Veranstaltung: | 45. Bundesdelegiertenkonferenz Karlsruhe |
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Tagesordnungspunkt: | GSP-B In Bildung investieren |
Status: | Beschluss (vorläufig) |
Beschluss durch: | Bundesdeligiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 21.11.2020 |
Eingereicht: | 22.11.2020, 12:40 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Kapitel 7: In Bildung investieren
Beschlusstext
Kapitel 7: Auf Bildung bauen
Recht auf Bildung
(304) Bildung unterstützt Menschen dabei, ihr Leben eigenverantwortlich und selbstbestimmt
zu gestalten. Sie trägt dazu bei, die eigenen Potentiale und Interessen zu entwickeln und
offen für neue Erkenntnisse und Erfahrungen zu bleiben sowie soziale Verantwortung zu
tragen. Das Recht auf gute Bildung ist ein lebenslanges und jedem Menschen offen stehendes
Recht auf Selbstbestimmung, Mündigkeit und gesellschaftliche Teilhabe.
(305) Ein gutes Bildungssystem fördert Zukunftskompetenzen auf allen Ebenen – Kooperation,
Kommunikation, Kreativität, kritisches Denken. Und es muss Freiheit lassen für neue Ideen
und Lernerfahrungen aller Beteiligten. Ein gleichberechtigter Zugang zu Bildung, auch für
Menschen mit Behinderung, ist Grundlage für gesellschaftliche Weiterentwicklung. Das
Bildungssystem muss Kinder, Jugendliche und alle Lernenden befähigen, eine selbstbestimmte
und nachhaltige Zukunft zu gestalten, die von Unwägbarkeiten, Klimakrise, digitalem Wandel
und sozialen Veränderungen geprägt sein wird. Als Schlüssel für Gestaltungskompetenz soll
Bildung für nachhaltige Entwicklung auf allen Bildungsebenen verankert sein. Kitas und
Schulen sind Schnittstellen zu Familien und Gesellschaft und damit Lebensraum für soziales
Lernen und Bildungsstätte für präventive resilienzfördernde Kompetenz gegen häusliche und
sexualisierte Gewalt. Dazu braucht es entsprechend ausgebildete Pädagog*innen und Angebote
für Kinder und Jugendliche.
(306) Das Bildungssystem soll zu ganzheitlichem Denken, zu nachhaltigem Handeln, zu
gegenseitigem Respekt und zu verantwortungsvollem Entscheiden befähigen und Menschen die
selbstbestimmte Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen. Es ist damit die Grundlage für
eine freie und demokratische Gesellschaft. Das heißt auch, gesellschaftliche und
technologische Entwicklungen kritisch hinterfragen und einordnen zu können, um Fake News
oder Verschwörungserzählungen entgegenzutreten. Kitas und Schulen sollen Orte sein, an denen
Kinder und Jugendliche durchgängig Wertschätzung und Mündigkeit erfahren, demokratisches
Zusammenleben praktisch leben und über ihre Lernprozesse mitentscheiden können. Rollenbilder
und Geschlechternormen, rassistische, diskriminierende sowie Dominanzstrukturen müssen in
allen Bildungseinrichtungen problematisiert, reflektiert sowie strukturell aufgearbeitet und
daher auch in der Ausbildung pädagogischer Berufe thematisiert und kritisch hinterfragt
werden. Zur interkulturellen Verständigung kann ein für alle zugänglicher internationaler
Bildungsaustausch beitragen.
(307) Gute Bildung zeichnet sich dadurch aus, dass sie bestehende Ungleichheiten nicht
zementiert, sondern sie überwinden hilft. Es ist staatliche Aufgabe, ungleiche
Startbedingungen aufgrund von sozialen Benachteiligungen, dem Wohn- und Lebensumfeld, von
Diskriminierung oder Sprachvoraussetzungen auszugleichen. Es ist Aufgabe des Staates,
Talente zu fördern. Deshalb brauchen wir sozial diverse und inklusive Schulen, in denen
junge Menschen so lange wie möglich gemeinsam lernen. Alle jungen Menschen sollen unabhängig
vom Bildungsgrad und Einkommen ihrer Eltern den bestmöglichen Bildungsgrad erwerben können.
Dabei muss die individuelle Entwicklung der jungen Menschen im Mittelpunkt stehen.
Entwicklungsevaluationen nehmen die individuelle Person in den Blick, statt Schüler*innen
vergleichend zu bewerten. Unser Bildungssystem soll durchlässiger, gerechter und
leistungsfähiger und so an die internationale Spitzengruppe anschlussfähig werden. Dafür ist
wesentlich, sicherzustellen, dass alle Jugendlichen mit Verlassen der Schule über eine
ausreichende Qualifikation in Schlüsselkompetenzen verfügen. Gleichzeitig soll die
Begabungsförderung ausgebaut werden.
(308) Bildung ist eine wichtige Grundlage für gute Entwicklungschancen im Leben und trägt
maßgeblich dazu bei, dass Menschen in der modernen und nachhaltigen Arbeitswelt ihren Platz
finden. Ein starkes Bildungssystem ist zentral für die wirtschaftliche Zukunft unseres
Landes und entwickelt sich im Austausch mit allen Akteuren stetig weiter.
(309 (neu) Für eine glückliche Schulzeit ist es auch entscheidend, dass die Schule für alle
ein diskriminierungsfreier und sicherer Ort ist. Dafür muss das pädagogische Personal
fortgebildet und insbesondere Kinder und Jugendliche mit Diskriminierungserfahrung müssen
gestärkt und ermächtigt werden. Dazu gehört auch zeitgemäße, altersgerechte Aufklärung an
Schulen. Besonders queere Jugendliche können Ablehnung und Unverständnis in der Schule, aber
auch der eigenen Familie erfahren. Daher müssen auch außerschulische Angebote, wie zum
Beispiel Jugendzentren, besser ausgestattet werden. Sie können zum Verständnis der eigenen
Situation und Aufbau eines sozialen Netzwerks beitragen. Dabei ist es wichtig, auch
spezifische Angebote für Trans* Jugendliche und von Mehrfachdiskriminierung betroffene
Jugendliche bereitzustellen.
Kita und Schule
(309) Die Grundlagen für einen guten Bildungsweg werden in der frühen Kindheit gelegt.
Unterschiede bei den sozialen Voraussetzungen werden vor allem durch eine flächendeckende,
qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung ausgeglichen, die möglichst alle Kinder
erreicht. Das stellt neue Anforderungen an das pädagogische Fachpersonal in den Kitas,
weswegen es überall im Land gute Personalschlüssel und verbindliche Qualitätsstandards
braucht. Um den unterschiedlichen Bedarfen der Kinder gerecht zu werden, arbeiten Menschen
in multiprofessionellen Teams. Um der Individualität von Kindern gerecht zu werden, ist eine
gute Personalausstattung bei angemessener Bezahlung sicherzustellen.
(310) Der Ganztag an Schulen soll nicht nur Wissen vermitteln, sondern soziale Kompetenzen
und das Miteinander fördern sowie eine stärkere Verknüpfung zwischen Lernen, Erfahren,
Erforschen und Erproben gewährleisten. So können gezielt soziale und kulturelle
Benachteiligungen überwunden werden. Die Qualität muss durch verbindliche Standards
gesichert werden. Auf den Ganztag soll es einen Rechtsanspruch geben.
(311) Bildungspolitik und Sozialpolitik gehören zusammen. Bildungsorte müssen
dementsprechend eingebettet sein in Netzwerke sozialer Unterstützungsleistungen, die das
Leben von Kindern und Jugendlichen ganzheitlich betrachten, passgenaue Hilfen anbieten und
verhindern, dass Einzelne den Anschluss verlieren. Bildungseinrichtungen sollen die
Kooperation untereinander verstärken und sich zur Zivilgesellschaft und zum Stadtteil hin
öffnen.
(312) Die Finanzierung des Bildungssystems ist eine zentrale Aufgabe für eine
zukunftsgewandte Gesellschaft und Voraussetzung für Gerechtigkeit. Denn Vermögen und
Bildungszugang hängen immer noch besonders stark zusammen. Um die Kosten einer besseren
Ausstattung des Bildungssystems zu tragen, das allen Kindern und Jugendlichen die gleichen
Chancen bietet, kann die höhere Besteuerung von Vermögen bzw. Erbschaften einen Beitrag
leisten. Ressourcen sollen zielgenau nach den Bedarfen der Schüler*innen und Schulen
eingesetzt werden.
(313) Die Lernmittel sowie der Zugang zu Schulen und KiTas sollen für Lernende und Lehrende
(kosten-)frei sein, einschließlich digitaler Endgeräte, benötigter Software und
Internetzugang. Eine vermehrte Nutzung von Opensource ist der Schlüssel zu einer
partizipativen und souveränen digitalen Bildung.
(314) Alle Kitas und Schulen in Deutschland sollen sich zu inklusiven Orten
weiterentwickeln. Das muss sich in einer ausreichenden Anzahl an entsprechend ausgebildeten
Mitarbeiter*innen, aber auch in deren Vielfalt widerspiegeln. Inklusive pädagogische
Konzepte müssen es jedem Kind und jedem Jugendlichen unabhängig von intellektuellen, sozial-
emotionalen, physischen oder sonstigen Voraussetzungen ermöglichen, gemeinsam zu lernen, die
eigene Persönlichkeit und eigene Potentiale zu entwickeln und am gesellschaftlichen Leben
teilzuhaben. Schulen müssen ihre Pädagogik an die Schüler*innen anpassen, nicht umgekehrt.
Dazu brauchen sie Zeit, Gestaltungsspielraum, kleinere Klassen, neue Reflexions- und
Bewertungsstrukturen, inklusive pädagogische Konzepte, individuelle Lernwege und
multiprofessionelle Unterstützung.
(315) Gute Schulen brauchen Entscheidungsspielräume, gut ausgebildete Lehrkräfte, die den
Unterricht so gestalten, dass er den natürlichen Wissensdurst, die Neugier und die
Spielfreude junger Menschen fördert, sowie multiprofessionelle Teams auf Augenhöhe, die eine
ganzheitliche Entwicklung stärken. Das bedeutet auch, dass sich die Ausbildung der
Lehrkräfte anhand der Lebensrealitäten der Kinder und Jugendlichen sowie der
gesellschaftlichen und technologischen Entwicklung kontinuierlich weiterentwickelt. Offene
und durchlässige Strukturen und vielfältige Methoden im Unterricht und in der Schule helfen,
Potentiale zu entfalten und praktische und theoretische Stärken zu entwickeln. Die
individuelle Förderung der Kinder je nach Potential ist entscheidend, deshalb sind große
Klassen mit zusätzlicher personeller Unterstützung auszustatten. Indem sie kulturelle
Kompetenzen als Ressource begreifen leisten Schulen einen wichtigen Beitrag in der
vielfältigen Einwanderungsgesellschaft. Aus diesem Grund sollten Schulen in ihren
Veränderungsprozessen professionell unterstützt werden.
(316 NEU) Kitas und Schulen sind besonders wichtige Orte für das selbstbestimmte
Heranwachsen in einer digitalen Welt. Bildungseinrichtungen müssen technisch so ausgestattet
sein, dass alle Kinder die digitale Wirklichkeit erleben und sie mitgestalten können. Zu
einer guten technischen Ausstattung gehören auch gut ausgebildete pädagogische Fachkräfte.
Beides zu gewährleisten, ist dringliche Aufgabe der öffentlichen Hand. Der Lernalltag muss
genug Zeit für alle Kinder einräumen, digitale Kompetenzen zu erwerben. Dabei müssen sowohl
das technische Grundverständnis als auch die gesellschaftliche und soziale Dimension der
digitalen Entwicklung Thema sein. Die Kinder von heute werden die Gestalter*innen der Welt
von morgen sein. Dafür brauchen sie das nötige Rüstzeug und einen kritischen Blick, mit dem
sie technische Entwicklungen auch hinterfragen. Geschlechterklischees in der digitalen
Bildung und Informatik müssen überwunden werden. Digitales Lernen ermöglicht auch eine
Stärkung des individualisierten und inklusiven Unterrichts und macht Schulen flexibler und
krisenfester. Dabei muss es auch Ziel sein soziale Unterschiede zu verringern.
(317) Das deutsche Bildungssystem braucht eine deutlich bessere Mittelausstattung für mehr
Personal, Infrastruktur und Gebäude. Gut gestaltete und gesunde Räume sind für die
Entwicklung unserer Kinder von erheblicher Bedeutung. Dabei müssen regionale Unterschiede
berücksichtigt und Kommunen mit hoher Armutsquote in der Bevölkerung gezielt unterstützt
werden. Der Wohnort soll nicht über die Qualität der Förderung entscheiden. Vor allem für
den Kita- und Primarbereich müssen die Ausgaben verdoppelt werden, denn hier werden die
Weichen für den Bildungserfolg gestellt. Insgesamt soll Deutschland sich bei den
Bildungsausgaben an der Spitzengruppe im OECD-Vergleich orientieren.
(318) Der Föderalismus schützt die Demokratie und sichert regionale Vielfalt. Er darf jedoch
nicht dazu führen, dass eine Verständigung auf bundesweite Bildungsziele und -standards
sowie nötige Investitionen in Digitalisierung, Ganztag oder Inklusion unterbleiben. Das
können die Länder nicht allein leisten, sondern es ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Das
Kooperationsverbot muss zu einem Kooperationsgebot gemacht werden.
Lebensbegleitendes Lernen
(319) Bildung ist ein lebenslanger Prozess. Die staatliche Verantwortung beginnt mit der
Kita und der Schule und erstreckt sich über die berufliche Bildung und die Hochschulbildung
bis hin zum Recht auf Weiterbildung und Erwachsenenbildung. Sie wird umrahmt von einem
lebensbegleitenden Prozess der nonformalen Bildung. Bildung muss stärker als jemals zuvor in
jedem Alter selbstverständlicher Teil des Lebens werden. Allgemeine und berufliche
Weiterbildung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, damit ein selbstbestimmtes Leben und
gesellschaftliche Teilhabe gesichert werden.
(320) Kein Ausbildungsschritt soll ohne Abschluss und Anschluss bleiben. Jeder Mensch soll
die Möglichkeit haben, zu jedem Zeitpunkt in seinem Leben Schul- und Hochschulabschlüsse,
Berufsausbildungen oder Teilqualifizierungen zu erwerben. Der garantierte und
niedrigschwellige Zugang zur Erwachsenenbildung in Form des „zweiten Bildungswegs“ fördert
die soziale Mobilität innerhalb der Gesellschaft und ist unerlässlich für das Ziel gleicher
Bildungs- und Lebenschancen. Direkt nach der Schule muss der Weg für alle Jugendlichen in
eine angemessen bezahlte, anerkannte Berufsausbildung oder in eine Hochschulbildung offen
sein. Außerdem müssen ausländische Bildungsabschlüsse schnell und unbürokratisch anerkannt
werden können. Menschen mit Brüchen im beruflichem Werdegang soll der Wiedereinstieg in den
Arbeitsmarkt durch Anerkennung ihrer erworbenen Kompetenzen erleichtert werden.
(321) Alle Menschen, die nicht oder nicht ausreichend lesen, schreiben oder rechnen können,
sollen leichten Zugang zu Bildungsangeboten und speziellen Förderungen haben und diese in
Anspruch nehmen können.
(322) Der Fokus beim digitalen Lernen liegt auf der Medienkompetenz und der digitalen
Mündigkeit. Gezielt sollen auch Erwachsene mit wenig Erfahrung im Umgang mit digitalen
Medien angesprochen werden, damit sie die Möglichkeiten der digitalen Welt selbstbestimmt
und sicher nutzen können.
(323) Lebensbegleitendes Lernen erfordert ein breites Spektrum an privaten, betrieblichen
und auch öffentlich verantworteten Weiterbildungsinstitutionen. Es ist eine staatliche
Aufgabe zu ermöglichen, dass Orte der außerschulischen Bildung ein für alle bezahlbares und
flexibel nutzbares Weiterbildungsangebot anbieten, damit jede*r die für ihren Bedarf
notwendigen Fähigkeiten und Kompetenzen erwerben kann. Sie und ähnliche Einrichtungen
gehören zur Daseinsvorsorge und müssen zu barrierefreien Knotenpunkten der
Erwachsenenbildung werden.
(324) Viele Menschen lernen in unterschiedlichsten Vereinen, Jugendverbänden und
Bildungsstätten sich einzubringen und mitzubestimmen. Auch diese außerschulische und
nonformale Bildung muss ausreichend Raum und finanzielle Möglichkeiten erhalten.
(325) Bildungswege sind heutzutage dauerhaft, berufsbegleitend und mit Wechseln verbunden.
Bildungsfinanzierung muss dieser Realität angepasst werden und unabhängig vom
Bildungszeitraum als ein eltern-, alters- und leistungsunabhängiger Vollzuschuss konzipiert
sein, um das Recht auf Bildung zu unterstützen. Niemandem dürfen aufgrund prekärer
Beschäftigung die Möglichkeiten essenzieller Qualifikation verwehrt sein.
(326) Bildungszugänge sind stark durch die Eigenheiten der Stadtteile oder durch Stadt-Land-
Gegensätze geprägt. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zu sichern bedeutet, es auch
Kindern im ländlichen Raum zu ermöglichen, mit akzeptablen Schulwegen eine hochwertige
Bildung zu erreichen. Der Erhalt von kleinen Schulen soll durch Vernetzung ermöglicht
werden. Kreative Konzepte wie mobile Mediatheken, Bibliotheken und Labore schaffen nicht nur
für Erwachsene Bildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten in strukturschwachen Räumen. Diese
müssen ebenso gefördert werden wie der Schüler*innen-Transport. Das gehört zur staatlichen
Daseinsvorsorge. Jede*r hat ein Recht auf Weiterbildung.
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