam mit der Industrie verwalten. Wir möchten
hier eine Transparenzinitiative starten und sicherstellen, dass Hochschulen,
Forschungsinstitute und Gründer*innen stärker von diesen Förderinstrumenten profitieren.
Mit Europäischen Start-ups durchstarten
Eine innovative Unternehmenslandschaft braucht ein lebendiges Gründungsgeschehen. Hier
entstehen die erfolgreichen Geschäftsmodelle von morgen. Dafür muss Gründen schneller und
einfacher werden. Wir setzen uns dafür ein, dass bisher weniger aktive Mitgliedstaaten
beispielsweise von Estland, dem europäischen Vorreiterland für Start-ups, lernen können.
Wir brauchen in der Kommission eine klare Zuständigkeit für Start-ups, damit der Know-How-
Transfer in der EU besser koordiniert und eine Strategie für das europäische
Gründungsgeschehen erarbeitet wird.
Wir wollen sicherstellen, dass es in jedem Mitgliedsland One-Stop-Shops gibt. Dort finden
Gründer*innen Begleitung und Beratung aus einer Hand. Einen Überblick über alle
Förderprogramme für Gründer*innen soll ein digitaler Kompass bieten. Mit einem Klick ohne
Umwege zur Antragstellung – das ist unser Ziel.
Die European Tech Champions Initiative, die die Bundesregierung gemeinsam mit anderen EU-
Mitgliedstaaten ins Leben gerufen hat, ist ein wichtiger Baustein, um Start-ups in der
Wachstumsphase besser zu unterstützen. Ergänzend wollen wir regelmäßige europäische Matching
Hubs ins Leben rufen, die private Investor*innen mit Gründer*innen an einen Tisch bringen,
eine Messe für Geschäftsmodelle der Zukunft.
Mittelstand fördern
Die Innovationsfähigkeit und die Tatkraft der KMU und des Handwerks sind Motor der
europäischen Wirtschaft. Diese Unternehmen werden im Verhältnis besonders stark durch die
Einführung neuer Regelungen belastet. Um sie zu unterstützen, wollen wir KMU-Tests
verbessern und konsequent anwenden, mit denen neue Gesetze auf ihre Auswirkungen auf KMU
überprüft werden. Wir setzen uns zusätzlich für angemessene Ausnahmen und Übergangsfristen
für KMU in neuen Gesetzen ein. Durch vereinfachte Antragsverfahren erleichtern wir den
Zugang von KMU zu Förder- und Investitionsprogrammen der EU. Mithilfe von festgelegten KMU-
Quoten stellen wir sicher, dass diese Programme ihnen auch tatsächlich zugutekommen. Die
Förderlandschaft in der EU werden wir vereinheitlichen und stärker mit nationalen
Förderinstrumenten verzahnen.
Manche Gesetzesvorschriften erweisen sich als mittlerweile überholt, andere in der Praxis
als untauglich. Wir setzen uns für eine regelmäßige Überprüfung aller Regulierungen ein, um
bürokratische Anforderungen zu vereinfachen und Vorschriften, die ihr Ziel verfehlen, wieder
zu streichen. Beispielsweise wollen wir die Meldepflicht bei touristischen Übernachtungen
und die A1-Bescheinigungen durch einen praktikableren Ansatz ersetzen.
Ein zentrales Mittel für den Bürokratieabbau ist die Digitalisierung der Verwaltung. Dadurch
können viele Behördengänge entfallen, der Datenaustausch automatisiert und Anträge leichter
gestellt werden. Verwaltungsleistungen sollen so weit wie möglich digital erfolgen.
Verfahrensstände sollen online einsehbar werden. Durch eine stärkere Vernetzung von
europäischen und nationalen Behörden soll das Once-Only-Prinzip eingeführt werden, damit
Daten künftig nur noch einmal bei Unternehmen abgefragt werden, um sie dann im Rahmen der
datenschutzrechtlichen Vorgaben und innerhalb der Behörden austauschen zu können. Die
Schriftformerfordernis in Verwaltungsverfahren wollen wir weitgehend abschaffen.
6. Digitale Souveränität
Europa digital fit machen
Digitalisierung liefert einen Schlüssel für zentrale Herausforderungen unserer Zeit. Sie
erlaubt es, grundlegende Lebensbereiche wie Verkehr, Bildung, Gesundheit oder Energie völlig
neu zu denken. Damit bietet sie enorme Chancen für die wirtschaftliche Entwicklung und für
die Vereinfachung vieler Aufgaben für alle – von lästigen Verwaltungsgängen über das
Management von Lieferketten in der Industrie bis hin zur Erforschung und Therapie schwerer
Krankheiten. Wir wollen sie als Grundlage eines fairen, dezentralen, hoch vernetzten und
resilienten Wirtschaftssystems gestalten.
Auch im digitalen Bereich erleben wir einen Systemwettbewerb – zwischen einer
emanzipatorischen Digitalisierung, die Bürger*innen befähigt und Freiheit stärkt, und einer
Digitalisierung, die entmündigt und Überwachung fördert. Europa muss sich in diesem
Wettstreit selbstbewusst positionieren. Wir wollen deshalb die digitale Souveränität Europas
sichern, stärken und ausbauen.
Basis einer digitalen europäischen Souveränität ist unter anderem eine resiliente und
klimafreundliche Infrastruktur, zu der Breitbandnetze, Mobilfunknetze, Knotenpunkte,
Rechenzentren und die Verlässlichkeit sensibler Lieferketten zählen. Wir wollen vermehrt die
Entwicklung und Produktion von Infrastrukturkomponenten in Europa vorantreiben, seien es
Halbleiter oder Mobilfunktechnik. Dabei können wir auf starke europäische Unternehmen in
verschiedenen Sektoren der Digitalisierung aufbauen. Die Anbindung an die globale
Netzinfrastruktur, ob bei Unterseekabeln oder Knotenpunkten, wollen wir mit starken
europäischen Akteuren gestalten.
Digitalisierung voranzutreiben, heißt auch, sie in politischen Vorhaben mitzudenken. Wir
wollen die digitale Umsetzung von Gesetzesvorhaben bereits im legislativen Prozess
berücksichtigen. Damit können staatliche Dienstleistungen schneller und effizienter erbracht
werden. Vor allem kann die Digitalisierung der Verwaltungsprozesse helfen, politische Regeln
– vom Grenzausgleichsmechanismus CBAM bis zum Datenschutz – in der wirtschaftlichen Praxis
handhabbar zu machen.
Die rasanten Fortschritte in der Entwicklung und Anwendung von KI stellen eine riesige
Chance für viele Lebensbereiche dar. Sie kann dem Menschen dienen, unser Leben vereinfachen
und unseren Wohlstand mehren, sie kann Prozesse in Alltag, Wissenschaft, Verwaltung und
Wirtschaft verändern und vereinfachen. Moderne KI-gestützte Verfahren können beispielsweise
dabei helfen, den Einsatz von Wasser sowie Pestiziden zu verringern und gleichzeitig den
Ernteertrag erhöhen. Sie schonen die Umwelt und erhöhen die Wirtschaftlichkeit. Wir wollen
KI nach unseren gemeinsamen Werten einsetzen. Mit dem KI-Gesetz macht Europa einen großen
Schritt in diese Richtung, der weltweit wahrgenommen und genau beobachtet wird. Wir wollen
diese Potenziale gestalten und nutzbar machen, dazu gehören die bessere Verfügbarkeit von
Daten und die Unterstützung bei Forschung und Transfer.
Mit datensparsamen und nachhaltigen technologischen Lösungen sowie mit Open-Source- und
Open-Data-Lösungen schaffen wir europäische Standortvorteile.
Wir wollen ökologische Standards in der IT international etablieren,
Nachhaltigkeitsstandards für Softwaredesigns entwickeln und implementieren sowie
energieintensive Rechenzentren klimaneutral betreiben lassen. Für Software und vernetzte
Geräte muss „Sustainability by Design“ die Regel sein; für KI, Cloud-Plattformen, Browser,
Suchmaschinen, digitale Marktplätze und soziale Netzwerke muss die EU
Nachhaltigkeitsstandards entwickeln. Dazu fordern wir einen Digital Sustainability Act, ein
europäisches Gesetz, das die Innovationskraft des Sektors für Informations- und
Kommunikationstechnologie für Nachhaltigkeit optimiert. Eine Abwärmeinfrastruktur von
Rechenzentren wollen wir in die europäische Energieinfrastruktur integrieren.
Daten rechtebasiert nutzen
Daten und die Verarbeitung von großen Datensätzen sind die Grundlage für zahlreiche
innovative Technologien und besonders der KI. Die kluge Nutzung von Daten leistet einen
wichtigen Beitrag dazu, unser Zusammenleben zu bereichern und zahlreiche gesellschaftliche
Probleme anzugehen sowie wirtschaftliches Wachstum zu fördern, Ressourcen zu schonen und die
wissenschaftliche Forschung voranzubringen.
Die Entwicklung von KI und der Erfolg europäischer KI-Modelle hängen vor allem an der
Verfügbarkeit von Daten. Wir wollen nicht personenbezogene Daten rechtebasiert besser
nutzbar und leichter zugänglich machen. Wir haben dazu beigetragen, dass dieses Prinzip bei
der Gesetzgebung zur Nutzung und dem verbesserten Austausch von Daten zwischen Unternehmen
im Rahmen der Datenstrategie umgesetzt wurde. Projekte wie die Smart City Barcelona können
ein Vorbild sein, wie Daten verfügbar gemacht werden und Forschung sowie Innovation
vorangetrieben werden.
Die EU hat mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) den Datenschutz in den vergangenen
Jahren weltweit stark geprägt und globale Maßstäbe bei der Regelung des Schutzes von
personenbezogenen Daten gesetzt.
Die Durchsetzung der Regeln in den Mitgliedstaaten ist allerdings unterschiedlich. Während
in Deutschland Entbürokratisierung und mehr Rechtssicherheit nötig sind, müssen die Regeln
gegenüber den internationalen Digitalkonzernen mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten genauso
konsequent durchgesetzt werden. Gerade die Big-Tech-Unternehmen haben sich aufgrund der
laxen Durchsetzung in den letzten Jahren Wettbewerbsvorteile verschaffen können, die für
alle Wirtschaftsbereiche und insbesondere im Bereich Werbung, soziale Netzwerke und KI
entscheidend sind. Deshalb muss die Europäische Kommission für eine einheitliche und
konsequente Durchsetzung der DSGVO sorgen, um die Grund- und Bürger*innen-Rechte wirksam zu
schützen sowie gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen zu schaffen, die eine
Sonderbehandlung von Großkonzernen gegenüber KMU ausschließen.
Durch die Digitalisierung des Datenschutzes sehen wir weitere Möglichkeiten, Nutzer*innen in
der Durchsetzung ihrer Ansprüche zu unterstützen, KMU die Umsetzung zu vereinfachen und
allseitige Rechtssicherheit zu schaffen. Darüber hinaus erleichtert der Ansatz es
Bürger*innen, ihre Daten für Forschungszwecke zu spenden und so die für KI-Modelle
notwendigen Datenpools zu erzeugen.
Digitale Standards setzen
Vertrauen und Verlässlichkeit sind für Verbraucher*innen und Unternehmen das A und O einer
erfolgreichen Digitalisierung. Dieses Vertrauen wird durch gemeinsame Standards gefördert
und gewährleistet. Daher treten wir für faire, offene und resiliente digitale
Regelungsrahmen ein. Unser besonderes Augenmerk richtet sich auf die notwendige
Investitionssicherheit für europäische Unternehmen, insbesondere KMU. Denn nur klare und
verlässliche Regeln stellen innovative, vertrauenswürdige und somit erfolgreiche
Wirtschaftsräume sicher. Mit dem Digitale-Dienste-Gesetz (DSA) und dem Digitale-Märkte-
Gesetz (DMA) haben wir in der EU dazu wichtige Schritte getan. Die Vollendung des digitalen
Binnenmarktes kann Europa dabei helfen, global wettbewerbsfähig zu sein.
Ein wesentlicher Schlüssel erfolgreicher Digitalpolitik liegt in der Interoperabilität:
Europas digitale Systeme müssen die gleiche Sprache sprechen. Interoperabilität bezeichnet
die Fähigkeit von IT-Systemen, über die Grenzen von Unternehmen, Behörden und
Forschungseinrichtungen hinweg Geschäftsprozesse abzuwickeln – vollautomatisch, ohne
manuelle Zuarbeiten. Das erfordert die Standardisierung gemeinschaftlicher
Softwareschnittstellen, spezifisch für jeden Anwendungsfall. Auf diese Weise können
Einzelpersonen, Firmen, Forschungseinrichtungen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs)
gleichermaßen miteinander Transaktionen ausführen.
Die Erfahrung zeigt, dass Standardisierung innovativen Technologien zum Durchbruch verhelfen
kann. Beispiele dafür sind das World Wide Web oder der digitale Mobilfunk (GSM).
Interoperabilität durchbricht Monopolstellungen, eröffnet damit Wirtschaftsräume und
milliardenschwere Märkte, die vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen aus Europa
riesige Chancen bieten.
Die EU hat mit dem European Interoperability Framework (EIF) einen ersten
Kristallisationspunkt geschaffen, an dem wir ansetzen: In verschiedenen Gruppen erarbeiten
Vertreter*innen unterschiedlicher Interessensgruppen die standardisierten IT-Schnittstellen
(Profile) für den jeweiligen Anwendungsfall.
Das Erarbeiten dieser Standards muss demokratisch legitimiert sein. Willkürlichen Konsortien
internationaler Großunternehmen fehlt es daran. Wir wollen die Standardisierung daher ebenso
für Entwickler*innen, die Zivilgesellschaft und kleine und mittlere Unternehmen öffnen.
Damit alle unter gleichen Voraussetzungen an dieser Gestaltung mitwirken können, muss ihr
Engagement vergütet werden. Wir sehen es als zentrale Aufgabe der EU, über diese
demokratische Governance zu wachen sowie für Planungs- und Investitionssicherheit zu sorgen.
Die EU kann darüber hinaus durch die Macht der öffentlichen Hand als Kundin einen
entscheidenden Beitrag dazu leisten, diese Standards am Markt durchzusetzen.
Verbraucherschutz digitalisieren
Die zunehmende Relevanz von Software und digitalen Plattformen muss sich im
Verbraucher*innenschutz widerspiegeln. In den vergangenen Jahren hat die EU hier bedeutende
Fortschritte gemacht. Mit dem DSA und dem DMA haben wir in Europa die Grundsteine gelegt, um
klare Regeln im Internet zu schaffen und Wettbewerb wiederherzustellen. Die Big-Tech-
Konzerne müssen nun regelmäßig das Risiko bewerten, das ihre Algorithmen für die
Gesellschaft darstellen – und wo nötig Gegenmaßnahmen vorschlagen. Auf unseren Druck hin
erhalten Wissenschaftler*innen und NGOs Zugang zu den Daten der Plattformen, um deren
Wirkungsweise zu erforschen und öffentlich zu machen. Diese Regeln gilt es jetzt, in
Deutschland und Europa konsequent durchzusetzen und aufgrund der durch Datenzugänge
gewonnenen Erkenntnisse weiterzuentwickeln. Gesetze zum Schutz von Verbraucher*innen im
digitalen Raum müssen durchgesetzt und angewendet werden; hierzu wollen wir auf nationaler
und europäischer Ebene die Verbraucherschutzstellen stärken. Die Regulierung digitaler
Plattformen muss die Dominanz großer digitaler Marktplätze stärker in den Blick nehmen.
Immer stärker kommt es in diesem Zusammenhang auch zu Grundrechtsverletzungen dieser
Plattformen, wenn Nutzer*innen grundlos gesperrt werden.
Wir wollen für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen, die KMU gute Zugänge bieten und
Verbraucher*innen nicht unbegrenzter Marktmacht aussetzen. Es muss gewährleistet sein, dass
diese ihre Produkte zu fairen Bedingungen online handeln können. Dafür werden wir
nötigenfalls das Wettbewerbsrecht nachschärfen. Wir wollen die Rechte von Nutzer*innen auf
digitalen Kommunikationsplattformen stärken. Interoperabilität hilft dabei: Plattformen
sollen miteinander kommunizieren können, sodass Nutzer*innen unterschiedlicher Dienste
miteinander in Austausch treten können. Das Umziehen von Daten wird dadurch möglich und
verbessert, damit Nutzer*innen beim Verlassen von Plattformen darauf zurückgreifen können.
7. Kreislaufwirtschaft
Abhängigkeiten bei Rohstoffen reduzieren
Sie stecken im E-Auto auf der Straße oder im Solarpanel auf dem Dach: Für eine klimaneutrale
Wirtschaft, die nötigen Technologien und Produkte brauchen wir Rohstoffe. Laut
Internationaler Energieagentur (IEA) wird sich der Bedarf an metallischen Rohstoffen allein
für grüne Energietechnologien bis zum Jahr 2040 vervierfachen, um die Ziele des Pariser
Klimaabkommens zu erfüllen. Ein großer Teil dieser Rohstoffe wird derzeit in Ländern des
Globalen Südens abgebaut – und in der Volksrepublik China in Schmelzen und Raffinerien
weiterverarbeitet. Deutsche und europäische Unternehmen sind bei einer Reihe von Metallen zu
75 bis 100 Prozent auf Importe angewiesen. Da mit China derzeit ein einziges Land die
zentrale Stellung in der Rohstofflieferkette einnimmt, muss Europa seine Rohstoffquellen
diversifizieren, um die eigene Unabhängigkeit zu sichern. Wir setzen uns deshalb für die
Gründung einer europäischen Rohstoffagentur sowie für regelmäßige und verpflichtende
Stresstests für betroffene Unternehmen ein, um die Rohstoffsicherheit der europäischen
Wirtschaft zu gewährleisten.
Mit dem EU Critical Raw Materials Act (CRMA) haben wir einen großen Schritt für mehr
Rohstoffsicherheit gemacht. Das Ziel des CRMA ist, dass nicht mehr als 65 Prozent der
Importe kritischer Rohstoffe aus einem einzigen Drittstaat kommen dürfen. Unser Ansatz der
Diversifizierung basiert auf verschiedenen Säulen: die Reduktion des Rohstoffverbrauchs und
die Umsetzung einer effektiven Kreislaufwirtschaft, die Substitution besonders knapper
Rohstoffe, die Verwendung und Weiterverarbeitung heimischer Rohstoffe in der EU sowie die
Umsetzung einer nachhaltigen Rohstoffaußenpolitik, die auf die Ausweitung der
partnerschaftlichen Kooperationen mit Ländern weltweit setzt und dabei ambitionierte
Nachhaltigkeitsziele verfolgt.
Zirkulär wirtschaften
Der kluge Umgang mit Ressourcen ist eine der zentralen Voraussetzungen für eine
wettbewerbsfähige Wirtschaft. Kreislaufwirtschaft ist im Mainstream angekommen und wir
machen sie zum europäischen Erfolgsmodell. Der größte Beitrag zur Rohstoffsicherheit ist das
Einsparen von knappen Rohstoffen und ihre wiederholte Nutzung. Die Kreislaufwirtschaft
verfolgt das Ziel, dass Materialien und Produkte so lange wie möglich geteilt, geleast,
wiederverwendet, repariert, aufgearbeitet und recycelt und Abfälle auf ein Minimum reduziert
werden. Das beginnt schon beim Entwerfen von neuen Produkten. Deshalb wollen wir eine
ressourcenschonende, langlebige und umweltfreundliche Gestaltung im Sinne eines „Designs for
Recycling“ unterstützen. Es ist gut, dass die Ökodesign-Richtlinie nun auch in diesem Sinne
weiterentwickelt wird. Verbrauchsgüter sollen strengere Mindestkriterien erfüllen, um Klima
und Ressourcen zu schonen. Produzenten müssen den gesamten Lebenszyklus ihrer Produkte in
den Blick nehmen, damit neben der Produktion auch die Verwendung und die Verwertung
möglichst nachhaltig sind. Wir setzen auch auf die nachhaltige Nutzung des bestehenden
Gebäudebestands und den Einsatz modularer Bauweisen.
Viel zu oft landet zum Beispiel die Waschmaschine auf dem Müll, weil es einfacher und
günstiger ist, sie neu zu kaufen, als sie reparieren zu lassen. So werden Ressourcen unnötig
verbraucht und in der EU jährlich 35 Millionen Tonnen Abfall aus noch gebrauchsfähigen Waren
verursacht. Für eine Gesellschaft ohne Müll wollen wir das Recht auf Reparatur, eine Pflicht
zur Bereitstellung von Ersatzteilen und die Zerstörung von Neuwaren minimieren. Auch das
Zerstören zurückgeschickter Waren aus dem Onlinehandel soll so bald ein Ende haben.
Noch immer verlieren wir wertvolle Rohstoffe zur Produktion von Waren aufgrund lückenhafter
Regeln. Illegalen Abfallexporten wollen wir durch eine konsequente Umsetzung der neuen
Abfallverbringungsverordnung den Riegel vorschieben. Wir setzen uns dafür ein, dass
Plastikmüllexporte in Drittstaaten gänzlich beendet werden.
Für die Erhöhung der Versorgungssicherheit in der EU brauchen wir einen europäischen Ansatz,
damit wir die Rohstoffquellen und -verarbeitungskapazität auf unserem Kontinent effektiv
nutzen können. Dazu gehört auch der heimische Bergbau von knappen Rohstoffen und die
Stärkung der Weiterverarbeitungskapazitäten in der EU. Wir werden uns dafür einsetzen, dass
die EU dies unter Einhaltung von hohen Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsstandards
ambitioniert voranbringt.
Doch Rohstoffquellen gibt es nicht nur unter der Erde: In unseren Häusern, Infrastrukturen,
aber auch in unseren Deponien und Halden liegen Rohstoffquellen, die wir bislang nicht
ausreichend erschlossen haben. Deshalb wollen wir eine konsequente Wiederverwendung und
Weiternutzung von Rohstoffen durch eine zirkuläre Wirtschaft fördern, die die Chancen der
Digitalisierung nutzt, sowie das sogenannte Urban Mining vorantreiben. Dadurch schaffen wir
neue Geschäftsmodelle und verringern gleichzeitig den Bedarf an knappen Primärrohstoffen.
Mehrweg- und Pfandsysteme möchten wir europaweit vereinheitlichen und ausweiten. Wir wollen
die Sammelquoten von Batterien erhöhen und insbesondere ein Rückgabesystem für Lithium-
Ionen-Batterien einführen. Die Verwendung von kritischen Rohstoffen wie Lithium sollte durch
weniger kritische Mineralien ersetzt werden, etwa durch den verstärkten Einsatz von Natrium-
Ionen-Batterien. Hierfür wollen wir weitere Forschungsgelder bereitstellen.
Rohstoffpartnerschaften schließen
Um unsere Rohstofflieferquellen außerhalb der EU vielfältiger zu gestalten, setzen wir uns
für eine nachhaltige Rohstoffaußenpolitik ein. Sie zielt darauf ab, neue und strategische
Partnerschaften im Rohstoffsektor aufzubauen und bestehende Partnerschaften zu vertiefen.
Wir unterstützen internationale Kooperationsformate wie die Minerals Security Partnership
(MSP) und eine verstärkte Zusammenarbeit der G7 im Rahmen des Clubs für kritische Rohstoffe.
Darüber hinaus wollen wir partnerschaftliche Kooperationen mit rohstoffreichen Ländern
weltweit vertiefen und diese bei der Um- und Durchsetzung ihrer Nachhaltigkeits- und
Menschenrechtsstandards unterstützen. Wir wollen Kooperationsangebote nicht nur einseitig im
europäischen Versorgungsinteresse ausrichten, sondern Partnerländern dabei zur Seite stehen,
ihre Wertschöpfung im Rohstoffsektor zu erhöhen und sie so besser in Lieferketten zu
integrieren. Wir wollen Länder bei dieser Aufgabe über den Global Gateway und andere
Finanzierungsinitiativen unterstützen und in diesem Kontext auch den Ausbau von Transport-
und Energieinfrastruktur fördern.
8. Moderne Mobilität
Europas Verkehrswende voranbringen
Jeder Mensch sollte die Möglichkeit haben, in Europa sicher und bezahlbar mobil zu sein.
Damit das auch morgen noch so ist, gestalten wir ein Verkehrssystem, das klimaneutral
funktioniert. Dazu gehört, dass Menschen sich auch ohne eigenen Personenkraftwagen (Pkw)
komfortabel bewegen können. Wir brauchen gut ausgebaute Schienenwege und attraktive Züge,
ein engmaschiges Netz an Radwegen und Radrouten, den Ausbau der E-Ladeinfrastruktur, ein
sicheres Straßennetz, klimaneutralen Flug- und Schiffsverkehr und attraktive Angebote, um
verschiedene Verkehrsträger zu kombinieren.
Eine solche Verkehrswende ist ein zentraler Baustein für ein gutes und selbstbestimmtes
Leben im Einklang mit dem Klimaschutz – in der Stadt und auf dem Land. Wir setzen uns
deshalb dafür ein, dass das europäische Bahnnetz weiter ausgebaut wird. Insbesondere die
Wiederherstellung von Lückenschlüssen zwischen den Ländern, europäischer Güterverkehr und
gute Nachtzüge haben für uns Priorität.
Nachtzüge sind eine komfortable und klimafreundliche Möglichkeit, lange Strecken innerhalb
Europas zurückzulegen, und damit eine gute Alternative zum Fliegen. Ein massiver Ausbau des
Nachtzugverkehrs ist daher geboten. Wir setzen uns deshalb für reduzierte Trassenpreise,
eine bessere Förderung für grenzüberschreitende Züge, für den zügigen Ausbau der
Eisenbahninfrastruktur und insbesondere eine industriepolitische Offensive für moderne
Schlafwagen ein.
Die Stärkung von Bahn- und Fahrradwirtschaft bietet nicht zuletzt große
Beschäftigungspotenziale in der Entwicklung, Produktion und Instandhaltung. Insbesondere das
industriepolitische Potenzial der Fahrradwirtschaft für lokale, ressourceneffiziente
Produktion ist bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Deshalb setzen wir uns für eine
europäische Fahrradstrategie ein, die auch den Bau sicherer Fahrradwege und die Förderung
der privaten und gewerblichen Nutzung von Cargobikes umfasst.
Tickets einfach buchen
Was beim Buchen von Flügen selbstverständlich ist, soll künftig auch für alle Zugreisen in
Europa Standard sein. Mit einem anbieterübergreifenden Ticketing-System können wir
Buchungsplattformen in die Lage versetzen, durchgehende Fahrkarten einschließlich Sharing-
Angeboten für alle anzubieten. Dabei werden jeweils die günstigsten Fahrkarten auf einfache
Weise zugänglich gemacht. Reisende werden anschauliche und transparente Informationen zu den
Kosten, Fahrzeiten sowie zur Klimawirkung der jeweiligen Reiseoption bekommen und die für
sie beste Option wählen können. Damit Europa auf der Schiene zusammenrückt, müssen Buchungen
einfacher erfolgen.
Dies sollte auch für den Offlineverkauf von Fahrscheinen gelten. Interrailtickets sollten
leichter reserviert werden können. Wir wollen zum unbeschwerten Reisen einladen und deshalb
die Fahrgastrechte stärken. Zum Beispiel sollen Reisende bei Zugausfall jeden beliebigen
nächsten Zug oder Bus nutzen können, auch wenn dieser von einem anderen Unternehmen
betrieben wird.
Auch im europaweiten öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) soll eine konsequente Umsetzung
des Open-Data-Prinzips dafür sorgen, dass Mobilitätsangebote für alle leicht und günstig
nutzbar sind. Insbesondere Sharing-Modelle und die Kombination verschiedener Verkehrsmittel,
zum Beispiel E-Bike und Bahn oder Park and Ride, sollen davon profitieren. Um
klimafreundliche Mobilität zu fördern, wollen wir Fahrgästen in neuen Zügen die
Fahrradmitnahme ermöglichen.
Daneben wollen wir in Europa für das Flatrate-Prinzip im ÖPNV werben, das wir mit dem
Deutschland-Ticket erfolgreich im eigenen Land etabliert haben. Das Deutschland-Ticket soll
auch in der ersten Station im Nachbarland gelten, um den grenzübergreifenden Austausch zu
stärken.
Antriebswende umsetzen
Damit auch morgen noch alle mobil sein können, wollen wir die Antriebswende zur
Klimaneutralität beschleunigen. Dabei muss das Prinzip gelten, so viele Verkehrsmittel wie
möglich elektrisch mit erneuerbaren Energien zu betreiben. Grüner Wasserstoff und die darauf
basierenden E-Fuels sollten bevorzugt dort eingesetzt werden, wo Verkehrsmittel nicht
preiswerter elektrisch betrieben werden können.
Die Automobilindustrie ist ein zentraler Industriezweig in Deutschland und bietet viele
Arbeitsplätze. Wir wollen sie auch deshalb auf dem Weg der Antriebswende unterstützen. Die
EU hat in einer historischen Entscheidung beschlossen, dass ab 2035 keine fossilen
Verbrennungsmotoren in Pkw mehr neu zugelassen werden dürfen. Nun braucht es eine
flächendeckende, intelligent vernetzte und effiziente Ladeinfrastruktur für alle
Verkehrsmittel. Es muss ohne Probleme möglich sein, mit einem E-Auto von Stockholm nach
Syrakus zu fahren. Um den Übergang zur E-Mobilität möglichst attraktiv zu gestalten, wollen
wir aktuelle Mängel im Verbraucherschutz, zum Beispiel teure Roaming-Gebühren beim Laden
eines E-Autos, abschaffen.
Neueste Entwicklungen deuten darauf hin, dass auch der schwere Güterverkehr auf der Straße
in Zukunft zum größten Teil batterieelektrisch abgewickelt werden kann. Dazu braucht es den
schnellen Ausbau der Ladeinfrastruktur für Lastkraftwagen (Lkw) entlang der europäischen
Fernstraßen und in den Güterverteilzentren.
Neue Pkw und andere Verkehrsmittel sollen schon in der Herstellung und Entwicklung durch
Effizienzstandards stärker an Energie- und Ressourceneffizienz orientiert werden. So wollen
wir größere Anreize für Hersteller schaffen, um leichte und effiziente Lösungen anzubieten.
Um den schweren Luft- und Schiffsverkehr klimaneutral zu gestalten, unterstützen wir die
Produktion nachhaltiger Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien, zum Beispiel E-Kerosin. Für
Häfen unterstützen wir den schnellen Aufbau einer klimaneutralen Versorgung. So werden
fossile und biogene Brennstoffe im Verkehr in einer Generation der Vergangenheit angehören.
Für den Flugverkehr unterstützen wir die Forschung und Entwicklung von klimaneutralen
Technologien.
Verkehr sicher machen
Wir verfolgen die Vision Zero für den Straßenverkehr. Diese zielt darauf ab, dass es keine
Verkehrsunfälle mit schweren Verletzungen mehr gibt. Wir setzen uns deshalb für sichere
Schulwege, Tempo 30 und Verkehrssicherheitszonen in dicht bevölkerten Innenstädten sowie für
ein EU-weites Tempolimit auf Autobahnen ein.
Lärm wird als Gesundheitsfaktor noch immer unterschätzt. Wir setzen uns für ambitioniertere
Reduktionsziele im Verkehr ein. Flugzeuge, Bahnen, Autos und Motorräder wollen wir stärker
für die Gesundheit der Menschen in die Verantwortung nehmen. Dazu wollen wir die EU-
Umgebungslärmrichtlinie sowie quellenbezogene Lärmrichtlinien (beispielsweise Grenzwerte für
die Geräuschemission von Fahrzeugen) weiterentwickeln und an den Stand der Technik anpassen.
Mehrfachbelastungen wollen wir stärker berücksichtigen. So kann die Gesundheitsbelastung der
Menschen durch Verkehr um bis zu 50 Prozent gesenkt werden. Auch Stickoxide, (Ultra-
)Feinstaub, Reifen- und Bremsabrieb müssen für den Schutz der Gesundheit minimiert werden.
Die Luftreinhaltungsrichtlinie und die Euro-7-Abgasnorm sind hierfür wichtige Schritte.
9. Gesunde Natur
Unsere Natur bewahren
Wir sind Teil der Natur. Unser Wohlstand, unsere Lebensqualität, unsere Zukunft hängen von
ihr ab. Die Natur zu schützen und dafür Sorge zu tragen, dass wir sie auch in Zukunft noch
verantwortungs- und respektvoll nutzen können, ist eine entscheidende Aufgabe der Politik.
Das gilt nicht zuletzt, weil der Reichtum der europäischen Lebensräume – von den unberührten
Wäldern Nord- und Osteuropas über die vielfältigen Kulturlandschaften Mitteleuropas bis hin
zum Mittelmeer – unser Selbstverständnis als Europäer*innen prägt und weltweit für unseren
Kontinent steht.
Wir haben hier auch dank unserer Anstrengungen in Deutschland und Europa in den vergangenen
Monaten große Durchbrüche erzielt:
Das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law, NRL) sowie die
Vereinbarungen der Weltnaturkonferenz in Montreal 2022 und das Abkommen der UN zum Schutz
der Biodiversität auf Hoher See sind historische Meilensteine. 30 Prozent der Land- und
Meeresflächen sollen dank dieser Abkommen unter Naturschutz stehen, 10 Prozent der Flächen
sogar unter besonderem Schutz. Bedrohte Arten und Lebensräume sollen endlich besser
geschützt und geschädigte Ökosysteme wiederhergestellt werden. Zudem wurden erstmals
verbindliche Regeln für den Schutz der Hohen See vereinbart. Insgesamt dürfen damit
Meeresressourcen nur noch nachhaltig genutzt werden. Mit dem NRL haben wir im Europäischen
Parlament unseren Kontinent auf den Kurs für die dringend notwendige Wiederherstellung der
europäischen Natur gesetzt. Diese Pläne müssen wir jetzt verwirklichen: Eine verbesserte
Naturschutzfinanzierung ist zum Erreichen der globalen und europäischen Ziele unabdingbar.
Deshalb fordern wir einen eigenen Naturschutzfonds ein. Mit dem NRL sollen bis 2050 alle
Ökosysteme auf den Weg der Erholung geführt werden. Wir setzen uns dafür ein, dass die
entsprechenden Konzepte bis 2035 vorliegen müssen.
Artenvielfalt retten
Die Klimakrise geht einher mit einer Biodiversitätskrise extremen Ausmaßes. Beide bedingen
einander: Die Natur ist unsere wichtigste Verbündete im Kampf gegen die Klimakrise.
Naturschutz und Klimaschutz müssen gemeinsam gedacht werden.
Wir möchten daher besonders den natürlichen Klimaschutz fördern. Schlüsselelemente sind hier
die Wiedervernässung von Mooren und Auen, ein naturnaher Waldumbau und effektiver
Meeresschutz.
Wir setzen uns dafür ein, dass es keinen Tiefseebergbau geben wird, bis ausreichend
wissenschaftliche Erkenntnisse über dessen Auswirkungen vorliegen und ernsthafte
Umweltschäden ausgeschlossen werden können. Denn neben Mooren und Wäldern gehören die Ozeane
zu den wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen die Klima- und Biodiversitätskrisen.
Intakte Ökosysteme gibt es nur mit einer lebendigen Artenvielfalt. Von den 8 Millionen Tier-
und Pflanzenarten auf unserer Erde sind 1 Million vom Aussterben bedroht – und damit ein
unendlicher Reichtum. Dieses Massensterben muss dringend gestoppt werden. Ein wichtiger
Hebel dafür ist die Art und Weise, wie wir Flächen bewirtschaften. Den Artenschwund in und
um Agrarflächen und Wälder wollen wir stoppen, indem wir die Flächenversiegelung aufhalten
und den Naturschutz in der Bewirtschaftung von Flächen stärken. Der Erhalt von Ökosystemen
muss deshalb immer mitgedacht werden. Wir setzen uns insbesondere für den Insekten-, Vogel-
und Bodenschutz ein.In der Bewirtschaftung wollen wir die ökologische Landwirtschaft und
naturnahe Waldbewirtschaftung fördern. Wir brauchen Misch- statt Monokulturen in Land- und
Forstwirtschaft, weniger Pestizideinsatz sowie eine Abkehr von degradierenden Praktiken wie
Kahlschlägen. Wir machen uns gegen illegale Rodungen stark und fordern klare, einheitliche
Definitionen für die europäische Forstwirtschaft. Dafür braucht es ein einheitliches
Monitoring und europaweite ökologische Mindeststandards im Wald. Im Hinblick auf die
zunehmende Trockenheit brauchen wir außerdem eine europäische Waldbrandstrategie, die durch
naturnahe Wälder, die Vermeidung von Kahlschlägen und ökologische Schutzkorridore die
Brandgefahr eindämmt.
Zur Erhaltung der Artenvielfalt wollen wir die natürlichen Lebensräume wieder miteinander
vernetzen, sodass Wanderungen und ein genetischer Austausch möglich und dadurch stabile
Populationen gesichert sind. Das ist eine grüne Infrastruktur für Europas Natur. Zentral
dafür ist das Natura-2000-Netzwerk. Die genetische Vielfalt fördert die Resilienz unserer
Ökosysteme und schafft somit auch einen gesellschaftlichen Mehrwert. Die Korridore sollen in
engem Austausch mit den Kommunen, Landwirt*innen und Förster*innen entstehen. Darüber hinaus
wollen wir sicherstellen, dass Ökosysteme nicht zusätzlich zerschnitten werden, ohne einen
genetischen Austausch zu gewährleisten. Wir engagieren uns für die Bereitstellung
finanzieller Anreize für Landwirt*innen und Landbesitzer*innen, um nachhaltige Praktiken
einzuführen, die den Schutz der Natur und der Artenvielfalt fördern.
In diesem Rahmen wollen wir klimaresiliente Ökosysteme wiederherstellen und
Ausweichschutzgebiete für kälteliebende Arten sowie Hilfsprogramme für besonders betroffene
Arten schaffen.
Umwelt schützen
Die zunehmende Verschmutzung und Vermüllung ist neben der Klima- und Biodiversitätskrise die
dritte große Herausforderung für den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Sie
belastet Mensch und Ökosysteme. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Auswirkungen der
Nutzung umwelt- und gesundheitsschädlicher Chemikalien. Besonders vordringlich ist es,
Stoffe in den Blick zu nehmen, die Mensch und Ökosysteme dauerhaft schädigen. Dazu zählen
sogenannte Ewigkeitschemikalien wie per- und polyfluorierte Chemikalien (PFAS). Diese werden
seit Jahrzehnten zum Beispiel in der Herstellung von Halbleitern, Medizinprodukten,
Textilien oder Kältemitteln vielfältig verwendet. Überall dort, wo sie gut ersetzt werden
können und insbesondere in verbrauchernahen Produkten, wollen wir aus ihrer Verwendung rasch
aussteigen. Gleichzeitig brauchen wir einen differenzierten Regulierungsrahmen, um die
Entwicklung von Alternativen zu verstärken und den Produktionshochlauf wichtiger
Zukunftstechnologien wie Elektrolyseuren oder elektrischer Antriebe nicht zu gefährden.
Wir setzen uns zudem für eine Chemikalienstrategie ein, die Nachhaltigkeitsanforderungen
wirklich umsetzt, vor allem bei Spielzeug-, Lebensmittelkontaktmaterialien und Kosmetik. Wir
wollen deshalb bei der Reform des europäischen Instruments für die Sicherheit von
Chemikalien (REACH-Regelung) schneller vorankommen. Wir setzen uns für die Verwendung eines
umfassenderen Ansatzes zur Risikobewertung ein, der verschiedene Dimensionen der Wirkung von
Chemikalien, schnellere Verfahren und bessere Sanktionsmöglichkeiten berücksichtigt.
Vor allem aber wollen wir unsere Chemie nachhaltig und damit zukunftstauglich aufstellen.
Deshalb setzen wir uns für ein neues Investitionsprogramm für sichere und nachhaltige
Chemikalien „made in EU“ (EU Sustainable Chemistry Act) zur Förderung des Markthochlaufs von
Green Chemistry ein. Dies ist ein Teil unseres Programms für eine klimagerechte
Industriepolitik.
Sauberes Wasser für alle
Besonders extreme Dürren und Starkregenereignisse nehmen in Europa deutlich zu. Das ist eine
große Herausforderung, um in ganz Europa die Versorgung mit sauberem Wasser sicherzustellen,
und ein Stressfaktor für unsere Natur. Bilanziell hat etwa Deutschland in den vergangenen 20
Jahren 20 Prozent seiner Wasservorräte verloren. Wir brauchen deshalb eine europäische
Wasserstrategie, die Extreme abpuffert, sauberes Trinkwasser für alle sichert sowie den
Bedarf in der Landwirtschaft und in den natürlichen Lebensräumen deckt. Neben dem Gesetz zur
Wiederherstellung der Natur müssen auch die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie
schnellstmöglich umgesetzt werden, um die Übernutzung von Grundwasser und die dadurch
drohende Schädigung von Feuchtgebieten und Flüssen zu verhindern.
Wir setzen uns ein für den Umbau hin zu einer klimaresilienten Wasserinfrastruktur und einem
naturverträglichen Hochwasserschutz. Das Risiko von Überflutungen durch Starkregenereignisse
reduzieren wir durch mehr Regenwasserbecken, Grünflächen, Bäume und Fassadenbegrünung.
Dieser Umbau zur Schwammstadt bietet gleichzeitig Kühlung und verbessert die Luftqualität.
Wir brauchen klare europaweite Grenzwerte, um bei länderübergreifenden Wasserkrisen, wie an
der Oder, konsequent handeln zu können. Wir verschreiben uns dem Ziel, 25.000 Kilometer in
der EU in frei fließende Flüsse zu renaturieren – wie in der EU-Biodiversitätsstrategie
vorgesehen. Und wir setzen uns für einen Vorrang für Trinkwasser gegenüber gewerblicher oder
landwirtschaftlicher Nutzung ein.
Dazu ist es auch notwendig, die sparsame Nutzung und die Speicherung von Wasser in der
Landschaft stärker in den Mittelpunkt zu stellen, ob im Gemüsebau durch
Tröpfchenbewässerung, im Wald durch naturnahen Mischwald oder in Gewerbe und Industrie durch
sparsame Prozesse und Wiederaufbereitung. Hier setzen wir verstärkt auf Kooperation
innerhalb Europas und mit den Mittelmeeranrainern. Denn die Erfahrungen in den semiariden
Gebieten des Südens werden in den anderen Teilen Europas dringend gebraucht.
Tiere schützen
Wir haben eine besondere Verantwortung für Tiere in menschlicher Obhut. Wir wollen, dass
Europa alle Tiere durch konsequente und ambitionierte Gesetzgebung sowie die Durchsetzung
bestehender Regelungen schützt. Denn Europäer*innen wollen Tierschutz: Sechs der zehn
erfolgreichen europäischen Bürgerinitiativen setzen sich dafür ein.
Wir fordern die Umsetzung der Initiative „Fur Free Europe“, um die Pelztierzucht und den
Handel mit Zuchtpelzprodukten auf dem europäischen Markt zu verbieten.
Wir setzen uns darauf aufbauend für eine konsequente Umsetzung des EU-Aktionsplans zur
Bekämpfung des illegalen Artenhandels ein. Den Import von Wildfängen für die Privathaltung
wollen wir beenden sowie den Import und Handel von Arten unter Strafe stellen, die in ihrem
Herkunftsland national geschützt sind. Wir sind für ein Einfuhrverbot von Jagdtrophäen von
Tierarten, die durch das Washingtoner Artenschutzübereinkommen und die EU-
Artenschutzverordnung geschützt sind, wie bereits vom EU-Parlament gefordert. In
Handelsabkommen setzen wir uns für hohe Tierschutzstandards ein.
EU und Mitgliedsländer sollen konkrete Ausstiegspläne aus Tierversuchen erstellen, die
Experimente an Tieren für Chemikalienprüfungen und Medizinprodukte wo immer möglich beenden,
für Arzneimittelentwicklung und Grundlagenforschung reduzieren und auch die Förderung
tierversuchsfreier Bildungs- und Ausbildungsinitiativen umfassen. Die Entwicklung und
Anerkennung von Ersatzmethoden wollen wir verstärken und beschleunigen. Geprüfte tierfreie
Methoden sollen unverzüglich in Testrichtlinien aufgenommen werden und an die Stelle von
Tierversuchen treten.
10. Eine starke Landwirtschaft
Gemeinsame Agrarpolitik weiter entwickeln
Landwirt*innen versorgen uns nicht nur mit dem, was wir zum Überleben brauchen. Sie sorgen
auch für eine Vielfalt an Lebensmitteln in Europa, die ihresgleichen sucht. Gleichzeitig
erhalten und pflegen sie so unsere Kulturlandschaften, die Felder, Wiesen und Weinberge, die
Europa auszeichnen. Wir wollen diese Landwirtschaft stärken – im Einklang mit der Natur und
im Dienste aller Menschen, der Produzent*innen wie der Verbraucher*innen.
Wir wollen dazu die europäische Agrarpolitik so umbauen, dass diejenigen, die die Flächen
bewirtschaften, unbürokratisch für den Erhalt der Natur und der Kulturlandschaft bezahlt
werden. Denn sie sind es, die diese gesellschaftliche Leistung erbringen, und nicht die
Eigentümer*innen der Flächen.
Statt pauschalen, flächenbezogenen Direktzahlungen in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP),
die Fehlanreize setzen und nicht zielgerichtet zu einer zukunftsfähigen landwirtschaftlichen
Struktur beitragen, wollen wir konsequent Leistungen für Klima, Umwelt, Biodiversität,
Gesundheit – und damit für das Gemeinwohl entlohnen. Leistungen sind so zu gestalten, dass
sie Planungssicherheit ermöglichen und direkt bei den Landwirt*innen ankommen, die vor Ort
verankert sind.
Die EU-Agrarpolitik können wir damit so gestalten, dass sie allen in der Landwirtschaft
tätigen Frauen und Männern eine Perspektive bietet, denn jeder Hof zählt. Indem wir
regionale Wertschöpfungsketten vom Bauernhof bis zum Teller und das Lebensmittelhandwerk
stärken, verbessern wir ihre wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Landwirt*innen müssen dabei gegenüber den Verarbeiter*innen und dem Einzelhandel in der
Wertschöpfungskette gestärkt werden. Insbesondere der Einzelhandel kann und muss einen
höheren Beitrag zur Stabilisierung der Erlöse für die Produzenten und der Preise für die
Verbraucher*innen leisten. Wir setzen uns deshalb für europaweite Regelungen ein, um
Preisdumping im Lebensmittelbereich zu beenden.
Gute Lebensmittel für alle
Ernährung ist ein zentraler Teil unserer Kultur und individuellen Identität. Sie ist
maßgeblich für unsere Gesundheit und unsere Lebensqualität. Wir wollen eine gute Ernährung
für alle ermöglichen. Das ist auch ein Beitrag zur Stärkung regionaler Wirtschaftsräume,
denn die Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln vor Ort schafft Wohlstand und
regionale Identität.
Jede und jeder soll frei entscheiden können, was auf den Teller kommt. Die EU kann die
Entscheidungsfreiheit von Verbraucher*innen schützen, indem sie für verlässliche
Informationen über Herkunft und Inhalt von Lebensmitteln sorgt. Wir unterstützen daher
europaweite Labels, um nachhaltigen, regionalen, saisonalen, vielfältigen und
tierschutzkonformen Konsum zu ermöglichen. Mit einem EU-weiten Rahmen für nachhaltige
Ernährungssysteme stellen wir die Zeichen auf Nachhaltigkeit. Wir wollen etwa durch
Änderungen des Vergaberechts Anreize setzen für eine bessere Ernährung in der
Gemeinschaftsverpflegung, von Kita bis Krankenhaus. Wir wollen ein Umfeld schaffen, in dem
es leicht ist, sich gesund und nachhaltig zu ernähren. Wir wollen, dass Nahrungsmittel frei
von chemischen Rückständen wie Pestiziden und hormonwirksamen Stoffen sind. So schaffen wir
eine nachhaltige und gesunde Ernährung für alle, besonders für Kinder.
Lebensmittel gehören auf den Teller und nicht in den Müll. Wir setzen uns deshalb für
rechtsverbindliche Maßnahmen ein, um die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren,
einschließlich der Neubewertung von Aussortierungsmerkmalen und Supermarktnormen sowie der
Einführung von Verzehr- statt Mindesthaltbarkeitsdaten, um verbindlichere Angaben für die
sichere Verzehrbarkeit von Lebensmitteln zu liefern.
Ökologische Landwirtschaft gestalten
Europas Landwirtschaft muss nachhaltiger wirtschaften, um die Ernährung der Zukunft zu
sichern. Agrarökologische Ansätze, die dieses Ziel verfolgen, können dabei der gesamten
Landwirtschaft helfen. Ökologische Landwirtschaft ist die Vorreiterin dafür: Unser Ziel ist
es, bis 2030 einen Anteil von 25 Prozent ökologischer Landwirtschaft zu erreichen und diesen
Anteil bis 2035 und darüber hinaus weiter zu erhöhen. Ökologisch wirtschaftende Betriebe
erzielen in Deutschland ein höheres Einkommen pro Person als konventionelle Betriebe. Das
zeigt, dass es sich schon jetzt finanziell lohnt, in eine regionale und nachhaltige
Wirtschaftsweise zu investieren. Wir wollen die Rahmenbedingungen dafür stärken.
Dazu gehört auch die Forschungs- und Förderpolitik der EU. Es braucht mindestens 30 Prozent
der Mittel für den Ökolandbau in der Züchtungsforschung sowie Unterstützung bei der
Entwicklung innovativer Konzepte für die Bio-Wertschöpfungskette. Außerdem sollen
Ökobetriebe nicht mehr doppelt nachweisen müssen, dass sie Vorschriften einhalten. Das EU-
Biosiegel wollen wir beim Tierschutz, insbesondere in der Eierproduktion, nachschärfen.
Für eine nachhaltige und transparente Landwirtschaft ist es unabdingbar, dass Betriebe, die
gentechnikfrei wirtschaften wollen, dies sicher tun können. Die EU soll garantieren, dass
alle wissen, was bei ihnen auf den Teller kommt und wo es hergestellt wurde. Transparenz und
Wahlfreiheit müssen besonders bei gentechnisch veränderten Futter- und Lebensmitteln
sichergestellt werden. Patente auf Pflanzen lehnen wir ab, egal ob diese ihren Ursprung in
konventioneller Züchtung oder in gentechnischen Verfahren haben. Damit sichern wir die
Zukunft besonders kleiner und mittelständischer Landwirtschafts- und Zuchtbetriebe.
Der übermäßige Einsatz von Pestiziden belastet unsere Natur auf vielfache Weise. Die bisher
verabschiedeten europäischen Pläne zur Schadstoffreduktion aber werden noch nicht konkret
umgesetzt. Das wollen wir ändern und dafür sorgen, dass die Ziele der EU auf
wissenschaftlicher Basis weiterentwickelt werden. Die Mitgliedstaaten wollen wir zu weiteren
wirksamen Maßnahmen verpflichten, etwa einer Pestizidabgabe.
Wir schließen Rechtslücken, die bisher zum Beispiel den Einsatz von
fruchtbarkeitsschädigenden Chemikalien in Dünger oder von Mikroplastik in Pestiziden
erlauben. Die Genehmigungsverfahren für Pestizide wollen wir reformieren, indem die
vorgelegten Studien nicht mehr von den Herstellern, sondern von den Bewertungsbehörden in
Auftrag gegeben werden. Die Hersteller dürfen sich nicht länger aussuchen können, in welchem
Mitgliedstaat die Behörden ihre Anträge prüfen. Um Zeit und Kapazitäten zu gewinnen,
beschleunigen wir die Genehmigungsverfahren von Stoffen, bei denen früh klar ist, dass sie
aufgrund von Ausschlusskriterien nicht genehmigungsfähig sind. Zudem setzen wir uns für die
konsequente Umsetzung des Verursacherprinzips ein, sodass Unternehmen, die Pestizide in den
Verkehr bringen, für entstandene Schäden im Grundwasser oder in der Biolandwirtschaft
haften.
Mit Nachhaltigkeit Ernährung sichern
Die Landwirtschaft leidet besonders unter der Klimakrise mit langen Dürren und plötzlichem
Starkregen. Wenn wir die Überdüngung beenden, den Einsatz von fossilen Düngern zurückfahren
und die Böden wieder zu Senken von CO2 machen, ist die Landwirtschaft ein zentraler Teil des
natürlichen Klimaschutzes. Deshalb setzen wir uns für die Wiedervernässung von Mooren, den
Aufbau von Holzmasse und die Weidewirtschaft ein – mit stabilen Einkommensperspektiven für
Landwirt*innen. So kann die Landwirtschaft ihren nötigen Beitrag zum Klimaschutz und zur
Klimaanpassung leisten.
Die Wiedervernässung der Moore geht nur mit den Landwirt*innen zusammen. Uns ist wichtig,
dass die Wertschöpfung in den Moorregionen erhalten bleibt. Deswegen unterstützen wir
Landwirt*innen bei der Bewirtschaftung von wiedervernässten Moorflächen und fördern den
Aufbau neuer Wertschöpfungsketten in ländlichen Räumen. Sowohl Moore als auch die
Weidewirtschaft auf mineralischen Böden sind ein echter Klimaschützer, da hier deutlich mehr
Kohlenstoff gespeichert wird als im Ackerboden. Außerdem stellt die Weidewirtschaft die
tierfreundlichste Haltung dar. Diese wollen wir stärker fördern.
Die europäischen Meere und ihre Fischbestände sind in einem schlechten Zustand. Wir werden
deshalb die Meeresumwelt besser schützen, um auch den Fischbeständen und unseren
Fischer*innen eine nachhaltige Perspektive zu geben. Deshalb unterstützen wir den
Aktionsplan der Kommission zur Erhaltung der Fischereiressourcen und zum Schutz der
Meeresökosysteme. Wir fördern Alternativen zur Stellnetz- und Schleppnetzfischerei und gehen
gegen besonders umweltschädliche Fangmethoden vor.
Tiere gut halten
Wir wollen die Tierhaltung so gestalten, dass sie wertvolle Lebensmittel liefern kann, Tiere
als Lebewesen in ihren Bedürfnissen respektiert und Teil einer nachhaltigen Bewirtschaftung
unserer vielfältigen Landschaften ist. Die industrielle Tierhaltung dagegen gefährdet
essenzielle Lebensgrundlagen und die Gesundheit der Menschen: zoonotische Erreger,
multiresistente Keime, Trinkwasserverschmutzung, Lebensraumzerstörung, Artenverlust,
Lebensmittelverschwendung in der Tiermast und hohe Klimagasemissionen – wenn wir Tieren
schaden, schaden wir uns letztlich selbst.
Deshalb wollen wir weniger Tiere besser halten und die Züchtung auf ihre Gesundheit
konzentrieren. Daher setzen wir uns für die Etablierung, Verbesserung und bessere Kontrolle
einheitlicher europaweiter Tierschutzstandards in Zucht, Haltung, Transport, Tötung und
Handel ein. Das umfasst das Ende von Käfig- und Kastenhaltung sowie von fehlenden
Brandschutzvorkehrungen. Im Mittelpunkt steht für uns die möglichst lokale Verarbeitung: Wir
brauchen eine deutliche Reduzierung von Lebendtiertransporten. Dabei möchten wir
Langstreckentransporte auf acht Stunden begrenzen und Tiertransporte in schwer
kontrollierbare Regionen unterbinden. Bei der Schlachtung fordern wir eine bessere
Kontrolle, ein Ende der CO2- und Wasserbadbetäubung, die Betäubungspflicht bei der Tötung
von Fischen, Krebsen, Hummern und Tintenfischen und ein Verbot der Tötung von Küken.
Die Gesundheit von Mensch und Tier ist durch den übermäßigen Antibiotikaeinsatz in der
landwirtschaftlichen Tierhaltung massiv bedroht. Derzeit werden mehr Antibiotika an gesunde
Tiere als an kranke Menschen verabreicht. Den Antibiotikaeinsatz wollen wir drastisch
reduzieren, um die Entstehung multiresistenter Keime zu vermeiden, die eine der größten
gesundheitlichen Bedrohungen auch für den Menschen darstellen. Dafür braucht es eine
Umstellung auf bessere Haltungsformen, eine Steigerung der Tiergesundheit, die Einschränkung
der Gruppenbehandlung und vorrangige Behandlung kranker Einzeltiere. Reserveantibiotika
sollen der Humanmedizin vorbehalten sein.