Veranstaltung: | 1. Ordentlicher Länderrat 2025 |
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Tagesordnungspunkt: | P Politische Lage nach der Bundestagswahl 2025 |
Status: | Beschluss (vorläufig) |
Beschluss durch: | Länderrat |
Beschlossen am: | 07.04.2025 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Klar. Grün. Konstruktiv: Auf dem Weg in eine starke Opposition
Beschlusstext
1. Ein starker Wahlkampf
Wir haben einen starken Wahlkampf geführt: Mit extrem motivierten Mitgliedern –
Zehntausende davon neu hinzugekommen –, mit überwältigender Resonanz auf unsere
Veranstaltungen und mit Spendenrekorden. Wir haben ihn in der Defensive begonnen
und daraus in Rekordzeit eine mutige, selbstbewusste Haltung erarbeitet. Und
trotzdem ist das Ergebnis der Bundestagswahl vom 23. Februar nicht das, wofür
wir gekämpft haben. Statt einer Regierung mit starken Grünen wird Deutschland
aller Voraussicht nach erneut von einer Stillstandskoalition aus CDU, CSU und
SPD regiert. Der designierte Bundeskanzler hat bereits vor seiner Wahl eine
schwindelerregende Zahl an Wortbrüchen und Kehrtwenden vollzogen – statt
Orientierung in unsicheren Zeiten zu geben. Schwarzrot droht, eine Koalition zu
werden, die die großen strukturellen Probleme in Deutschland und Europa wegen
Uneinigkeit nicht angeht und stattdessen ihren altbekannten Klientelen nichts
zumuten will. Sie deutet sich als eine Koalition an, die keine Antwort auf die
existenziellen Herausforderungen der Klimakrise und des Artensterbens hat – und
zugleich nicht in der Lage ist, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in
Deutschland zu stärken.
Wir sind 2021 als Teil der Bundesregierung angetreten, unser Land für die
Anforderungen der Zukunft zu wappnen, klimaneutralen Wohlstand zu ermöglichen
und für mehr soziale Gerechtigkeit, Gleichstellung aller Geschlechter und
Bürger*innenrechte zu sorgen. Viel ist uns dabei gelungen - und das in einer
Zeit großer Krisen: Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat eine massive
Energiekrise ausgelöst und einen zentralen Pfeiler des bisherigen deutschen
Geschäftsmodells ins Wanken gebracht. Trotz der Blockadehaltung beim Haushalt
und der engen Spielräume durch die Schuldenbremse ist es uns gelungen, das Land
sicher durch diese Krise zu führen. Wir haben Orientierung gegeben, die
Energieversorgung stabilisiert, die Erneuerbaren massiv vorangebracht,
Deutschlands Abhängigkeit reduziert und uns in einer geopolitisch unsicheren
Zeit klar an die Seite der Ukraine gestellt – für unser Land und für Europa. In
Europa haben wir mit dem Green Deal das größte ökologische Gesetzespaket
durchgesetzt, das es bisher gab. Wir haben Milliarden in den Natürlichen
Klimaschutz investiert und das erste Klimaanpassungsgesetz in Deutschland
verabschiedet. Den Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung hin zu mehr
Tierwohl haben wir mit einer transparenten staatlichen Tierhaltungskennzeichnung
begonnen. Wir haben Investitionen in den Schienenverkehr und die Sanierung der
gesamten Verkehrsinfrastruktur endlich zur Priorität und mit dem
Deutschlandticket den ÖPNV für Millionen Menschen einfach und bezahlbar gemacht.
Über das Kita-Qualitätsgesetz investieren wir bis 2026 zehn Milliarden Euro in
bessere und verlässlichere Kinderbetreuung. Wir haben mit dem Gewalthilfegesetz
endlich einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung von gewaltbetroffenen
Frauen und Mädchen und eine Bundesfinanzierung von 2,6 Mrd. Euro durchgesetzt
sowie mit dem Selbstbestimmungsgesetz einen historischen Schritt für die Rechte
trans- und nicht-binärer Menschen gemacht. Mit dem Kulturpass haben wir
Jugendlichen einen neuen Zugang zur Kultur ermöglicht und die Kulturwirtschaft
gestärkt. Wir verlassen diese Regierung in dem Bewusstsein, Deutschland in
vielen entscheidenden Bereichen in einem besseren Zustand zu hinterlassen, als
es vorher war.
Auch um diese und weitere Erfolge zu erreichen, waren Kompromisse notwendig.
Einige dieser Kompromisse gingen an unsere Schmerzgrenzen oder auch darüber
hinaus, haben dabei in Teilen unserer Wählerschaft für Irritation oder
Enttäuschung gesorgt. Sie waren das Ergebnis der Koalition mit einer meist
destruktiven FDP, die mehr blockieren als regieren wollte, und der mangelnden
Führung von Olaf Scholz, der nicht in der Lage war, einen fairen und geordneten
Interessenausgleich der drei Partner zu gewährleisten. Gekoppelt mit eigenen
Fehlern hat diese Konstellation auch dazu geführt, dass die Ampelregierung nicht
die nötige Sicherheit und Kompetenz vermitteln konnten, die es in Zeiten der
Verunsicherung auf ganz verschiedenen Ebenen gebraucht hätte – vor allem für die
Bewältigung der materiellen Sorgen der Menschen, der Sorge vor Ausgrenzung von
Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte, aber auch für die
Planungssicherheit von Unternehmen. Besonders junge Menschen hatten nicht mehr
das Gefühl, dass wir an ihrer Seite für eine lebenswerte Zukunft kämpfen.
Dadurch haben wir in verschiedene Richtungen Vertrauen verloren. So hat unser
Bündnis mit der kritischen Zivilgesellschaft einige Risse bekommen. Wir müssen
aufarbeiten, wieso dies gerade im Bereich der Klima- und Umweltpolitik geschehen
ist, wo wir auch große Erfolge erzielen konnten. Gegenstand der Aufarbeitung
muss unser Umgang mit Kompromissen sein: Vor dem Kompromiss steht das klare
Eintreten für unsere gemeinsam erarbeiteten Positionen. Es muss unser Ziel sein,
unsere Erfolge besser darzustellen, offen zu sagen, welche Abstriche wir in der
Aushandlung in den gegebenen Mehrheitsverhältnissen machen mussten, und parallel
aufzuzeigen, wo wir eigentlich hinwollen. Dazu gehört auch ein besseres
kommunikatives Zusammenspiel von Regierung, Partei, Fraktion und
Landesregierungen, die jeweils eigene Akzente setzen können. Auf dieser
Grundlage sollten wir auch offen mit unseren Partnern sprechen, um den
Kompromiss in der Regierung als Werkzeug für Veränderung besser zu legitimieren
und gleichzeitig Kritik auch zu hören und nicht das Ziel aus den Augen zu
verlieren. Allerdings hätten wir an einigen Stellen die Unterstützung unserer
Partner*innen gebraucht, wenn die konkrete Klimapolitik in der Kritik stand. Wir
kämpfen auch mit ihnen weiter für eine ambitionierte
Gasunabhängigkeitsstrategie, gegen den drohenden Rollback unserer ambitionierten
Klimapolitik und für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels. Das verbinden wir
bewusst mit werteorientierten Umwelt- und Naturschutz, der die Bewahrung unserer
natürlichen Lebensgrundlagen als eigenes Ziel definiert.
Zugleich haben wir gesehen, dass besonders unsere klimapolitischen Vorhaben
viele verunsichert haben. Denn sie gingen davon aus, sie würden über Gebühr in
ihr Alltagsleben oder Wirtschaften eingreifen. Angesichts der wirtschaftlichen
und geopolitischen Umbrüche konnten die Kampagnen, die gegen unsere Politik
betrieben wurden, besonders gut verfangen. Die wirtschaftlich schwierige
Situation wurde uns angelastet. Wir stellen aber auch fest, dass es uns nicht
gelungen ist, diesen Ängsten angemessen zu begegnen, dass wir nicht immer
rechtzeitig für die soziale und wirtschaftliche Absicherung sorgen konnten und
die Umsetzung zu sehr ins Kleinklein ging.
Unsere Politik speist sich aus der Einsicht, dass gewandelte Umstände – seien es
klimapolitische Notwendigkeiten, geopolitische Umwälzungen, gesellschaftliche
Umbrüche – politische Veränderungen erfordern, damit es gerecht, demokratisch
und nachhaltig zugehen kann. Gleichzeitig befinden wir uns in einer
Stimmungslage, die einerseits konkreten Veränderungen skeptisch gegenübersteht
und andererseits klar einfordert, dass sich grundlegend etwas ändert. Die
Menschen erwarten von der Politik Antworten auf diese Herausforderungen, die
alltagstauglich sind und Zuversicht geben. Viele haben in ihrem Alltag genügend
Herausforderungen und wollen daher nicht noch vielen weiteren Problemen der
Zukunft ausgeliefert sein. Sie wollen zu Recht, dass ihr Leben besser und
gerechter wird. Sie wollen auch, dass das Land funktioniert, weniger
schwerfällig und kompliziert ist. Das ist der letzten Bundesregierung, das ist
auch uns trotz unserer großen Erfolge nicht im ausreichenden Maß gelungen. Trotz
hartem Kampf konnten wir einige der hohen Erwartungen an feministische Reformen,
wie die des Abstammungsrechts für lesbische Paare und ihre rechtliche
Elternschaft sowie des Paragrafen 218, nicht erfüllen.
Hier, wo wir in der Regierungskoalition eine Schwäche hatten, müssen wir jetzt
unsere Stärke wiederfinden: nämlich aufzuzeigen, wie Lösungen den Alltag besser
machen, und wo nötig und möglich auch dazu beitragen, unsere globalen Probleme
zu lösen. Dass dies Hand in Hand gehen kann, haben wir zum Beispiel bei der
dezentralen Energiewende gesehen, die dort besonders gut funktioniert, wo
Kommunen oder Privathaushalte über eigene Anlagen zu selbstbestimmten Akteuren
werden und von den wirtschaftlichen Vorteilen profitieren.
Im Wahlkampf konnten wir im Ansatz zeigen, was wir aus unserer
Regierungserfahrung und auch unseren eigenen Fehlern gelernt haben und wie wir
den begonnenen Weg im Dienste unseres Landes hätten fortführen können. Der
direkte Kontakt im Wahlkampf – zum Beispiel bei den Küchentischgesprächen – hat
dazu beigetragen. Trotzdem haben wir entscheidende Debatten nicht für uns
gewinnen können – etwa zur Zukunft der sozialen Sicherungssysteme oder zur Asyl-
und Migrationspolitik, bei der wir eine kommunikative und strategische
Unklarheit an den Tag gelegt haben und nicht deutlich genug mit einer
eigenständigen Position und klaren Haltung erkennbar waren. Einerseits ist es
nicht gelungen, mit unseren Werten als Menschenrechtspartei von einer Politik
der Humanität zu überzeugen. Andererseits konnten wir nicht mit überzeugenden
Antworten auf Probleme und Herausforderungen vor Ort durchdringen. Dadurch haben
wir Vertrauen verloren. Wir wollen glaubwürdig als Menschenrechtspartei
erkennbar sein, die Chancen von Migration ausreichend sichtbar machen und
Ansprechparterin für die Menschen vor Ort sein, um von uns zu überzeugen.
Wir wollen auch daraus lernen, warum wir uns in der Polarisierung der letzten
Wahlkampfwochen, die durch den Wort- und Tabubruch der Union in ihrer
gemeinsamen Abstimmung mit der AfD ausgelöst wurde, nicht genug behaupten
konnten. Wir haben nicht ausreichend ausgestrahlt, dass Regieren kein
Selbstzweck ist – und dass eine Regierungsbeteiligung mit der CDU an klare
Bedingungen geknüpft war. Durch den Wortbruch der gemeinsamen Abstimmung mit der
AfD durch die Union unter Friedrich Merz und mangelnden Mehrheiten für andere
Bündnisse fehlte am Ende eine glaubwürdige machtpolitische Perspektive für eine
Stimme für Bündnis 90/Die Grünen. Es gilt für uns: Wir beteiligen uns an einer
Regierung dann, wenn wir sozial-ökologisch, feministisch und bei den Menschen-
und Bürgerrechten echten Fortschritt erreichen und diese Regierung die
Europäische Einigung und den Schutz der Freiheit in Europa als Kernprojekt
deutscher Politik verfolgt.
Die erfolgreichen Ansätze und der Schwung aus der Wahlkampagne sind eine gute
Grundlage, um die Lücken aufzuarbeiten und zu schließen. Diesen Weg wollen wir
jetzt gehen. Das ist um so nötiger, als wir uns einem weltweiten Rechtsschwenk
gegenüber sehen, der eine ideologische Verbrüderung von Putins Russland und den
USA unter Trump mit sich bringt. Die Verletzung internationalen Rechts,
Brutalität und Grausamkeit sowie Menschenverachtung werden zu normalen
Politikmitteln gegebenüber allem, was schwächer scheint. Sie wollen Schwarze,
Frauen, behinderte Menschen oder Trans- und Homosexuelle marginalisieren und in
ihren Rechten beschneiden. Wissenschaft wird zum Feind. Dieses Gegenprogramm zur
Demokratie fasst nach und nach auch in Europa Fuß und wird normalisiert. Dieser
Konflikt zwischen einer erstarkten Rechten und der liberalen, werteorientierten
Demokratie wird auch in Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine ausgetragen. Die
Prinzipien und Ideen der Aufklärung müssen weiter die Leitlinie der Politik in
Europa bleiben.
2. Klare, gestaltende und empathische Opposition
Wir stehen jetzt am Anfang einer Oppositionszeit unter radikal veränderten
Vorzeichen. Durch das Erstarken von Rechtsextremen und Autoritären geraten die
regelbasierte Weltordnung und der freie Handel, die bis heute der Anspruch des
politischen und wirtschaftlichen Handelns Deutschlands sind, immer mehr unter
Druck. Die Klimakrise und die Plünderung unseres Planeten werden immer
deutlicher spürbar und greifen existenziell in das Leben von Milliarden Menschen
ein. Die Wirtschaft steht durch diese Umbrüche und mangelnde
Produktivitätssteigerungen im letzten Jahrzehnt vor riesigen Herausforderungen
und Anpassungen, was sich auch in Arbeitsplatzverlusten und Umstrukturierungen
niederschlägt. Und schließlich setzt der demografische Wandel unsere
Sozialsysteme unter Druck, was auch zu höheren Beiträgen führt. Verkrustete
Strukturen und eine Zementierung sozialer Ungleichheit geben ihr Übriges für
einen potentiell explosiven Mix. Wir stellen uns entschieden gegen den
populistischen Kurs jener, die Armut stigmatisieren, Menschen gegeneinander
ausspielen und den Sozialstaat aushöhlen wollen.
Die politische Auseinandersetzung, die wir in der Opposition suchen werden,
findet in einer gewandelten und sich immer weiter wandelnden Öffentlichkeit
statt, die von zunehmender Fragmentierung und der Dominanz von Tech-Oligarchen
gekennzeichnet ist und in der groß angelegte Desinformationskampagnen aus dem
eigenen Land wie von außen stetig mehr Wirkung entfalten können. Das stellt neue
Anforderungen an unsere Arbeit als politische Partei. Wir müssen auf
verschiedene Weise in die Gesellschaft und die politische Öffentlichkeit wirken
– über die traditionellen Medien, soziale Netzwerke, vor allem aber auch den
beständigen direkten Austausch auch jenseits von Wahlkampfzeiten und auch mit
jenen, die uns nicht sofort zustimmen. Diese Herausforderung ist besonders groß
in den ostdeutschen Bundesländern, wo sich in der Gesamtlage ein immenser
Vertrauensverlust in die demokratische Parteienlandschaft zeigt. Die starke
Zustimmung für Parteien, die Bündnis 90/Die Grünen zum Feindbild erklären, sorgt
in den strukturell schwachen Regionen und insbesondere im Osten Deutschlands für
einen nochmals stärkeren politischen Gegenwind.
Wir stellen zugleich fest, dass in der politischen Debatte immer weniger die
sachliche Auseinandersetzung über Inhalte, sondern Vorurteile,
Falschbehauptungen und Zuschreibungen eingesetzt werden. Schon vor dem
Regierungseintritt hat ein großer Teil der politischen Mitbewerber*innen
erfolgreich darauf gesetzt, uns auf diese Weise zu diskreditieren und damit die
Anschlussfähigkeit unserer Inhalte in weite Teile der Gesellschaft zu
unterlaufen. Das war auch dank der digitalen Verbreitungswege erfolgreich, deren
Algorithmen Hass und Hetze begünstigen. Wir werden uns damit auseinandersetzen,
warum einige dieser Kampagnen besonders gut verfangen konnten. Dazu gehört
besonders eine Betrachtung der politischen Debatten, die wir in der
Regierungszeit verloren haben – und den Gründen dafür.
In diesen Debatten werden oft auch die Rechte unterschiedlicher Gruppen
gegeneinander ausgespielt. Wir stellen uns klar gegen die Instrumentalisierung
von Frauenrechten. Rassismus schadet dem Zusammenhalt in diesem Land, er
schwächt die Sicherheit. Auch der Klimaschutz lässt sich nicht gegen soziale
Gerechtigkeit ausspielen – im Gegenteil: Klimaschutz ist kein Wohlfühlthema für
einkommensstarke Milieus, sondern eine zentrale Frage der sozialen
Gerechtigkeit.
In den Verhandlungen zum Sondervermögen über 500 Milliarden Euro für
Infrastrukturinvestitionen und der Grundgesetzänderung für mehr Sicherheit haben
wir gezeigt, welche Haltung wir in den kommenden Jahren einnehmen wollen: eine
klare, gestaltende und empathische Opposition. Wir wollen führende Kraft der
linken Mitte werden, die die Achtung der Menschenrechte, den Schutz der Natur,
die Wahrung und Erneuerung unserer Freiheit, soziale Gerechtigkeit,
Gleichstellung und eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft – in einem geeinten
Europa – auf die Agenda des Parlaments und der Gesellschaft setzt. Für unsere
Politik schmieden wir breite Bündnisse. Wir zielen darauf ab, mit der
Zivilgellschaft und mit allen Parteien mit denen progressive Politik auf Basis
unserer Grundwerte möglich ist, Mehrheiten, unter anderem in der linken Mitte,
zu organisieren. Mit erneuerten programmatischen Grundlagen wollen wir als
starke Mitgliederpartei weiter in die Gesellschaft ausgreifen, zuhören,
diskutieren und daraus die Kraft für Veränderung und Gestaltung schöpfen. Wir
wollen dabei auch in der Opposition Vorschläge machen, die die zukünftigen
Herausforderungen in den Blick nehmen, vorausdenken und neue Antworten
entwickeln. Wir wollen als Opposition Vorschläge unterbreiten, die konkret
umsetzbar sind und gleichzeitig Teil der Lösung für unsere großen strukturellen
Herausforderungen sind, damit sie reale und greifbare Verbesserungen im
Alltagsleben aller Menschen bewirken können. Und wir wollen unsere
Oppositionsarbeit im Bundestag mit unserer täglichen Arbeit für das Land in
Rathäusern, Dezernaten oder Landesministerien verknüpfen und ebenso mit unserem
Einfluss im Bundesrat und dem Europäischen Parlament – eine wirkmächtige Partei
auf allen Ebenen. Wir sind überzeugt: Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger
will mitgestalten für ein nachhaltiges, demokratisches und gerechtes Deutschland
und Europa, wenn wir die Rahmenbedingungen dafür schaffen! Für diese Mehrheit
sind wir Bündnispartei mit der vielfältigen Zivilgesellschaft.
3. Mit inhaltlicher Stärke als Antriebskraft
Unsere inhaltliche Stärke ist unsere Antriebskraft. Während in der neuen
Bundesregierung eine Koalition des Aneinanderreihens von Wahlversprechen statt
des klaren Angehens echter Herausforderung für unsere Gesellschaft droht, wollen
wir unser Programm auf der Höhe der Zeit weiterentwickeln. Unser Ziel ist und
bleibt es, dieses Land ökologischer und gerechter zu machen.
Darum wollen wir an unserem Profil arbeiten, gemeinsam diskutieren und uns für
die Zukunft aufstellen. Wir wollen die Erfahrungen aus der Regierungszeit und
aus dem Bundestags- und Europawahlkampf analysieren und davon lernen.
Wir wollen dabei nicht in erster Linie von den politischen Instrumenten her
denken, sondern von den Anforderungen, die die Menschen in den verschiedensten
Lebenslagen an die Politik stellen. Wenn wir als Partei in einer fragmentierten
politischen Landschaft das nötige Gewicht zur aktiven Gestaltung erreichen
wollen, brauchen wir einerseits eine klare Haltung und gesellschaftliche
Verankerung, zugleich aber die Fähigkeit, darüber hinaus Menschen anzusprechen,
die wir bisher noch nicht von uns überzeugen konnten: Nur wer einen festen Stand
hat, kann auch effektiv ausgreifen. Wir wollen mit einer klaren Haltung
progressive Bündnisse schmieden und ermöglichen. Deshalb gehört es zu unserer
Aufgabe, uns zu fragen, wie wir die Menschen, die uns einmal gewählt haben –
unabhängig davon, wohin sie abgewandert sind – wieder zu uns holen. Dafür
braucht es ein Programm, das auf vielfältige Bedürfnisse antwortet, und zugleich
eine Ansprache, die ganz verschiedene Menschen adressiert.
Das erzeugt auch Widersprüche: Eine Partei für viele hat auch viele Facetten,
Stile und Ansichten. Es war und ist unsere Stärke als Grüne, diese verschiedenen
Ansätze auszudiskutieren und dann gemeinsame Entscheidungen zu treffen.So
getroffene Beschlüsse sind für die Verantwortungsträger*innen der Partei
handlungsleitend. Alle Grünen haben die Verpflichtung diese Beschlüsse
anzuerkennen. Das geht einher mit unserem Selbstverständnis, unsere Programme
und Positionen angesichts einer sich ändernden Realität weiterzuentwickeln, ohne
dabei das Fundament des Grundsatzprogramms zu verlassen.
Wir wollen noch besser darin werden, Unterschiede in unserer Partei auf der
Basis unserer gemeinsamen Werte auch auszuhalten. Die Grundlage dabei ist stets:
Innerparteilichen Wettstreit führen wir nicht als Gegner*innen, sondern um die
besten Ideen. Wir diskutieren nicht nur abstrakt über eine Orientierung, sondern
auch konkret über Lösungen und Haltungen. Damit nehmen wir auch eine
gesellschaftliche Rolle ein, die wir immer wieder in entscheidenden politischen
Momenten unseres Landes einnehmen konnten: Bündnis 90/Die Grüne sollen der Ort
sein, an dem gesellschaftliche Debatten offen ausgetragen werden können, um den
gesellschaftlichen Diskurs zu prägen und dann Eingang in den politischen Prozess
zu finden. Diesen Ort hat unsere Gesellschaft nötig. Dieser Ort wollen wir in
der Opposition wieder vermehrt sein und uns der Diskursverschiebung nach rechts
entgegenstellen.
Wir haben im Wahlkampf erfahren, dass es uns nicht auf allen Themenfeldern
gelungen ist, bei unseren innerparteilichen Klärungen mit den schnellen
Veränderungen der politischen Lage Schritt zu halten. Bei vielen Themen haben
wir einen großen Konsens innerhalb unserer Partei, bei anderen haben wir
auseinanderlaufende Positionen, die wir bisweilen mit Formelkompromissen
verbunden haben. Hier stehen Debatten und Entscheidungen an, die wir in den
kommenden Monaten konstruktiv und demokratisch führen wollen. Dazu gehört es für
uns, zukunftsweisende Konzepte auszubuchstabieren:
- Wir geben unserem Leitbild einer „sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ ein
Update: Deutschlands europäisches Wohlstandsmodell braucht eine
nachhaltige Erneuerung. Das Zusammenspiel offener, fairer Märkte mit
funktionierendem Wettbewerb und möglichst stabilen makroökonomischen
Rahmenbedingungen in einer von geopolitischen Motiven getriebenen Politik
anderer Wirtschaftsräume erfordert neue Antworten. Wie kann eine
resiliente, nachhaltige Gesellschaft entstehen unter dem Druck der
Gewinnmaximierung der Kapitalmärkte? Bei unseren Instrumenten klären wir,
wie ein intelligenter Mix aus Preissignalen, Ordnungsrecht, Anreizen und
Industriepolitik aussieht, der wo nötig wirksam reguliert und gleichzeitig
unnötige Bürokratie zurückdrängt. Aktive Wettbewerbspolitik kann zu einem
Markenzeichen grüner Politik werden, um europäische Innovation und
Resilienz zu ermöglichen sowie wirtschaftliche Machtkonzentration und
übermächtigen Lobbyismus wie bei den digitalen BigTech-Konzernen
entgegenzutreten. Unsere Wirtschaftspolitik soll einen Beitrag dazu
leisten, dass das Leben bezahlbar bleibt. Beim Steuersystem muss die
ungleiche Vermögensverteilung so gerechter werden, dass gleichzeitig
starke Investitionsanreize für Unternehmen im Inland gesetzt werden. Wir
werden ausbuchstabieren, wie gute, tariflich gesicherte Arbeit statt
prekärer Beschäftigung für alle Arbeitnehmer*innen Realität werden kann,
neue Flexibilitätsbedarfe realisiert und Fragen von Weiter- und Ausbildung
adressiert werden können.
- Wir arbeiten an sozialer Sicherung und Daseinsvorsorge, die für alle
funktioniert. Wesentliche Bestandteile davon sind eine neue Basis für
unsere sozialen Sicherungssysteme, die dem demografischen Wandel
standhalten, die wirklich vermögens- und einkommensgerecht finanziert sind
und allen die Sicherheit geben, im Alter und im Notfall gut versorgt zu
sein; ein gerechtes Bildungssystem, das für alle funktioniert und die
Möglichkeit für individuelle Entfaltung und sozialen Aufstieg bietet; eine
Gesundheitsversorgung, die einfachen und verlässlichen Zugang zu
ärztlicher Versorgung und würdiger Pflege bietet und solidarisch
finanziert ist. Ein starker Sozialstaat traut den Menschen etwas zu, setzt
auf Anreize und Unterstützung, baut auf ihr Engagement, eröffnet neue
Chancen und Perspektiven und gibt ihnen damit die Möglichkeit, wieder ein
selbstbestimmtes Leben zu führen; ein Bürgergeld, das Erwerbslosen und
Menschen mit zu geringem Einkommen ein sozio-kulturelles Existenzminimum
immer garantiert und mit individueller Unterstützung, Respekt und
Wertschätzung neue Chancen und Perspektiven eröffnet und auf Empowerment
und – sofern möglich – Mitwirkung setzt statt auf Maßnahmen, die
Leistungsbeziehende unter Generalverdacht stellen und ihre Würde
verletzen; damit sich die Menschen in unserem Sozialstaat zurechtfinden
und ihn wieder als gerecht empfinden, muss er einfacher, unbürokratischer
und transparenter werden. Die Leistungen sollen so pauschal wie möglich
und so individuell wie nötig sein. Wer mehr arbeitet, hat am Ende auch
mehr auf dem Konto. Niemand muss kompliziert beantragen, was einfach und
nach klaren Regeln und Kriterien direkt ausgezahlt werden kann – diese
Reform erfordert einen breiten partizipativen Prozess.
- Wir gestalten Demokratie und Teilhabe für alle Menschen in einer
vielfältigen Einwanderungsgesellschaft. Wir stehen dabei für eine fakten-
und forschungsbasierte Asyl- und Migrationspolitik, die Integration
ermöglicht, das individuelle Grundrecht auf Asyl verteidigt, konkrete
Verbesserungen vor Ort schafft und Herausforderungen angeht, die Migration
auch mit sich bringt. Dazu gehört es auch, Rassismus und der wachsenden
Ausgrenzung von Menschen entgegenzutreten. Wir sorgen für
Geschlechtergerechtigkeit, denn der Stand der Frauenrechte zeigt stets,
wie es um die Menschenrechte in einer Gesellschaft bestellt ist. Deshalb
setzen wir uns entschlossen für die volle politische, wirtschaftliche und
gesellschaftliche Gleichstellung aller Geschlechter ein. Mit Sorge
beobachten wir zunehmende rechte Narrative. Diese greifen dabei oft auf
offene oder versteckte Frauenfeindlichkeit zurück und versuchen, bereits
Erreichtes zurückzunehmen. Diesem Trend stellen wir uns entschieden
entgegen. Um unsere Demokratie zu stärken und die ganze Gesellschaft
abzubilden, wollen wir Parität in der Politik durchsetzen und
Führungspositionen in allen Bereichen vielfältiger besetzen.
Gleichstellungsinstitutionen, die zunehmend von konservativen und rechten
Kräften angegriffen werden, müssen geschützt und weiter ausgebaut werden.
Echte Selbstbestimmung bedeutet auch, den Paragraf 218 abzuschaffen,
reproduktive Rechte zu stärken und den Gewaltschutz auszubauen. Wir
kämpfen für eine Gesellschaft, in der Gleichberechtigung nicht nur ein
Versprechen, sondern Realität ist.
- Wir formulieren eine Außenpolitik in den veränderten geopolitischen
Realitäten – mit einer sicherheitspolitischen Antwort, aber auch einer
neuen wirtschaftlichen Resilienz. Wir verteidigen die Menschenrechte nach
innen und außen und setzen auf die feministische Außen- und
Entwicklungspolitik. Wir beschreiben weiter konkret, was es angesichts des
russischen Angriffskrieges bedeutet, Friedenspartei zu sein. Wir
diskutieren die innenpolitischen Herausforderungen außenpolitischer
Konflikte: Wie festigen wir vor dem Hintergrund der unterschiedlichen
deutschen Geschichten mit Blick auf die Sowjetunion unsere Solidarität zur
Ukraine? Wie diskutieren wir über schwierige und polarisierende Themen,
besonders den israelisch-palästinensischen Konflikt mit dem andauernden
Krieg in Gaza und seine komplexen Auswirkungen auf die politische Debatte
in Deutschland? Wir buchstabieren auch die Zukunftsvorstellung unseres
Grundsatzprogramm einer „Föderalen Europäischen Republik“ und ihre
Einbindung in eine internationale politische Ordnung aus.
Unser Grundsatzprogramm bietet die Wertegrundlage für diese Diskussionen.
Mit solchen glaubwürdigen und positiven Gegenentwürfen begegnen wir auch der
Rechtsverschiebung der politischen Landschaft. Bündnis 90/Die Grünen können und
sollen Orientierungsort für Kräfte sein, die sich dem Rechtsruck entgegenstellen
wollen. Dazu gehört eine Analyse des Erstarkens der AfD, rechtsradikaler Kräfte
und ihrer Partner, bei uns in Deutschland und weltweit: Welchen Anteil haben wir
daran, und welchen Anteil und welche Rolle können wir daran haben, sie zu
schwächen?
Mit unseren Kernthemen wie Natur- und Umweltschutz, guten, gleichwertigen
Lebensverhältnissen, den wirtschaftlichen Chancen der Energiewende, bezahlbaren
Alternativen zum eigenen Auto und nachhaltiger regionaler Wirtschaft machen wir
dem ländlichen Raum ein Angebot, die eigene Kraft und den eigenen Einfluss zu
stärken. Die ländlichen Räume und ihre Bevölkerung brauchen Perspektiven statt
Populismus. Damit sorgen wir für ein gutes Leben und drängen antidemokratische
Kräfte zurück.
Wir gehen all diese Herausforderungen europäisch an. Wir tun das, indem wir die
europäische Einigung im Angesicht von Populismus und Wiedererstarken des
Nationalismus so voranbringen, dass sie die Europäer*innen wieder begeistert und
deutlich macht, dass wir zusammen stärker sind.
Unsere Rolle als zentrale demokratische Oppositionspartei gibt uns in diesem
Prozess die Chance, unsere grünen Werte selbstbewusst nach vorne zu stellen und
gleichzeitig neue programmatische Impulse zu entwickeln. Wir fangen nicht bei
Null an: Nachdem wir in unserer Regierungsbeteiligung viele Weichenstellungen
für die klimaneutrale und gerechte Erneuerung unseres Landes und seines
Wohlstands haben vornehmen können, werden zur kommenden Bundestagswahl in vielen
Bereichen neue Konzepte vonnöten sein. Sie müssen nach den nötigen Kompromissen
in der Regierungszeit unser eigenes grünes Profil wieder entwickeln und deutlich
sichtbar machen. Die Konsequenzen aus der Plünderung unseres Planeten und der
Zerstörung unserer Lebensgrundlagen werden wir in klarerer und lebendigerer
Sprache beschreiben und mit unseren Antworten zusammen kommunizieren. Unsere
Konzepte müssen sich auf der Höhe der grundlegend veränderten weltpolitischen
Zusammenhänge befinden, der digitalen Revolution Rechnung tragen, unseren
demokratischen und sozialen Zusammenhalt stärken und die ökologischen Grundlagen
für unser Leben auf diesem Planeten sichern können. Dabei behalten wir immer den
Menschen in seiner Würde und Freiheit im Zentrum unserer Politik.
4. Die Bündnispartei für morgen - unsere Partei zukunftsfähig machen
Eine treibende und gestaltende demokratische Opposition findet nicht nur im
Bundestag und anderen politischen Gremien statt. Sie wird von der Partei als
Ganzes getragen. Damit unsere gewachsene Partei diese Rolle ausfüllen kann, muss
sie noch sichtbarer, partizipativer und demokratischer werden.
Wir haben oft aus Rückschlägen gelernt: Wir sind aus dem Bundestag geflogen und
haben daraufhin unsere erste Regierungsbeteiligung errungen. Wir sind nach dem
Ende der ersten Regierungsbeteiligung weiter gewachsen, sind in die
Staatskanzlei in Baden-Württemberg und zahlreiche Landesregierungen und
Rathäuser eingezogen. Wir haben dazu beigetragen, die Europäische Union mit dem
Green Deal auf Klimakurs zu bringen. Wir sind immer wieder in zahlreiche
europäische Regierungen und Parlamente eingezogen. Mit dem Rückenwind unserer
Regierungsbeteiligung, eines erfolgreichen Wahlkampfs und den Zehntausenden
neuer Mitgliedern haben wir erneut die Möglichkeit, stärker wieder
zurückzukehren. Unsere Partei ist erfahrener, schlagkräftiger, digitaler und
vernetzter als je zuvor. Dieses Potenzial wollen wir nutzen, um unseren Beitrag
zur Stabilisierung unserer bedrohten Demokratie zu leisten und das Land als
führende Kraft der linken Mitte zu gestalten. Dazu greifen wir auch auf die
Erfahrungen aus dem Wahlkampf zurück und entwickeln erfolgreiche Formate in der
Fläche weiter, zum Beispiel indem wir aufsuchende Konzepte wie Haustürbesuche
auch zwischen den Wahlkämpfen nutzen.
Das bekräftigt einerseits klar, dass wir nicht für eine gesellschaftliche Nische
stehen, gleichzeitig aber auch die Notwendigkeit, konstant mit
zivilgesellschaftlichen Akteuren von lokaler bis globaler Ebene, mit Kultur und
Wissenschaft, mit Unternehmen und Gewerkschaften, mit den Kirchen, Religions-
und Weltanschauungsgemeinschaften nicht nur im Austausch zu sein, sondern
gemeinsam Konzepte zu entwickeln, um Mehrheiten zu erringen. Deshalb gilt es,
von den eigenen Standpunkten her Bündnisse zu schließen, aufeinander zuzugehen,
und dafür zu sorgen, dass gesellschaftliche Bündnisse überhaupt noch möglich
sind.
Wir werden uns als Partei nicht auf Hochburgen zurückdrängen lassen. Wir wollen
überall stärker werden: an den Rändern der großen Städte und Ballungsräume, in
mittleren Städten und im ländlichen Raum. Gerade hier braucht es Zugang zu
Erfahrungswissen und Unterstützung, um handlungsfähig zu bleiben und Populismus
mit Perspektiven begegnen zu können. Dafür braucht es den kontinuierlichen
Austausch vor Ort ebenso wie Expertenwissen von außen und gemeinsames, stetiges,
auch kleinteiliges Engagement. Wir wollen die Perspektiven und Erfahrungen
unserer aktiven grünen Mitglieder sammeln und Erfolgsrezepte innerparteilich
bekannter machen. Dafür stärken und unterstützen wir den Austausch auf
Bundesebene.
Wir wollen aus dieser Haltung unseren Anspruch als Bündnispartei neu definieren.
Dabei greifen wir nicht zuletzt auch auf die politische Traditionen des Bündnis
90 in Ostdeutschland und der Bürgerbewegungen, die zur Gründung der Grünen
geführt haben, zurück. Wir erwarten nicht, dass der Staat alle Probleme löst,
noch gehen wir davon aus, dass der Markt es schon richten wird. Neben dem
demokratischen Staat und dem sozial-ökologischen Markt als definierende Kräfte
unserer Gesellschaft zählt für uns maßgeblich eine aktive Bürgergesellschaft.
Wir haben dabei unsere Partei im Blick und darüber das Land als Ganzes, denn
unser Ziel muss es sein, den Einfluss antidemokratischer Parteien und Kräfte
zurückzudrängen. Drei Gedanken spielen dabei eine wichtige Rolle:
Als Erstes gilt es eine Politik zu betreiben, die gesellschaftliche
Bündnisse sucht und ermöglicht. Der Angriff der Unionsparteien auf
Nichtregierungsorganisationen und Menschen, die sich gemeinsam engagieren,
bestärkt uns in unserer klaren Haltung, dass eine starke, unabhängige und
breit aufgestellte Zivilgesellschaft das beste Rückgrat für eine starke
Demokratie ist – eine Demokratie, in der Menschen zusammenfinden, sich
Gehör verschaffen und auf dieser Grundlage Bündnisse schmieden können.
Deswegen stehen wir unverrückbar an der Seite der demokratischen
Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und Kultur, die unter Druck stehen.
Wir brauchen sie neben den Unternehmen, Religionsgemeinschaften, dem
organisierten Sport und vielen anderen Akteuren, die gemeinsam unsere
Demokratie ausmachen und die wir als Partner*innen verstehen. Wir wollen
mit all diesen Partner*innen das Gespräch intensivieren und – wo nötig –
verlorenes Vertrauen wieder aufbauen.
Als Zweites steht der Auftrag, mit einer hohen Glaubwürdigkeit in unseren
Kernthemen Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, Feminismus, Gleichstellung,
Freiheit, Bürger- und Menschenrechte ebenso wie Europa die Verbindung zu
unserer Stammwählerschaft zu stärken, uns gleichzeitig aber auch weiter zu
öffnen und besonders auf Menschen zuzugehen, die sich von uns bislang
nicht oder nicht mehr angesprochen oder inhaltlich vertreten fühlen. Wir
wollen auch Menschen überzeugen und für sie wählbar sein, die in einigen
Punkten Widerspruch zu unseren Vorstellungen haben. Wir stellen uns an die
Seite derer, die vom Erstarken der Rechtsextremen bedroht sind, vor allem
migrantische Communities. Ebenso stärken wir diejenigen, die sich aktiv
gegen Rechtsextremismus einsetzen. Die Stimmen und Perspektiven von
Menschen mit Diskriminierungserfahrung sind dabei richtungsweisend für
unser Handeln. Wir werden Rassismus und Diskriminierung entschieden
entgegentreten und Menschenrechte in das Zentrum unserer Politik stellen,
denn Menschenrechte sind unteilbar.
Wir halten Kritik aus und stellen uns ihr – das unterscheidet uns von
anderen. Dazu wollen wir aber auch dezidiert dort sichtbar, hörbar und
ansprechbar werden, wo wir dies bislang noch nicht ausreichend sind – und
wo uns anfangs auch ein harter Wind der Ablehnung entgegenweht.
Glaubwürdig wird dieser Anspruch nur, wenn wir bereit sind, andere
Perspektiven ernstzunehmen, zu verstehen, warum uns Menschen kritisch
sehen – und was wir tun müssen, um Vertrauen zurückzugewinnen.
Als Drittes kommt dazu heute mehr denn je die europäische und
internationale Dimension des Bündnisgedankens. Wir sind die Partei, die
für ein Vereintes Europa eintritt und darüber hinaus für eine Weltordnung
der Kooperation und des Rechts statt der Konfrontation und der Logik der
Gewalt. Das spiegelt sich in unserer Politik wider: Es muss aber auch
vermehrt Teil unserer Parteikultur werden. Denn wenn sich die
antidemokratischen, isolationistischen Akteure international aufstellen,
müssen wir dies um so mehr tun. Mit einem sehr europäisch orientierten
Bundestagswahlkampf haben wir hier wichtige Schritte getan. Wir
intensivieren jetzt unser Engagement für unsere Grüne europäische
Parteienfamilie EGP, aber stärken auch jenseits davon unsere Verbindungen
zu politischen und gesellschaftlichen Akteur*innen in Europa und darüber
hinaus. Auch in Europa kommt es darauf an, die unterschiedlichen
Bedingungen in den Mitgliedstaaten anzuerkennen und daraus Gemeinsamkeit
zu entwickeln. In Berlin ist unser Anspruch die europäischste Opposition
zu werden, die es bisher in deutschen Politik gab. Wenn die
Bundesregierung in Brüssel die Stärkung Europas bremst oder den Green Deal
rückabwickeln will, werden wir das in Berlin konsequent zum Thema machen.
Gleiches gilt auch für die Schwächung der internationalen Zusammenarbeit.
Unser Selbstverständnis als Programm- und Bündnispartei bestimmt auch unsere
Rolle in der Opposition. Einerseits werden wir vom Standpunkt unseres starken
Programms klar machen, wo die Regierung zu kurz greift. Dafür werden wir auch in
Bündnissen arbeiten, wenn es darum geht, Klimaschutz, Gleichstellung, soziale
Gerechtigkeit und die notwendigen Veränderungen in Staat, Wirtschaft und
Infrastruktur gegen die Regierung voranzubringen. Zugleich sind wir
grundsätzlich dazu bereit, wo es sinnvoll ist, konstruktiv mit der Regierung und
den demokratischen Parteien auf Landes-, Bundes- und Europaebene
zusammenzuarbeiten.
5. Die wachsende Partei gemeinsam gestalten
Wir wollen uns als gewachsene Mitgliederpartei in unseren Strukturen erneuern.
Eine moderne Mitgliederpartei muss vielfältige Möglichkeiten für Engagement,
Beteiligung und Mitbestimmung geben. Sie muss zugleich eine Plattform bieten,
die Mitgliedern, aber auch Interessierten die Möglichkeit gibt, eigene Ideen und
Formate einzubringen und umzusetzen. Ihre Verfahren müssen demokratisch und das
heißt nicht zuletzt fair, transparent und zugänglich sein. Sie müssen den
gewandelten gesellschaftlichen und technischen Gegebenheiten Rechnung tragen.
Auch das gehört zur Verantwortung einer demokratischen Partei angesichts
antidemokratischer Tendenzen: Dass sie jenseits der Parlamente und Regierungen
präsent, ansprechbar und wirkungsvoll ist. Dass sie zugleich in der politischen
Auseinandersetzung schlagkräftig und sichtbar ist.
Dafür brauchen wir starke, agile und handlungsfähige Gremien, vom Ortsverband
über LAGen und BAGen bis hin zur Bundespartei als Teil der Grünen europäischen
Parteienfamilie. Dazu gehört gerade auch der Ausbau der Koordination zwischen
Bundesverband und Landesverbänden, um unsere Kräfte gemeinsam und zielgerichtet
einzusetzen. Dafür brauchen wir zugleich Mitmach-, Gesprächs- und
Kampagnenformate jenseits der Gremien – mit neuen, vielfach digitalen
Möglichkeiten der Beteiligung. Wir haben 160.000 Mitglieder – und ihre
Unterstützung brauchen wir in Kampagnen, bei der Mobilisierung und in der
Bündnisarbeit. Wir wollen eine Partei für Menschen in vielfältigen
Lebenssituationen sein, und auch Beteiligungsangebote für diejenigen schaffen,
die nicht über ausreichend Zeit und Ressourcen für Gremienarbeit verfügen.
Für die notwendigen Strukturreformen ernennt der Bundesvorstand eine
Satzungskommission mit vielfältigen Vertreter*innen aus unterschiedlichen
Bereichen der Partei, die sowohl Mandatsträger*innen, als auch ehrenamtliche
Mitglieder unserer Partei umfasst. Sie soll Vorschläge erarbeiten, ob und welche
Änderungen an der Satzung und den parteiinternen Verfahren notwendig sind, damit
die Partei in ihrer Organisation, Beteiligung und Mitgliederpartizipation den
gewachsenen Anforderungen und der gestiegenen Mitgliederzahl gerecht werden
kann. Der Bundesvorstand soll hierzu gemeinsam mit der Satzungskommission
Diskussionsformate für die Parteimitglieder organisieren. Bei der Besetzung der
Kommission und der Arbeit dieser behalten wir stets das Vielfalts- und
Frauenstatut im Blick und wirken auf die weitere Verankerung intersektional
feministischer Werte und Praktiken hin. Denn feministische Prinzipien leiten
nicht nur unsere Politik sondern auch unsere Organisation. Es gilt zudem, unsere
Jugendorganisation, die Grüne Jugend, wieder stärker in die Partei zu
integrieren und die Stimme der jungen Menschen in unserer Partei ernstzunehmen.
Der Vorstand entwickelt zusätzlich mit der Initiative „Mitglieder treiben
Innovation“strategisch Formate, Strukturen und Instrumente, um die Potenziale
nutzen zu können, die unsere gewachsene Partei mit über 160.000 Mitgliedern,
einer starken kommunalen Verankerung und wachsender Bedeutung in der
gesellschaftlichen Debatte bietet.
Die Weiterentwicklung erfolgt entlang von drei zentralen Handlungsfeldern:
- Beteiligung & Dialog: Wir wollen unsere Beteiligungsformate analog wie
digital stärken und weiterentwickeln. Auch in einer großen Partei braucht
es direkte Mitgestaltung, niedrigschwellige Zugänge und einen besseren
Austausch zwischen Basis, Mandatsträger*innen und Partei. Dafür schaffen
wir Debattenräume jenseits der Parteitage – offen für alle Ebenen. So
ermöglichen wir inhaltliche Diskussionen, stärken Beteiligung und fördern
den lebendigen Austausch in der Partei.
- Kampagne & Kommunikation: Wir verfügen über viele engagierte Mitglieder
und professionelle Kampagnenarbeit. Um aktuellen Anforderungen gerecht zu
werden, wollen wir die Kampagnenfähigkeit der Partei weiter stärken – auch
jenseits klassischer Wahlkampfphasen. Dafür sollen neue
Kommunikationsformate entstehen, die unsere Themen sichtbar machen und
Mitglieder befähigen, selbst aktiv zu werden.
- Innovation & Initiative: In der Partei existiert bereits eine hohe
Innovationskraft. Diese wollen wir stärker sichtbar machen, bündeln und
gezielt fördern. Digitale Tools, Plattformen, kreative Beteiligungsformate
und konkrete Projekte aus der Mitgliedschaft sollen identifiziert,
weiterentwickelt und in die Parteiarbeit integriert werden.
Damit diese Strukturen zum Erfolg führen können, muss die Partei so vielfältig
sein, wie das Land, das sie vertritt. Wir richten das Augenmerk auf zwei
besondere Herausforderungen.
1. Vielfalt ist unsere Stärke – in der Partei wie in der Gesellschaft. Über die
Hälfte unserer Gesellschaft ist weiblich. Ein Drittel der Menschen in
Deutschland ist über 60, 28 Prozent der Menschen haben eine Behinderung und ein
Drittel hat eine Migrationsgeschichte. Die Realität ist vielfältig – nach
Herkunft, Ausbildung und Beruf, Alter, sexueller Orientierung, geschlechtlicher
Identität, Lebensort, finanziellem Hintergrund oder Behinderung. Und doch sind
Menschen, die nicht binär sind oder trans, in unserer Gesellschaft noch immer
kaum sichtbar – und erfahren verstärkt Diskriminierung.
Unser Ziel ist es, dass sich diese Vielfalt gemäß ihrem Anteil an der
Bevölkerung auch in unserer Partei und auf allen Ebenen widerspiegelt. Dafür
packen wir es an, unsere Strukturen inklusiver zu gestalten und diskriminierende
Hürden konsequent abzubauen, damit Mitgestaltung sichergestellt ist.
Gleichberechtigte Teilhabe und Schutz vor Diskriminierung sind Grundrechte – sie
stehen niemals zur Debatte und dürfen nicht verletzt werden.
Unser Vielfaltsstatut zeigt: Wir sind die einzige Partei, die Vielfalt
strukturell verankert hat – weil politische Teilhabe kein Zufall sein darf. Dank
dieser Strukturen stellen wir heute die Fraktion mit dem höchsten Anteil an
Abgeordneten mit Migrationsgeschichte. Doch das reicht uns nicht. Wir haben viel
erreicht – und noch einiges vor uns, um die Repräsentation all jener zu
erreichen, die in unserer Gesellschaft immer noch benachteiligt oder übersehen
werden. Diese Verantwortung nehmen wir ernst. Denn eine gerechte, vielfältige
Demokratie lebt davon, dass alle mitgestalten können. Wer Perspektiven ernst
nimmt und aktiv einbindet, stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Inklusives Denken und Diversitätskompetenz gehören heute zu echter
Führungsfähigkeit. Diese Kompetenz werden wir weiter stärken und gezielt
fördern.
2. Ein nachhaltiges Wachstum grüner Politik hat im Osten größere Widerstände als
in allen anderen Regionen und macht Bündnisgrüne Politik vor Ort schwierig.
Gerade deswegen braucht es eine kontinuierliche Unterstützung der Arbeit der
aktiven Grünen in der Fläche durch Landes- und Bundesebene, eine Vernetzung
grüner Akteure untereinander und in die Breite der Gesellschaft und eine klare
gemeinsame Strategie, in der Themen in und für Ostdeutschland gebündelt sowie
die Entwicklung und Unterstützung der Strukturen und die Verbesserung der
Sichtbarkeit von Ostperspektiven in der politischen Arbeit von Bündnis 90/Die
Grünen weiterentwickelt werden. Dazu wird der Bundesvorstand in Abstimmung mit
Bundestagsfraktion, Ländern und Europa ab diesem Frühsommer die Präsenz vor Ort
in ostdeutschen Kreisverbänden zu einem Schwerpunkt machen. Den Kreisverbänden
werden dazu Veranstaltungspakete zur Verfügung gestellt, um sie bei der
Vorbereitung zu entlasten. Wir entwickeln die „Ostrunde“ der grünen
Landesvorsitzenden und Abgeordneten zu einem permanenten Beratungsgremium
weiter, das regelmäßig mit dem Bundesvorstand, führenden ostdeutschen
Politiker*innen, lokalen Akteur*innen und externen Expert*innen
zusammenarbeitet. Der Bundesvorstand bereitet bis Ende Juni mit den
Landesvorständen Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt unter Einbeziehung
der Bundesgeschäftsstelle ein Konzept vor, welche Unterstützung der
Bundesverband bei der Vorbereitung und Durchführung der Landtagswahlen leisten
kann.
Im Herbst 2025 veranstaltet der Bundesverband im Osten ein hybrides Event für
die Gesamtpartei mit dem Schwerpunkt Osten. Aufbauend auf den Erfahrungen der
letzten beiden Ostkongresse sollen Debatten und Vernetzung für Ostdeutschland
gebündelt und mit diesem Event weitergeführt werden. Ziel ist u.a. die
Ermutigung und Vernetzung grüner und grün-naher Akteur*innen in und für
Ostdeutschland. Jenseits von Ostalgie oder Folklore soll an einer
wertschätzenden und realistischen Perspektive auf den Osten gearbeitet werden.
Neben Workshops und Trainings für Mitglieder sollen Diskussionsformate zu den
inhaltlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen wie dem gesellschaftlichen
Zusammenhalt, der wirtschaftlichen Transformation und bestehender
Ungerechtigkeiten im Mittelpunkt stehen. Der Ostkongress soll im Nachgang
ausgewertet und wenn erfolgreich verstetigt werden.
Unser Ziel ist eine bessere Repräsentanz und Sichtbarkeit ostdeutscher
Biografien. Dafür greifen wir auf die im Vielfaltsstatut verankerten Instrumente
zur Stärkung von Mitgliedern durch Empowerment-Strategien und Förderprogramme
zurück. Unser Ziel ist es, sie gezielt zu ermutigen und zu befähigen, im Osten
als grüne Politiker*innen sichtbar und wirksam zu werden.
Gemeinsam mit den Ost-Landesverbänden wird ein Konzept erstellt und zeitnah
umgesetzt, um politischen Perspektiven aus strukturschwachen Regionen in
sozialen Medien und die Präsenz ostdeutscher Themen in der Medienarbeit der
Bundesgeschäftsstelle gezielt zu erhöhen. Wir bauen unsere Fähigkeiten und
Instrumente aus, um eine vielfältige Öffentlichkeit jenseits einschlägiger
grüner Blasen zu erreichen. Dem Einfluss antidemokratischer Kräfte werden wir
eine konstruktive Politik mit verständlichen, alltagsnahen und wirksamen
Alternativen entgegensetzen.
Die Fundraising-Abteilung der Bundesgeschäftsstelle wird 2025 weiterentwickelt,
um die Eigenmittel der ostdeutschen Landesverbände gezielt auszubauen.
Die Vorschläge und Empfehlungen aller Gliederungsebenen und Akteur*innen sollen
gebündelt und in Bezug auf ihre politische Wirksamkeit und die nötigen
Voraussetzungen untersetzt werden. Die Maßnahmen sollen mit den bestehenden
Prozessen wie dem Strukturprozess und der Neuordnung der parteiinternen
Finanzierungsstrukturen zusammengeführt werden. Die Wirkung der ergriffenen
Maßnahmen bewerten wir, um Erfolgreiches zu verstetigen und weitere
Verbesserungsmöglichkeiten zu identifizieren.