Veranstaltung: | 49. Bundesdelegiertenkonferenz Karlsruhe |
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Tagesordnungspunkt: | D Dringlichkeitsanträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 26.11.2023 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Dringlichkeitsantrag: Humanität und Ordnung: für eine anpackende, pragmatische und menschenrechtsbasierte Asyl- und Migrationspolitik
Beschlusstext
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat im vergangenen Jahr die größte
Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Darüber hinaus suchen wieder
mehr Menschen Schutz, die von Terror, Krieg oder politischer Verfolgung in Heimatländern wie
Afghanistan oder Syrien bedroht sind. Bund, Länder und Kommunen haben in den zurückliegenden
Jahren hart daran gearbeitet, den Menschen, die zu uns kommen, eine Unterkunft zu geben und
sie zu versorgen. Insbesondere die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung der Kommunen -
von den Bürgermeister*innen bis zu den Sachbearbeiter*innen - sowie die viele Freiwillige
haben dabei Unschätzbares geleistet. Ihnen allen gilt unser Dank.
Gleichzeitig gilt: Seit 2022 hat Deutschland insgesamt rund 1,6 Millionen Geflüchtete
aufgenommen, davon rund 1,1 Millionen Menschen aus der Ukraine. Die Menschen konnten bis
jetzt weitgehend gut in Ländern und Kommunen untergebracht werden. Mittlerweile ist die
Situation jedoch in mehr und mehr Kommunen angespannt. Insbesondere dort, wo es schon bisher
an Wohnraum fehlte, an Personal bei der Kinderbetreuung und in Behörden, sehen sie ihre
Möglichkeiten derzeit erschöpft. Die Integrationsarbeit, soziale Infrastruktur und
insbesondere die Betreuung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter wird erschwert. Die
vielen Ehrenamtlichen engagieren sich bereits seit vielen Jahren sehr intensiv. Aufgrund der
Herausforderungen sehen wir es als unseren Auftrag, die Kommunen und die Zivilgesellschaft
mehr und vor allem verlässlich bei Unterbringung, Versorgung und Integration zu
unterstützen.
Vor diesem Hintergrund war es wichtig, dass Bund und Landesregierungen unterschiedlicher
Konstellation im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) vom 6. November in der Lage
waren, zu einer breiten Einigung unter den demokratischen Parteien zu kommen. Diese Einigung
bietet eine Grundlage, um die Kommunen bei der Bewältigung ihrer großen Aufgabe zu
unterstützen: Einige Punkte, wie etwa die geplante Verlängerung des Grundleistungsbezugs des
Asylbewerberleistungsgesetzes, finden wir grundsätzlich falsch. Das Vertrauen der Menschen
in diesem Land in demokratische Institutionen hängt auch davon ab, ob und wie die
Herausforderungen angegangen werden. Wir wissen, dass wir Verantwortung für den Zusammenhalt
im Land tragen. Unser Land kann diese Aufgabe meistern. Wir sind kompromissbereit, aber mit
uns gibt es nur Kompromisse, die mit Menschenrechten vereinbar sind.
Dabei setzen wir in der Migrationspolitik auf Humanität und Ordnung. Diese bedingen
einander. Denn Humanität kann es dauerhaft nur mit geordneten Verfahren geben, während
Abschottung zu Chaos führt. Es braucht klare Regeln, die den Menschen in Not helfen. Die
Hilfe muss gleichzeitig vernünftig organisiert sein.
Deutschland ist aus gutem Grund grundgesetzlich, völkerrechtlich und historisch einer Asyl-
und Migrationspolitik der Humanität verpflichtet. Deutschland als eines der größten
Aufnahmeländer Europas darf seine Verantwortung, Empathie und Menschlichkeit nicht aufgeben.
Hinter jeder Zahl und jeder Statistik verbirgt sich ein Mensch, eine Familie, ein Schicksal.
Die Menschen sind gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und fliehen beispielsweise vor Krieg
und Vertreibung. Wir wollen Schutzbedürftigen helfen, unserer humanitären Verantwortung
gerecht werden und hierfür auch sichere Fluchtwege gewährleisten.
Eine besondere Verantwortung haben wir für Menschen, die sich für Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit oder Frauenrechte eingesetzt haben und dadurch nun zum Beispiel in
Afghanistan in Gefahr sind. Auch unsere Ortskräfte lassen wir nicht zurück - sie zu schützen
ist eine moralische und politische Verpflichtung. Deswegen hat die Bundesregierung bereits
über 40.000 Aufnahmezusagen erteilt, von denen bisher über 30.000 einreisen konnten. Darüber
hinaus wollen wir beispielsweise das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan vorantreiben. Wir
arbeiten intensiv daran die Visaverfahren und Überprüfung ebenso zu beschleunigen, wie die
Ausreise der betroffenen Personen mit Aufnahmezusage.
Wir wollen Menschen auch Möglichkeiten und Chancen bieten. Wir brauchen Menschen, die zu uns
kommen und hier arbeiten wollen. Denn unsere Gesellschaft braucht Migration, unsere
Wirtschaft benötigt Fach- und Arbeitskräfte. Deshalb haben wir für erste Erleichterungen
beim Zugang zum Arbeitsmarkt für bereits hier lebende Asylsuchende und eine dauerhafte
Perspektive bis hin zur Staatsbürgerschaft in Deutschland gesorgt und wollen diesen Weg
weiter gehen: Wir wollen Deutschland zu einem stabilen und gut funktionierenden
Einwanderungsland machen. Auch deshalb können wir es uns nicht leisten, dass Menschen aus
anderen Ländern sich bei uns nicht willkommen fühlen.
Eine Politik wiederum, die das Heft des Handelns aus der Hand gibt, kommt ihrer
Verantwortung nicht nach und verliert die Akzeptanz der Bürger*innen. Wir wissen: Steuerung,
Ordnung und Rückführung gehören zur Realität eines Einwanderungslandes wie Deutschland dazu.
Es braucht legale und sichere Wege zu uns, jenseits einer menschenfeindlichen Festung Europa
einerseits und unkontrollierter Grenzen andererseits. Wir verteidigen das Grundrecht auf
Asyl und unsere internationalen Verpflichtungen wie die Genfer Flüchtlingskonvention. Wir
wollen aber nicht nur ein Bekenntnis abgeben, wir wollen diesen Anspruch pragmatisch
umsetzen: Wir packen reale Probleme an und entwickeln tatsächliche Lösungen. Das bedeutet:
Wir wollen Kapazitäten ausbauen, die soziale Infrastruktur stärken und tragfähige Strukturen
schaffen. Wir stehen für einen ehrlichen Umgang mit großen Herausforderungen. Wir wollen
dafür sorgen, dass weniger Menschen nach Europa fliehen müssen und dass die Schutzsuchenden
besser verteilt werden. So tragen wir dazu bei, dass die Herausforderung rechtsstaatlich und
menschenwürdig bewältigt und gestaltet werden kann.
Die EU ist ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Das Recht auf Freizügigkeit
innerhalb Europas war und ist eine der größten Errungenschaften für das Zusammenwachsen der
europäischen Gemeinschaft. Deshalb lehnen wir dauerhafte und stationäre
Binnengrenzkontrollen ab. Sie lösen keine Probleme, belasten den Personenverkehr der
Grenzregionen und schädigen die Wirtschaft. Zudem stellen sie eine enorme Belastung für
unsere Polizist*innen dar, die an anderer Stelle dringender gebraucht werden. Deshalb lehnen
wir sie ab.
Kurzum: Nur eine Politik, die Werte und Wirklichkeit verbindet, wird auf Dauer tragen. Dafür
wollen wir selbstbewusst eintreten: Wir hören zu, nehmen Probleme ernst und setzen uns für
eine rechtsstaatliche und menschenrechtsbasierte Asyl- und Migrationspolitik ein, die
unseren Zusammenhalt stärkt und erweitert. Im Zentrum unserer Politik steht auch hier der
Mensch in seiner Würde und Freiheit.
Wir wissen um die Tragweite unserer Entscheidungen. Jede vermeintliche Kleinigkeit im
Regelwerk kann existenzielle Auswirkungen für Menschen haben. Als eine Partei, die sich auch
für den Einsatz für die universellen Menschenrechte inklusive der Minderheitenrechte
gegründet hat, sind BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stets dem Grundsatz der Humanität verpflichtet.
Diese in eine Ordnung zu gießen, ist nun das Gebot. Wir suchen und geben Antworten, die dem
Ernst und der Größe der Herausforderung angemessen sind, statt es uns mit einfachen
Antworten und unsachlichen Profilierungsversuchen leicht zu machen, wie es die
Populist*innen tun. Eine Obergrenze ist weder machbar noch rechtens noch human. Wir sehen es
als unsere Aufgabe, die Gesellschaft zusammenzubringen. Wir stellen uns den zum Teil
rassistischen Debatten entgegen und stehen an der Seite derer, die unter ihnen besonders
leiden.
Migration ist eine Gestaltungsaufgabe für die Politik - ob sie aus Furcht um das eigene
Leben geschieht oder auf der Suche nach einer guten Zukunft. Wir streiten ernsthaft um den
richtigen Weg, auch stellvertretend für die Gesellschaft. In Demut vor der Aufgabe und im
Wissen darum, dass es keine einfachen Lösungen gibt.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich ein für:
- Kommunen unterstützen
Wir wollen Städte und Gemeinden besser unterstützen, finanziell stärken und dabei
sicherstellen, dass die notwendigen Mittel zu ihrer Entlastung weitergegeben werden. Es ist
gut, dass Bund und Länder bei der finanziellen Unterstützung einen wichtigen Schritt
vorangekommen sind. Dafür haben wir lange gekämpft. Als Teil der Ampelregierung sorgen wir
für eine dauerhafte, ausreichende und strukturelle Finanzierung durch den Bund, die die
langfristige Planungssicherheit für Länder und die Kommunen ermöglicht. Gleichzeitig
etablieren wir eine flexible Komponente, die Kommunen proportional zur Zahl der
Schutzsuchenden unterstützt. Nun ist klar: Wenn mehr Geflüchtete von einer Kommune versorgt
werden, steigen auch die entsprechenden finanziellen Mittel. Außerdem wollen wir, dass
Aufnahmekapazitäten dauerhaft erhalten bleiben und finanziell abgesichert werden. Die von
der MPK eingesetzte Kommission zu Migration und Integration soll auch einen Vorschlag
erarbeiten, wie ein langfristig zukunftsfähiges Finanzierungsmodell für eine gelungene
Unterbringung und Versorgung Geflüchteter aussehen kann. Die Stimmen der Kommunen müssen
dabei Gehör finden. Außerdem wollen wir, dass Aufnahmekapazitäten dauerhaft erhalten bleiben
und deren Vorhaltung finanziell abgesichert wird. Der Grundstein für Integration wird in den
Kommunen gelegt. Hier müssen die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen und dauerhaft
erhalten werden. Diesen Weg gehen wir weiter und wollen auch dafür sorgen, dass
funktionierende Modellprojekte und Wege von Kommunen und Ländern Schule machen und
bundesweiter Standard werden.
- Soziale Infrastruktur ausbauen
Wir wollen unsere soziale Infrastruktur stärken und Investitionen auf den Weg bringen.
Bereits bestehende Probleme, die wir alle im Alltag spüren, nicht nur bei der Aufnahme von
Geflüchteten, verstärken die Herausforderungen vielerorts: Unsere soziale Infrastruktur muss
dauerhaft stärker und die Kommunen entsprechend ausgestattet werden. Der Mangel an Wohnraum
oder die unzureichende Anzahl an Schul- und Kitaplätzen wurde in den letzten Monaten noch
einmal deutlich. Dieses Problem ist keines, das wir allein für die Geflüchteten angehen
müssen, sondern für die gesamte Gesellschaft. Doch sind die Geflüchteten oft die ersten,
denen die fehlenden Kapazitäten zu Unrecht angelastet werden. Klar ist: Es wurde zu lange zu
wenig getan. Wir wollen deshalb in Wohnraum investieren und dafür sorgen, dass insbesondere
mehr Wohnungen mit sozialer Bindung entstehen. Wir wollen auf allen Ebenen in den Ausbau
guter Schulen und Kitas investieren. Dafür müssen wir mehr Lehrer*innen und Erzieher*innen
gewinnen und ausbilden. Indem wir mit einer sozialen Politik zum Beispiel für bezahlbaren
Wohnraum und gute Löhne sorgen, sichern wir den Zusammenhalt der Gesellschaft und entziehen
rechten Populist*innen, die Menschen gegeneinander ausspielen und unsere Gesellschaft
versuchen zu spalten, den Nährboden.
- Integrationsoffensive starten
Wir wollen Integration vorantreiben und Perspektiven für Geflüchtete schaffen. Mit einem
"Integrationsbündnis" wollen wir aufzeigen, wie Integration und der Weg in den Arbeitsmarkt
nachhaltig gelingen kann. Dazu gehört insbesondere die enge Einbindung von Akteur*innen aus
der Wirtschaft und Gewerkschaften. Denn damit Integration wirklich gelingen kann, braucht es
eine ebenenübergreifende Strategie vom Bund bis zur Kommune und ein gebündeltes Vorgehen.
Gute Integrations- und Sprachkurse sorgen dafür, dass Menschen sich schnell einleben und
ihren Alltag bewältigen können. Dafür müssen die Kurse von Anfang an verfügbar sein,
flächendeckend ausgebaut, geschlechtergerecht ausgestaltet und zuverlässig finanziert
werden. Die Arbeitsbedingungen der Lehrkäfte in Integrations- und Berufssprachkursen wollen
wir durch Tarifbindung verbessern und die bessere finanzielle Ausstattung der
Sprachkursträger gewährleisten. Wir nehmen die besonderen Anforderungen etwa an
Integrationskurse mit Kinderbetreuung in den Blick, damit auch Sorgeberechtigte teilnehmen
können. Wir wollen auch, dass mehr Sprachkurse in den Abendstunden angeboten werden, sodass
sie berufsbegleitend wahrgenommen werden können. Die Migrationsberatung wollen wir stärken.
Die Beratung muss direkt zu Beginn starten – etwa durch Angebote in den
Erstaufnahmeeinrichtungen.
Menschen, die bereits Familienangehörige oder andere Anknüpfungspunkte haben, sollen bei
ihnen oder in deren Nähe unterkommen können. Damit entlasten wir den Wohnungsmarkt und
fördern die Integration von Beginn an. Der unbürokratische Umgang mit den Geflüchteten mit
ukrainischer Staatsbürgerschaft hat gezeigt, wie so schnell Entlastung geschaffen werden
kann. Die dezentrale Unterbringung sollte immer Vorrang haben.
Der Absenkung von Sozialleistungen stellen wir uns entgegen, denn unsere Verfassung setzt
hier mit Blick auf Asylbewerberleistungen zu Recht einen hohen Standard, der zu beachten
ist: Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist als Menschenrecht
garantiert. Wir wollen Integration, Bildungschancen von Kindern, soziale Teilhabe und eine
gute medizinische Versorgung sicherstellen. So ermöglichen wir es Menschen, gut bei uns
anzukommen.
Wir investieren in Teilhabe und gesellschaftlichen Zusammenhalt – sowohl für bereits hier
lebende als auch für ankommende Menschen. Rassismus und Ausgrenzung stellen wir uns
entschieden entgegen. Den unermüdlichen Einsatz der Zivilgesellschaft erkennen wir an und
wollen sie stärker unterstützen.
- Menschen, die zu uns kommen, Chancen bieten und in Arbeit bringen
Wer arbeiten kann, soll es auch dürfen. Unternehmen suchen händeringend nach
Mitarbeiter*innen , während es für viele Geflüchtete schwierig, oder zum Teil sogar verboten
ist, eine Arbeit aufzunehmen. Arbeitserlaubnisse sollten zügig erteilt werden ohne
bürokratische Hürden, wie zum Beispiel Zustimmungserfordernisse durch die Ämter. Die
Gleichbehandlung beim Lohn muss weiterhin gewährleistet werden. Wer hierher kommt, soll
seinen Lebensunterhalt auch so schnell wie möglich selbst bestreiten können. Das leistet
einen Beitrag im Kampf gegen den Fach- und Arbeitskräftemangel, fördert frühzeitig
Integration und Teilhabe und sorgt für Einnahmen in den öffentlichen Kassen. Ab dem Erhalt
der Arbeitserlaubnis sollen Geflüchtete in den Jobcentern bei der Arbeitsaufnahme beraten
und unterstützt werden. Das breite Angebot an Fördermöglichkeiten und Qualifizierung wollen
wir zudem individuell und verbindlich mit dem Spracherwerb verknüpfen, denn die Kombination
von beruflicher und sprachlicher Qualifizierung verbessert die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Der stärkste Motor für Integration war und ist Arbeit und Beschäftigung. Dafür haben wir die
Möglichkeit eines Spurwechsels für Geduldete aus der Asyl- in die Erwerbsmigration
geschaffen und damit bereits hier lebenden Menschen einen Zugang zum Arbeitsmarkt
ermöglicht. Mit dem Chancenaufenthaltsgesetz und dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist der
Paradigmenwechsel eingeleitet. Wir begrüßen außerdem die von der Bundesregierung in den
Verhandlungen zum Migrationspaket geplanten Erleichterungen bei der Arbeitsmarktintegration,
zum Beispiel durch die Änderung der Stichtagsregelung bei der Beschäftigungsduldung oder die
Lockerung von Arbeitsverboten, die eine deutliche Verbesserung bedeuten. Daran arbeiten wir
weiter.
- Verfahren verbessern und beschleunigen
Wir wollen für schnellere und faire Verfahren ("fast and fair") – und damit für Klarheit für
Betroffene wie für die Kommunen sorgen. Menschen, die Schutz suchen, bekommen so schneller
Gewissheit darüber, ob sie bleiben können. Zugleich muss die Qualität der Entscheidungen
verbessert werden und weiterhin für eine rechtssichere Ausgestaltung der Verfahren gesorgt
werden. Dazu gehört auch das Recht auf persönliche Anhörung und die Möglichkeit,
Rechtsmittel einzulegen. Wir wollen, dass Verfahren vereinfacht, angepasst und digitalisiert
werden. Dazu zählt insbesondere der Datenaustausch zwischen den beteiligten Behörden durch
eine einheitliche bundesweite IT-Plattform, die zum Beispiel eine bessere Verteilung
ermöglicht. Unnötige Bürokratie muss beendet werden. Aufenthaltserlaubnisse sowie Visa für
Erwerbs- und Bildungsmigration sollen für längere Zeiträume erteilt werden, damit nicht
ständig Verlängerungen vorgenommen werden müssen. Antragstellungen sollten leichter und
digitalisiert ablaufen. Hier gehen wir mit der Visadigitalisierung bereits wichtige
Schritte. Berufsabschlüsse wollen wir schneller und unbürokratisch anerkennen. So entlasten
wir die Behörden und schaffen Ressourcen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(BAMF), die Einwanderungs- und Ausländerbehörden der Länder, die deutschen
Auslandsvertretungen sowie die Verwaltungsgerichte müssen personell besser aufgestellt
werden. Dafür braucht es auch mehr Mittel. Wir kritisieren eine Verpflichtung von
Geflüchteten an der derzeitigen Praxis zur Passvergabe der syrischen Botschaft mitzuwirken,
denn sie sorgt für eine unnötige Verzögerung der Prozesse. Schutzsuchende müsse Zugang zu
Asylverfahrens- und Sozialberatung haben.
- Rückführungen rechtsstaatlich und menschenwürdig durchführen
Rückführungen müssen rechtsstaatlich durchgeführt werden. Nicht jeder, der nach Deutschland
kommt, kann bleiben. Wer beispielsweise vor politischer Verfolgung flieht, hat ein Recht auf
Schutz. Wer nach individueller Prüfung auf asyl- und aufenthaltsrechtliche Voraussetzungen
sowie nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel kein Aufenthaltsrecht erhalten hat und bei denen
keine Abschiebungshindernisse entgegenstehen, muss zügig wieder ausreisen. Dafür braucht es
funktionierende und menschenwürdige Regeln auch im Bereich der Rückführungen, die stets
rechtsstaatliche Standards sicherstellen. Die freiwillige Rückkehr hat für uns Vorrang.
Ausreisepflichtige, die schwere Straftaten begangen haben, müssen nach Verbüßung ihrer
Strafe prioritär zurückgeführt werden. Da, wo Rückführungen notwendig sind, müssen sie auch
vollzogen werden können. Sie sollen dabei stets dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
folgen, und einem effektiven Grund- und Menschenrechtsschutz folgen. Das ist unsere
Leitschnur. Gerade auch für das Rückführungsverbesserungsgesetz, das ohnehin nur eine
geringfügige Entlastung bewirken wird. Der rechtsstaatliche Schutz im Verfahren, sowie
besonders der Schutz vulnerabler Gruppen sowie von Familien und Kindern muss stets
sichergestellt sein. Es braucht auch eine deutlich bessere psychosoziale Begleitung vor und
während der durchgeführten Abschiebungen.
- Migrationsabkommen abschließen
Wir wollen Migration besser ordnen und steuern. Dafür wollen wir menschenrechtsbasierte
Migrationsabkommen abschließen, die helfen, bessere Lebensbedingungen vor Ort zu schaffen
und sichere und geordnete Migration zu ermöglichen. Denn eine erfolgreiche
Migrationspolitik, die auch besser steuert, kann nur gelingen, wenn wir mit Herkunfts- und
Transitstaaten verstärkt zusammenarbeiten. Mit Visaerleichterungen und
Ausbildungspartnerschaften erhalten Partnerstaaten eine Aussicht auf legale Migration und
garantieren im Gegenzug beispielsweise eine sichere Rückkehr ihrer Staatsangehörigen. Nur
duch umfassende Abkommen kann die Akzeptanz für die Vereinbarungen, Rückführungen und
geordnete und sichere Migration geschaffen werden. Mehr geregelte Migration ermöglicht
weniger ungeregelte Migration. Das ist nicht nur im Interesse der Betroffenen, die zumeist
keine Alternative zur lebensgefährlichen Flucht haben. Sie ist vor allem auch im Interesse
Deutschlands, beispielsweise weil wir und unsere Wirtschaft auf zusätzliche Fach- und
Arbeitskräfte angewiesen sind. Uns ist wichtig, die Interessen der Partnerstaaten nicht aus
dem Blick zu verlieren und beispielsweise einen Braindrain zu verhindern. Es müssen nun
schnell tragfähige Abkommen durch den Sonderbevollmächtigten der Bundesregierung
ressortübergreifend koordiniert und abgeschlossen werden. Die Auswirkungen solcher Abkommen
wollen wir kontinuierlich evaluieren. Die aktive Einbeziehung der Zivilgesellschaft ist
dabei zentral. Auswirkungen solcher Abkommen wollen wir kontinuierlich evaluieren und bei
negativen Auswirkungen gegensteuern.
Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten finden wir nicht richtig, denn es löst keine
Probleme. Staaten, in denen Minderheiten systematisch verfolgt werden, sind nicht sicher.
Der Deutsche Bundestag hat noch im Januar den Genozid an den Jesid*innen durch den
sogenannten "Islamischen Staat" anerkannt. Daraus erwächst für uns eine besondere
Verantwortung gegenüber den Opfern. Abschiebungen von Jesid*innen in den Irak stellen wir
uns darum entgegen. Wir treten dafür ein, dass Bund und Länder alle rechtlichen Mittel
ausschöpfen, um Abschiebungen von Jesid*innen zu verhindern Die Möglichkeit der Rückkehr von
abgeschobenen Jesid*innen soll geprüft werden. Gleichzeitig streben wir an im
Aufenthaltsgesetz eine rechtssichere Bleibeperspektive für Jesid*innen zu schaffen.
- Gemeinsame europäische Migrationspolitik vorantreiben
Wir wollen ein wirksames gemeinsames europäisches Asylsystem entwickeln. Europa ist stark
und handlungsfähig, wenn es zusammensteht. Wir müssen in Europa gemeinsam an einer
rechtsbasierten und lösungsorientierten Flüchtlingspolitik arbeiten. Wir stehen zu unseren
völkerrechtlichen und europäischen Verpflichtungen. Wir erwarten dabei allerdings auch, dass
andere EU-Staaten ihre Verpflichtungen einhalten. Der Asylantrag von Menschen, die in der EU
ankommen oder bereits hier sind, muss in Europa inhaltlich geprüft werden. Wir wollen eine
faire Verteilung von Schutzsuchenden. Deutschland hat in den letzten Jahren sehr viele
Geflüchtete aufgenommen. Wir wollen, dass alle Menschen, die zu uns kommen, an den
Außengrenzen registriert werden und es zu einer fairen Verteilung in Europa kommt. Dafür
müssen auch andere europäische Länder mehr Verantwortung übernehmen. Unser Ziel ist ein
verbindlicher Verteilmechanismus von Schutzsuchenden. Auf dem Weg dorthin soll ein
dauerhafter, verlässlicher und verbindlicher Solidaritätsmechanismus die Verteilung
maßgeblich verbessern. In den derzeitigen Verhandlungen zur Reform des Gemeinsamen
Europäischen Asylsystems (GEAS) setzen wir uns für ein funktionierendes, menschenwürdiges
System, in dem Familien und Kinder sowie vulnerable Gruppen besonders geschützt werden,
sowie für eine verbindliche Verteilung und Rechtsdurchsetzung ein. Grenzverfahren dürfen
nicht dazu führen, dass weitere Haftlager wie Moria an den Außengrenzen entstehen, die die
Würde und die Rechte von Schutzsuchenden verletzen. Der Entrechtung von Menschen, die durch
autoritäre Staaten instrumentalisiert werden, stellen wir uns entgegen. In Krisensituation
wollen wir Menschen in Not helfen und nicht ihre Rechte beschränken. Wir werden in enger
Abstimmung zwischen Europafraktion, Bundestagsfraktion, Bundespartei und
Regierungsmitgliedern für Verbesserungen bei den GEAS-Verhandlungen kämpfen. Auch das
Ergebnis werden wir gemeinsam bewerten. Unsere jeweiligen Positionierungen zu den
Rechtsakten werden wir davon abhängig machen, ob unter dem Strich Verbesserungen in der
Europäischen Asylpolitik und auch für Europa stehen. Die Einführung des auch in
Großbritannien gescheiterten Ruanda-Modells lehnen wir entschieden ab.
- Menschenrechte auch an den EU-Außengrenzen durchsetzen
Wir wollen, dass Menschenrechte überall und jederzeit eingehalten werden - sie sind
unverhandelbar. Der menschenrechtswidrige Umgang mit Geflüchteten an den europäischen
Außengrenzen ist unhaltbar, er sorgt für Leid und Chaos. Menschenrechte werden verletzt,
ordentliche Verfahren sind nicht gewährleistet. Auch aus diesem Grund fliehen viele Menschen
innerhalb Europas weiter. So kann es nicht weitergehen. Wir wollen deshalb Regeln in Europa
schaffen, die rechtsstaatliche und menschenwürdige Aufnahmen und Verfahren sicherstellen.
Wir wollen, dass Menschenrechte an den Außengrenzen überwacht und Menschen zuverlässig
registriert werden. Menschenrechtsverstöße müssen konsequent sanktioniert werden.
Grenzkontrollen an den Außengrenzen sind eine EU-Gemeinschaftsaufgabe, die zunehmend von
europäischen Beamt*innen übernommen werden sollten. Deswegen wollen wir Frontex
rechtsstaatlich weiterentwickeln. Dazu gehört, dass Frontex sich nicht an
menschenrechtswidrigen Einsätzen beteiligen darf und solche Einsätze konsequent und zeitnah
beenden muss, so wie es in der Frontex-Verordnung vorgesehen ist. Gleichzeitig bedarf es
einer engmaschigen parlamentarischen Kontrolle von Frontex-Einsätzen. Wir setzen uns dafür
ein, dass Frontex nicht nur vom Europaparlament, sondern auch von nationalen Parlamenten
besser überwacht wird. Dazu gehört auch der Zugriff auf Einsatzberichte. Es muss einfacher
werden, Frontex für Rechtsverstöße zur Rechenschaft zu ziehen, wie beispielsweise durch eine
eigene Haftungsgrundlage.
- Seenotrettung stärken
Wir wollen das Sterben auf dem Mittelmeer beenden. Die Seenotrettung ist eine rechtliche und
humanitäre Verpflichtung, die wir aus tiefer Überzeugung unterstützen. Allein in diesem Jahr
sind nach Angaben der Vereinten Nationen bereits mehr als 2.500 Menschen beim Versuch, das
Mittelmeer zu überqueren, gestorben oder gelten als vermisst. Die EU als Wertegemeinschaft
darf dem Massensterben in den Meeren nicht tatenlos zusehen, sondern muss es beenden. Es
braucht endlich eine europäische Initiative für eine staatlich koordinierte und ausreichend
finanzierte Seenotrettung. Die Förderung der zivilen Seenotrettung durch den Bund ist ein
wichtiger und richtiger Beitrag; wir treten jedoch weiter für eine EU-Seenotrettungsmission
ein. Die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache wollen wir endlich beenden. Wir treten
einer Kriminalisierung und Behinderung von Seenotrettungsorganisationen entschieden
entgegen. Nationale oder internationale Rechtsverschärfungen, die darauf abzielen, die
Seenotrettung zu erschweren, tragen wir nicht mit.
- Fluchtursachen bekämpfen
Wir wollen die komplexen Ursachen für Flucht und Migration in einem umfassenden Ansatz
gemeinsam mit den Herkunfts- und Transitländern bearbeiten. Die wichtigsten Auslöser sind
bewaffnete Konflikte und Verfolgung aus politischen, ethnischen oder religiösen Gründen.
Hinzu kommen die sich verschärfende Klimakrise sowie strukturelle Ursachen, die in
wirtschaftlichen und sozialen, aber auch politischen Unsicherheiten liegen. Die Klimakrise
ist an vielen Orten längst Realität. Trotz all unserer Anstrengungen wird diese Krise
Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Historisch betrachtet tragen die westlichen
Industriestaaten eine besondere Verantwortung. Europa sollte zusammen mit anderen
Industriestaaten vorangehen und Prozesse unterstützen, in denen mit betroffenen Staaten über
internationale Regulation im Rahmen des Völkerrechts zum Umgang mit klimabedingter
Migration, Flucht und Vertreibung sowie zum Zugang zu internationalem Schutz beraten wird
und klimagerechte Lösungen gefunden werden. Die EU sollte die betroffenen Staaten bei den
notwendigen Anpassungsmaßnahmen zur Schaffung von Klimaresilienz sowie einem Fonds für
Verluste und Schäden der Klimakrise unterstützen. Die allermeisten Menschen, die ihre Heimat
verlassen müssen, sind Binnenvertriebene oder finden Zuflucht in den jeweiligen
Nachbarstaaten. Mit dem Ausbau verlässlicher humanitärer Hilfe sowie strukturbildender
Übergangshilfe in Krisenregionen können wir Menschen – darunter auch Geflüchtete und
Binnenvertriebene – in ihrer akuten Notlage unterstützen. So tragen wir dazu bei, das Leid
unmittelbar vor Ort zu lindern. Mit Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe, sowie mit
fairen Handelsbeziehungen können wir langfristig zur Verbesserung der Lebensperspektiven
beitragen; die Bereitstellung von Stabilisierungsmitteln trägt zur Krisen- und
Konfliktprävention bei.