Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | KV Warendorf KMV (dort beschlossen am: 01.10.2024) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 02.10.2024, 16:22 |
V-51: Unsere Heimat – sozial, gerecht, grün
Antragstext
Unser Land durch die Krisen wie den russischen Angriffskrieg, den
demographischen Wandel, die Klimakatastrophe und den Artenkollaps, zu führen,
erfordert enorme zivilgesellschaftliche, politische und volkswirtschaftliche
Kraft. Das zeigt sich in der Stagnation der Wirtschaft, in anwachsender sozialer
Ungerechtigkeit, in der Zunahme von Zukunftsangst und in der Bedrohung durch den
Faschismus.
Die Herausforderungen sind vielfältig wie nie, was die Situation der
öffentlichen Haushalte verschärft. Ob im Bund, in den Ländern oder in den
Kommunen: Die Kassen sind angespannt, gleichzeitig ist der Investitionsbedarf
hoch wie nie.
Auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene arbeiten wir Grüne konstruktiv und
verantwortungsvoll daran, unsere Heimat durch diese Krise zu führen. Beim Lösen
von Investitionsbremsen, durch Beschleunigung von Planungs- und
Genehmigungsverfahren, dem Abbau bürokratischer Lasten achten wir auf die
ausreichende Berücksichtigung von Umwelt- und Naturschutzbelangen und
Arbeitnehmer*inneninteressen sowie darauf, dass die Beteiligung von Bürger:innen
nicht gravierend eingeschränkt wird, um Transparenz und Akzeptanz zu
gewährleisten. Beim beschleunigten Aufbau einer klimaneutralen, günstigen und
widerstandsfähigen Energieversorgung sehen wir bereits Erfolge, da gerade im
Strombereich die Energiewende greift und Stromkosten sowie
Treibhausgasemissionen stetig sinken.
Was bisher erreicht wurde, ist nichts mehr als ein Anfang. Nun kommt es auf uns
Grüne an, jetzt die angehäuften Probleme der Vergangenheit zu lösen und die
Problemlösung nicht weiter den nachfolgenden Generationen aufzubürden. Dazu sind
insbesondere die Bundesregierung und die demokratischen Fraktionen im Bundestag
gefordert, ihren Anteil zu leisten.
Der Investitionsbedarf der Republik in die klimaneutrale Transformation wird auf
rund fünf Billionen Euro geschätzt, was jährlichen Zusatzinvestitionen von etwa
191 Milliarden Euro entspricht. Die USA zeigen, mit dem Inflation Reduction Act,
dass dadurch ein enormer Aufschwung möglich ist, von dem die Breite der
Gesellschaft profitiert. Wir sollten diese Chance weder liegen lassen noch den
Anschluss daran verpassen. Dies bedeutet aber auch, unseren Sozialstaat nicht zu
schröpfen, sondern zu stärken. Die Sicherung der sozialen Infrastruktur ist
entscheidend, um soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten und nachhaltige
Stabilität zu sichern. Wir müssen investieren; staatlich und privat. Allein mit
Einsparungen in den laufenden Haushalten sind diese Summen nicht zu realisieren.
Gerade vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren kaum gestiegenen Reallöhne
der breiten Mehrheit mit unteren und mittleren Einkommen ist uns klar: Ohne eine
starke soziale Flankierung werden wir keine Akzeptanz für die notwendigen
Maßnahmen einer entschlossenen Krisenbewältigung erreichen. Im Gegenteil, eine
radikale Sparpolitik schädigt das Vertrauen in die Demokratie und befördert den
Faschismus. Mit Investitionen in die Daseinsvorsorge halten Demokrat*innen
dagegen. Für uns ist daher klar: Ein sozialpolitischer Kahlschlag kann nicht die
Antwort auf die aktuellen Krisen sein.
Dazu kommt, dass die Krisenbewältigung eine ganze Reihe neuer
Ausgabenotwendigkeiten mit sich bringt. Deutschland muss sich darauf einstellen,
seine Sicherheitsausgaben weiter zu steigern, um der wachsenden Bedrohung
unserer Sicherheits- und Friedensordnung wirksam entgegentreten zu können. Diese
Realität haben wir uns weder gewünscht noch ausgesucht.
Unter dieser neuen Realität bremst die Einhaltung der aktuell im Grundgesetz
verankerte Schuldenbremse unser Land und seine Zukunftsfähigkeit. Notwendige
Investitionen in Infrastruktur, Transformationsprojekte und gesellschaftlichen
Zusammenhalt können nicht mehr im notwendigen Umfang finanziert werden. So ist
absehbar, dass unsere aktuellen Ausgaben noch nicht ausreichen werden, um unsere
internationalen Vereinbarungen beispielsweise im Rahmen des Pariser
Klimaabkommens, des Montreal-Abkommens für Biodiversität zu erreichen. Das
werden die Menschen in unserem Land spüren. So wie wir heute die versäumten
Investitionen der vergangenen 20 Jahre bemerken, werden wir in 20 Jahren mit den
versäumten Investitionen von heute umgehen müssen. Der Unterschied ist, dass die
notwendigen Investitionen, die heute getätigt werden müssen, nicht nur die
öffentliche Infrastruktur betreffen, sondern gleichzeitig in den Unternehmen
erfolgen müssen, um soziale Sicherheit und nachhaltige Lebensqualität erhalten
zu können.
Unser Staat hat grundsätzlich die Fähigkeit, finanzielle Sicherheit zu
gewährleisten, die weit über das hinausgeht, was privatwirtschaftliche
Unternehmen oder der freie Markt leisten können. Es ist daher unerlässlich, dass
er seine Handlungsfähigkeit aktiv unter Beweis stellt. Diese Handlungsfähigkeit
muss gesichert sein. Nur so kann der Staat seiner Rolle gerecht werden und die
notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, um eine nachhaltige und
zukunftsorientierte Infrastruktur zu fördern.
Wir Grünen setzen daher auf einen Infrastrukturstaat, der die allgemeinen
Lebensgrundlagen für alle Menschen sicherstellt.
Es wäre ein großer Fehler, diese Mehrausgaben dadurch zu finanzieren, die Axt an
die soziale Infrastruktur anzulegen, wie es jetzt einige fordern. Äußere
Sicherheit auf Kosten innerer oder sozialer Sicherheit zu erreichen, verbreitert
gesellschaftliche Gräben und wäre damit auch ein Konjunkturprogramm für
Demokratiefeinde. Genauso falsch wäre es, Deutschlands internationales
Engagement im humanitären, entwicklungs-, umwelt- oder klimapolitischen Bereich
abzuwickeln. Die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die immer deutlicher
zutage tretenden Auswirkungen von Klimakatastrophe und Artenkollaps - die Welt
ist heute eine andere als noch vor 20 Jahren. Dieser veränderten Welt kann man
nicht mit einer überholten Haushalts- und Finanzpolitik begegnen. Und doch
wollen einige weiterhin „Normalität“ simulieren, statt die neuen Realitäten auch
fiskalisch abzubilden. Die Schuldenbremse im Grundgesetz und in einigen
Landesverfassungen sind weder Naturgesetz noch göttliche Fügung. Sie waren vor
15 Jahren das Ergebnis einer Mehrheitsbildung als Folge der Finanzkrise. Sie
können angepasst werden – mit neuen Mehrheiten für neue Zeiten.
Die Notwendigkeit für eine fiskalpolitische Zeitenwende erkennen nicht nur wir.
In den vergangenen Monaten und im Lichte der wirtschaftlichen Lage fordern immer
mehr Expert*innen eine grundlegende Reform der Schulenbremse. Konservative und
arbeitgebernahe Ökonom*innen, viele Unternehmen und ihre Verbände,
Gewerkschaften, der Sachverständigenrat (die „Wirtschaftsweisen“) und nicht
zuletzt Ministerpräsidenten der CDU - sie alle sprechen sich dafür aus, Kredite
über die bislang starren Grenzen hinaus zu ermöglichen. Renommierte
Volkswirtschaftler*innen schlagen eine Vermögenssteuer vor und sogar der Bund
der Steuerzahler spricht sich für einen höheren Spitzensteuersatz für
Einkommensmillionär*innen aus. Große Sozial- und Umweltverbände stützen unsere
Forderung nach Umsetzung des Ampel-Koalitionsvertrages mit der Einführung eines
Klimageldes in dieser Legislaturperiode.
Eine Anpassung der Schuldenbremse allein wird jedoch nicht ausreichen, um den
enormen Finanzierungsbedarf zu decken. Finanzkriminalität - insbesondere von
Banken - muss konsequenter ermittelt, vor Gericht gebracht und aufgearbeitet
werden. Durch Steuerhinterziehung verliert Deutschland schätzungsweise 100
Milliarden Euro pro Jahr. Viele dieser Fälle werden jedoch nicht aufgeklärt und
der Schaden nicht zurückgezahlt. Deshalb wollen wir die Strafverfolgung in
diesem Bereich deutlich ausbauen und die Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften
stärken. Klima- und umweltschädliches Verhalten sollte der Staat nicht fördern.
Daher setzen wir uns für den Abbau klimaschädlicher Subventionen ein. Auch
Umweltlenkungsabgaben wären dazu geeignet, die Transformation zu gestalten und
die Gesellschaft daran gerecht zu beteiligen.
Darüber hinaus wollen wir die Erbschaftssteuer reformieren und Schlupflöcher für
Superreiche schließen. Außerdem wollen wir die Einführung einer
verfassungskonformen Vermögensteuer in den nächsten zwei Jahren umsetzen. Wir
wollen den Spitzensteuersatz der Einkommenssteuer durch zwei zusätzliche Stufen
erhöhen und gleichzeitig erhöhen wir den Grundfreibetrag, der um kleine und
mittlere Einkommen zu entlasten.
Wir wollen den Menschen und den Unternehmen ihre Zuversicht wiedergeben. Deshalb
wollen wir öffentliche und private Investitionen fördern und den öffentlichen
Haushalten, insbesondere den Kommunen, wieder mehr Möglichkeiten geben, die
notwendige klimaneutrale und digitale Modernisierung aktiv zu unterstützen.
Als Grüne haben wir dazu in den letzten Jahren auf allen Ebenen konstruktive
Vorschläge gemacht, an unsere Koalitionspartner*innen und demokratischen
Mitbewerber*innen appelliert, sich der Wirklichkeit zu stellen und zum Wohle
unseres Landes gemeinsam einen Weg aus der verhärteten Debatte zu finden. Dieses
Angebot ist bisher nicht ausreichend angenommen worden, um unsere Heimat aus den
aktuellen Krisen hinauszuführen. Trotzdem stehen wir Grünen weiterhin zu unserem
Angebot, ein neues Kapitel aufzuschlagen,um die Probleme unsere Zeit nicht auf
den Rücken vulnerabler Gruppen zu lösen, sondern eine nachhaltige, solidarische
und gerechte Lösung für alle in diesem Land zu finden.
So hat die Grüne Bundestagsfraktion den „Deutschland-Investitionsfonds für Bund,
Länder und Kommunen“ als Vorschlag entwickelt. Mit diesem Fonds sollen
umfangreiche öffentliche Investitionen zweckgebunden in die Modernisierung und
Dekarbonisierung der Wirtschaft sowie in Zukunftstechnologien ermöglicht und
private Investitionen mit öffentlichen Geldern unterstützt werden. Der Fonds
soll wichtige Infrastrukturprojekte wie den Ausbau und die Elektrifizierung des
Schienennetzes, die Verbesserung der Radinfrastruktur und den Aufbau der
Wasserstoffinfrastruktur fördern. Zudem stellt er Mittel für Kommunen bereit, um
dringend notwendige Investitionen in Schulbauten, Krankenhäuser, den
öffentlichen Nahverkehr, bezahlbaren Wohnraum und Freizeiteinrichtungen zu
ermöglichen.
Mit dem Deutschland-Investitionsfonds soll auch Ländern und Kommunen die
Möglichkeit eröffnet werden, ihre Zukunftsinvestitionen verstärkt über Kredite
zu finanzieren. Dazu könnte im Grundgesetz nicht nur der Verschuldungsspielraum
für den Bund, sondern auch für die Länder angepasst werden, die nach derzeitiger
Rechtslage keinerlei Schulden machen dürfen.
Den Vorschlägen gemein ist, dass sie eine klare nachhaltige, gerechte, soziale
und wirtschaftliche Zukunftsorientierung haben und damit ein Angebot an die
Breite der demokratischen politischen Landschaft formulieren, indem sie
- notwendige Investitionen erleichtern - öffentliche und private,
- den staatlichen Haushalten, gerade auch den kommunalen,
Handlungsspielräume öffnen
- transparent machen, was offensichtlich ist und Schluss machen mit dem
Streit um vermeintliche oder reale Buchungstricks,
- notwendige Ausgaben für Wirtschaft und deren Infrastruktur nicht
ausspielen gegen jene in die soziale Infrastruktur und damit den sozialen
Frieden im Land wahren,
- soziale Gerechtigkeit als wesentliche Aufgabe bei der Bewältigung der
Transformationsherausforderungen in den Blick nehmen und
- Deutschland international anschlussfähig aufstellen und den
Wirtschaftsstandort im harten Wettbewerb um die Zukunftstechnologien und -
Industrien stärken.