Die Begründung für diesen Antrag hat zwei wesentliche Dimensionen, nämlich eine inhaltliche und eine strategische, die im Folgenden klar dargelegt werden sollen.
Inhaltliche Begründung
Ausgangslage
Die Steuerlast für sehr vermögende Personen ist seit den frühen 1980er Jahren stark gesunken. Die Steuern auf Kapitalerträge sind von 56% auf etwa 26% (inklusive Solidaritätsbeitrag) und die Steuern auf Unternehmensgewinne von 62% auf unter 30% gesenkt worden. Die Idee dahinter war, dass durch die Entlastung der überaus Vermögenden ein Effekt einsetzen sollte, der dazu geführt hätte, dass durch vermehrte Investition und Konsum nach und nach auch die unteren Schichten der Gesellschaft profitieren (sog. „Trickle-Down-Ökonomie“). Nach nunmehr über 30 Jahren ist ein solcher Effekt laut führenden Wissenschaftler*innen nicht eingetreten.
„[…] eine Strategie des ‚Trickle Down‘ hat noch nie funktioniert und wird auch in der Zukunft nichts bringen, außer höhere Schulden und weniger Wohlstand.“ (Prof. Dr. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)) (Quelle)
Auch der Wirtschaftsweise Prof. Dr. Achim Truger sagte bereits 2021, dass die Steuerpolitik der letzten 30 Jahre die Ungleichheit verstärkt habe und dass es zumindest für Deutschland keine „Trickle-Down“-Wirkung gab. (Quelle)
Sogar Papst Franziskus stellte bereits 2013 in einem apostolischen Schreiben fest, dass die „Trickle-Down“-Ökonomie ein „undifferenziertes, naives Vertrauen auf die Güte derer aus[drückt], die die wirtschaftliche Macht in Händeln halten“. (Quelle)
Die deutsche Steuerpolitik führte im Ergebnis dazu, dass sehr Vermögende heute durchschnittlich geringere Abgabenlasten haben als Vertreter*innen des Mittelstands. Milliardär*innen in Deutschland haben sogar eine geringere Abgabenlast als Milliardär*innen in der Schweiz. (Quelle)
Insbesondere in Zeiten knapper Kassen, dringend benötigter Investitionen und schwindendem sozialen Zusammenhalt ist es unbedingt nötigt, dass wir hier entschieden gegensteuern und wieder für mehr Gerechtigkeit sorgen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist ein alleiniger Fokus auf eine Reform der Erbschaftsteuer unzureichend. Vielmehr sollen Überreiche, genau wie Normalverdiener, auch schon zu Lebzeiten einen fairen Steuersatz leisten.
Positive wirtschaftliche Auswirkungen
Während die Gegner*innen von Substanzsteuern, wie Erbschaft- bzw. Vermögensteuern regelmäßig große Vorbehalte bezüglich etwaiger negativer wirtschaftlicher Auswirkungen von solchen Steuern anführen, soll hier auf positive wirtschaftliche Auswirkungen hingewiesen werden.
Das deutsche Wirtschaftsmodell basierte in der Vergangenheit wesentlich auf starken Exporten, die in der aktuell herausfordernden Weltlage mehr und mehr unter Druck geraten. Wirtschaftswissenschaftler*innen sind sich darin einig, dass die Antwort eine Stärkung der Binnennachfrage sein muss.
Studien des Internationalen Währungsfonds ergaben, dass entgegen der „Trickle-Down“-Logik das Wirtschaftswachstum von Ländern gerade dann durch erhöhte Binnennachfrage zunimmt, wenn die Einkommensschwächsten ihren relativen Anteil am Gesamteinkommen vergrößern können (Quelle). Genau dazu führt das hier vorgeschlagene Maßnahmenpaket, da wir die Steuermehreinnahmen aus den Vermögen bzw. den Vermögenszugewinnen von Überreichen dazu verwenden wollen, staatliche Leistungen zu finanzieren, von denen in besonderem Maße weniger vermögende Menschen profitieren, was für diese mehr finanzielle Möglichkeiten - entweder beim Konsum oder bei ihrem Vermögensaufbau schafft. Als plakative Beispiele seien hier die Preisstabilisierung des Deutschlandtickets oder der Ausbau der Betreuungsangebote für (Klein-)Kinder genannt. Von letzterem profitiert die Wirtschaft gleich doppelt, da insbesondere Frauen in Lohnarbeit kommen, die bisher aufgrund eines Mangels an Alternativen mit der Betreuung von Kindern beschäftigt sind.
Strategische Begründung
Der Anteil derer, die ein geringes oder kein Vertrauen in Exekutive und Legislative in Deutschland haben, steigt seit Jahren und erreicht aktuell etwa die Hälfte der Menschen (Quelle). In dieser Situation muss allen Beteiligten klar werden, dass ein einfaches "Weiter so!" keine Option sein kann. Die bedeutenden demokratischen Parteien tun sich jedoch offensichtlich schwer damit, sich an diese Situation anzupassen und Antworten zu geben, deren Größe der Größe der Herausforderungen angemessen sind.
Dadurch entsteht ein politisches Vakuum, das bisher insbesondere Rechtsextreme für sich zu nutzen wissen. Diese Entwicklung ist eine echte Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung und damit für das Fundament unserer Gesellschaft.
62% der Menschen ingesamt, 84% unserer Wähler*innen und sogar 55% der Unionswähler*innen stimmen der Einführung einer Vermögensteuer ab 1 Mio. Euro zu (Quelle). Die Zustimmungswerte zu einer Vermögensteuer ab 100 Mio. Euro oder einer „Milliardärs-Mindeststeuer“ wäre erwartbar noch einmal deutlich höher.
Wir GRÜNE verstehen, dass ein Mangel an Gerechtigkeit in bedeutendem Maße zum Vertrauensverlust in unser System beigetragen hat.
Dieser Antrag soll dazu beitragen zu zeigen, dass wir das Thema Gerechtigkeit bei der Stabilisierung unserer Gesellschaft als zentral ansehen und wir bereit sind, große Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit zu geben und dabei auch bereit sind - wie bei einer „Milliardärs-Mindeststeuer“ - neue Wege zu suchen.
