| Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
|---|---|
| Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
| Antragsteller*in: | Andreas Kleist (KV Coburg-Land) und 58 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 32%) |
| Status: | Eingereicht |
| Angelegt: | 04.10.2025, 20:53 |
V-14: Soziale Sicherheit zukunftsfest machen – Solidarische Reform von Rente, Kranken- und Pflegeversicherung sowie Bürgergeld
Antragstext
Die Bundesdelegiertenversammlung von Bündnis 90/Die Grünen fordert den
Bundesvorstand und die Mandatsträger von Bündnis90/Die Grünen auf, in der
Öffentlichkeit und in den kommenden Gesetzesänderungen des Bundestags auf die
Verwirklichung folgender Forderungen hinzuwirken:
- Breitere Finanzierungsbasis in Kranken- und Pflegeversicherung
Alle Einkünfte aus Kapitalerträgen, Mieten und Gewinnen und Löhnen sollen
oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze in Höhe der Beitragssätze als Sonderabgabe
für die Kranken- und Pflegeversicherung zur Verfügung gestellt werden, ohne dass
dadurch eine Wechselpflicht zwischen PKV und GKV entsteht.
Dies erhöht die Einnahmen der Sozialversicherungen und erhöht Löhne und
entlastet die Lohnnebenkosten (etwa 8,2%), ohne sich sofort mit den Widerständen
und Anpassungsschwierigkeiten der Abschaffung der privaten Krankenversicherung
konfrontieren zu müssen.
Langfristiges bleibt das Ziel die Einführung einer einheitlichen, solidarischen
Bürgerversicherung, die alle Bürger gleichstellt und alle Einkunftsarten in
voller Höhe belastet.
- Rentensolidarbeitrag für Spitzenverdiener
Personen mit hohen Einkommen, die nicht rentenversicherungspflichtig sind,
sollen einen gesetzlich festgelegten Solidarbeitrag leisten.
Der Solidarbeitrag wird als Prozentsatz des Einkommens (unter Einbeziehung aller
Einkommensarten) oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze berechnet.
Ziel ist es, die finanzielle Basis der Rentenversicherung zu stärken und eine
gerechtere Verteilung der Lasten zu gewährleisten.
Die Einführung wird begleitet von einer kostenneutralen Anpassung des
Rentenversicherungsbeitrags, beispielsweise durch Senkung des
Rentenversicherungsbeitrags auf 12,4% und Anhebung der beiden oberen Steuersätze
auf 49 % und auf 52 %, unter Einbeziehung von Kapitaleinkünften.
Automatische Erhöhung des Spitzensteuersatzes und Bundeszuschusses: Gesetzliche
Regelung, die eine automatische Anpassung des Spitzensteuersatzes vorsieht, wenn
die Rentenversicherungsbeiträge aufgrund demografischer oder anderer
Entwicklungen steigen oder fallen. Der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung
wird ebenfalls automatisch erhöht, um die Finanzierungslücke zu schließen und
die Beitragszahler zu entlasten. Die Anpassung erfolgt auf Basis eines
festgelegten Mechanismus, der die Rentnerquote und die Entwicklung des
Rentenniveaus berücksichtigt. Die Alterung der Bevölkerung bedeutet, dass das
Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern bis 2045 deutlich sinkt. Während
heute noch 1.8 Erwerbstätige auf einen Rentner kommen, wird es 2045
voraussichtlich nur noch 1,3 sein. Ohne Reformen müsste dies entweder durch
höhere Beiträge oder niedrigere Renten ausgeglichen werden.
Eine automatische Anpassung könnte sicherstellen, dass die Rentenfinanzierung
langfristig stabil bleibt: Steigt die demografische Last, erhöht sich der
Anteil, der über Steuern (insbesondere Spitzensteuersätze und Abgaben auf
Vermögenseinkommen) ausgeglichen wird. Der Solidarbeitrag und die automatische
Erhöhung des Spitzensteuersatzes sowie des Bundeszuschusses fördern die soziale
Gerechtigkeit, indem einkommensstarke Haushalte stärker zur Finanzierung des
Rentensystems beitragen. Gleichzeitig wird die Belastung der Beitragszahler
begrenzt und das Rentensystem bleibt langfristig stabil und finanzierbar. Es
wirkt wie eine Lohnerhöhung für niedrige und mittlere Lohnempfänger. Zudem
bewirkt es über die Senkung der Lohnnebenkosten eine Umleitung der Abgabenlast
weg von unternehmerischen Einkommen auf leistungslose Vermögenseinkommen.
- Erhöhung des Rentenniveaus:
Gestärkt durch die erweiterte Beitragsbasis wird eine Rückkehr zu einem höheren
Rentenniveau angestrebt durch zusätzliche staatliche Zuschüsse und moderate
Beitragserhöhungen, um die Gerechtigkeitslücke zu den Beamtenpensionen zu
verringern. Dies korrigiert die Absenkung des Rentenniveaus, sichert eine
angemessene Altersversorgung und verringert die Gerechtigkeitslücke zu den
Beamtenpensionen. Das Rentenniveau wurde in den letzten 3½ Jahrzehnten um etwa
10% abgesenkt, während die Beamtenpensionen stabil auf hohem Niveau geblieben
sind. Dass die Folgen des demografischen Wandels nur innerhalb des
Umverteilungssystems der gesetzlichen Rentenversicherung betrachtet werden und
somit einseitig zu Lasten der gesetzlichen Rentenbezieher gehen, ist
gesellschaftlich nicht hinzunehmen; vielmehr muss eine solidarische
Lastenverteilung zwischen gesetzlichen Rentenbeziehern, Beamten und Vermögenden
erreicht werden.
Alternativ könnten die Regelungen zur freiwilligen Weiterarbeit nach Erreichen
der gesetzlichen Altersgrenze so attraktiv gestaltet werden, dass dadurch eine
Erhöhung der individuellen Rentenhöhe durch Weiterarbeit gefördert wird.
- Familien stärken – Kindergrundsicherung umsetzen
Die Kindergrundsicherung muss endlich eingeführt werden. Sie muss
unbürokratisch, gerecht und wirksam sein und die bisherige Vielzahl an
Familienleistungen ablösen. Nur so können wir Kinderarmut wirksam bekämpfen,
Familien entlasten und gleiche Chancen für alle Kinder sichern.
Eine wesentliche Ursache für den demografischen Wandel ist die massive
Benachteiligung von Frauen und Familien mit Kindern. Nur das Ende dieser
Benachteiligung kann den demografischen Wandel stoppen. Eine breitere
Beitragsbasis durch mehr Erwerbstätige stabilisiert das Rentensystem
langfristig.
- Einwanderung ermöglichen – Zukunft sichern
Einwanderung muss als Chance verstanden und aktiv gefördert werden. Abschreckung
und Hürden im Aufenthalts- und Arbeitsrecht müssen abgebaut, legale Zugangswege
gestärkt und Integration gefördert werden. Migration ist kurzfristig ein
zentraler Beitrag zur Stabilisierung der Sozialsysteme und zur Sicherung der
Fachkräftebasis.
6. Keine Kürzungen im Bürgergeld – Soziale Sicherheit statt
Stigmatisierung
Wir lehnen Kürzungen im Bürgergeld entschieden ab. Eine menschenwürdige
Existenzsicherung darf nicht durch Sanktionen oder Kürzungen infrage gestellt
werden. Statt auf Druck und Stigmatisierung zu setzen, müssen wir die
Betroffenen wirksam dabei unterstützen, durch Qualifizierung, Weiterbildung und
individuelle Förderung neue Chancen im Arbeitsmarkt zu finden. Wertschätzende
Mitwirkung soll auch über staatliche Fördermodelle und
Beschäftigungsgesellschaften für alle ermöglicht werden, die aufgrund
körperlicher oder sozialer Defizite Schwierigkeiten haben und in den
Bürgergeldbezug gedrängt werden. Bürgergeld ist kein Almosen, sondern Ausdruck
der sozialen Verantwortung und der Verpflichtung des Staates, das Grundrecht auf
ein Leben in Würde zu sichern. Es ist zudem die beste Strategie gegen
Dumpinglöhne. Gerade in Zeiten des Strukturwandels und wachsender Unsicherheiten
ist es entscheidend, Menschen nicht auszugrenzen, sondern ihnen eine
verlässliche Basis und Perspektive für ihre Zukunft zu bieten.
Begründung
Die Sozialversicherung in Deutschland steht an einem Wendepunkt. Eine älter werdende Gesellschaft bei sinkender Geburtenrate stellt das umlagefinanzierte System vor große Herausforderungen. Ohne entschlossene Reformen drohen explodierende Beitragssätze, sinkende Renten oder wachsende Steuerlasten. Für uns Grüne ist klar: Soziale Sicherheit muss solidarisch, gerecht und nachhaltig gestaltet werden.
Unsere Antwort darauf verbindet die grüne Leitidee der Generationengerechtigkeit mit dem Prinzip der Leistungsfähigkeit: Starke Schultern tragen mehr, schwächere werden entlastet. Mit einem erweiterten Finanzierungsmodell sichern wir die Stabilität des Systems und stellen gleichzeitig soziale Gerechtigkeit her.
Quellen und weitere Ausarbeitungen
Eine ausführliche Berechnungsgrundlage, Begründungen juristische Einschätzungen und internationale Einbettung sind hier dokumentiert:
Das gesamte Reformkonzept mit Berechnungen, Begründungen und juristischen Einschätzungen kann nachgelesen werden unter:
Eine umfangreichere Ausarbeitung, die zusätzlich zu den Analysen und Reformvorschlägen zur Deutschen Sozialversicherung, den Deutschen Sozialstaat auch im internationalen Wirtschaftszusammenhang einbezieht, die massive Ungleichheit weltweit analysiert und auch weltweite Reformvorschläge ausarbeitet findet sich unter:
