Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Jenny Laube (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg) und 63 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 47%) |
Status: | Eingereicht |
Angelegt: | 15.10.2025, 10:52 |
V-52: Demokratie schützen – Antragsrecht für Parteiverbotsverfahren erweitern
Antragstext
Die Bundesdelegiertenkonferenz möge beschließen:
Die Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird aufgefordert, einen
Gesetzentwurf zur Änderung des § 43 Absatz 1 des
Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) in den Deutschen Bundestag
einzubringen.
Ziel der Gesetzesinitiative ist es, die Antragsberechtigung im
Parteiverbotsverfahren zu erweitern, um die Beteiligung der Bevölkerung an der
Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu stärken.
§ 43 Absatz 1 BVerfGG soll künftig nicht nur Bundestag, Bundesrat und
Bundesregierung, sondern auch jede natürliche Person („Jedermann“) sowie
juristische Personen des Privatrechts zur Antragstellung berechtigen.
Vorschlag für eine mögliche Neufassung:
§ 43 Absatz 1 BVerfGG (neu)
(1) Den Antrag auf Entscheidung, ob eine Partei verfassungswidrig (Artikel 21
Absatz 2 des Grundgesetzes) oder von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen ist
(Artikel 21 Absatz 3 des Grundgesetzes), kann stellen:
1. der Bundestag,
2. der Bundesrat,
3. die Bundesregierung oder
4. jede natürliche Person oder juristische Person des Privatrechts, die geltend
macht, dass eine Partei dauerhaft Bestrebungen verfolgt, die auf die Beseitigung
oder erhebliche Beeinträchtigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung
abzielen.
Zur Vermeidung missbräuchlicher Anträge kann das Gesetz ergänzende
Zulässigkeitsvoraussetzungen, sowie eine Vorprüfung in Form eines Vorverfahrens
vorsehen.
Begründung
Das Parteiverbotsverfahren ist ein zentrales Element der wehrhaften Demokratie. Es dient dem Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vor politischen Kräften, die diese aktiv beseitigen oder untergraben wollen. Art. 21 Abs. 2 GG besagt: “Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.” Art. 21 Abs. 4 GG regelt: „Über die Frage der Verfassungswidrigkeit [...] entscheidet das Bundesverfassungsgericht.“
Die Details dieses Verfahren und auch die Antragsberechtigung sind in § 43 BVerfGG geregelt. Nach geltendem Recht (§ 43 Abs. 1 BVerfGG, Art. 21 Abs. 4 GG) können jedoch nur Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung ein Parteiverbotverfahren beantragen und damit die Prüfung der Verfassungsfeindlichkeit durch das BVerfG einleiten. Bürger*innen, Vereine oder zivilgesellschaftliche Organisationen sind von der Antragstellung ausgeschlossen, selbst wenn sie konkrete Hinweise auf verfassungsfeindliche Aktivitäten haben. Im BVerfGG hat der Bundesgesetzgeber eine Eingrenzung der Antragsberechtigung festgesetzt, die verfassungsrechtlich keineswegs zwingend ist. Es handelt sich beim BVerfGG um ein einfaches Bundesgesetz, das mit einfacher Mehrheit des Bundestages geändert werden kann – anders als Änderungen des Grundgesetzes, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit erfordern.
Diese Beschränkung der Antragsberechtigung führt dazu, dass die Entscheidung, ob ein Parteiverbotsverfahren überhaupt eingeleitet wird, abhängig ist vom Willen und der Bereitschaft der Mehrheiten in Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung – und damit der Parteien, die sich in einem Konkurrenzverhältnis mit möglicherweise verfassungsfeindlichen Parteien befinden. Dadurch besteht die Gefahr, dass selbst bei klaren verfassungswidrigen Tendenzen kein Antrag gestellt wird, aus Sorge die verfassungsfeindlichen Parteien dadurch zu stärken.
Eine Öffnung der Antragsberechtigung für „Jedermann“ würde die aktive Beteiligung der Bürger*innen an der Verteidigung der Demokratie ermöglichen und sicherstellen, dass Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht aus parteipolitischen Erwägungen ignoriert werden.
Missbrauch und die Überlastung des Bundesverfassungsgericht können durch geeignete Regelungen verhindert werden, etwa durch:
- eine substantiierte Begründungspflicht des Antrags,
- die Vorprüfung durch das Bundesverfassungsgericht auf offensichtliche Unzulässigkeit (wie dies auch gegenwärtig schon geschieht),
- oder eine Kostensicherheitsleistung für offensichtlich missbräuchliche Verfahren.
Eine Dauerbefassung des Bundesverfassungsgerichts mit missbräuchlichen Parteiverbotsverfahren gegen offensichtlich verfassungskonforme Parteien ist nicht zu erwarten, da das Gericht vor Eröffnung des Hauptverfahrens ein Vorverfahren durchführt, das nur geringen Aufwand erzeugt. Weiterhin darf ein bereits sachlich entschiedenes Verbotsverfahren gegen dieselbe Partei nur wiederholt werden, wenn das Verfahren auf neue Tatsachen gestützt wird (vgl. § 41 i.V.m. § 47 BVerfGG).
Die Öffnung des Parteiverbotsverfahrens für Bürger*innen wäre ein konsequent demokratischer Schritt: Sie verlagert die Verantwortung für den Schutz der Demokratie von den Institutionen allein hin zur gesamten Gesellschaft – im Sinne einer wehrhaften Demokratie von unten.
Zitierte Normen:
§§ 43 ff. BVerfGG: https://www.gesetze-im-internet.de/bverfgg/__43.html