Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | BAG Tierschutzpolitik & BAG Globale Entwicklung (dort beschlossen am: 20.09.2025) |
Status: | Eingereicht |
Angelegt: | 01.10.2025, 16:08 |
V-01: Fühlende Waren - Tiere als Verlierer der Globalisierung und Menschen gleich mit
Antragstext
Die globale Produktion und der Im- und Export von Tieren und tierischen
Produkten hat durch Industrialisierung und Globalisierung unglaubliche Ausmaße
von hunderten Milliarden Euro angenommen. Weltweit werden jährlich 70 Milliarden
Land”nutz”tiere getötet, zwei Drittel davon stammen aus der industriellen
Tierhaltung. Nimmt man Fische dazu, ist man bei weit über 100 Milliarden.[1]
Export und Import sind von einer einstigen nachhaltigen Möglichkeit, um
Überschüsse zu verteilen bzw. um nicht vorhandene eigene Ressourcen zu
beschaffen, zum Selbstzweck geworden. Stopfleber kommt aus Ungarn,
Heimtierfutter aus Thailand. In Nigeria, Vietnam und vielen anderen Ländern
investiert der brasilianische Fleisch-Multi JBS, so wie andere Konzerne, in
industrielle Tierhaltung für den Export. Schweinefleisch und Käse aus
Deutschland gehen nach Südkorea, Hormone von Stutenblutfarmen in Uruguay gehen
für die Schweinezucht nach Deutschland (PMSG/ eCG). Es gibt Pelzfarmen in Polen,
Spanien, China, Lachs-Aquakulturen in Chile und immer noch Lebendtierexporte in
alle Welt. Alles und immer mehr wird zwischen Europa, Asien, Nord- und
Südamerika, Afrika, dem Mittleren und Nahen Osten, Australien und Neuseeland hin
und her gehandelt.[2]
Die Hauptakteure hierbei sind Global Player, internationale Investoren und
undurchsichtige Firmengeflechte. Die 20 größten globalen Fleisch- und
Milchkonzerne verursachen zusammen so viele Treibhausgasemissionen wie
Deutschland, die fünf größten so viele wie der Öl- und Gaskonzern Exxon. Die
Produktion tierischer Lebensmittel verursacht 12 - 16 % der anthropogenen THG-
Emissionen oder 6,2 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente.[3] Darunter fallen
Emissionen von Methan, das 28-mal klimaschädlicher ist als CO2. Bei Methan
dominiert die Viehhaltung, mit einem Anteil von sogar 30 % der weltweiten
anthropogenen Emissionen.[4] Seit langem schon kritisiert die Zivilgesellschaft
die Industrie-Agrarlobby, den Überkonsum, die profitorientierte Aufteilung der
Verwertung und die Subventionen der immer größeren industriellen Tierhaltung und
Exportförderung Deutschlands[5] und anderer Länder der Welt.[6]
Die vielfältigen Kollateralschäden und wahren Kosten sind bekannt und werden
nicht von den Verursachenden getragen. Die Folgen sind Tierleid, Umweltschäden,
Verlust der Biodiversität, Klimakatastrophe, Wassermangel, Überschreiten der
planetaren Grenzen, Land Grabbing, Entwaldung, Flächenverbrauch für
Futtermittel, Beeinträchtigung der Meeresökosysteme, mangelnde
Ernährungssicherheit, ein enormer Preis- und Wettbewerbsdruck für viele
Landwirt*innen sowie negative Auswirkungen auf die Gesundheit, noch höherer
globaler Einsatz von Antibiotika, erhöhtes Risiko von Zoonosen bis hin zu
Pandemien[7] und traumatisierende Arbeitsbedingungen bis hin zu Sklaverei.
Tiere sind die großen Verlierer der Globalisierung. Tierschutzstandards sind
oftmals nicht vorhanden oder in Maßen vorhanden, aber werden nicht umgesetzt,
auch innerhalb der EU oder in Deutschland. Globale investigative Recherchen[8]
zeigen die massiven strukturellen Probleme des Unterbietungswettbewerbs: Überall
auf der Welt die nicht unterscheidbaren Aufnahmen von Qualzuchten und
Qualhaltungen, fehlender medizinischer Versorgung, Misshandlung, Wertlosigkeit
und massenhaft Tiere, die wie Abfall entsorgt werden. Als die
Welthandelsorganisation und andere internationale Organisationen gegründet
wurden, waren Tiere als fühlende Lebewesen oder planetare Grenzen kein Thema.
Auch heute überwiegt der Blick auf Tiere als Ressourcen und Waren oder höchstens
ihre Gesundheit als Qualitätsmerkmal der Ware. Fühlende Waren. Vorhandene
Spielräume der Welthandelsorganisation wie die öffentliche Moral, beispielsweise
eingesetzt beim EU-Importverbot von Robbenprodukten, werden zu wenig von den
Staaten genutzt, da ihre Handelsinteressen in der Regel überwiegen und die
Interessen und Bedürfnisse der Tiere selbst, als vulnerable Gruppe, nicht
genügend vertreten werden. Wie Klima und Umwelt sind die Rechte der Tiere ein
globales Problem, und auch hier muss die Politik mit der Realität der
globalisierten Verflechtungen Schritt halten.
Deutschland kann durch nationale Gesetzgebung sowie über die EU mit seiner
Import- und Exportpolitik Einfluss nehmen. Damit aber nicht nur eine Verlagerung
stattfindet und sich global nichts für die Tiere verbessert, ist es genauso
wichtig, sich in den internationalen Institutionen, wie der WTO und jenen der UN
für bessere Regelungen einzusetzen, wie auch in bilateralen Abkommen.
Darüber hinaus gibt es viele kleine Initiativen weltweit, wie das erste vegane
Krankenhaus im Libanon[17], Großstädte wie Amsterdam oder Los Angeles, die sich
dem internationalen “Plant Based Treaty” verpflichtet haben[18], Städte, die
sich auf andere Arten für eine klimagerechtere Ernährung einsetzen, oder
Investitionen in alternative Proteine und mehr pflanzliche Ernährung von
Singapur bis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten.[19]
Die Zeit drängt, denn viele Schäden sind nicht mehr zurückdrehbar: Immer mehr
Regenwaldflächen fallen der Brandrodung und dem Einschlag durch Kapitalanleger
aus aller Welt für Bodenschätze, Tropenholz und lukrative Nahrungs- und
Futtermittelanbauflächen für den Export zum Opfer. Brasilien hat bereits 20%
seines Regenwaldes vernichtet, andere Hauptverursacher sind die Demokratischen
Republik Kongo und Indonesien.[21] Angesichts des CO2-Speichervolumens der
Gesamtregenwaldflächen hat dies enorm fatale Auswirkungen auf das Weltklima und
die Ökosysteme. Hinzu kommen Verwüstungen, Versteppung, Überschwemmungen und
Erosion. Menschen verlieren ihr Zuhause, unzählige Tier- und Pflanzenarten
sterben aus.[22] Alleine in Brasilien kämpfen über 300 Indigene Völker um den
Erhalt ihres Lebensraumes.[23] Indigene weltweit brauchen Unterstützung gegen
die oft gewaltvolle Missachtung ihrer Rechte.[24]
-Divestment durch Entwicklungs*- und Investitionsbanken[25], keine
Exportkreditgarantien und (Export-)Subventionen für industrielle Tierhaltung und
andere tierschutzwidrige Praktiken. Ihren Ausbau verhindern, umlenken in
alternative Proteine, nicht in Qualzuchten, Fistulierung von Kühen und mehr
Tierleid erzeugende technische Lösungen. Über EU und OECD den Export von
Käfigsystemen mit niedrigem Standard verbieten. *(auch wenn der
Entwicklungsbegriff kritisch zu sehen ist, diese Strukturen existieren im
Moment)
-Internationale Abkommen/ Übereinkommen, z. B. für ein Pelzverbot, wie zuvor für
andere einzelne Praktiken. InternationaleTierschutzstandards, Rechte der Tiere
an vorhandenen globalen Strukturen des Umweltrechts und Gesundheit
orientieren.[27] Interessenvertretung der Tiere auf der globalen Ebene, z. B.
die Tierschutzverbandsklage völkerrechtlich ausweiten (vgl. Aarhus-Konvention im
Umweltrecht), SDG Tierschutz/ Interessen der Tiere, UN-Tierschutz-Konvention (im
wirklichen Sinne der Tiere, nicht anthropozentrisch; multilateral, nicht
ethnozentrisch[28]), UN-Tierschutzprogramm oder- organisation. Tiere auf die
diplomatische Agenda setzen, weltweiten Vollzug verbessern, Möglichkeiten im
internationalen Strafrecht weiterentwickeln, die Verwendung von Tieren ersetzen,
wo möglich.
-CO2/Methan-Besteuerung der Landwirtschaft, auch von Importen, internationale
und nationale Gesamtstrategien zur Tierzahlreduktion,[29] Just Transition.
Anreize gegen die Export- und Importorientierung und Spielräume für
Importverbote in die EU und Verkaufsverbote nutzen, z. B. sich auf EU-Ebene für
eine ambitionierte Reformierung der EU-Tierschutzvorschriften und für eine
Angleichung der tierschutzrelevanten Produktionsstandards für Importe einsetzen,
wie in der Vision für Landwirtschaft und Ernährung der Europäischen Kommission
vorgeschlagen. Schutzreservate und Naturschutzgebiete ausbauen.
Begründung
Obwohl schon immer relevant, werden die Interessen der Tiere im Vergleich zur Umwelt- und Klimapolitik auf der internationalen Ebene im Moment nicht vertreten. Die mittlerweile enormen Ausmaße des globalen Handels mit Tieren und tierischen Produkten und die fortschreitende Industrialisierung der Tierhaltung weltweit macht nicht nur die Tiere zu Verlierern der Globalisierung, sondern beeinträchtigt durch die vielfältigen Kollateralschäden, genau wie andere Ungerechtigkeiten der Globalisierung, maßgeblich auch das Leben der Menschen.
Der Antrag zeigt die Auswirkungen und benennt zahlreiche Maßnahmen wie von lokaler bis internationaler Ebene entgegengesteuert werden muss. Denn wie Klima und Umwelt sind die Rechte der Tiere ein globales Problem, und auch hier muss die Politik mit der Realität der globalisierten Verflechtungen Schritt halten.
Gemeinsamer Antrag der BAG Tierschutzpolitik und der BAG Globale Entwicklung.
Beschluss der BAG Tierschutzpolitik vom 20.09.25
Beschluss der BAG Globale Entwicklung vom 21.09.25
Auch mit Unterstützung aus der BAG Christ*innen. Beschluss war nicht zeitnah möglich und wird gegebenenfalls nachgereicht.
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u.v.m.
Wichtige Akteure: BMLEH, BMWE, BMZ, GIZ, Weltbank, Europäische Investitionsbank, EU Kommission (DG Agriculture, DG SANTE, DG CLIMA, DG Trade), UN FAO (allerdings ist die globale industrielle Tierproduktlobby dort vertreten[30]), UNEP, WTO, WOAH
Anfrage: Wie unterstützen Deutschland und die EU finanziell und auf anderen Wegen die industrielle Tierhaltung oder andere tierschutzwidrige Praktiken innerhalb der EU und im EU-Ausland?
Bündnisgrüne Beschlüsse zum Thema:
EU-Wahlprogramm von B90/Die Grünen 2024, S.37: “In Handelsabkommen setzen wir uns für hohe Tierschutzstandards ein. Den Import von tierischen Produkten, bei denen Bedingungen nach EU-Tierschutzstandard nicht nachgewiesen wurden, wollen wir beenden. Wir wollen Tierschutz zu einem Ziel der nachhaltigen Entwicklung machen.”
EU-Wahlprogramm von B90/Die Grünen 2024, S. 39: „Das Angebot pflanzlicher Produkte wollen wir vergrößern, leichter zugänglich machen und die ernährungsbezogenen EU-Förderprogramme klimagerecht umstellen. Das ist auch wichtig zum Erreichen der Klima- und Artenschutzziele. Deshalb verbessern wir die Rahmenbedingungen für pflanzliche Lebensmittel unter anderem durch die Förderung von Forschung und Markteinführung. Um zukünftigen Krisen besser begegnen zu können, braucht die EU eine Eiweißstrategie mit effizienten Zulassungsverfahren, die den Selbstversorgungsgrad bei Gemüse, Nüssen und pflanzlichen sowie alternativen Proteinen erhöht. Die Erforschung und Entwicklung von modernen Fermentationsverfahren und Zellkultivierung unterstützen wir in neuem Maße zur Entwicklung nachhaltiger Lebensmittel und für den Wirtschafts- und Innovationsstandort Europa.”
EU-Wahlprogramm von B90/ Die Grünen 2024, S.74: “Wir wollen die WTO grundlegend reformieren, damit sie dieser Rolle wieder gerecht werden kann. Dabei müssen auch gute Arbeitsstandards, Zugang zu Gesundheitsprodukten und grünen Technologien, eine faire Entwicklung sowie Klima-, Umwelt- und Tierschutz in das Zentrum der globalen Handelspolitik gestellt werden.”
Bundestagswahlprogramm von B90/ Die Grünen 2021, S.48: “Dafür unterstützen wir mit unserer Agrar- und Entwicklungspolitik eine globale sozial-ökologische Agrarwende.”
Bundestagswahlprogramm von B90/ Die Grünen 2021, S.53: “Bäuer*innen werden von Dumpingpreisen erdrückt und müssen immer mehr produzieren, um zu überleben, die Tiere werden immer mehr auf Leistung gezüchtet und leben immer kürzer, die ökologischen und gesellschaftlichen Probleme wachsen. Industrielle Massentierhaltung und Billigfleischexport in alle Welt sind mit einer klimagerechten Zukunft nicht vereinbar.”
Analog zu Bundestagswahlprogramm von B90/Die Grünen 2021, S.222: “Förderungen fossiler Energieträger in unserer Entwicklungs- und Exportfinanzierung werden wir beenden. Entwicklungs- und Investitionsbanken wie die Weltbank oder die KfW sollen zu Transformationsbanken umgebaut werden.”
Regierungsprogramm von B90/ Die Grünen 2025, S.61: “Sowohl national als auch auf europäischer und internationaler Ebene setzen wir uns daher für eine Tierschutzgesetzgebung und hohe Standards ein, die Tiere wirklich schützen.”