Veranstaltung: | 1. ordentlicher Bundesfrauenrat 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 6 Reproduktive Selbstbestimmung |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesfrauenrat |
Beschlossen am: | 04.05.2024 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Selbstbestimmung und reproduktive Rechte
Beschlusstext
Die Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist ein Grundrecht, das für alle
Frauen und Mädchen gelten muss, ebenso für alle anderen Personen, die schwanger
werden können. Das ist seit jeher die Position von Bündnis 90/ Die Grünen.
Dazu gehört das Recht auf Zugang zu sicheren und legalen
Schwangerschaftsabbrüchen, die elementarer Bestandteil einer guten
Gesundheitsvorsorge sind, realisiert werden und in den Leitstungskatalog der
Krankenkassen aufgenommen werden müssen.
Die Entscheidung, ob eine Frau eine Schwangerschaft abbricht oder nicht, ist
allein ihre. Schwangere brauchen für diese Entscheidung gute Beratungs- und
Versorgungsstrukturen, die sie unterstützen und keine Bevormundung oder
Drohungen mit dem Strafrecht.
Wir begrüßen daher sehr, dass die Bundesregierung mit der Einsetzung der
interdisziplinären Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und
Fortpflanzungsmedizin einen wichtigen Schritt gegangen ist, um auszuloten, ob
und wie eine Regelung außerhalb des Strafrechts aussehen kann.
Die vorgestellten Empfehlungen sind hinsichtlich des Umgangs mit Abbrüchen in
der Frühphase der Schwangerschaft eindeutig: Einstimmig stellt die Kommission
fest, dass Abbrüche in dieser Phase rechtmäßig und erlaubt sein sollten. Für die
mittlere Phase der Schwangerschaft stehe dem Gesetzgeber ein
Gestaltungsspielraum zu und lediglich in der Spätphase würde der Schutz des
ungeborenen Lebens so stark an Bedeutung gewinnen, dass Abbrüche hier nur in
Ausnahmen erlaubt werden und grundsätzlich rechtswidrig bleiben sollten.
Der Bericht der Kommission lässt aber auch einigen Spielraum für die
Gesetzgebung. Darüber müssen wir in eine produktive und breite Debatte kommen,
die wir respektvoll und fair führen wollen. Diese Debatte führen wir mit dem
Ziel, die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen endlich sicherzustellen.
Zudem gehören zur zeitnahen Debatte über eine Entkriminalisierung auch die
elementar wichtigen Verbesserungen wie der kostenfreie Zugang zu
Verhütungsmitteln und die dringend notwendigen medizinischen Aus-, Weiter- und
Fortbildungsmöglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch. Diese müssen deutlich
ausgebaut werden, um die sich verschlechternde Versorgungslage durch Ärzt*innen
(siehe ELSA Studie), die Abbrüche durchführen, langfristig zu verbessern.
Der Bundesfrauenrat stellt fest:
Die Empfehlungen der Kommission zeigen deutlich, dass die Entkriminalisierung
des Schwangerschaftsabbruchs in der frühen Schwangerschaft möglich und notwendig
ist. Alle notwendigen Regelungen hierzu können außerhalb des Strafrechts
getroffen werden.
Diese Empfehlung begrüßen wir und setzen uns für entsprechende rechtliche
Änderungen ein.
Eine gute Beratungs- und Versorgungsstruktur ist notwendig. Wie im Bericht
beschrieben, leistet sie einen wichtigen Beitrag, um die Frauen bei der Abwägung
für oder gegen die Fortsetzung einer Schwangerschaft und danach zu unterstützen.
Diese Beratung muss freiwillig und ergebnisoffen erfolgen. Die Beratungsstruktur
muss abgesichert und bezüglich der Niedrigschwelligkeit und Barrierefreiheit des
Angebots ausgebaut werden. Zudem sind ausreichende Angebote für Menschen aller
geschlechtlicher Identitäten, die schwanger werden können, sicherzustellen.
Die Absicherung einer vielfältigen Beratungsstruktur kann durch einen
Rechtsanspruch auf unverzügliche Beratung gewährleistet werden. Zur weiteren
Absicherung des Beratungsangebots schlägt die Kommission vor, eine Verpflichtung
der Ärzt*innen vorzunehmen, die ungewollt Schwangere vor einem
Schwangerschaftsabbruch über die Möglichkeit einer zeitnahen und ergebnisoffenen
Beratung zu informieren. Das kann eine sinnvolle Ergänzung sein, die, je nach
Phase der Schwangerschaft, zeitnah geprüft werden muss. Der Schutz
minderjähriger Schwangerer sollte besondere Berücksichtigung finden.
Wir teilen auch die Position der Kommission, dass nicht selbstbestimmte und
unsichere Abbrüche strafrechtlich verfolgt werden müssen. Dazu gehören die
Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs gegen den Willen der Frau, die Nötigung
zur Vornahme oder Unterlassung eines Abbruchs, die Durchführung eines Abbruchs
durch nicht qualifizierte Personen sowie die vorsätzliche und fahrlässige
Schädigung des Ungeborenen durch Dritte.
Wir werden uns weiterhin auf allen Ebenen für die umfassende Selbstbestimmung
von Frauen und legale und sichere Schwangerschaftsabbrüche einsetzen. Denn wir
haben auf Bundesebene die historische Chance, mit der SPD und der FDP eine
überfällige Reform umzusetzen.
Die Expert*innen sind sich einig: Der Paragraph 218 in seiner jetzigen Form hat
nichts im Strafgesetzbuch zu suchen. Und für diese Position gibt es auch die
nötigen gesellschaftlichen Mehrheiten. Wir haben eine klare Position und werden
nun auf unsere Koalitionspartner zugehen und fordern sie auf, den
Kommissionsbericht ernstzunehmen und die Entkriminalisierung zeitnah mit uns auf
den Weg zu bringen.
Wir fordern die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen auf, im Rahmen
ihrer parlamentarischen Möglichkeiten die darüber hinausgehende notwendige
Debatte mit der Öffentlichkeit zu führen und darauf hinzuwirken, dass die
Empfehlungen der Kommission zügig in politisches Handeln übersetzt werden.
Denn wer es mit dem Recht auf körperliche und reproduktive Selbstbestimmung, mit
der liberalen Gesellschaft und Freiheit ernst meint, hat mit dem
Kommissionsbericht jetzt eine gute Grundlage, um endlich zu handeln!