| Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
|---|---|
| Tagesordnungspunkt: | W-PR Wahlen Parteirat |
| Antragsteller*in: | Erik Marquardt (KV Berlin-Treptow/Köpenick) |
| Status: | Eingereicht |
| Angelegt: | 24.11.2025, 16:30 |
W-PR-09: Bewerbung: Erik Marquardt
Bewerbungstext
Liebe Freund*innen,
niemandem von euch ist entgangen, dass wir in politisch herausfordernden Zeiten leben. Die Dekade ist gerade erst zur Hälfte vergangen und wir haben schon eine weltweite Pandemie erlebt und mit der Vollinvasion der Ukraine durch Russland ist hunderttausendfacher Tod, Leid und unglaubliche Zerstörung auch in Europa entstanden. Gleichzeitig breitet sich der Rechtspopulismus weltweit aus und rechtsextreme Parteien erreichen in Umfragen und Wahlen Erfolge, die die Politikwissenschaft noch vor wenigen Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Während sich geopolitisch die Realität der vergangenen Jahrzehnte wohl in die Geschichtsbücher verabschiedet, stellen diese Entwicklungen auch auch wirtschaftlich und sozial die deutsche Selbstgewissheit grundlegend in Frage. Viele - viel zu viele Jahre haben sich die politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen für das deutsche Wirtschaftsmodell die Augen vor der Zukunft verschlossen und zugelassen, dass wir in zentralen Bereichen Abhängigkeiten entwickelt und teilweise den Anschluss verloren haben. Als wir endlich die Möglichkeit zur Gestaltung hatten, war es teilweise zu spät und teilweise haben rückwärtsgewandte Akteure in der Koalition notwendige Reformen und Maßnahmen blockiert. Kurzum: Die Aufgaben werden uns in den nächsten Jahren nicht ausgehen. Im Gegenteil: Sie sind so groß, dass auch wir aufpassen müssen, nicht in Resignation oder Zynismus zu verfallen. Ich möchte als unser Delegationsleitern im Europäischen Parlament daran weiter im Parteirat mitwirken und bewerbe mich deswegen bei euch für eine weitere Amtszeit.
Gerade jetzt kommt es darauf an, uns als Partei politisch so aufzustellen, dass wir all jenen, die sich eine friedliche, ökologische und sozial gerechte Zukunft wünschen, ein politisches Zuhause und Möglichkeiten zum politischen Engagement bieten. Damit dies gelingt müssen wir aus meiner Sicht einiges tun, hier ein paar Beispiele:
1. Die europäische Perspektive stärken
Klima- und Umweltschutz, Außenpolitik oder Wirtschafts- und Energiepolitik - die Liste ließe sich endlos fortsetzen: In fast allen relevanten Politikfeldern braucht es europäische Antworten, um ernsthafte Lösungen für eine gute Zukunft zu erreichen. Schon jetzt sind die Grundlagen von ca. 2/3 der Gesetze, die in Deutschland gelten, auf Europäischer Ebene beschlossen worden. Doch in der Berichterstattung tauchen die Entscheidungen aus Brüssel und Strassburg oft nur am Rande auf. Kein Wunder, dass die europäischen Abläufe und Entscheidungen für die meisten Menschen noch immer ein Buch mit sieben Siegeln sind. Der europäische Zusammenhalt ist wichtiger denn je, aber Zusammenhalt funktioniert nur, wenn man weiter zusammenwächst und das Verständnis füreinander erweitert. Deswegen sollten wir als Partei weiter daran arbeiten, europäischer zu denken und zu handeln. Daran möchte ich im Parteirat weiter mitwirken.
2. Grüne Kampagnenfähigkeit weiterentwickeln
Die politische Meinungsbildung hat sich in den letzten Jahren verändert. Wo noch vor einigen Jahren Leitmedien die Themen des Tages bestimmten, sind durch sogenannte soziale Medien, Personalisierung und Algorithmen die Orte der Meinungsbildung vielfältig geworden. Menschen können völlig unterschiedliche Realitäten erleben. Die Feinde der Demokratie haben sich das längst zunutze gemacht und sehr erfolgreich „alternative Medien“, Influencer und Bots installiert, die rechtsextremes Gedankengut erfolgreicher hoffähig machen, als ich es mir hätte vorstellen können. Einerseits muss dem mit klarer Regulierung der großen Plattformen begegnet werden, andererseits müssen wir auch an unserer Kampagnenfähigkeit arbeiten. Nur wenn wir unsere Mitglieder besser mobilisieren und noch mehr Menschen zum Engagement bewegen, werden wir eine Chance haben, die Hegemonie zurückzugewinnen. Deswegen sollten wir mehr Fokus darauf legen, wie wir gemeinsam mit Menschen Kampagnen voranbringen können. Die Zeit, in der einige gute Spitzenpolitiker*innen ausreichten, um Parteien erfolgreich zu machen, ist vorbei: Masse ist Klasse.
3. Asyl- und Migrationspolitik
An keinem anderen Thema haben wir den gesellschaftlichen Rechtsruck so offensichtlich verfolgen können, wie an der Asyl- und Migrationspolitik. Aussagen und Forderungen, die noch vor wenigen Jahren den Verfassungsschutz auf den Plan gerufen hätten, sind inzwischen breit im parteipolitischen Spektrum und der Gesellschaft vertreten. Und auch an unserer Partei ist diese Diskursverschiebung nicht spurlos vorbeigegangen. Ich bin weiterhin davon überzeugt, dass sich im Umgang mit den Schwächsten zeigt, wie stark eine Gesellschaft wirklich ist. Und: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Es sind mit Sicherheit nicht die einfachsten Zeiten, um mit klarer Kante für die Rechte von Menschen auf der Flucht zu kämpfen, aber es sind die entscheidenden. Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sind für die Zeiten gemacht, in denen sich Mehrheiten gegen die Prinzipien stellen, die das Fundament bilden, auf dem unsere Demokratie steht. Der Kampf für Menschenrechte, gegen Rassismus und niederträchtiges Nach-unten-Treten mag uns keine Jubelstürme in breiten Teilen der Gesellschaft geben. Vielleicht lohnt er sich nicht einmal in Umfragen oder führt zu besseren Wahlergebnissen. Aber ich bin davon überzeugt, dass er es trotzdem wert ist. Zu oft habe ich an den EU-Außengrenzen gesehen, wie die Würde des Menschen missachtet wurde und sich langsam aber stetig das Recht des Stärkeren die Stärke des Rechts ersetzt. Wenn wir zulassen, dass sich dieser Trend fortsetzt erreichen wir demokratische Kipppunkte schneller als den meisten das aktuell bewusst ist. Als ziviler Seenotretter, als Mitgründer verschiedener Initiativen wie #LeaveNoOneBehind oder der Kabulluftbrücke habe ich versucht, neben der Politik auch humanitär und aktivistisch gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen. Ich glaube, dass diese Schnittstellen auch in Zukunft für uns Grüne sehr wichtig sind - und komme damit zum letzten Punkt:
4. Brücken zur Zivilgesellschaft wieder festigen
Seien wir ehrlich: In der Ampelregierung haben auch wir als Grüne Vertrauen in Teilen der Gesellschaft verloren. Die Gründe dafür reichen von rechten Kampagnen und Desinformation bis hin zu eigenen Fehlern und zu hohen Erwartungen an uns, die mit manchen Koalitionspartnern kaum erfüllbar sind. Vertrauen zu verlieren ist nicht so schwer, es zurückzugewinnen aber leider umso schwerer. In den nächsten Jahren sollte der Fokus unserer Arbeit deswegen darauf liegen, dass wir wieder von mehr Menschen wahrgenommen werden als diejenigen, die sagen was sie tun und tun was sie sagen. Dabei geht es mir nicht darum, Kompromisse schlechter zu reden als sie sind. Kompromisse sind der Antrieb unserer parlamentarischen Demokratie. Aber wir müssen noch besser vermitteln, wofür wir stehen, wie wir kämpfen und an einigen Punkten vielleicht auch eingestehen, dass wir neben Erfolgen auch Misserfolge in Regierungen verkraften müssen. Menschen wollen die Grünen nicht wählen, weil sie perfekt sind. Sondern weil sie daran glauben, dass wir uns für unsere Ideale streiten, weil wir die bestmöglichen Lösungen suchen und auch in schweren Zeiten nicht der Versuchung einfacher Antworten erliegen. Und das erwarten auch zivilgesellschaftliche Akteure von uns, deren Vertrauen wir zurückgewinnen sollten.
Man könnte noch viel schreiben, aber ich mache hier einen Punkt.
Ich würde mich sehr freuen, diese Arbeit im Parteirat fortzuführen – mit eurem Vertrauen und euren Stimmen. Für Rückfragen oder Austausch meldet euch jederzeit gerne.
Herzliche Grüße
Erik
seit 2024 Delegationsleiter der bündnisgrünen EU-Abgeordneten (Europagruppe);
seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments
2015-19 und 21-25 Mitglied im Grünen Parteirat
2014-2015 Bundessprecher GRÜNE JUGEND
2013-2014 - Politischer Geschäftsführer GRÜNE JUGEND
2011-2013 Vorstand im Dachverband der Studierendenvertretungen fzs
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Ich bin 1987 in Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) in der DDR geboren und Vater einer kleinen Tochter.
