Direkte Demokratie gehört von Anfang an, durchgängig und zukunftsweisend zu den zentralen Forderungen von Bündnis 90/Die Grünen. Zur Verdeutlichung einige besonders wichtige Beschlüsse:
- Grundkonsens, Absatz 26 und Absatz 68, siehe http://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/140209_-_Satzung_Bundesverband.pdf ;
- Grundsatzprogramm, S. 129, siehe http://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Grundsatzprogramm-2002.pdf ,
- BDK Kiel, "Demokratischer Aufbruch in Zeiten der Krise", S. 4f., siehe https://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Beschluesse/Demokratie-Aufbruch-Krise-Beschluss-BDK-Kiel-11-2011.pdf ,
- Bundestagswahlprogramm 2013, S. 205f., siehe http://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Wahlprogramm/Wahlprogramm-barrierefrei.pdf ,
- Bundestagsfraktion, 19. 3. 2013, "Direkte Demokratie auf Bundesebene einführen", siehe https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/fraktion/beschluesse/Beschluss_Direkte_Demokratie.pdf ,
- Europawahlprogramm 2014, S.72, 124 und 126, siehe http://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Gruenes-Europawahlprogramm-2014.pdf ,
- BDK Münster, "Ja zu Europa, Mut zur Veränderung - Europas Zukunft gemeinsam gestalten", S. 4, siehe https://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/BDK_2016_Muenster/E-01_Ja_zu_Europa__Mut_zur_Veraenderung.pdf .
Das setzt der Programmentwurf des Bundesvorstands im Kapitel "Wir stärken die Demokratie" ( https://antraege.gruene.de/bdk41/Wir_staerken_die_Demokratie_-64428 , ab Zeile 39) fort. .
Dies lässt sich übrigens grade in der gegenwärtigen Lage sehr gut begründen; empfohlen seien die sieben Seiten auf https://www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/Themen25_Die_neue_Angst_vor_der_direkten_Demokratie.pdf .
Es liegt nahe und ist konsequent, diese Forderung für die hier behandelten Entscheidungen über Krieg und Frieden ausdrücklich zu wiederholen und zu bekräftigen.
Dabei sollte kurz erklärt werden, warum wir bei bewaffneten Bundeswehreinsätzen im Ausland für wesentlich schnellere Abstimmungen offen sind als bei anderen politischen Fragestellungen. - Zum Vergleich: im grünen Gesetzentwurf vom 15. 2. 2006 - siehe http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/006/1600680.pdf - sind folgende Fristen vorgesehen: acht Monate, in denen der in einer Volksinitiative beantragten Gesetzentwurf zum Gesetz werden kann, bis zu sechs weitere Monate, in denen mindestens 5% der Stimmberechtigten ein Volksbegehren zustande bringen, und bis zu sechs weitere Monate, in denen ein Volksentscheid stattfinden kann. Das sind zusammen bis zu 20 Monate - nach dem Sammeln von mindestens 400.000 gültigen Unterschriften. Das wäre sehr lang, eigentlich viel zu lange, wenn ein Krieg droht oder bereits im Gange ist. - In einer solchen Lage können voraussichtlich in wenigen Wochen die erforderlichen Stimmenzahlen für eine Bürger*innenbefragung bzw. fürs Volksbegehren und dann einen Volksentscheid zusammen kommen. Kommt es dann zu einer Bürger*innenbefragung bzw. einen Volksentscheid, dann werden alle relevanten Medien der Abstimmungsfrage breiten Raum geben und hinreichen viele Stimmberechtigte die dazugehörenden Darstellungen und Debatten aufmerksam verfolgen und in ihrem Umfeld selbst mit diskutieren, die wichtigsten Pro- und Contra-Begründungen gegeneinander abwägen und sich im Bewusstsein ihrer Verantwortung entscheiden.
- Es ist abzusehen, dass auch in der kommenden Legislaturperiode die CDU (eher widerwillig gefolgt von der CSU) sich gegen Direkte Demokratie auf Bundesebene sperren und grundgesetzändernde Zweidrittelmehrheiten verweigern wird. Für den praktischen Zweck, die Letztentscheidung über besonders wichtige Bundeswehreinsätze im Ausland von der Gesamtheit aller Bürger*innen treffen zu lassen, lässt sich dieses Hindernis aber umgehen: die Grünen und ihre Koalitionspartner*innen können eine formal nicht bindende Bürger*innenbefragung zur politisch entscheidenden Abstimmung machen, indem sie vorher gemeinsam den Bürger*innen die parlamentarische Umsetzung ihres Willens versprechen .
- Ein durchaus wünschenswerter Nebeneffekt ist dabei, dass die mehrmalige Durchführung formal unverbindlicher Bürger*innenbefragungen zu Bundeswehrmandaten die Stimmberechtigten mit dem Verfahren vertraut machen und die Erwartung fördern wird, in Zukunft auch formal verbindlich und auch zu anderen hervorragend wichtigen politischen Fragen direktdemokratisch abstimmen zu können. Das wiederum wird den Druck auf die Union deutlich steigern, endlich den Weg zur Grundgesetzergänzung -Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide auf Bundesebene- frei zu machen. -
Die große Mehrzahl der Bundeswehreinsätze im Ausland ist relativ unspektakulär und wenig riskant. Dies bringt keine Hunderttausende in Bewegung, geschweige denn Millionen. Die Bundesbürger*innen werden die Entscheidung über solche Einsätze auch in Zukunft gern den Fachleuten, den Fachpolitiker*innen, dem Bundeskabinett und dem Bundestag überlassen.
Wenn aber in wirklich wichtigen Fällen erhebliche Risiken drohen, dann können alle ernsthaft Besorgten versuchen, fünf Prozent der Wahlberechtigten (gegenwärtig ziemlich genau 3 Millionen Menschen) mobil zu machen und dadurch eine Bürger*innenbefragung einzuleiten. Kommt es dazu, dann muss die Bundesregierung eine sehr hohe Hürde nehmen, denn die meisten Wahlberechtigten haben entweder Krieg selbst miterlebt oder von ihren Eltern und Großeltern eindringliche Schilderungen vernommen.
Diese Hürde soll aber durchaus nicht unüberwindlich hoch sein. Mindestens dann, wenn ein Völkermord beendet werden muss, soll die Bundesrepublik auch wirklich Krieg führen können (natürlich nur mit UN-Mandat und unter sorgfältiger Beachtung aller von uns beschlossenen Bedingungen).
Wenn in solchen Fällen tatsächlich die Mehrheit der Stimmberechtigten ein Bundeswehrmandat billigt, dann hat es eine noch deutlich stärkere Legitimation als Bundestagsbeschluss. Das kann dann wichtig werden, wenn es um mehrjährige Kampfeinsätze mit hohen Verlusten und erheblichen Risiken für die Betroffenen geht.
Auch solche Kriege können notwendig werden. Wenn die Bundesrepublik sich an einem solchen Krieg beteiligt, dann soll sie das auch durchhalten und diesen Krieg bis zu einem dauerhaften, gerechten Frieden führen. Dafür ist es wichtig, dass der Souverän, also die Gesamtheit der Bundesbürger*innen selbst die Verantwortung übernimmt und seine bzw. ihre Soldat*innen selbst beauftragt und ihren Einsatz trägt.
Kommentare
Simon Lissner:
mit Interesse habe ich da den Einwand von Sara Nani gelesen und meine, dass sie da sehr berechtigte Einwände hat. Das Problem mir der "direkten Demokratie" ist, dass "Bauch" vor "Kopf" und Kenntnis, wie sich gerade bestätigt, durchaus funktioniert.
Thomas Dyhr:
ich teile das Ansinnen, die Hürden für den Verteidigungsfall/ Bundeswehrmandate hoch zu hängen, habe aber ein Problem mit der Praxistauglichkeit Deines Vorschlags.
Wir haben eine Parlamentsarmee und das ist gut so. Ich denke nicht, dass Bundeswehrmandate Sachverhalte sind, die über Plebiszite sachgerecht entschieden werden können.
Ich kann daher Deinen Vorschlag nicht unterstützen.
Marc Andreßen:
Tobias Balke:
Sara habe ich längst geantwortet, hier kurz noch einmal:
bei dieser Bundestagswahl haben die Bundesbürger*innen wieder die Auswahl zwischen mehr als einem Dutzend Parteien, darunter sechs mit halbwegs sicheren Aussichten auf mindestens fünf Prozent.
Für jede Partei sollten sie die programmatischen Ziele und die geforderten Massnahmen mit denen konkurrierender Parteien vergleichen. Sie sollten die Übereinstimmungen mit und Annäherungen an die eigenen Wertvorstellungen gewichten und summieren. Sie sollten sich ausserdem von den persönlichen Qualitäten mindestens der wichtigsten Kandidierenden der verschiedenen Parteien ein Bild machen. Sie sollten ausserdem die Koalitionsaussichten mit bedenken. Bei dieser Bundestagswahl haben Bundesbürger*innen also wieder eine hoch komplexe Entscheidung zu treffen. Die Komplexität geht weit über diejenige hinaus, die bei einfachen Ja-Nein-Entscheidungen zu einem einzelnen Bundeswehrmandat zu treffen wäre.
Wer also den Menschen in unserem Lande verantwortliches Handeln bei der Parlamentswahl zutraut, der musst ihnen erst recht verantwortliches Handeln bei einer strukturell viel einfacher zu treffenden Entscheidung, nämlich beim Abstimmen für oder gegen ein Bundeswehrmandat zutrauen. Umgekehrt: wer ihren/seinen Mitbürger*innen noch nicht einmal zutraut, sich gut informiert, rational und verantwortungsbewusst zu einem einfachen "Ja" oder "Nein" zu einem einzelnen Bundeswehreinsatz zu entscheiden, soll auch so konsequent und sagen: mit etwas so Komplexen wie der Zusammensetzung eines Bundestages ist diese Bevölkerung erst recht überfordert. Die parlamentarische Demokratie ist umgehend zu beenden, da es dem Wahlvolk an Kenntnissen und Fähigkeiten fehlt, um seinen Pflichten verantwortlich nachzukommen. -
Zu solchem wähler*innenverachtenden Pessimismus sehe ich keinen vernünftigen Grund. Die Bundesbürger*innen sind vertrauenswürdig geworden, indem sie sich in den letzten siebzig Jahren im Wesentlichen als verantwortungsbewusstes Kollektiv verhalten haben. Mit Blick auf die friedliche Revolution in der DDR kann das auch und grade über deren frühere Bürger*innen gesagt werden. Trotz langem Unbehagen im Parteienstaat, trotz völlig berechtigter Unzufriedenheit mit den insgesamt schwachen Leistungen seiner gouvernemental-parlamentarischen Eliten sind jedenfalls bis jetzt ca. 85 % (im Bundesdurchschnitt) der Wahlberechtigten immun gegen rechtspopulistische und rechtsextreme Propaganda. Die Bundesbürger*innen sind ganz überwiegend gelassen, besonnen und mit guten Nerven ausgestattet. Auch der hohe Altersdurchschnitt der Stimmberechtigten und ihre Erfahrung mit dem Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen spricht dafür, dass diese Menschen sich auch bei Abstimmungen zu Krieg und Frieden weder von Abenteuerlust noch von Panik leiten lassen. Auch übertrieben grosses Mitleid ist erfahrungsgemäss bei ihnen nicht zu erwarten. Sie werden einen kühlen Kopf bewahren. Entscheidungen zu bewaffneten Bundeswehreinsätzen im -aussereuropäischen- Ausland werden die Stimmberechtigten seelisch nicht so sehr ergreifen, dass sie vernünftigen Überlegungen weniger zugänglich sind als wenn es um zukünftige Gesetze, Haushalte und Regierungen geht.
Auch die für Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide vorgesehenen Verfahren und Fristen - die sinngemäß auch vorher bei Bürger*innenbefragungen anzuwenden sind - schützen vor Fehlentscheidungen. Sie kühlen allzu hitzige Aufwallungen ab und sorgen für genügend Gelegenheiten, unseriöse Stimmungskampagnen ruhig und ausführlich mit allen relevanten Tatsachen und Argumenten zu konfrontieren. Nach ausgiebiger Vorbereitung können alle Stimmberechtigten ganz gelassen in die Abstimmung gehen. Und bei Volksinitiativen greift als erstes die präventive Normenkontrolle. Das Bundesverfassungsgericht prüft dann und zwar auch und besonders, ob der begehrte Bundeswehreinsatz mit den §§ 24, 25 und 26 des Grundgesetzes vereinbar wäre. Kommt es zu einem negativen Ergebnis, erklärt es die Volksinitiative für unzulässig. Das bedeutet vor allem: völkerrechtswidrige Bundeswehreinsätze kommen gar nicht erst zur Abstimmung, die Debatte zu ihnen nicht einmal in die Volksbegehrensphase.
Wenn es zu einer Bürger*innenbefragungen und später zu einem Volksentscheid kommt und tatsächlich die Mehrheit der Wahlberechtigten ein Bundeswehrmandat billigt, dann hat es eine deutlich stärkere Legitimation als durch einen blossen Beschluss des Bundestages. Dann übernimmt der Souverän selbst die Verantwortung und beauftragt seine Soldat*innen selbst.
Jürgen Hess:
Michael Wild:
zwar halte ich grundsätzlich viel von direkter Demokratie und teile nicht die Furcht Vieler vor Missbrauchsmöglichkeiten und dem "Bauchgefühl" und der Beeinflussbarkeit der "Masse". Speziell für Bundeswerheinsätze halte ich Plebiszite aber für unpraktikabel: Es ist noch gar nicht lange her, dass die Entscheidung über Armeeeinsätze als Kern der Exekutivompetenz angesehen wurde, und in den meisten Ländern der Welt ist das noch heute so. Angesichts dessen ist der Parlamentsvorbehalt, den wir jetzt haben, nicht gering zu schätzen. Die Entscheidung über einen Armeeeinsatz muss meist in Ausnahmesituationen, auf der Grundlage unübersichtlicher Faktenlagen und unter Zeitdruck getroffen werden. Das lässte keinen Raum für eine sorgfältige öffentliche Diskussion in Gesellschaft und Medien, die aber wesentliche Voraussetzung für funktionierende direkte Demokratie ist. Ich kann Deinem Antrag deshalb nicht zustimmen.
Gruß
Michael
Tobias Balke:
danke für Deine grundsätzliche Zustimmung zur direkten Demokratie. Zu Deinem Einwand:
Volksentscheide - und vor der Grundgesetzergänzung die Bürger*innenbefragungen - sollen die Bundestagsentscheidungen keineswegs ersetzen, sondern in relativ wenigen, besonders wichtigen Fällen überprüfen und ggfs. korrigieren. Die direktdemokratische Überprüfung erfolgt deutlich später, dafür sorgen schon die notwendigen Fristen. Und mit jedem Tag nach dem Bundestagsbeschluss wächst auch die Kenntnis der relevanten Fakten, deren wissenschaftliche Analyse und ihre publizistische Darstellung. Mit dem Bundestagsmandat und dessen Umsetzung reduziert sich der unmittelbare Handlungsdruck, der eine Ausnahmesituation wie besonders ein bereits begonnener Völkermord kennzeichnet. Es gibt dann genug Zeit für die sorgfältige öffentliche Diskussion in Gesellschaft und Medien, die in der Tat sein muss. Die Stimmberechtigten können daher ihre Entscheidung mit mehr Ruhe und auf besserer Informationsbasis treffen als vorher die Abgeordneten.
bündnisgrüne Grüße,
Tobias