Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | BAG Migration und Flucht (dort beschlossen am: 12.10.2025) |
Status: | Eingereicht |
Angelegt: | 13.10.2025, 13:56 |
V-16: Betroffene von Menschenhandel umfassend schützen – Aufenthaltsrechte stärken, Ausbeutung wirksam bekämpfen
Antragstext
Menschenhandel ist eine gravierende Menschenrechtsverletzung. Er betrifft neben
sexueller Ausbeutung auch Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und weitere
Ausbeutungsformen wie die unfreiwillige Leihmutterschaft, Zwangsheirat und
illegale Adoption. Betroffene stehen oft unter massivem Druck, haben Angst vor
Abschiebung oder Repression und werden durch die aktuelle Rechtslage häufig
zusätzlich entrechtet.
Als Bündnis 90/Die Grünen stellen wir den Schutz von Betroffenen in den
Mittelpunkt. Sie brauchen sichere Aufenthaltsrechte, Zugang zu Gesundheit,
Beratung und langfristiger Perspektive. Wir setzen uns für eine zügige und
vollständige Umsetzung des Nationalen Aktionsplans gegen Menschenhandel (NAP)
ein, dessen Pflicht sich durch die Überarbeitung der EU-Menschenhandelsrichtline
ergibt. Darüber hinaus muss der Aktionsplan durch weitere zentrale Maßnahmen
ergänzt und weiterentwickelt werden. Dazu gehört eine gesamtgesellschaftliche
und zielgruppenspezifische Aufklärung, z. B. in der Strafverfolgung. Denn
Menschenhandel findet in den meisten Branchen und begegnet uns häufig im Alltag,
ohne dass wir davon wissen – das kapitalistische Wirtschaftssystem profitiert
davon. Darüber hinaus müssen Schulungs- und Weiterbildungsangebote für
Berufsgruppen, die häufig Erstkontakt mit Betroffenen von Menschenhandel haben,
etwa medizinisches Personal oder Behördenmitarbeiter*innen, ausgebaut werden.
Besonders Betroffene mit Drittstaatangehörigkeit verbleiben oft in der
Ausbeutungssituation, unter anderem aufgrund von mangelnden
Unterstützungsnetzwerken, Sprachkenntnissen und Informationen darüber, wie und
wo Unterstützung verfügbar sind. Die Angst vor einer Abschiebung oder
strafrechtlichen Konsequenzen ist enorm – in nicht wenigen Fällen gehen
Betroffene in Herkunftsländer zurück und erleben dort eine Reviktimisierung. Wir
fordern ein Aufenthaltsrecht für Betroffene von Menschenhandel entkoppelt von
der Aussagebereitschaft im Strafverfahren, bzw. ohne Kooperation mit
Strafverfolgungsbehörden – hier wäre eine Reform des § 25 Abs. 4a und 4b
AufenthG zielführend. Damit werden sowohl die vielen Betroffenen geschützt, die
Angst haben gegen ihre Täter*innen auszusagen, als auch diejenigen, deren
Aussagen bisher als unzureichend eingestuft wurden.
Ergänzend soll die Anwendung des humanitären Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5
AufenthG auf Betroffene von Ausbeutung und Menschenhandel erweitert werden und
grundsätzlich der Zugang erleichtert werden. Es braucht niedrigere Hürden und
ein unbürokratisches Verfahren, damit Betroffene ohne langwierige Begründung
einen sicheren Status erhalten.
Die Menschenhandelsparagrafen im Strafgesetzbuch müssen vollständig überarbeitet
werden, damit sie praxistauglich sind und mehr Menschenhändler*innen verurteilt
werden. Dabei müssen auch die neuen Ausbeutungsformen der überarbeiteten EU-
Richtlinie bis Mitte 2026 mitberücksichtigt werden: Etwa Ausbeutung von
Leihmutterschaft, Zwangsheirat und illegaler Adoption.
Darüber hinaus sollen Spezialeinheiten bei der Polizei und
Schwerpunktstaatsanwaltschaften eingesetzt werden, um mehr Betroffene zu
identifizieren und Täter*innen erfolgreich vor Gericht zu bringen. Hierfür
braucht es neben Schulungen auch entsprechende Ressourcen, um eine digitale
Strafverfolgung zu erleichtern. Denn Menschenhandel hat sich zunehmend ins
Internet verlagert – insbesondere bei der Anwerbung potenzieller Opfer.
Arbeitsausbeutung lohnt sich, weil Kontrollen und Verfahren zu selten
stattfinden. Wir fordern mehr Ressourcen für Polizei, Zoll und Finanzkontrolle
Schwarzarbeit, damit Betriebe wirksam überprüft und Täter*innen konsequent zur
Verantwortung gezogen werden. Behörden müssen verbindlich zu Trauma, Opferschutz
und Menschenhandel fortgebildet werden, um Betroffene nicht länger als „illegale
Migrant*innen“ zu behandeln, sondern als Opfer. Um Betroffene zu entlasten, soll
eine Beweislastumkehr nach Vorbild des Antidiskriminierungsrechts geprüft
werden, sodass nicht allein die Betroffenen die volle Beweislast für erfahrene
Ausbeutung tragen. Die Finanzkontrolle für Schwarzarbeit (FKS) kann
grundsätzlich einen wichtigen Akteur bei der Identifizierung von Betroffenen von
Menschenhandel und Ausbeutung darstellen. Anstatt aber potenziell Betroffene als
solche zu erkennen und ihnen Unterstützungsangebote in Form des Weiterverweises
an spezialisierte Fachberatungsstellen zukommen zu lassen, werden sie häufig als
Beschuldigte wahrgenommen und behandelt.
Wir fordern einen Betroffenen zentrierten verbindlichen nationalen Verweisungs-
mechanismus, der die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten und die
standardisierten Handlungsabläufe regelt, damit Betroffene frühzeitig
identifiziert und schnell an Hilfs- und Unterstützungsangebote, etwa zu
Rechtsberatung oder Ausbildung und Arbeitsmarktintegration. Das schließt an die
in bereits vielen Bundesländern etablierten Kooperationsvereinbarungen an und
soll eine flächendeckende Versorgung garantieren.
Wir setzen uns für eine gesetzliche Verankerung der Zusammenarbeit der FKS des
Zolls mit spezialisierten Fachberatungsstellen ein. Es braucht außerdem eine
verstärkte Sensibilisierung der Fachkräfte in Bezug auf den Betroffenenschutz.
Es braucht eine nationale Koordinierungsstelle angesiedelt in der
Bundesregierung, um den Einsatz gegen Menschenhandel und damit einhergehend die
Umsetzung des Nationalen Aktionsplans gegen Menschenhandel ressortübergreifend
zu koordinieren. Dafür soll auch ein ausreichendes Budget für die Umsetzung
hinterlegt werden. Außerdem soll die Koordinierungsstelle den Nationalen
Aktionsplan monitoren und weiterentwickeln.
Für die Weiterentwicklung von Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels und
zum besseren Opferschutz bleibt eine bessere Datenlage zentral. Um die
Dokumentation und weitere Handlungsempfehlungen langfristig zu ermöglichen, soll
die unabhängige Berichterstattungsstelle beim Deutschen Institut für
Menschenrechte durch eine zu schaffende gesetzliche Grundlage gesichert werden.
Begründung
Menschenhandel ist eine der profitabelsten Formen organisierter Kriminalität und verletzt fundamentale Menschenrechte. Jährlich werden im BKA-Lagebild in Deutschland Hunderte Betroffene identifiziert, die Dunkelziffer liegt jedoch weit darüber. Betroffene sind häufig traumatisiert, isoliert und existenziell bedroht. Die Angst, sich an Behörden zu wenden, ist häufig groß: Ihr Aufenthaltstitel hängt unmittelbar vom Ausgang oder der Kooperation in Strafverfahren ab. Damit bleiben viele Opfer schutzlos, während Täter*innen weiter ungestört profitieren.
Dabei ist dieses Thema aktuell wie nie: Aktuell wird über die Situation von Auszubildenen aus Vietnam berichtet, Gewerkschaften schildern die Ausbeutung dieser Personen. Azubis, die angemeldet sind, erscheinen nicht mehr zum Berufsschulunterricht, es gibt Berichte über Personen, die spurlos verschwinden. Es ist davon auszugehen, dass diese Personen in Nagelstudios bis hin zur Prostitution landen, um ihre Schulden abzubezahlen. Das ist eine Form der modernen Arbeitsaubeutung.
Die geltende Gesetzeslage (§ 25 Abs. 4a und 5 AufenthG) erschwert den Zugang zu sicheren Aufenthaltstiteln und führt zu einer prekären Situation für viele Betroffene. Aufenthaltstitel, die nur auf ein Jahr befristet sind und ständig verlängert werden müssen, bieten keine Perspektive und verhindern Stabilisierung. Es braucht daher dringend mehrjährige Aufenthaltstitel mit geregeltem Zugang zu einem Daueraufenthaltsrecht.
Geschlechtsspezifische Aspekte und die besondere Situation von Frauen muss unbedingt berücksichtigt werden. Jedoch sind Männer und nicht-binäre Menschen ebenfalls insbesondere von Arbeitsausbeutung betroffen, ihre spezifischen Schutzbedarfe müssen ausdrücklich berücksichtigt werden.
Arbeitsausbeutung bleibt in Deutschland hochprofitabel, da Kontrollen selten und Verfahren langwierig sind. Hierfür braucht es eine deutliche Stärkung der zuständigen Behörden und verpflichtende Fortbildungen für Polizei, Justiz und Ausländerbehörden, damit Betroffene nicht kriminalisiert, sondern geschützt werden.
Darüber hinaus ist die Einrichtung spezialisierter Schutzstrukturen mit einer ausreichenden Finanzierung unerlässlich. Sammelunterkünfte bieten keinen sicheren Raum, stattdessen braucht es bundesweit spezialisierte Einrichtungen sowie schnellen Zugang zu medizinischer Versorgung, Therapie, Rechtsberatung, Ausbildung und Arbeitsmarkt.
Schließlich endet der Schutzstatus für viele Betroffene mit dem Abschluss eines Strafverfahrens, selbst wenn Täter*innen weiter eine Gefahr darstellen. Ein dauerhafter Schutz unabhängig vom Verfahrensausgang ist deshalb notwendig.
Nur durch eine Stärkung von sicheren Zugangswegen, Aufenthaltsrechten, Schutzstrukturen und konsequente Bekämpfung von Arbeitsausbeutung können wir Betroffene wirksam schützen und Menschenhandel nachhaltig zurückdrängen.