„Der militärisch-industrielle Komplex verschlingt mit Billionen und Billionen von Dollar den Großteil der Budgets der Industrieländer, steht aber im Gegensatz zu der Gleichgültigkeit und Unfähigkeit, zur Menschlichkeit und zum Schutz der Natur beizutragen. Die Bretton-Woods-Welt hat den Tiefpunkt erreicht, und es liegt nun an uns zu erkennen, dass wir beim derzeitigen Tempo die Ziele für nachhaltige Entwicklung und die Finanzierung der Klimaanpassung nicht erreichen. Es handelt sich nicht darum, Maßnahmen zu ergreifen, wenn es nicht darum geht, Änderungen am Wirtschaftssystem vorzuschlagen, die ein tiefes Engagement für Mensch und Natur verlangen. Es gibt keine unsichtbare Hand, es gibt kein Trickle-Down, die Praxis lehrt uns, dass die Anwendung des globalen Kapitalismus und des neoliberalen Modells nur Elend, Ungleichheit und einen wahnsinnigen Individualismus der Konsumgesellschaften hervorbringt, und das angesichts der großen Entbehrungen von Milliarden von Menschen.“
(Xiomara Castro, Präsidentin von Honduras und ab 2024 Vorsitzende der Gemeinschaft Karibischer und Lateinamerikanischer Staaten (CELAC) in ihrer Rede vor der UN-Vollversammlung am 20. September diesen Jahres.)
Geschichtsbewusster Antikolonialismus ist die Grundlage für eine Zukunft der gemeinsamen Wohlentwicklung – in Bezug auf die internationale Kooperation in politischen Gremien (EU-CELAC), Handelsabkommen (EU-Mercosur), Demokratie.
Zur Gründungszeit der Grünen wurde die zerstörerische Macht der zu Profitzwecken antidemokratisch agierenden Konzerne noch als Problem verstanden. Die gemeinsamen Herausforderungen der Bevölkerungen in den unterentwickelten und entwickelten Ländern, auf die Salvador Allende bereits 1972 vor den Vereinten Nationen aufmerksam gemacht hatte (https://www.youtube.com/watch?v=FaSa-Px0k1k) sollten wir heute konsequenter angehen anstatt mystifizierende Worte über „natürliche Partner“ zu verlieren, den Schutz zivilgesellschaftlicher Aktivitäten ausgerechnet der EU zuzuschreiben oder gar Klischees über „Korruption und Drogenkriminalität“ zu reproduzieren und diese Probleme ihres Kontextes der Landkonflikte und ihrer westlichen Nutznießer zu entheben.
Der Sturm auf das brasilianische Regierungsgebäude kann gerade aus Deutschland nicht ohne den Kontext thematisiert werden, in dem der Bolsonarismus Raum greifen konnte: Für die Wahl Jair Bolsonaros warb 2018 unter anderem die Deutsche Bank. Andere Unternehmen machten ebenfalls Stimmung.[1] Das deutschen Wirtschaftsministerium warb für die neoliberale Rentenreform unter Bolsonaro in Brasilien – die selbe Politik, die auch hierzulande die soziale Spaltung und Verrohung vorantreibt und damit die Grundlage für rechte Kräfte bereitet.[2] Der Hass auf soziale Gleichheit, der vor dem Sturm auf das Regierungsgebäude bereits in Mordanschlägen gegen linke Politiker:innen wie Marielle Franco (die durch eine deutsche Waffe von Heckler und Koch erschossen wurde), dem Rassismus gegen Afrobrasilianer:innen und hochkonventionellen geschlechternormativen Familienbildern zum Ausdruck kam, wurde damit von hier aus befeuert.
Der bolivianische Senat forderte die Europäische Union direkt auf, die Rolle einiger ihrer politischen und diplomatischen Vertreter in Bolivien bei der Entstehung der sozialen Unruhen im Jahr 2019, „die einen Staatsstreich im Land ermöglichten“, zu untersuchen und zu bewerten.[3]
Welche negativen Auswirkungen Freihandelsabkommen auf Ernährungssicherheit durch die Rechte auf Landnutzung, Landwirtschaft ohne Pestizide, Unabhängigkeit von genmanipuliertem und teurem Saatgut und einen Ausbau der Produktion von verarbeiteten Produkten statt bloßen Rohstoffen hat, zeigen am Beispiel des aktuell erneut diskutierten EU-Mercosur-Deals Studien von NGOs wie Misereor und Greenpeace auf.[4] Diese machen auch deutlich, dass das Problem nicht etwa in einer „Rückständigkeit“ der Länder des Globalen Südens liegt, sondern in der Intransparenz und den Demokratiedefiziten der EU-Kommission und mahnen zur vorgesehenen Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft.[5] „Ein nüchterner Blick auf die verfügbaren Folgenabschätzungen zeigt, dass die wirtschaftlichen Effekte des EU-Mercosur-Abkommens gering sind. Die Beschäftigungseffekte für die EU und Österreich können sogar negativ ausfallen. Die zu erwartenden Umwelteffekte, vor allem der Verlust von Waldflächen im Amazonasgebiet, werden unterschätzt. … Darunter ist auch die von der Europäischen Kommission bei der London School of Economics (LSE) beauftragte Folgenabschätzung. […] Im Allgemeinen gehen die Studien nicht auf mögliche Anpassungskosten durch temporäre Arbeitslosigkeit und Umschulungen ein und vernachlässigen mögliche negative Auswirkungen auf die Beschäftigung in langfristiger Perspektive. […] Für die Mercosur-Staaten werden höhere Produktion und Exporte von Agrar- und Nahrungsmittelprodukten (insbesondere Soja, Fleisch, Ethanol) erwartet, während die meisten Studien Produktionsverluste für die verarbeitende Industrie ausweisen. Die Anpassungskosten in den Mercosur-Ländern werden also von Industriearbeiter*innen zu tragen sein, die unter Arbeitsplatzverlusten und Lohndruck leiden werden, und von den lokalen, meist indigenen Gemeinschaften in dem Maße, in dem eine expandierende Agrarproduktion sich indigenes Land für die landwirtschaftliche Nutzung aneignet. […] Die LSE-Studie geht nur von geringen Veränderungen bei den CO2– und anderen Treibhausgas-Emissionen aufgrund von EUMAA aus. Zusätzliche CO2-Emissionen aus dem Transportdienstleistungssektor oder mögliche Emissionen aus Landnutzungsänderungen werden jedoch nicht berücksichtigt.“[6]
Zu noch drastischeren Einschätzungen kommt eine Studie der Boston University mit dem Titel „Trading Away Industrialization? Context and Prospects of the EU-Mercosur Agreement”: “the agreement is likely to be a step toward less productive, more unequal and more vulnerable economies in both blocs.”[7]
[1] https://www.businessinsider.de/wirtschaft/warum-die-deutsche-wirtschaft-bolsonaro-feiert-2019-1
[2] https://www.gtai.de/de/trade/brasilien/wirtschaftsumfeld/brasilien-wartet-auf-die-rentenreform-23164
[3] https://amerika21.de/2021/05/250304/evo-bolivien-ep-resolution-kolonialismus
[4] https://www.misereor.de/fileadmin/publikationen/Studie_MERCOSUR_Misereor.pdf
[5] https://www.misereor.de/fileadmin/publikationen/Rechtsgutachten-EU-Mercosur-DE.pdf
[6] https://awblog.at/eu-mercosur-handelsabkommen-2/
[7] https://www.bu.edu/gdp/files/2021/06/GEGI_WP_052_FIN.pdf