Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Jutta Paulus (KV Neustadt-Weinstraße) und 95 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 45%) |
Status: | Eingereicht |
Angelegt: | 15.10.2025, 23:30 |
V-48: Gift für die Ewigkeit – PFAS jetzt verbieten!
Antragstext
„PFAS“ steht für „per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen“. Sie sind
charakterisiert durch viele Kohlenstoff-Fluor-Bindungen, die zu den stärksten
chemischen Bindungen gehören. Dadurch sind sie extrem widerstandsfähig gegenüber
Hitze, Druck, Säuren und Laugen. Außerdem sind sie fett-, wasser- und
schmutzabweisend. Das macht sie so wertvoll für Anwendungen in der Industrie,
aber auch in Alltagsprodukten wie Pfannen, Kaffeebecher, Outdoorjacken oder
Kosmetika. Sie wurden in den 1930er Jahren entwickelt und ab 1960 in vielen
Konsumgütern angewendet. Es gibt geschätzt 10.000 verschiedene Verbindungen, die
unterschiedliche Eigenschaften haben.
Das Problem: die Kohlenstoff-Fluor-Bindung ist so stabil, dass sie auch in der
Umwelt nicht gespalten wird. Deshalb werden PFAS auch als „Ewigkeitschemikalien“
bezeichnet. Sie sind mittlerweile auch in den entlegensten Weltregionen
nachweisbar, und ihre Konzentration kennt nur eine Richtung: nach oben. PFAS
reichern sich entlang der Nahrungskette an – mittlerweile hat jedes fünfte Kind
in Europa PFAS in gesundheitlich bedenklichen Mengen im Blut. Je nach Substanz
kann das gravierende Folgen haben: Menschen entwickeln Immunschwäche. Paare
können keine Kinder bekommen. Bei jungen sportlichen Menschen wird Krebs
diagnostiziert. Leute, die nie Alkohol trinken und keine Medikamente nehmen,
bekommen Leberschäden. Dass manche PFAS sehr giftig, andere „nur“
gesundheitschädlich sind, wissen die Hersteller seit 50 Jahren.
Letztes Jahr hat das „Forever Pollution Project“, ein Zusammenschluss
investigativer Journalistinnen und Journalisten, herausgefunden, dass schon
heute mindestens 17.000 Altlasten allein in der Europäischen Union existieren.
So ist zum Beispiel im bayerischen Landkreis Altötting das Grundwasser mit PFAS
so stark belastet, dass achtstellige Summen in neue Brunnen investiert werden
mussten. Im badischen Rastatt sind über 1000 Hektar landwirtschaftliche Fläche
und das Grundwasser langfristig durch PFAS kontaminiert. In manchen elsässischen
Kommunen gibt es kein gesundheitlich unbedenkliches Trinkwasser mehr, sie müssen
mit Tankwagen beliefert werden. In einigen Regionen Belgiens dürfen keine
Freilandeier mehr gegessen werden. Auch jenseits solcher Hotspots steigt die
Belastung von Trinkwasser und Lebensmitteln mit der fruchtbarkeitsschädigenden
Ewigkeitschemikalie Trifluoressigsäure (TFA) stetig an. Aber noch immer darf
beispielsweise ein Chemiebetrieb in Baden-Württemberg völlig legal täglich bis
zu 24 Kilogramm TFA in den Neckar einleiten. In Deutschland sind noch 26
Pestizid-Wirkstoffe im Einsatz, die TFA bilden. Selbst mit dem Regen kommt der
Stoff vom Himmel, wenn Kühlmittel aus Klimaanlagen in die Luft kommen. In der
Bundesregierung weiß niemand, wie viel Tonnen PFAS täglich in unsere Gewässer,
unsere Luft, unsere Böden freigesetzt werden, und man sieht auch keinerlei
Handlungsbedarf.
Andere EU-Länder dagegen haben schon Maßnahmen ergriffen. In Frankreich ist die
Verwendung von PFAS in Kosmetik, Textilien und Schuhen bereits verboten, Belgien
hat angekündigt, demnächst ebenfalls gesetzliche Regelungen zum Schutz der
Bevölkerung zu treffen, Dänemark verbietet zusätzlich PFAS-haltige
Pestizidwirkstoffe.Auch auf europäischer Ebene wurde gehandelt: die 2024
beschlossene Verpackungsverordnung verbietet die Verwendung in
Lebensmittelverpackungen ab August 2026, Dieses Jahr wurden endlich auch
Grenzwerte für PFAS in Trinkwasser festgelegt und die Mitgliedstaaten wurden zur
Überwachung von Grundwasser und Flüssen verpflichtet.
Vor zwei Jahren haben Deutschland, die Niederlande, Norwegen, Dänemark und
Schweden einen Vorschlag zur Regulierung der PFAS als Gruppe unter der
Chemikalienverordnung REACH bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA)
eingereicht. Demnach soll der Einsatz von PFAS so weit wie irgend möglich
verboten werden; für Anwendungen, bei denen es heute noch keine Alternativen
gibt, sollen lange Übergangsfristen gelten. Seither tobt eine Lobbyschlacht um
Sonderregelungen für ganze Sektoren, längere Übergangszeiten und Ausnahmen für
PFAS, die „nur“ bei Herstellung und Entsorgung problematisch sind. Besonders
brisant: Eine der größten Quellen, PFAS-haltige Pestizide, ist im
Beschränkungsvorschlag gar nicht erst enthalten, weil sie rechtlich nicht unter
die Chemikalienverordnung fallen, sondern unter die Pestizidverordnung.
Zweifellos gibt es PFAS-Anwendungen, beispielsweise in der Optoelektronik, in
der chemischen Produktion oder auch in Medizinprodukten, bei denen weit und
breit keine Alternative in Sicht ist. Hier braucht es neben angemessenen
Übergangsfristen mehr Ressourcen für Forschung und Entwicklung – aber keine
Ewigkeitsausnahmen für Ewigkeitschemikalien! Im Gegenteil: wer durch Innovation
Alternativen findet, wird morgen zum Weltmarktführer. Denn immer mehr Länder
ergreifen - meist auf Druck der betroffenen Bürgerinnen und Bürger - Maßnahmen
zur Beschränkung dieser Ewigkeitsgifte.
Begründung
mündlich