Der ursprüngliche Antrag stellt bei Konflikten der Eltern darauf ab, dass das Wechselmodell für Kinder bei hohem Konfliktpotential belastend sei. Richtig ist, dass Konflikte der Eltern Kinder in jedem Betreuungsmodell belasten. Den Vergleich mit dem Residenzmodell zieht der Antrag allerdings nicht – eine methodische Schwäche, welche auch bei einigen Studien zu finden ist (z.B. McIntosh), wissenschaftlich aber bereits mehrfach widerlegt wurden[7][8][9]. Studien die zwischen den verschiedenen Betreuungsmodellen differenzieren kommen zu dem Schluss, dass es selbst bei Konflikten der Eltern den Kindern im Wechselmodell besser geht als im Residenzmodell. Die Antragsbegründung beruht somit auf einer falschen Grundannahme in Bezug auf das Wohlergehen der Kinder und sollte daher in der vorgeschlagenen Weise abgeändert werden.
Dem Antrag ist insofern zuzustimmen, als dass Kinder und Jugendliche anpassungsfähige Settings benötigen und keine starren Lösungen. Diese Wunschvorstellung funktioniert aber nur, wenn die Eltern sich einvernehmlich einigen und die Kinder einbeziehen. Müssen Gerichte hierüber entscheiden, bedarf es einer Ausgangsposition gleichberechtigter Elternschaft und der Grundannahme, dass das Kind ein Recht auf die Betreuung durch beide Eltern hat. Dies wäre durch ein Leitbild Wechselmodell gegeben und Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass sich Konflikte reduzieren, bzw. vermeiden lassen, die heute durch finanzielle Fehlanreize und asymmetrische Annahmen im derzeitigen Familienrecht Konflikte erst anheizen und einvernehmliche Lösungen verhindern.
Zuzustimmen ist dem Antrag auch, dass den Eltern und Kindern im BGB kein Betreuungsmodell vorgeschrieben werden soll. Hier scheint der Antrag einen falschen Eindruck vermitteln zu wollen, um möglicherweise Ängste zu schüren.
Tatsache ist, dass das implizite Leitbild des deutschen Familienrechts das Residenzmodell ist (vgl. 1606 BGB) und dem Wechselmodell insbesondere in der Rechtsprechungspraxis erheblichen Hürden gegenüberstehen, welche eine kindbezogene Betrachtungsweise verhindert.
Ein grünes Leitbild des Wechselmodells ist somit kein Zwang für alle, es sendet aber ein wichtiges Signal der gemeinsamen Betreuungs- und Erziehungsverantwortung der Eltern für ihre Kinder. Daraus ergeben sich dann auch wieder Chancen für eine gleichberechtigtere Teilhabe, insbesondere von Müttern in der Berufswelt, verbunden mit einer Reduzierung des Equal Pay-Gap, Equal-Pension-Gap und der Reduzierung des Armutsrisikos von Alleinerziehenden, die dann tatsächlich getrennterziehend sind und dasselbe Risiko tragen wie der andere Elternteil. Ein Leitbild des Wechselmodells ist daher ein wichtiger Schritt zur Verwirklichung feministischer Ziele, verbunden mit einer besseren Entwicklung der Kinder.
Soweit der Antrag kritisiert, dass Gerichte das Wechselmodell faktisch anordnen müssen, wenn keine konkrete Gefährdung der Kinder und Jugendlichen zu erkennen ist, ist dies nicht korrekt. Dem Familienrecht liegt das Kindeswohlprinzip (§1697a BGB) zugrunde, in §1626a BGB hat es seine Ausgestaltung in der Form erfahren, dass anzuordnen ist sofern es (hier die elterliche Sorge) dem Kindeswohl nicht widerspricht. So wäre es auch im Fall eines Leitbildes des Wechselmodells und ist Ausdruck der Eingriffsschwelle des Staates in die Rechte von Eltern und Kindern. Beim vorliegenden Antrag würde sich zwangsläufig die streitfördernde Frage stellen, wer der bessere Elternteil ist und damit alle zuvor aufgeführten, positiven Bemühungen um Einigung der Eltern zunichtemachen.
Hat das Kind zwei kompetente, erziehungsbereite und –fähige Eltern, dann sollte das Kind das gesetzlich garantierte Recht haben, von beiden Eltern gleichermaßen erzogen zu werden, sofern dies seinem Wohl nicht widerspricht. Die gesetzliche Verwirklichung dieses Grundsatzes ergibt sich bereits aus Art. 18 (1) der UN-Kinderrechtskonvention, deren Umsetzung auch ein grünes Grundanliegen ist, weshalb unsere Partei hier mit gutem Beispiel vorangehen sollte.
Quellenverweise:
[1] Hildegund Sünderhauf, „Vorurteile gegen das Wechselmodell: Was stimmt, was nicht?“, FamRB 10/2013 S. 328. www.famrb.de/media/Suenderhauf_FamRB.PDF
[2] Robert Bauserman, Child Adjustment in Joint-Custody Versus Sole Custody Arrangements: A Meta-Analytic Review. Journal of Family Psychology, 2002 Vol. 16(1), (S. 91–102) S. 99.
[3] William Fabricius & Linda Luecken, Postdivorce Living Arrangements, Parent Conflict, and Long-Term Physical Health Correlates for Children of Divorce. Journal of Family Psychology, 2007, Vol. 21 (2), (S. 195–205) S. 202.
[4] Linda Nielsen, 2018, Joint versus sole physical custody: Outcomes for children independent of family income or parental conflict, Journal of Child Custody,
[5] http://vbm-online.de/stellungnahme-reaktionen-doppelresidenz/
[6] http://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-en.asp?fileid=22220&lang=en
[7] Richard Warshak, 2017, Stemming the Tide of Misinformation: International Consensus on Shared Parenting and Overnighting, Journal of the American Academy of Matrimonial Lawyers Vol 30, 2017
[8] Michael E. Lamb, 2018, Does shared parenting by separated parents affect the adjustment of young children?, Journal of Child Custody, DOI:10.1080/15379418.2018.1425105
[9] Linda Nielsen, 2017, Re-examining the Research on Parental Conflict, Coparenting, and Custody Arrangements, American Psychological Association, Psychology, Public Policy, and Law, 2017, Vol. 23, No. 2, 211–231
Kommentare
Elke Szepanski:
Stefen Mario Schrapp:
1. https://antraege.gruene.de/44bdk/Fuer_individuelle_Betreuungsmodelle_und_mehr_Unterstuetzung_von_Kindern_-9516/5506
2. https://antraege.gruene.de/44bdk/Fuer_individuelle_Betreuungsmodelle_und_mehr_Unterstuetzung_von_Kindern_-9516/5574
3. https://antraege.gruene.de/44bdk/Fuer_individuelle_Betreuungsmodelle_und_mehr_Unterstuetzung_von_Kindern_-9516/5467
In Liebe für Kinder
Stefen
Gabriele Bartoszak:
ich bin als Sprecherin der LAG Kinder - Jugend - Familie Nds. etwas über Deinen Änderungsantrag irritiert und hätte mich gefreut, wenn wir ihn in der LAG Nds. diskutiert hätten Die LAG KiJuFa Nds hat dazu eine andere Haltung und unterstützt den ursprünglichen Antrag von Katja, V-42. - diese Unterstützung haben wir auch als LAG - Delegierte in die BAG eingebracht, in der wir uns umfassend und auch kontrovers mit allen Modellen auseinander gesetzt haben. Aufgrund dieser Diskussion haben wir uns genauso wie die einschlägigen Verbände - z.B. der VAMV e.V. - entschlossen, das Kindeswohl in den Vordergrund zu stellen und darauf bezogen, die Elternpflicht, sich zum Wohle des Kindes / der Kinder zu einigen. Dafür sollen alle Betroffenen ausreichende und gute beratende Unterstützung erhalten. Ich würde mich freuen, wenn wir unsere Positionen noch einmal in der nächsten LAG KiJuFa - vielleicht auch zusammen mit der LAG Frauenpolitik - diskutieren können. Viele grüne Grüße, Gabi