Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Sandra Detzer (KV Ludwigsburg) und 51 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 35%) |
Status: | Eingereicht |
Angelegt: | 16.10.2025, 18:16 |
V-50: Kreis statt Krise: Die Kreislaufwirtschaft als Schlüssel für den Schutz natürlicher Lebensgrundlagen und industriepolitische Souveränität
Antragstext
Jüngst hat die chinesische Regierung neue Exportbeschränkungen für Seltene Erden
und andere Rohstoffe erlassen. Das zeigt: Die Verfügbarkeit von Rohstoffen ist
zum politischen Druckmittel geworden und wird als ökonomische Waffe eingesetzt.
In dieser Situation entscheiden Dritte darüber, ob in Deutschland und Europa
Produktionsprozesse funktionieren oder Lieferketten gestört sind. Das ist nicht
hinnehmbar.
Die Kreislaufwirtschaft ist gerade in diesen geopolitisch schwierigen Zeiten
weit mehr als Mülltrennung – sie ist ein Schlüssel zum Schutz unserer
Lebensgrundlagen, zu industriepolitischer Stärke und geopolitischer
Souveränität. Die viel zu große deutsche Abhängigkeit von scheinbar günstigem
Pipelinegas aus Russland hat es für alle sichtbar gemacht: Deutschland und
Europa dürfen nicht erpressbar sein. Und Abhängigkeiten gefährden unseren
Wohlstand und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Vor dem Hintergrund ist
unverständlich, dass beispielsweise die Düngeindustrie immer noch so abhängig
von russischem Phosphor ist. Deutschland könnte längst Technologieführer beim
Phosphorrecycling sein und damit Lieferant für umweltfreundlicher P-Rezyklate.
Die Kreislaufwirtschaft ist also ein Schlüssel für Rohstoffsicherheit und stärkt
die wirtschaftliche Widerstandskraft unseres Landes. Gerade angesichts
geopolitischer Unsicherheiten braucht es Geschäftsmodelle, die nachhaltigen
Wohlstand UND Resilienz miteinander vereinbaren.
Wir verstehen die Kreislaufwirtschaft als ein starkes Leitbild, bei dem der
zirkuläre Einsatz von Ressourcen im Zentrum steht. Umfasst sind Produktdesign
und Produktionsbedingungen wie z. B. Reparatur- und Recyclingfreundlichkeit, die
Lebensdauer von Produkten und deren Wiederverwendung – kurz: alle Phasen der
Wertschöpfung von der Produktgestaltung und Produktion über den Gebrauch und die
Reparatur bis hin zur Wiederverwendung und Wiederverwertung. Das macht die
Kreislaufwirtschaft nach dem Wiege-zu-Wiege-Prinzip (Cradle-to-Cradle) zu einem
zentralen Instrument nicht nur für Ressourcenschutz, sondern auch für eine
künftige Industriepolitik und neue Geschäftsmodelle.
Die Kreislaufwirtschaft ist Garant für eine nachhaltige Art des Wirtschaftens,
die den Umwelt- und Klimaschutz mit innovativen Geschäftsmodellen verbindet.
Indem wir Rohstoffe im Kreislauf führen, können wir unsere Klimaziele einhalten,
Rohstoffsouveränität stärken, Wohlstand erneuern und die Zerstörung der Natur
für den Abbau von Ressourcen begrenzen. Gerade für den Mittelstand bietet die
erfolgreiche Umsetzung von zirkulären Produkten und Geschäftsmodellen neue
Chancen.
Bündnis 90/Die Grünen sind Partner der vielen Akteure von den Kommunen, über die
Zivilgesellschaft zu Start-ups und etablierten Unternehmen, die weg wollen vom
linearen hin zu zirkulärem Wirtschaften. Viele Unternehmen der
Kreislaufwirtschaft leisten hier schon heute einen entscheidenden Beitrag. Sie
sichern regionale Wertschöpfung, Innovation und Beschäftigung in ganz
Deutschland. Das macht die Kreislaufwirtschaft zu einer zentralen Säule der
Mittelstands- und Industriepolitik. Und die umweltpolitische Notwendigkeit liegt
auf der Hand: Der weltweite Ressourcenverbrauch liegt weit über dem, was uns die
Erde an natürlichen Ressourcen zur Verfügung stellen kann. Das wird nicht
zuletzt durch das jährlich frühere Eintreten des Weltüberlastungstags deutlich.
Die wirtschaftliche Reife der Kreislaufwirtschaft unterscheidet sich im Moment
noch erheblich nach Stoffstrom. Während Stahl oder Aluminium zu bis zu 90
Prozent wiederverwertet werden, sind es bei anderen Rohstoffen wie Seltenen
Erden noch Wiederverwertungsquoten von unter 1 Prozent. Im Stoffstrom Textilien
zeigen sich die Grenzen der bisherigen Systeme: Nur ein Bruchteil der
Materialien wird stofflich wiederverwertet, weil Sammel-, Sortier- und
Recyclingstrukturen fehlen. Damit gehen wertvolle Rohstoffe verloren, es bleiben
Chancen für Wertschöpfung und Innovation ungenutzt. Hier würden gezielte
Investitionen in Recyclingkapazitäten und verbindliche Anforderungen an Design
und Wiederverwendung Abhilfe schaffen. Im Gesamtblick ist die gute Botschaft:
Die Kreislaufwirtschaft in Deutschland ist an vielen Orten längst Realität. Es
kommt nun darauf an, die hervorragenden Einzelbeispiele zu skalieren und sie in
der Fläche des Landes auszurollen, damit das Denken in Kreisläufen zum Standard
wird. Der Ausbau der Kreislaufwirtschaft darf kein Nischenthema bleiben, er ist
auch ein industriepolitisches Zukunftsprojekt, das strategisch koordiniert
werden muss.
1 Innovationskraft der Kreislaufwirtschaft stärken, Geschäftsmodelle ermöglichen
und faires Level-Playing-Field schaffen
Für den Hochlauf der Kreislaufwirtschaft wollen wir jetzt die richtigen
Rahmenbedingungen schaffen: mit Planungssicherheit und attraktiven
Investitionsmöglichkeiten für Unternehmen. Dafür braucht es digitalisierte und
einfache Verwaltungsabläufe, schlanke Genehmigungsprozesse und synchronisierte
Normen, die gut ineinandergreifen und sich nicht widersprechen. Mit abfallenden
Verordnungen wollen wir sicherstellen, dass die Abfalleigenschaft entfällt, wenn
Materialien bestimmte Anforderungen an Wiederverwendung erfüllen. Nur wenn
unsere Unternehmen faire und verlässliche Bedingungen vorfinden, können sie die
Kreislaufwirtschaft mit innovativen Lösungen vorantreiben. Wir unterstützen die
EU dabei, für die Kreislaufwirtschaft ein europaweites Level-Playing-Field zu
schaffen und sie als wichtigen Bestandteil einer europäischen Industriepolitik
zu begreifen. Noch immer fördern wir beispielsweise die Produktion von Virgin
Plastic durch Ausnahmen bei der Energiesteuer. Das trägt dazu bei, dass der
Marktpreis für eine Tonne PET-Rezyklat in diesem Jahr um bis zu 700 Euro teurer
ist als für eine Tonne frisches PET. Wir wollen gezielt steuerliche, fiskalische
und ordnungspolitische Anreize schaffen, um den Einsatz von Rezyklaten gegenüber
Neuware attraktiver zu machen. Rezyklatquoten wollen wir für zentrale
Anwendungsbereiche. Heimische Unternehmen müssen vor falsch deklarierten
Produkten geschützt werden, hier braucht es eine bessere Ausstattung der
Behörden. Außerdem wollen wir gezielt die Forschungsförderung erhöhen, wo die
zirkulären Lösungen nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip entwickelt werden mit
besonderem Schwerpunkt auf Technologietransfer und Skalierung. Hier könnten
Kommunen, Länder und der Bund auch Wettbewerbe ausloben, die den
Technologietransfer und die Skalierung sichtbar machen und in die Fläche tragen.
Analog zum digitalen Gebäuderessourcenpass und digitalen Batteriepass werden wir
die Umsetzung des digitalen Produktpasses unterstützen, mit dem Quantität und
Qualität der Materialien erfasst werden. Nur wer weiß, was in den Produkten
steckt, kann die einzelnen Bestandteile gut im Kreislauf führen. Die Ausweitung
auf Textil, Metalle oder Bauprodukte unterstützen wir. Speziell in der
Kombination mit zirkulären Geschäftsmodellen wie Leasing oder Product-as-a-
Service-Angeboten sind digitale Produktpässe ein zielführender Hebel, um
Ressourcen und Materialien in technischen Kreisläufen zu halten. Die Umsetzung
digitaler Produktpässe praktikabel und verhältnismäßig sein, die
Datensouveränität der Betriebe bleibt gewährleistet.
Die neue EU-Batterieverordnung schafft erstmals einen umfassenden Rahmen, der
den gesamten Lebenszyklus von Batterien in den Blick nimmt – von der
Rohstoffgewinnung über Produktdesign und Kennzeichnung bis hin zu Sammel-und
Recyclingpflichten. Damit werden die richtigen Weichen gestellt. Wir fordern ein
wirksames und einfach umsetzbares Pfandsystem für bestimmte Lithium-Ionen-
Batterien, mindestens für einzelne Batteriearten wielithiumhaltige, nicht
eingebaute Gerätebatterien, haushaltsnahe Industriebatterien oder in
Elektronikgeräte eingebaute lithiumhaltige Gerätebatterien, einzuführen.
Besonders Autobatterien wollen wir ein zweites Leben geben und ihre Nachnutzung
fördern. Mit einer bundesweiten Informationskampagne unter dem Motto: „Schenk
deiner Batterie ein zweites Leben“ bringen wir das Verbraucherbewusstsein voran
und stärken Rückgabe und Entsorgung von Batterien. Der von der Ampel auf den Weg
gebrachte Rohstofffonds muss zügig die konkrete Projektförderung aufnehmen und
dabei auch Projekte der Kreislaufwirtschaft unterstützen.
4 Design for Recycling und fairer Wettbewerb bei Kunststoffen fördern
Produkte sollen so designt sein, dass sie recyclingfähig sind. Die Öko-Design-
Richtlinie ist dafür ein wertvolles Instrument, das unbürokratisch umgesetzt
werden muss und Schutz bieten muss vor unfairen Importen. Wir brauchen fairen
Wettbewerb – gerade für den Markt der Kunststoffrezyklate. Hier wollen wir u. a.
die Preisdifferenz zwischen Neuware und Recyclingware aufheben und gleiche
Standards für alle. Chemisches Recycling darf es nur mit transparentem Mass
Balancing, effektiven Kontrollmechanismen und einer klaren Priorisierung des
mechanischen Recyclings in der Abfallhierarchie geben. Außerdem brauchen wir
einen wirksamen Schutz der nationalen Recyclingwirtschaft vor Rezyklatimporten,
die nicht LPF-Standards entsprechen.
Kreislauffähigkeit muss zum neuen Standard in der Beschaffung werden. Mit
unserer Zustimmung zum Sondervermögen haben wir die dringend notwendigen
Investitionen in öffentliche Infrastrukturen ermöglicht. Jetzt muss dieses Geld
auch sinnvoll eingesetzt werden, um nachhaltiges Wirtschaften zu stärken und
innovativen Produkten und Geschäftsmodellen zum Durchbruch zu verhelfen. So
zahlen sich diese Investitionen noch stärker für unsere Gesellschaft aus.
Sekundärbaustoffe wollen wir als Produkt anerkennen, um die Bauwirtschaft beim
Einsatz von zirkulären Produkten zu unterstützen und es privaten Bauträger*innen
und Kommunen einfacher zu machen, zirkuläre Produkte einzusetzen. Dies gilt
insbesondere für den Einsatz von Recyclingbeton und -zement. Anders als auf EU-
Ebene, wo die novellierte Bauprodukteverordnung keine konkreten Anreize für
zirkuläres Bauen setzt, können wir damit vorangehen und die öffentliche
Beschaffung sowie die Bauwirtschaft zum Motor einer erfolgreichen
Kreislaufwirtschaft machen.