Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Christian Schubert (KV Rhein-Erft-Kreis) und 70 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 21%) |
Status: | Eingereicht |
Angelegt: | 05.10.2025, 18:18 |
V-49: Schluss mit „Ich bin nicht zuständig!“ Für einen handlungsfähigen Staat und eine Föderalismusreform, die Vertrauen schafft und Kommunen vor Ort stärkt
Antragstext
Das föderale System der Bundesrepublik Deutschland ist historisch gewachsen und
soll Machtverschränkungen und -begrenzungen sicherstellen. Zu diesem Prinzip
bekennen wir uns ausdrücklich weiterhin. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es
in vielen Politikbereichen und Prozessen eine Zuständigkeitswust gibt, der
Abläufe massiv verlangsamt, viele personelle Ressourcen bindet und zu
Bürokratie-Frust bei Verwaltung, Politik und Bürgerschaft führt.
Um den Zuständigkeitswust aufzulösen, müssen wir mehr Klarheit erreichen, welche
staatliche Ebene welche Funktion wahrnehmen soll. Der Bund und die Länder müssen
innerhalb ihrer Zuständigkeiten Ziele vorgeben, Umsetzungsrahmen festlegen und
verlässlich-verbindliche Mindeststandards setzen. Die Kommunen müssen die Ziele
und Vorgaben umsetzen, doch benötigen hierbei Beinfreiheit und
Gestaltungskompetenzen, den vor Ort passendsten und effizientesten Umsetzungsweg
zu finden.
Sei es der Digitalpakt Schule oder das Onlinezugangsgesetz: Wenn Zuständigkeiten
nicht eindeutig geregelt sind, führt das zu Verzögerungen und Blockaden. Um
diese Klarheit zu erreichen, wollen wir national die drei Ebenen (Bund, Land und
Kommune) festschreiben. Doppel- und Zwischenebenen wollen wir abbauen und die
betreffenden Aufgabenbereiche jeweils den drei Ebenen zuordnen. Das stärkt nicht
nur die Handlungsfähigkeit des Bundes, sondern auch die kommunale
Selbstverwaltung. So können redundante Landesmittelbehörden verhindert und
Fachaufsichten zusammengeführt werden. Es ist niemandem zu erklären, warum es in
Deutschland 16 unterschiedliche Landesbauordnungen gibt und keinen Bundesrahmen
wie den australischen National Construction Code, welcher Zielwerte
(beispielsweise für Energie, Barrierefreiheit oder Brandschutz) definiert.
Diesen wollen wir schaffen, um ganz konkret Bürokratie abzubauen und digitale
Planungs- und Genehmigungsverfahren erheblich zu vereinfachen.
Um die Zuständigkeitsklarheit in der Verfassung zu erreichen, braucht es eine
partei- und ebenenübergreifende Reformgruppe, die Ausführungskompetenzen,
Gesetzgebungszuständigkeiten sowie Gemeinschaftsaufgaben kritisch und umfassend
durchleuchten. Diese Kompetenz- und Aufgabenaufteilungen gehören auf den
Prüfstand. Dabei müssen Bund, Länder und Kommunen beteiligt sein. Begleiten
wollen wir dies zudem mit einem Bürgerrat. Das Ziel muss sein, dass unnötige
Mischzuständigkeiten und insbesondere Mischfinanzierungen abgebaut werden.
Entscheidungen über Mittelzuweisungen müssen nachvollziehbar und verlässlich
sein. Sie dürfen nicht von kurzfristigen Länderblockaden abhängen.
Die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ hat wichtige Handlungsfelder
identifiziert. Diese begonnene Debatte darf nicht im Sande verlaufen, sondern
wir wollen sie aufnehmen und konkret mit einer umfassenden Föderalismusreform
weiterentwickeln und umsetzen. Das Erreichen von verfassungsändernden Mehrheiten
wird komplizierter. Daher sind ein parteiübergreifender Ansatz und ein
gesellschaftlicher Konsens unabdingbar.
Das Kooperationsverbot im Bereich der Bildung wollen wir aufheben, damit der
Bund breitflächig Investitionen ermöglichen kann. Die Vorschläge der Initiative
für einen handlungsfähigen Staat wollen wir insbesondere in den Bereichen
Digitalisierung und Bildung vollumfänglich umsetzen. Die Bildung soll zu einem
Pilotfeld der Föderalismusreform werden. Ein nationaler Bildungsrat, das
Etablieren von Vergleichsstandards und das Schaffen einem Transparenzportal sind
nur drei konkrete Vorschläge für diesen zentralen Politikbereich.
Die Zustimmungspflichten im Bundesrat wollen wir reduzieren und für
Vermittlungsformate striktere Fristen setzen. Gerade in Zeiten von viel-
Parteien-Koalitionen ist dies für eine effiziente und verlässliche Gesetzgebung
unerlässlich. Die föderale Machtverschränkung zwischen den Ebenen darf nicht
dazu führen, die nationale Handlungsfähigkeit auszubremsen.
Dass Kommunen mehr Umsetzungsfreiheiten haben, soll sich auch in der
Verwaltungskultur bemerkbar machen. Statt Frustration mit dem starren
bürokratischen Abarbeiten von Anträgen soll das Erarbeiten von
Umsetzungsstrategien motivieren und neue Dynamiken schaffen. Die Erfahrung, das
Wissen und die Kompetenz der vielen Verwaltungsmitarbeitenden müssen wir mit
dieser Dynamik viel besser nutzen.
Um diese Fragen zu bewerten, braucht es nachvollziehbare Kernindikatoren und ein
Forum, welches über die besten Lösungen der Kommunen befindet. Sei es die
Servicequalität von Verwaltungen, effektive öffentliche Ausgaben, digitale
Leistungen, Wohnbau - in all diesen Bereichen soll es transparente Rankings
geben und Musterkommunen werden prämiert.
Wenn wir den Kommunen mehr Umsetzungskompetenzen lassen wollen, so brauchen sie
dafür die notwendigen Finanzmittel. Um losgelöst von befristeten Sondervermögen
Investitionen der Kommunen in Infrastruktur sicherzustellen, wollen wir uns bei
den Verhandlungen um die Neugestaltung der Schuldenbremse für eine Kommunale
Investitionsregel für Zukunftsinvestitionen einsetzen.
Die Anzahl bürokratischer Förderprogramme wollen wir massiv reduzieren. Sie
binden enorme Ressourcen von Verwaltungsmitarbeitenden. Daher wollen wir keine
kleinteiligen Bundesprogramme aufsetzen und bei Programmen klare Sunset-
Regelungen einbauen. Wir vertrauen unseren Kommunen vor Ort, dass sie die
finanziellen Prioritäten richtig setzen. Daher wollen wir kommunale
Schlüsselzuweisungen erhöhen. Dies könnte indikatorenbasiert nach Schweizer
Vorbild (NFA; Schlüssel aus Soziallasten, Steuerkraft und Fläche) geschehen.
Statt komplizierter Finanzverhandlungen in Einzelbereichen zwischen den
föderalen Ebenen, wollen wir, nach Australischem Vorbild (CFFR) einen zentralen
Rat für föderale Finanzbeziehungen unter Beteiligung von Bund, Ländern und
Kommunen etablieren. Dieser soll die finanziellen Lasten zwischen den Ebenen
fair verteilen.
Damit in Gesetzgebungsprozessen, die einen Umsetzungsrahmen für Kommunen
beinhalten, die Praxis- und Umsetzungstauglichkeit sichergestellt wird, wollen
wir einen ständigen kommunalen Ausschuss im Bundesrat einrichten. Dieser soll
ein Anhörungs- und Initiativrecht bei kommunalrelevanten Vorhaben erhalten.
Begründung
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst hat in diesem Jahr eine breite Staatsreform gefordert mit der klaren Zielrichtung, dass „Eitelkeiten“ (Zitat Wüst) einzelner Länder die Bundesrepublik nicht mehr ausbremsen dürfen. Dem Stimmen wir zu. Andere föderale Systeme zeigen, dass ein klarer Bundesrahmen und kommunale Umsetzung weder Zentralismus noch Länder-Schwächung bedeutet. Es schafft Vertrauen und Effizienz.
Die Initiative für einen handlungsfähigen Staat hat eine Debatte eröffnet, deren Dynamik wir nicht verschlafen dürfen. Daher braucht es jetzt einen breiten demokratischen Prozess, der unter Beteiligung der drei Ebenen, Expert:innen im Verfassungsrecht, der Verwaltungswissenschaft und der Politikwissenschaft sowie der Initiative begonnen werden muss.
Alle Beteiligten müssen an einem Strang ziehen und die Bereitschaft haben, Kompetenzen zu verschieben und neu zu ordnen.
Alle stimmen dem Ziel des Bürokratieabbaus zu. Doch wird es konkret, hakt es oft. Dieser Bereich der Föderalismus- und Staatsreform baut konkret Bürokratie für Bürger:innen, Unternehmen und Verwaltungen selbst ab. Es kann nicht sein, dass sich so viele Ressourcen in den Verwaltungen mit Fördermittelbeantragungen oder anderer Bürokratie zwischen unterschiedlichsten staatlichen Stellen beschäftigen. Indem wir ihnen die Möglichkeit zur aktiven Mitgestaltung geben, heben wir ganz viel Potenzial der vielen Mitarbeitenden in den öffentlichen Verwaltungen, stärken den Wirkungsgrad der lokalen Demokratie und Mitgestaltung vor Ort und bauen Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unseres Staates wieder auf.
Wir sind uns sicher: Diese Ziele haben Rückendeckung in der Bevölkerung und eine breite Akzeptanz in den politischen Parteien.