Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | VR Im V-Ranking priorisierte Anträge |
Status: | Beschluss (vorläufig) |
Beschluss durch: | Bundesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 16.11.2024 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Grüne Strukturen auf dem Land stärken
Beschlusstext
Bereits der Name unserer Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN steht für zwei wichtige
Grundsätze: Eine starke Ausrichtung auf Bündnisarbeit und Solidarität sowie das
Bekenntnis zu unserem geeinten Deutschland. Wir haben uns zur Aufgabe gemacht,
trotz großer Unterschiede zwischen urbanen und ländlichen Räumen gleichwertige
Lebensverhältnisse zu schaffen, oder wie es die Bundestagsfraktion formuliert:
„Wir wollen die zunehmende Kluft zwischen Stadt und Land überwinden und die
strukturellen Unterschiede zwischen den Regionen abbauen." Diesen Satz wollen
wir mit Leben füllen.
Strukturell und konzeptionell verteilt sich unsere Partei heute sehr
unterschiedlich. Sie hat teils sehr starke Regionen und Wahlergebnisse, viele
Neueintritte in wirtschaftsstarken Regionen und großen Städten. Dem gegenüber
stehen in den ländlichen Räumen oft ehrenamtliche Einzelkämpfer*innen, die
vermehrt Angriffen und Beleidigungen ausgesetzt sind. Es braucht daher auch mehr
hauptamtliche Unterstützung und Strategien, um unsere Mitglieder zu stärken in
ihrem Engagement für eine offene Demokratie. Besonders nach den letzten
Kommunalwahlen und den Landtagswahlen in den neuen Bundesländern mit einem teils
dramatischen Rückgang der bündnisgrünen Wahlergebnisse müssen wir uns als
Gesamtpartei der Frage stellen, wie wir in den kommenden Jahren an einer
Verbesserung unserer Präsenz und Wirkkraft überall im Land arbeiten.
Als solidarische und kämpferische Partei, die wir sind, müssen wir uns
unterhaken und die Sichtbarkeit für GRÜN auch in ländlichen Räumen verbessern
und gewährleisten. Die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft gelingt
nur gemeinsam. Um unsere Zukunft erfolgreich zu gestalten, setzen wir uns dafür
ein, dass ländliche und urbane Räume nicht als Gegensätze, sondern als
gegenseitige Ergänzungen verstanden werden. Damit dieses Miteinander gelingt,
bieten wir uns als der politische Partner für alle Menschen an – in Stadt und
Land.
Gerade außerhalb von Wahlkämpfen bedeutet dies konkret:
- die Lebenswirklichkeit ländlicher Regionen und ihre Unterschiede zu
städtischen Regionen anerkennen und programmatisch berücksichtigen;
- Kampagnen zielgruppenspezifisch auf diese Bedürfnisse ausrichten;
- Orts- und Kreisverbände aus ländlichen Regionen organisatorisch,
finanziell und personell gezielt stärken.
Zu 1: Die programmatischen Angebote bündnisgrüner Politik müssen ländliche
Regionen in allen Politikfeldern stärker mitdenken. Dies gilt unter anderem für
die Energie- und Wärmewende, für den Ausbau der (digitalen) Infrastruktur sowie
für die Verkehrs- und Mobilitätspolitik. Das tun unsere kommunalen Fraktionen
überall im Land. Gerade in den ländlichen Räumen entscheidet sich, ob wir die
Herausforderungen unserer Zeit meistern, den Zusammenhalt stärken und für alle
Menschen gleichwertige Lebensverhältnisse schaffen. Um hier realistische
Angebote für die hier lebende Bevölkerung zu machen, gilt es auch die
Bedürfnisse und Rechte von Minderheiten zu berücksichtigen - denn beispielsweise
leben auf dem Land 20% der Menschen mit einer Behinderung. Mit Blick auf den
demografischen Wandel sind unter anderem notwendige Reformen der
Krankenhauslandschaft und Projekte der medizinischen Versorgung dringend
umzusetzen. Auf dem Land und besonders in Ostdeutschland leben jetzt schon
proportional mehr Ältere. Auch für Menschen mit Behinderungen fehlt oftmals der
Zugang zu Mobilität oder Gesundheitsversorgung. Diese Perspektiven wollen wir
bei der Formulierung unserer programmatischen Ziele einbeziehen, indem wir die
unterschiedlichen Bedarfe in Stadt und Land gleichberechtigt berücksichtigen.
Zu 2. Aktionen und Kampagnen müssen die ländlichen Regionen ganzjährig und auch
außerhalb der Wahlkampfsaison im Blick haben und sich stärker an deren
Bedürfnissen orientieren. Um den unterschiedlichen Bedarfen der vielfältigen
Regionen gerecht zu werden, müssen wir die Strukturen unserer Partei nachhaltig
stärken. Grundlage hierfür ist unser Selbstverständnis als Bündnispartei und
eine Politik auf Augenhöhe, die auf Zuhören und einen offenen Dialog mit den
Menschen setzt. Zugleich wollen wir viel selbstbewusster Erfolge und Chancen
grüner Politik im ländlichen Raum kommunizieren, etwa bei der Energiewende,
lokaler Wertschöpfung oder im Natur- und Artenschutz. Nur so können wir
verstehen, welche Themen die Menschen bewegen und mit ihnen ins Gespräch kommen.
Gesprächsangebote und der Aufbau von Netzwerken schaffen Vertrauen in unsere
Arbeit vor Ort. Die Kampagnen müssen diese Ziele unterstützen. Gleichzeitig
braucht es die Präsenz in der Fläche. Tagungen und Veranstaltungen der
Bundespartei und der Landesverbände sollen verstärkt in ländlichen Räumen
stattfinden bzw. in diese hineinwirken. Zudem sollen offizielle Termine von
Amts- und Mandatsträger*innen rechtzeitig an die Mitglieder vor Ort kommuniziert
und nach Möglichkeit bei den Besuchen auch Veranstaltungen mit den Menschen vor
Ort geplant werden.
Den Mitgliedern, die hier unter teils prekären Bedingungen und in einem
aufgeheizten Diskussionsklima für unsere Politik einstehen, müssen wir
verlässlich und kräftig unter die Arme greifen und in eine gute und gleichmäßige
Arbeit aller Parteiorgane investieren. Dafür braucht es einen neuen Aufbruch und
das Bekenntnis der ganzen Partei, solidarisch nach innen zu unterstützen, um
überall vor Ort solidarisch nach außen wirken zu können. Die Schulung von
Mitgliedern im Umgang mit anti-grünen Narrativen, Hass und Gewalt wollen wir
ausbauen.
Zu 3. Die Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Regionen zeigen sich
auch in den organisatorischen, finanziellen und personellen Möglichkeiten der
Orts- und Kreisverbände. Um die ländlichen Regionen in den Fokus bündnisgrüner
Politik zu stellen, müssen die bündnisgrünen Strukturen in diesen Regionen
deutlich gestärkt werden. Daher müssen wir in gemeinsamer Verantwortung im
ganzen Bundesgebiet eine sichere Basis für unsere politische Arbeit vor Ort
stellen. Grundlage einer wirksamen und nachhaltigen politischen Arbeit ist die
Schaffung von mehr hauptamtlichen Stellen, die die Orts- und Kreisverbände,
insbesondere die ohne Fraktionen, Geschäftsführung oder Mandatsträger*innen,
unterstützen oder direkt vor Ort angesiedelt werden könnten.
Hohe Kosten für Mobilität sowie fehlende Barrierefreiheit dürfen keine Hürde für
die politische Teilhabe sein. Alle Interessierten sollen in unserer Partei
wirksam werden können. Darüber hinaus wollen wir die politische Teilhabe von
Menschen mit Vielfaltsmerkmalen auch in ländlichen Flächenkreisen weiter
unterstützen. Zusätzlich braucht es konsequente Professionalisierung und die
Übernahme von spezifischen Aufgaben durch die Landesverbände: Bei Buchhaltung,
Webseite, Materialorganisation und -verbreitung usw., damit sich die
Kreisgeschäftsstellen auf die Kommunikation mit den Wähler*innen und den
Mitgliedern konzentrieren können. Für eine gute Öffentlichkeits- und
Medienarbeit, insbesondere Social Media, braucht es Unterstützung aus der
Partei, um Reichweite und Wirkung zu stärken.
Zur Stärkung der bündnisgrünen Arbeit sollen daher:
a) Die Stärkung grüner Strukturen in ländlichen Räumen hat eine große Bedeutung
für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Im Zuge der aktuellen Haushaltsplanung unterstützen
der Bundesverband und die Landesverbände gemeinschaftlich die Einführung
regionaler Wahlkampfmanager*innen zur Stärkung der Wahlkampfaktivitäten der
Kreisverbände in strukturschwachen Landesverbänden. Die Wahlkampfmanager*innen
sollen für die politische Arbeit der Kreisverbände zur Verfügung stehen. Dazu
werden für 2024/25 400.000 € aus dem Solifonds verwendet.
Zudem unterstützt der Bundesverband den Wahlkampf vor Ort durch eine
unkomplizierte Subventionierung für das Aufstellen von Werbegroßflächen im
Bundestagswahlkampf mit bis zu 1 Million €. Bei dieser Subventionierung werden
Kreisverbände in strukturschwachen Regionen gezielt dem Solidargedanken
entsprechend stärker bezuschusst. Das verringert den finanziellen Druck auf
diese Kreisverbände sofort und wirksam.
Um grüne Strukturen für die Zukunft zu sichern, weiterzuentwickeln und
perspektivisch zu verbessern soll der Bundesverband Vereinbarungen mit den
Landesverbänden mit strukturschwachen Kreisverbänden treffen. Der dafür zur
Verfügung stehende Strukturfonds muss mit den dafür nötigen Mitteln ausgestattet
sein. Der Bundesfinanzrat prüft, ob es die Haushaltslage erlaubt, im
Wahlkampfbudget weitere Mittel für die Unterstützung strukturschwacher
Kreisverbände bereit zu stellen. Kurzfristig sind mit den Landesverbänden
Brandenburg und Thüringen Vereinbarungen zu treffen, welche über ein
Sonderbudget zur Stabilisierung grüner Strukturen eine Unterstützung in Höhe von
weiteren insgesamt 100.000 Euro festlegt.
Im Hinblick auf die kommenden Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und
Sachsen-Anhalt wird der Bundesverband gemeinsam mit den Landesverbänden eine
Entwicklung und Stärkung der Kreisverbände unterstützen und dazu konkrete
Vorschläge erarbeiten. Die gegenseitige Unterstützung stärkerer und schwächerer
Kreisverbände unterstützt der Bundesverband durch organisatorische und
konzeptionelle Maßnahmen. Diese Maßnahmen sollen ausgebaut und verstetigt
werden.
b) Der Bundesfinanzrat wird gebeten, einen für den Bundeshaushalt 2027 wirksamen
Vorschlag einer neuen solidarischen Finanzierung der Parteistrukturen von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu unterbreiten, um den Herausforderungen einer wachsenden
Partei zu begegnen und um die Grundlagen für eine flächendeckende
Professionalisierung zu schaffen. Dabei sollen die sehr unterschiedlichen
Strukturen und Ausgangsvoraussetzungen der Gliederungen besondere Beachtung
finden. Dafür muss in einem ersten Schritt geklärt werden, welche Aufgaben die
jeweiligen Gliederungen möglichst effizient übernehmen können. Im Anschluss wird
ausgehend von diesen Aufgabenzuschnitten und Rahmenbedingungen ein
Finanzierungsmodell erarbeitet. Die Aufgabenklärung soll dem Bundesvorstand und
dem Parteirat Anfang 2026 vorgestellt werden.