C-03-final: Die Würde aller Menschen ist unantastbar!
Veranstaltung: | 1. Ordentlicher Länderrat 2020 |
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Tagesordnungspunkt: | C Corona und die Folgen |
Antragsteller*in: | BAG Behindertenpolitik (dort beschlossen am: 17.04.2020) |
Status: | Eingereicht |
Verfahrensvorschlag: | Abstimmung |
Eingereicht: | 21.04.2020, 19:30 |
Antragshistorie: |
Kommentare
Christian Hauer :
Anja Susanne Dessauvagie:
• Chronische Organversagen (z.B. dialysepflichtige Niereninsuffizienz)
• Schwere Organ-Dysfunktion mit prognostisch eingeschränkter Lebenserwartung, z.B. Fortgeschrittene Herzinsuffizienz, Fortgeschrittene Lungenerkrankungen (z.B. weit fortgeschrittene COPD oder beatmungspflichtige chronische respiratorische Insuffizienz), Fortgeschrittenes Leberversagen
• Weit fortgeschrittene generalisierte neurologische oder neuromuskuläre Erkrankungen
• Weit fortgeschrittene Krebserkrankung
• Schwere und irreversible Immunschwäche
• Multimorbidität"
Also es geht um nicht Erkrankungen, die einfach auch noch da sind, und mit denen man leben kann; sondern um schwere, weit fortgeschrittene Erkrankungen, die die Prognose erheblich einschränken. Das möchte ich hier noch zu bedenken geben. Ansonsten bin ich gespannt auf das Webinar morgen, wo ja jemand von der DIVI dabei sein wird.
Annette Standop:
da du heute auch in dem genannten Webinar warst, hast du ja gehört, welche grundsätzlichen Kritikpunkte Menschen mit bestimmten in den Empfehlungen genannten Vorerkrankungen äußern.
(1) Warum sind diese Vorerkrankungen genannt und nicht andere oder weitere?
(2) Warum werden verhaltensbedingte Gesundheitsbelastungen wie Substanzmissbrauch oder Übergewicht nicht genannt, die ebenfalls die Genesungschancen mindern können?
(3) Welchen Erkenntnisgewinn hat der entscheidende Arzt/die entscheidende Ärztin tatsächlich, von solchen Vorerkrankungen zu wissen? Wenn ad hoc anhand des aktuellen Zustands eines Patienten/einer Patientin entschieden werden muss (wie beispielsweise im Katastrophenfall auch), bringt das wenig – zumal der individuelle Verlauf sehr unterschiedlich sein kann. Bester Beweis: Stephen Hawking, der mit einer nach allgemeiner Einschätzung kurzfristig tödlichen Krankheit noch über 50 Jahre gelebt, drei Kinder gezeugt und die Welt der Physik revolutioniert hat. Erfolgsprognosen sind eben bei weitem nicht so evidenzbasiert wie allgemein behauptet.
Ich habe eine „weit fortgeschrittene neurologische Erkrankung“, aber das sagt weder etwas über meine Lebenserwartung noch über meine Genesungschancen aus. Aber alleine dadurch, dass meine Grunderkrankung hier aufgelistet wird, befürchten Menschen wie ich eine negative „Punktebewertung“ im Ernstfall. Das macht uns Angst und lässt uns fragen, warum man nicht einfach dabei bleibt, die individuellen Erfolgsprognosen zu erheben anstatt willkürlich einzelne Vorerkrankungen als Negativscore auszuweisen. Allein das wäre gerecht und würde niemanden diskriminieren.
Anja Susanne Dessauvagie:
nein, leider war ich beim Webinar nicht dabei (Homeschooling plus Homeoffice plus Sorge für hilfsbedürftige ältere Angehörige; da fällt manchmal etwas hinter runter...). Kurz vorweg: Ich habe selbst als junge Ärztin (Berufsanfängerin) in der Neurologie gearbeitet. Ich weiß aus eigener Erfahrung, mit wie vielen, wie schwierigen Entscheidungssituationen man konfrontiert ist -- auch ohne Corona. Ich finde es total wichtig und richtig, wenn solche Fragen im Vorfeld diskutiert werden, möglichst auch mit Betroffenen. Das ist hier ja passiert, soweit ich sehe. Und bei den Empfehlungen handelt es sich nicht um eine Handlungsanweisung, die 1:1 umgesetzt werden muss. Das wäre tatsächlich völlig unangemessen! Es ist einfach eine Art Leitplanke, an der man sich orientieren kann. Die eigentliche Entscheidung (wenn so eine Entscheidung denn tatsächlich auch hier in Deutschland notwendig werden würde) muss dann natürlich im Einzelfall individuell getroffen werden. Warum jetzt diese Erkrankungen genannt wurden und keine anderen, kann ich nicht beantworten. Ich bin kein Intensivmediziner. Vermutlich sind das alles Erkrankungen, bei den Erfolg einer Intensivbehandlung/Beatmung sehr einschränken. (Genannt sind im übrigen hier nicht neurologische Erkrankungen, sondern neuromuskuläre Erkrankungen. Das ist bspw. ALS, spinale Muskelatrophie, Duchenne´sche Muskeldystrophie... lauter Erkrankungen, die in einem fortgeschrittenen Stadium ohnehin zu einer Beatmungspflicht führen). Ich finde es total positiv, wenn sich Ärzte im Vorfeld zusammensetzen und versuchen, hier zu einer vernünftigen Grundlage für die Entscheidungsfindung zu kommen. Ähnlich wie man es bspw. auch für Transplantationen macht. Und natürlich spielen hier Vorerkrankungen eine Rolle. Würdet ihr euch sicherer fühlen, wenn der einzelne Arzt so etwas nachts, übermüdet und unter Zeitdruck allein oder nach kurzer Rücksprache mit seinem Hintergrund entscheidet?! Das kann doch keine Alternative sein!
Viele Grüße
Anja
Annette Standop:
Anja Susanne Dessauvagie:
unterdessen gibt es eine aktualisierte Fassung der Leitlinie:
(https://www.divi.de/aktuelle-meldungen-intensivmedizin/triage-bei-covid-19-wir-entscheiden-nicht-nach-alter-oder-behinderung-intensiv-und-notfallmediziner-aktualisieren-klinisch-ethische-entscheidungsempfehlungen) vom 17.4. (Dokument: https://www.divi.de/empfehlungen/publikationen/covid-19/1549-entscheidungen-ueber-die-zuteilung-intensivmedizinischer-ressourcen-im-kontext-der-covid-19-pandemie-klinisch-ethische-empfehlungen/file)
Es handelt sich bei der DIVI auch nicht um irgendeinen medizinischen Dachverband, sondern um die Fachgesellschaft für Intensiv- und Notfallmedizin, deren Kompetenz es u.a. ist, eben solche Leitlinien und Handlungsempfehlungen zu erstellen. Genau wie es in anderen Bereichen der Medizin auch geschieht. Bei allem Verständnis für eure Besorgnis und Empörung an dieser Stelle: Ich sehe hier keine Diskriminierung.