Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Sabine Hebbelmann (KV Odenwald-Kraichgau) und 55 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 41%) |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 30.09.2024, 14:23 |
V-37: Verfassungskonforme Erbschaftssteuer
Antragstext
Wir schließen uns der Forderung der Bürgerbewegung Finanzwende nach einer
verfassungskonformen Erbschaftssteuer an. Relevante Teile des deutschen
Erbschaftsteuerrechts sind seit 1993 verfassungswidrig. In einem Fall, der
gerade in Karlsruhe liegt, wehrt sich ein Erbe dagegen, auf 67.000 Euro
Erbschaft mehr Steuern zahlen zu müssen als viele Erben millionen- und
milliardenschwerer Betriebsvermögen. In der Lobbyorganisation "Die
Familienunternehmer" sind die Vertreter der reichsten Milliardärsfamilien
organisiert. Wir lassen nicht länger zu, dass sie Steuerprivilegien etablieren
und verteidigen, die nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
Die verfassungswidrigen Ausnahmen, die nur eine sehr kleine Gruppe hoch
privilegierter Personen nutzen können, gehören abgeschafft.
Begründung
Gerhard Schick hat im Bundestag lange dafür gekämpft, die Macht der Finanzindustrie und der großen Konzerne zugunsten gesamtgesellschaftlicher "grüner" Ziele zu begrenzen.
Ende 2018 legte er sein Bundestagsmandat nieder, um sich auf die Arbeit in seinem neu gegründeten Verein Bürgerbewegung Finanzwende zu konzentrieren.
Hier sein Appell vom 28. September:
"Liebe Freundinnen und Freunde der Finanzwende,
seit fast 20 Jahren läuft eine der größten Lobbyschlachten in Deutschland. Dabei geht es um Ausnahmen in der Erbschaftsteuer, die nur den wenigsten Menschen zugutekommen. Als Bundestagsabgeordneter musste ich erleben, wie die Lobby des großen Geldes die gesamte Debatte und die daraus resultierende Gesetzgebung über fast alle Parteien hinweg dominierte. Verfassungskonformität spielte am Ende fast keine Rolle mehr. Diese Erfahrung war einer der Gründe, vor sechs Jahren den Bundestag zu verlassen und Finanzwende zu gründen. Ich wollte ein Gegengewicht zur Lobby des großen Geldes schaffen.
Relevante Teile des deutschen Erbschaftsteuerrechts sind seit 1993 verfassungswidrig. Drei Jahrzehnte, in denen es immer wieder neue Regelungen für die Erbschaftsteuer gab, die allesamt den Reichsten dieses Landes zugutekamen – und noch kommen. Und die den Fiskus dabei Milliarden kosten. Zuletzt erklärte der Bundesfinanzhof die Erbschaftsteuer 2017 für teilweise verfassungswidrig, begründet mit einem Verstoß gegen den im Grundgesetz verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung. Die obersten Finanzbehörden der Länder reagierten 2018 mit einem sogenannten Nichtanwendungserlass, der die Finanzämter anwies, das Urteil des Finanzhofes zu ignorieren. Damit stellten sie sich gegen oberste Gerichte und das Grundgesetz.
Das Prinzip hat sich im vergangenen Jahrzehnt nicht verändert: Sehr große Vermögen werden niedriger besteuert als kleine. Das ist nicht rechtens und dagegen wehren wir uns. Ausnahmen für große Betriebs- und Immobilienvermögen führen bis heute dazu, dass sehr große Schenkungen oder Erbschaften quasi steuerfrei bleiben. Ein Beispiel: Auf drei vererbte Wohnungen werden Steuern erhoben, 300 vererbte Wohnungen aber gelten als Betriebsvermögen und sind steuerfrei. Von Gleichbehandlung keine Spur. Daher fordern wir eine verfassungskonforme Erbschaftsteuer – nicht mehr und nicht weniger!
Aktuell besteht die Chance, dass das Bundesverfassungsgericht diese erneut einfordert. In einem Fall, der gerade in Karlsruhe liegt, wehrt sich ein Erbe dagegen, auf 67.000 Euro Erbschaft mehr Steuern zahlen zu müssen als viele Erben millionen- und milliardenschwerer Betriebsvermögen. Das Urteil lässt auf sich warten – und wird wohl frühestens 2025 gefällt. Aber die Lobbyschlacht gegen eine verfassungskonforme Neuregelung der Erbschaftsteuer läuft schon jetzt. Und deshalb müssen wir jetzt darauf hinarbeiten, dass diesmal einem höchstrichterlichen Urteil nicht die nächste Runde problematischer Ausnahmen folgt.
Die Lobbyschlacht findet an Orten wie dem MY WAY Strategiegipfel der “Familienunternehmen” statt, der im September in Berlin tagte. Dort trafen sich einige der reichsten Familien des Landes zum gemeinsamen Austausch – miteinander und mit politischen Entscheidungsträger*innen. Dabei waren in diesem Jahr Bundesfinanzminister Christian Lindner genauso wie die BSW–Chefin Sahra Wagenknecht. Auch wir waren vor Ort, haben vor den Türen protestiert und sichergestellt, dass der privilegierte Zugang der Milliardärsfamilien zu unserem Finanzminister öffentlich wurde.
„Familienunternehmen“ – das klingt zugänglich und nahbar, ein wichtiges Gerüst der Gesellschaft. In Wirklichkeit organisieren sich unter diesem Namen milliardenschwere, multinationale Konzerne – und die Milliardärsfamilien, die sie besitzen. Mit einem Familienbetrieb aus der Nachbarschaft haben diese eher wenig gemeinsam. Die verfassungswidrigen Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer kann nur eine sehr kleine Gruppe hoch privilegierter Personen nutzen. Über ihre Unternehmen und Stiftungen vererben sie ihr Vermögen an der für alle anderen üblichen Erbschaftsteuer vorbei. Kleinere Unternehmen oder Privatpersonen haben diese Möglichkeit meist nicht.
Dass dies endlich als politischer Skandal gesehen wird, ist der erste Erfolg unserer gemeinsamen Kampagne „Steuerprivilegien kippen“, die wir mit dem Netzwerk Steuergerechtigkeit und der Vermögenden-Initiative taxmenow 2021 gestartet haben. Uns ist es gelungen, „dem Thema endlich Leben einzuhauchen“, wie eine Journalistin zuletzt schrieb. Als ich im Bundestag versuchte, der Lobby etwas entgegenzusetzen, fühlte sich das oft einsam an. Jetzt sind wir viele. Und ich sehe: Mit Finanzwende kann ich das Ungleichgewicht der Kräfte zwischen der Lobby des großen Geldes und den Bürgerinnen und Bürgern endlich ändern.
Aber es ist noch ein langer Weg. Das nächste Ziel muss sein, die Erbschaftsteuer verfassungskonform zu gestalten. Der Druck auf die Politik muss bei der nächsten Gesetzesnovelle endlich größer sein als die Macht der Lobby des großen Geldes. Wir von Finanzwende werden bis zur nächsten Neuregelung der Erbschaftsteuer jeden Schritt von Lobby und Politik begleiten, kommentieren und anprangern, wo immer es nötig ist. Seien Sie gespannt und seien Sie dabei! Helfen Sie mit, dass Bürgerinnen und Bürger sich dieses Mal politisch durchsetzen – nicht die Lobby des großen Geldes.
Herzliche Grüße
Ihr Gerhard Schick
Co-Vorstand
Bürgerbewegung Finanzwende e. V.
PS: Ich habe nichts gegen Familienunternehmen, ganz im Gegenteil. Ich bin ein großer Freund von nicht am Kapitalmarkt orientierten Unternehmen. Die Steuerprivilegien für Milliardärsdynastien sind aber ein ernstzunehmender Wettbewerbsnachteil gerade für den Klein- und Mittelstand, da diese nicht dieselben Möglichkeiten zur Steuerverminderung haben. Ich spreche auch Organisationen wie „Die Familienunternehmer“ oder „Stiftung Familienunternehmen und Politik” keineswegs die Berechtigung ab, für ihre Interessen einzutreten. Allerdings sind dabei Grenzen überschritten worden, die in einer Demokratie nicht überschritten werden dürfen.
Es ist nicht in Ordnung, mit Hilfe einer starken Lobby verfassungswidrige Regelungen zu etablieren. Die Funktionsfähigkeit eines Landes wird geschwächt, wenn die Größten relativ am wenigsten beitragen und gleichzeitig am meisten von politischen Entscheidungen profitieren. Die Glaubwürdigkeit von Rechtsstaat und Demokratie leidet, wenn es wenigen Milliardärsfamilien gelingt, sich über das Grundgesetz zu stellen. Deswegen brauchen wir eine verfassungskonforme Erbschaftssteuer ohne Ausnahmen für Superreiche. Das wird nur mit einem starken zivilgesellschaftlichen Gegengewicht zur Lobby des großen Geldes klappen. Seit sechs Jahren arbeite ich mit Ihnen gemeinsam daran, die Bürgerbewegung Finanzwende dazu zu machen. Ich freue mich über Ihre Unterstützung.
Bürgerbewegung Finanzwende e. V."