Der armenische Premierminister Nikol Paschinjan hat sich bereits vor der „Samtenen Revolution“ des Landes 2018 russlandkritisch positioniert. Nach der Revolution entschied seine Regierung sich zunächst dazu, behutsam vorzugehen und die Beziehungen zu Russland nicht zu beschädigen, um kein Risiko für das wirtschafts- und sicherheitspolitisch eng mit Russland verbundene Armenien einzugehen. Bereits im Bergkarabachkrieg 2020 jedoch enttäuschte Russland die Armenier*innen. Zum Bruch kam es dennoch erst 2021, nachdem Aserbaidschan zum ersten Mal Angriffe auf völkerrechtlich klar armenisches Territorium verübte und Moskau Armenien trotz der gemeinsamen Mitgliedschaft in der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) nicht zur Hilfe kam. Auch versprochene Waffenlieferungen aus Russland zur Verteidigung Armeniens kamen nie an. Es ist plausibel, dass Russland Armenien auch deshalb nicht unterstützt, weil es die demokratisch gewählte, reformorientierte Regierung für nicht schützenswert hält und stattdessen die „alten Eliten“, die für Korruption und eine pro-russische Orientierung stehen, als Partner sieht. Die Armenier*innen jedenfalls wenden sich immer mehr von Russland ab und schauen in Richtung Europa.
Die Beziehungen zwischen Armenien und der EU haben sich in den letzten Jahren enorm intensiviert: im Rahmen der Implementierung des CEPA-Abkommens, das Armenien unterzeichnete, als die pro-russische Vorgängerregierung Putins Druck nachgab und sich entschied, das bereits entwickelte Assoziierungsabkommen nicht zu unterzeichnen (ähnlich wie Janukowitsch in der Ukraine); aber auch durch die Mediation von Ratspräsident Charles Michel zwischen Armenien und Aserbaidschan sowie durch die EU-Mission in Armenien, die die armenisch-aserbaidschanische Grenze beobachtet. Trotz der fortwährenden Bedrohung durch Aserbaidschan und des Drucks aus Moskau bleibt die armenische Regierung bei ihren demokratischen Reformplänen und ihrer Friedensorientierung. Daher sollten wir Grüne uns für eine europäische Perspektive für Armenien einsetzen, die den Armenier*innen eine neue Zukunftsvision geben würde. Eine europäische Perspektive für Armenien würde nicht nur europäischen Werten entsprechen, sondern auch dem europäischen Interesse an der Stärkung demokratischer Stabilität im Südkaukasus.