Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Luiz Skraback (KV Mönchengladbach) und 51 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 60%) |
Status: | Eingereicht |
Angelegt: | 16.10.2025, 14:16 |
V-44: Abschiebehaft beenden - Menschenrechte stärken
Antragstext
Bündnis 90/Die Grünen sprechen sich klar und unmissverständlich gegen die
Einrichtung, den Ausbau oder den Betrieb von Abschiebehaftanstalten in
Deutschland aus. Wir fordern Bund und Länder auf, bestehende Einrichtungen
schrittweise abzuschaffen und stattdessen menschenwürdige, rechtsstaatliche und
verhältnismäßige Alternativen zur Sicherstellung der Ausreisepflicht zu fördern.
Wir stellen fest: Abschiebehafteinirchtungen (Unterbringungseinrichtung für
ausreisepflichtige) sind keine Justizvollzugsanstaltenen – aber sie wirken wie
welche. Die Abschiebehaft ist kein Strafvollzug, sondern ein Verwaltungsakt.
Dennoch bedeutet sie Freiheitsentzug für Menschen, die keine Straftat begangen
haben. Die Praxis der Abschiebehaft untergräbt fundamentale Grundsätze unseres
Rechtsstaates und widerspricht dem Geist der Europäischen
Menschenrechtskonvention.
Freiheit ist ein Grundrecht – kein Privileg. Die Unterbringung in Haft, nur weil
eine Person ausreisepflichtig ist, widerspricht diesem Prinzip zutiefst. Das
Ziel der Abschiebehaft – die „Sicherstellung der Abschiebung“ – rechtfertigt
keinen Freiheitsentzug unter haftähnlichen Bedingungen. Wenn Gebäude mit
Stacheldraht, Überwachungskameras und Wachpersonal umgeben sind, dann ist es in
der Wahrnehmung der Betroffenen kein Verwaltungsakt, sondern ein Gefängnis.
Die politische und mediale Debatte der letzten Jahre war von unsachlicher und
einseitiger Berichterstattung geprägt, die das gesellschaftliche Klima gegenüber
Migration deutlich verschärft hat. Diese Stimmungsmache basiert vor allem auf
verzerrten Darstellungen, die weder der Realität noch den rechtlichen Grundlagen
des Asylrechts gerecht werden. Die Bundesregierung hat diese Entwicklung nicht
nur hingenommen, sondern durch ihre Rhetorik und Maßnahmen aktiv befördert – aus
machtpolitischem Kalkül und auf Kosten des gesellschaftlichen Zusammenhaltes.
Dabei wird ignoriert, dass viele Menschen unter schwierigsten Bedingungen
fliehen – oft allein oder mit ihren Kindern – in der Hoffnung auf ein sicheres
und würdevolles Leben. Statt solidarische Lösungen zu fördern, verfestigt sich
ein Umgang mit Migration, der strukturelle Verantwortung ausblendet. Dieses
Verhalten reiht sich ein in ein koloniales Muster: Die Vorteile aus globalen
Zusammenhängen werden genutzt, die daraus resultierenden humanitären
Herausforderungen jedoch verweigert.
Abschiebehaft verletzt nicht nur die Würde des Einzelnen – sie beschädigt auch
die Glaubwürdigkeit unseres Rechtsstaates. Wir stehen für eine
Migrationspolitik, die Grundrechte achtet, Integration ermöglicht und das
Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen stärkt. Nur durch eine klare
Symbolik und die Umverteilung von staatlichen Ressourcen kann Deutschland seine
Kräfte für eine funktionierende Integrationspolitik entfalten.
Auch in Nordrhein-Westfalen erleben wir derzeit, wie diese menschenrechtlich
bedenkliche Praxis eine völlig überdimensionale neue Realität werden soll. In
Mönchengladbach plant die Landesregierung eine neue „Unterbringungseinrichtung
für Ausreisepflichtige“ zu errichten. Diese Einrichtung mit geplanten 140
Plätzen würde zu der größten bestehenden Einrichtung Deutschlands, in Büren,
hinzukommen. Die Stadt Mönchengladbach, die sich in den vergangenen Jahren zum
„sicheren Hafen“ für Geflüchtete erklärt hat, droht so vom Symbolort der
Solidarität zum „Abschiebeparadies“ zu werden. Und das alles, ohne
kommunalpolitisch auch nur ein einziges Wort mit reden zu dürfen.
Wir fordern daher die Landesregierung Nordrhein-Westfalens auf, die Pläne zum
Bau einer Abschiebehaftanstalt in Mönchengladbach umgehend zu stoppen.
Stattdessen soll gemeinsam mit der Stadt, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und
Zivilgesellschaft ein Konzept mit menschenwürdigen Alternativen entwickelt
werden. Wir fordern für Mönchengladbach Menschlichkeit und Vertrauen: Die Mittel
für die Abschiebehaftanstalt müssen unverzüglich in gelingende
Integrationsarbeit und humane Rückkehrprogramme umgelenkt werden. z.B.:
Dass nichtdeutsche Menschen ungleich zu deutschen Menschen vor unserer Justiz
behandelt werden, bleibt eine seit Jahrzehnten misshandelnde Praxis in unserem
Land. Wir wollen eine Gesellschaft, in der niemand eingesperrt wird, nur weil er
oder sie das falsche Visum hat. Wir wollen eine Politik, die Menschlichkeit vor
Bürokratie stellt.
Begründung
Abschiebehaft ist ein rechtliches Paradoxon. Offiziell handelt es sich um einen verwaltungsrechtlichen Freiheitsentzug, nicht um eine strafrechtliche Sanktion. Doch in der Praxis ist die Grenze kaum zu erkennen.
Der Zweck der Abschiebehaft ist die „Sicherstellung der Ausreise“ – also keine Strafe, sondern eine präventive Maßnahme. Ihre rechtliche Grundlage findet sich im Aufenthaltsgesetz, nicht im Strafrecht. Dennoch sind die Bedingungen in vielen Einrichtungen faktisch identisch mit denen einer Justizvollzugsanstalt: Gitterfenster, verschlossene Türen, Überwachung, eingeschränkter Kontakt zur Außenwelt.
Die Rechtfertigung lautet: Diese Menschen sollen nicht bestraft, sondern nur „gesichert“ werden. Doch das ist ein gefährlicher juristischer Trick. Denn de facto wird Menschen die Freiheit entzogen, ohne dass sie eine Straftat begangen haben. Das widerspricht sowohl Artikel 2 Grundgesetz als auch Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Rechtsstaatlichkeit.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mehrfach betont, dass Abschiebehaft nur das allerletzte Mittel (ultima ratio) sein darf – und nur dann, wenn keine milderen Maßnahmen möglich sind. In Deutschland wird diese Prüfung jedoch oft nur formal durchgeführt. Die momentane Politiklandschaft fordert mit dieser Praxis jedoch Exekutive statt Judikative. Wenn kein Richter mehr der Abschiebehaft zustimmen muss und Verwaltungen selbst die Sicherungshaft anordnen können, wenn geflüchtete Menschen nicht verpflichtend einen Anwalt bekommen, dann werden Unterbringungseinrichtungen zum Selbstzweck der Exekutive. Verwaltungen ordnen Abschiebungen und Sicherungshaft an, um sich selbst zu rechtfertigen. So zerfällt unser Rechtsstaat, sowie es andere Rechtsstaaten auch schon begonnen haben zu tun.
Dabei existieren längst Alternativen:
• Elektronische Aufenthaltsüberwachung („Fußfessel“)
• Meldeauflagen
• Verpflichtung zum Aufenthalt in einer bestimmten Unterkunft
• Sozialpädagogisch begleitete Rückkehrprogramme
All diese Maßnahmen sind weniger eingriffsintensiv und zugleich effektiver, weil sie auf Kooperation statt Zwang setzen. Studien zeigen, dass die freiwillige Rückkehrquote in Programmen mit Beratung und Unterstützung deutlich höher ist als bei Menschen, die in Haft genommen werden.
Die Situation in Mönchengladbach verdeutlicht die Absurdität dieser Entwicklung: Eine Stadt, die sich als „sicherer Hafen“ versteht und sich klar zur Aufnahme von Geflüchteten bekannt hat, soll nun Standort einer Abschiebehaft werden. Damit sendet das Land NRW ein fatales Signal – nicht nur an Geflüchtete, sondern an die gesamte Gesellschaft: Solidarität soll hier durch menschenfeindliche Kontrolle ersetzt werden.
Bereits heute fließen immense Summen in Maßnahmen zur Abschottung, darunter Frontex-Einsätze und verschärfte Grenzkontrollen. Diese führen bereits zu einem deutlichen Rückgang von Einreisen. Dennoch verfolgt die Bundesregierung weiterhin den Ausbau von Abschiebehaftzentren. Mit dem geplanten Inkrafttreten des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) im kommenden Jahr wird eine Einreise in die Europäische Union faktisch kaum mehr möglich sein. Vor diesem Hintergrund ist es weder notwendig noch nachvollziehbar, Hunderte Millionen Euro in neue Haftanstalten zu investieren. Notwendig ist stattdessen eine Einwanderungspolitik, die auf Rechtsstaatlichkeit und tatsächlicher Problemlösung basiert.