Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | KV Münster (dort beschlossen am: 22.02.2022) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 02.10.2024, 14:07 |
V-47: Wahre Kosten von Lebensmitteln - Besteuerung an ökologischen und gerechten Gesichtspunkten orientieren
Antragstext
Wir fordern eine Veränderung und Anpassung des Umsatzsteuergesetzes in Hinblick
auf die Besteuerung des Verkaufs von Lebensmitteln.
Zu diesem Zweck wollen wir als Kreisverband diesen Antrag als V-Antrag in die
Bundesdelegiertenkonferenz einbringen.
Der Steuersatz von 7% bzw. 19 % soll nicht mehr auf die bisher üblichen
Lebensmittelgruppen angewendet werden, sondern es soll im Sinne eines
ökologischen Steuerungsinstruments in Anlehnung an die Höhe der externalisierten
Kosten, sowie nach gesundheitlichen und ethischen Aspekten unterschieden werden.
Dabei soll im Kern die MwSt. auf pflanzliche Lebensmittel gesenkt und auf
tierische Lebensmittel erhöht werden.
Als mögliche Arbeitsgrundlage würden wir folgendes Modell beispielhaft für eine
zugleich sinnvolle und dennoch unkomplizierte Umbesteuerung vorschlagen:
Es könnte eine Einteilung in drei Gruppen vorgenommen werden, für die die
folgenden Steuersätze gelten (konform zur Mehrwertsteuersystemrichtlinie,
Artikel 98 in Verbindung mit Anhang 3):
- Bio-zertifizierte, pflanzliche Lebensmittel: 0%
- Nicht Bio-zertifizierte, pflanzliche Lebensmittel: 7%
- Tierische Lebensmittel: 19%
Als "Bio-zertifiziert" gilt eine Zertifizierung nach der EG-Öko-Verordnung
834/2007 der EU.
Als tierische Lebensmittel sind hierbei all diejenigen Produkte zu deklarieren,
zu deren Inhaltsstoffen ein tierisches Erzeugnis gehört (z.B.
Vollmilchschokolade, Eiernudeln, Pizza etc.).
Gleichzeitig ist es selbstverständlich erforderlich, externe Kosten in der
Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion möglichst zu internalisieren.
Weiterhin sollte überprüft werden, ob im Rahmen der Umbesteuerung auch
gleichzeitig der Themenkomplex der Tierwohlabgabe mitbehandelt werden könnte.
Die Tierwohlabgabe meint eine zweckgebundene Abgabe (von z. B. 20-50 Cent/kg)
auf konventionelle, tierische Produkte, die direkt in den Umbau der
Nutztierhaltung einfließt.
Begründung
Eine Differenzierung der Mehrwertsteuersätze mit einer Begünstigung von pflanzlichen Nahrungsmitteln und insbesondere von Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten - wie vom Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) beim BMEL und der Zukunftskommission Landwirtschaft empfohlen - ist im Hinblick auf gesundheitliche, ökologische und Tierwohl-Aspekte ein guter Ansatz, um nachhaltigere Ernährungsstile zu unterstützen. Der Ansatz ist grundsätzlich im Bundestagswahlprogramm der GRÜNEN zur Wahl 2021 angelegt gewesen und sollte auch gegenüber den Koalitionspartner*innen in Berlin forciert weiterverfolgt werden.
Für eine Besteuerung nach ökologischen, ethischen und gesundheitlichen Kriterien sprechen folgende Gründe:
- Der hohe Flächenbedarf der Nutztierhaltung stellt ein erhebliches Problem für den Natur- und Artenschutz dar. Für die Produktion tierischer Nahrungsmittel werden 75% der weltweit landwirtschaftlich genutzten Fläche (Grünland- und Ackerflächen) benötigt - auf gerade einmal 11% werden pflanzliche Lebensmittel zum direkten Verzehr angebaut. Dabei belasten gestörte Stoffkreisläufe (z.B. Anfall großer Mengen Stickstoff durch Aggregation hoher Tierbestände in Veredelungsregionen) Grundwasser, Böden und Konkurrenzgefüge in Ökosystemen. Der Eintrag von Pflanzenschutzmitteln führt zudem zu direkten Verlusten an Artenvielfalt. Allein in Deutschland könnten durch eine grünland- und restebasierte Fütterung erheblich verringerter Nutztierbestände 44% der Ackerfläche frei werden und für den direkten Anbau von Lebensmitteln oder dringend benötigte Naturschutzflächen genutzt werden.
- Zudem entstehen wesentliche Emissionen der klimawirksamen Gase CO2, Methan und Lachgas durch die Intensivtierhaltung, was diese zu einem relevanten Treiber des Klimawandels macht (14,5% aller Treibhausgase entstehen durch die Produktion tierischer Lebensmittel). Ein überaus effektiver Weg, die auf diese Weise entstehenden Treibhausgase zu minimieren, besteht somit in einer Verringerung der Anzahl der gehaltenen Tiere und damit einer Verringerung des Konsums von Fleisch, Milch und Eiern.
- Im Übrigen stellt die Tierhaltung eine enorme Belastung für die Süßwasserversorgung im Angesicht der globalen Wasserknappheit dar. Etwa 1/3 des deutschen landwirtschaftlichen Wasserverbrauchs wird für die Erzeugung tierischer Produkte genutzt. Der Wasserverbrauch bei der Herstellung von Futtermitteln wird hierbei nicht mit eingerechnet.
- Des Weiteren sind gesundheitliche Aspekte relevant:
Ein wesentlicher Risiko- bzw. auch Protektivfaktor vieler Erkrankungen (wie z.B. Diabetes mellitus Typ 2, Herzinfarkt, Schlaganfall, verschiedene Krebserkrankungen...) besteht in der Ernährung. Der wichtigste Grundbaustein einer gesunden Ernährung sind pflanzliche Lebensmittel, die reich an Vitaminen und Ballaststoffen sind.
Eine Vergünstigung eben dieser Produkte kann zu einer gesünderen Ernährung motivieren. Diese indirekte Förderung einer vegetarisch- veganen Ernährung kann somit ein Baustein sein, um ernährungsbedingte Wohlstanderkrankungen (verursachen aktuell rund 17 Mrd. Euro Kosten jährlich) zu reduzieren, was wiederum dazu beitragen kann das stark strapazierte Gesundheitssystem zu entlasten.
Ebenso würde sich die verringerte Aufnahme von Cholesterol und ungesättigten Fettsäuren durch eine Verminderung des Verzehrs tierischer Lebensmittel positiv auf die Gesundheit der Menschen auswirken. Die erhöhten Kosten für den Erwerb tierischer Produkte könnten dazu beitragen, den aktuell im Bundesdurchschnitt deutlich zu hohen (etwa doppelt so hoch wie empfohlen) Fleischkonsum reduzieren.
- Darüber hinaus sehen wir eine ethisch-moralische Verpflichtung (insbesondere domestizierten) Tieren gegenüber, den Konsum von Fleisch zu reduzieren! In der tierexperimentellen Forschung gilt das Prinzip der 3R: "Reduction, Refinement, Replacement" oder auf deutsch "Reduktion, Verbesserung, Ersatz". Das bedeutet, dass Tierversuche möglichst vermieden werden sollen. Wo sie nötig sind, sollte dann aber die Zahl der verwendeten Tiere minimiert und ihre Haltungsbedingungen optimiert werden, um ein Leiden soweit möglich zu verhindern. In Übertragung auf die Nutztierhaltung würden die steuerlichen Veränderungen genau diesem ethisch-moralisch gebotenen 3R-Prinzip entsprechen. Es würde ein Anreiz gesetzt, auf den Konsum tierischer Produkte zu verzichten oder ihn zu verringern und durch die Finanzierung einer zweckgebundenen Abgabe für tierische Produkte würden gleichzeitig verbesserte Haltungsbedingungen in tierhaltenden Betrieben erwirkt.
- Hiervon würden nicht zuletzt die Landwirt*innen profitieren, die in der bestehenden GAP-Förderung nach dem weiche-oder-wachse-Prinzip wirtschaften müssen und ohne finanzielle Unterstützung oft nicht in der Lage wären, die zum Umbau der Nutztierhaltung nötigen Investitionen zu tätigen.
Schließlich ist noch die Praktikabilität einer solchen Umbesteuerung anzuführen. Sie stellt ein relativ einfaches Mittel mit überschaubaren bürokratischen Hürden dar, um schädliche Subventionen abzubauen - und das ohne steuerliche Mehrbelastung der Bevölkerung.
Zum Hintergrund der als mögliche Arbeitsgrundlage oben im Antragstext getroffenen Einteilung in die drei Gruppen (0%, 7%, 19%):
Die externalisierten Kosten pflanzlicher Lebensmittel sind im Mittel deutlich geringer als die externalisierten Kosten tierischer Lebensmittel. Ebenso sind pflanzliche Nahrungsmittel im Vergleich zu tierischen Produkten tendenziell gesünder. Aus diesen Gründen sollte ein Unterschied zwischen pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln gemacht werden.
Biologische Landwirtschaft leistet einen Beitrag zum (lebenswichtigen) Erhalt von Biodiversität und einer intakten Umwelt, führt zu einer geringeren gesundheitlichen Belastung der Menschen z.B. durch weniger Pestizide und sorgt ebenfalls für sehr viel geringere externalisierte Kosten. Diese Vorteile für die Allgemeinheit sollten honoriert werden, weshalb eine weitere Unterscheidung zwischen biologischer und konventioneller Landwirtschaft erfolgen sollte.
Von einer noch feineren Abstufung sollte abgesehen werden, um Bürokratie, Komplexität und Verwaltungsaufwand in Grenzen zu halten.
Gemäß der europäischen Mehrwertsteuersystemrichtlinie und um keine unnötige Verkomplizierung herbeizuführen sind wir bei den bekannten Steuersätzen von 7% und 19% geblieben.
Insgesamt darf eine Reform der Umsatzsteuer auf Lebensmittel nicht vom Grundproblem ablenken, dass bei landwirtschaftlichen Produkten und verarbeiteten Nahrungsmitteln externe Kosten internalisiert werden müssen. Eine Novellierung des Umsatzsteuerrechts kann daher nur ein erster Schritt sein und sie darf nicht das Problem der ohnehin bestehenden Unübersichtlichkeit des Umsatzsteuerrechts mit zahlreichen Ausnahmetatbeständen aggravieren, sondern sollte dieses Problem so gut wie möglich mindern.