Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | BAG Schwulenpolitik (dort beschlossen am: 05.10.2025) |
Status: | Eingereicht |
Angelegt: | 10.10.2025, 13:27 |
V-11: Nie wieder still – Wider den queerfeindlichen Rollback
Antragstext
Erst einige Monate ist Schwarz-Rot im Amt, aber es wirkt so, als würde der
Geist, der diese Koalition prägt, schon lange wie Blei über uns liegen. Die Zeit
der Ampel hat keine Verklärung verdient - gesellschafts- und insbesondere
queerpolitisch war ihre Zeit aber eine Phase des Aufbruchs. Nach Jahren der
Kämpfe konnten wir endlich das Selbstbestimmungsgesetz einführen,
Queerbeauftragte*r und Aktionsplan waren weitere Erfolge, andere Fortschritte
wurden durch den Koalitionsbruch der FDP oder - wie im Fall von Artikel 3 GG -
durch die Fundamentalopposition der Union verhindert. In jedem Fall aber hatten
wir eine Regierung, die gegen Queerfeindlichkeit angetreten ist.
Trotz aller Anfeindungen von ganz rechts wirkte es so, als gäbe es einen
demokratischen Konsens darüber, dass es kein Zurück in eine Zeit der
Unterdrückung und Ausgrenzung geben darf. Die Regenbogenfahne wurde auch ein
Symbol einer humanistisch geprägten Demokratie. Sie gehörte damit auch auf
öffentliche Gebäude.
Heute erleben wir wieder einen Aufbruch. In die falsche Richtung.
Rechtsextremisten erhalten derzeit so viel Zuspruch wie noch nie seit Ende des
Zweiten Weltkrieges. Ihre Menschenfeindlichkeit vergiftet die Debatte und die
öffentliche Stimmung. Bei vielen Konservativen führt das zum Reflex, in die
selbe Kerbe zu schlagen. Dabei führt Imitation immer zur Stärkung des Originals.
In allen Gesellschaften, die einen rechten Rollback erlebt haben, waren queere
Menschen und ihre Rechte Projektionsflächen für einen reaktionären Kulturkampf.
Dazu gehört auch, dass sie als Vertreter*innen von Partikularinteressen
dargestellt werden. Deswegen ist das Vorgehen der Bundestagspräsidentin Klöckner
so fatal. Wenn sie unter dem Deckmantel der Neutralität so gegen
Regenbogenfahnen vorgeht, hat das mit echter Neutralität nichts zu tun. Die
Abschaffung einer gelebten Praxis ist ein Signal. In diesem Fall genau das
falsche Signal zur falschen Zeit. Selbstverständlich muss der Staat
parteipolitisch neutral sein, er kann aber nicht wertfrei agieren. Er kann
Menschen, die für ihre Rechte kämpfen, nicht in der selben Haltung gegenüber
stehen wie denen, die Menschen ihre Rechte nehmen wollen. Unser Grundgesetz
lässt da keine Gleichgültigkeit zu. Insbesondere in einer Zeit, in der
queerfeindliche Attacken zunehmen.
Unsere Rolle als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist in dieser Situation klar. Wir stellen
uns gegen den gesellschaftlichen Rollback und bleiben eine politische Kraft, die
denen eine Stimme gibt, die an den Rand gedrängt werden sollen. Wir stehen
solidarisch an der Seite all derer, die Opfer queerfeindlicher Gewalt geworden
sind. Das Recht, zu demonstrieren und als Menschen sichtbar zu sein, werden wir
verteidigen. Das heißt auch, dass wir auf allen Ebenen, wo wir Verantwortung
tragen, für die Sicherheit und freie Durchführung von CSDs einstehen. Wo es noch
rechtliche Diskriminierung gibt, setzen wir uns für deren Beseitigung ein. Nach
über 76 Jahren wollen wir unser Grundgesetz endlich komplettieren und sexuelle
und geschlechtliche Identität in den Artikel 3 aufnehmen. Auch die Rechte
queerer Menschen sind universell. Sie gelten ebenso für Bürger*innen unseres
Landes, wie für Geflüchtete mit besonderem Schutzbedürfnis.
Manche Menschen behaupten, dass queerpolitisch alles erreicht wurde und
höchstens noch Nachjustierungen nötig sind. Abgesehen davon, dass das falsch
ist, könnten bei veränderten politischen Mehrheiten Rechte von Menschen sehr
schnell abgewickelt werden. Ein Blick nach Ungarn oder Italien beweist das auf
traurige Weise. Dennoch gibt es Stimmen, die sagen, dass man es nun „mal gut
sein lassen“ sollte. Auch bei uns. Wir Grüne sind nicht per se für alle Themen
und Belange gleichermaßen offen und sensibilisiert. Als erste Partei mit einem
Vielfaltstatut haben wir die Verantwortung, an uns zu arbeiten. Dem werden wir
uns stellen. Still werden wir nie wieder sein.
1. Der Schutz queeren Lebens muss in Artikel 3 des Grundgesetzes verankert
werden. Queere Menschen sind die einzige systematisch im Nationalsozialismus
verfolgte Gruppe, deren expliziter Schutz vor Diskriminierung an dieser Stelle
fehlt. Nicht nur ist hier eine Lücke zu schließen - die Einbeziehung sexueller
wie geschlechtlicher Identität ist notwendig, um den Rückbau erreichter Rechte
und wichtiger Schritte zur Gleichstellung queerer Menschen durch künftige
Bundesregierungen wirksam zu verhindern.
3. Der Aktionsplan "Queer leben" muss fortgeführt und zu einem wirksamen
Instrument des Schutzes queerer Menschen ausgebaut werden. Auch die ideologisch
bedingten Versuche, das Bundesprogramm "Demokratie leben!" zu beschneiden,
lehnen wir ab. Die Förderung queerer Projekte durch das Programm muss erhalten
und ausgebaut werden.
4. Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) muss geschützt und verbessert werden!
Transfeindliche Hetze ist ein zentraler Bestandteil rechter Kulturkämpfe. Ihre
Narrative haben bereits mit einer perfiden Misstrauensrhetorik das
Selbstbestimmungsgesetz durchzogen, das nichtsdestotrotz eine der größten
queerpolitischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte darstellt und vielen
Menschen erstmals ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Äußerungen aus der
Union lassen befürchten, dass die im Koalitionsvertrag angekündigte "Evaluation"
dazu dienen könnte, das SBGG aufzuweichen und seiner Wirksamkeit zu berauben.
Bündnis 90/Die Grünen stehen kompromisslos für das Selbstbestimmungsrecht aller
Menschen ein und lehnen solche Versuche klar ab.
5. Regenbogenfamilien müssen endlich gleichgestellt werden! Queere Eltern
erfahren an vielen Stellen noch immer Diskriminierung gegenüber anderen
Familienkonstellationen. So sind etwa Mütter in gleichgeschlechtlichen
Beziehungen nach wie vor gezwungen, ihr eigenes Kind zu adoptieren. Die längst
überfällige Reform des Abstammungsrechts fiel dem Koalitionsbruch durch die FDP
zum Opfer. Die Bundesregierung muss den Gesetzentwurf wieder aufnehmen und diese
Reform zu Ende bringen.
Begründung
Queerfeindlichkeit nimmt wieder zu – und die schwarz-rote Bundesregierung setzt die falschen Signale. Statt entschlossen Haltung zu zeigen, betreibt sie Schaufensterpolitik: Eine Bundesratsinitiative zur Ergänzung von Artikel 3 GG wird groß angekündigt, im Bundestag dann aber gar nicht behandelt. Wer so handelt, meint es nicht ernst mit Gleichstellung.
Neutralität gegenüber Menschenfeindlichkeit ist keine Option. Gerade jetzt braucht es eine Politik, die queeres Leben schützt und stärkt – nicht eine, die Fortschritte relativiert oder zurückdreht.
Wir Grüne stehen an der Seite all jener, die für gleiche Rechte und Sichtbarkeit kämpfen. Nie wieder still – für Freiheit, Vielfalt und eine Gesellschaft, in der alle ohne Angst leben können. Wenn es eine Zeit gibt dafür auf einer BDK eine Zeichen zu setzen, ist es diese.