Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Daniel Freund (KV Aachen) und 150 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 40%) |
Status: | Eingereicht |
Angelegt: | 14.10.2025, 16:18 |
V-45: Von AfD bis Trump: Angriffe auf Zivilgesellschaft stoppen
Antragstext
20 Millionen Deutsche. So viele Menschen sind Mitglieder in Vereinen. Laut
Umfragen engagieren sich 44% der Deutschen zivilgesellschaftlich. Sie engagieren
sich täglich für unsere Gesellschaft, organisieren Feste, Wettkämpfe und die
freiwillige Feuerwehr. Sie treten für soziale und globale Gerechtigkeit ein, in
der Kultur, im Sport, in einer Religionsgemeinschaft, für Menschenrechte, für
Gleichstellung und gegen Ausgrenzung, für ihre Berufsgruppe, für den Schutz der
natürlichen Lebensgrundlagen, für den Tierschutz und vieles, vieles mehr. Diese
Begegnungen und dieses ehrenamtliche Engagement sorgen nicht nur für weniger
Einsamkeit, sondern leisten einen wichtigen Beitrag für das Allgemeinwohl. Sie
leben Demokratie.
International wird zunehmend versucht, Vereine und zivilgesellschaftliche
Organisationen zu diskreditieren. Diese Entwicklung macht auch vor Deutschland
und Europa keinen Halt. Bei uns säht vor allem die AfD und ihr rechtsextremes
Umfeld Misstrauen gegen die Zivilgesellschaft und verbreitet
Verschwörungserzählungen. Engagement für das Gemeinwohl wird gezielt
diskreditiert und Menschen werden eingeschüchtert. Davon getrieben, diffamieren
aber auch die CDU/CSU und die FDP solche Organisationen, die sich gegen
Rechtsextreme und für Demokratie, Freiheit und Vielfalt stellen, oder zweifeln,
ob sie auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen.
Deshalb müssen wir die Rechte von Vereinen und anderen
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) schützen und sie gegen immer stärkere
Angriffe verteidigen.
Vereine und andere Formen zivilgesellschaftlicher Kooperationen waren immer
schon politisch und haben unser Land vorangebracht: Schwarz-Rot-Gold waren die
Farben einer organisierten Studenten- und Bürgerbewegung für ein vereintes,
demokratisches Deutschland statt eines Flickenteppichs kleiner Königreiche und
Fürstentümer. Die Europaflagge hissen Bürger*innen in Deutschland, Rumänien,
Bulgarien, Serbien, Italien, die sich organisieren gegen Korruption, für saubere
Politik - und teils auch ausdrücklich für mehr Europäisches Zusammenwachsen.
Arbeiter*innen haben sich in Gewerkschaften zusammengeschlossen und Solidarität
und Rechte, wie den 8-Stunden Tag, bezahlten Urlaub und die Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall erreicht. Umweltorganisationen haben den Atomausstieg und die
Heilung vergifteter Flüsse erreicht. Die Landfrauen haben viel für die
Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen auf dem Land und die
Gleichberechtigung von Frauen erreicht.
Die Nationalsozialisten sahen die Zivilgesellschaft als Feind und verboten
Gewerkschaften und Landfrauen zu Gunsten gleichgeschalteter
Ersatzorganisationen. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Mütter und Väter des
Grundgesetzes in gemeinsamer antifaschistischer Haltung unseren deutschen Staat
deshalb auf den Schutz der Demokratie, der Würde des Menschen, der
Rechtsstaatlichkeit, der Freiheit, des Friedens verpflichtet und auf den Schutz
derer, die sich für diese Werte versammeln.
Die AfD und ihr rechtsextremes Umfeld hetzen sehr gezielt gegen Vereine und
Nichtregierungsorganisationen (NGOs), weil sie sich politisch engagieren und die
AfD immer wieder für ihre menschenverachtenden Positionen deutlich kritisieren.
Dieses Recht, Parteien zu kritisieren, will die AfD Vereinen und
zivilgesellschaftlichen Organisationen absprechen. Sie denunziert ein Großteil
des zivilgesellschaftlichen Engagements und versucht selbst, Zivilgesellschaft
für die eigenen politischen Zwecke zu vereinnahmen. Das Ziel der AfD ist eine
apolitische Gesellschaft, in der sie die Deutungshoheit hat und Gegenargumente
keinen Resonanzraum finden.
Die Unterstellung, dass zivilgesellschaftliche Organisationen der verlängerte
Arm einer Partei sind oder eine Parallelstruktur der Regierung, ist diffamierend
- und gefährlich. Es ist die Verschwörungserzählung von einem “Tiefen Staat”,
die von Rechtsextremen schon lange genutzt wird, um demokratische Akteure zu
diskreditieren. Solch eine Schwächung der Zivilgesellschaft gehört zum 1x1 von
Autokraten wie Donald Trump in den USA, Wladimir Putin in Russland, Viktor Orban
in Ungarn oder Javier Miliei in Argentinien, die alle die eigene
Zivilgesellschaft verunglimpfen, rechtlich behindern und Finanzierung entziehen.
Attacken auf NGOs werden umso gefährlicher, wenn sie aus demokratischen Parteien
kommen. Seenotrettungsorganisationen werden inzwischen auch von Konservativen
ohne sachliche Grundlage diffamiert, die finanzielle Unterstützung wird von der
Merz-Regierung gestrichen. Am Tag nach der letzten Bundestagswahl forderte die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Bundesregierung durch eine Anfrage auf, die
Finanzierung und politische Neutralität zivilgesellschaftlicher Organisationen
wie die Amadeu Antonio Stiftung oder Neue deutsche Medienmacher*innen zu
überprüfen (Drucksache 20/15035). Solche Angriffe sind ein Angriff auf
zivilgesellschaftliches Engagement. Sie stellte die Finanzierung dieser
Organisationen in Frage. Die Botschaft war: Misstraut der Zivilgesellschaft.
Aber auch in Regierungsverantwortung setzt die Union diese Kampagne fort und
säht Misstrauen u.a. gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen, die am
Bundesprogramm „Demokratie leben!“ teilnehmen. Das ist verantwortungslos und
spielt in die Hände der Feinde der Demokratie.
Die finanzielle Förderung von zivilgesellschaftlichen Organisationen hat viele
gute Gründe. Zum einen erfüllt die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle beim
Schutz der Demokratie, die gerade nötiger ist denn je. Mehr als die Hälfte
politisch motivierter Straftaten in 2024 waren rechtsextrem motiviert, 50
Prozent mehr als im Jahr davor. Die Szene tritt organisiert, offen, zunehmend
selbstbewusst und gewaltaffin auf. Narrative von rechtsextremen Akteuren treffen
immer seltener auf Widerstand, teilweise sogar auf Akzeptanz.
Rechtsextremistische Radikalisierung betrifft immer mehr Kinder und Jugendliche,
befeuert durch soziale Medien und Messengerdienste. Seit 2020 steigt die Zahl
der Jugendlichen, die politisch rechts motivierte Straftaten begangen haben
stetig an. 2024 hat sich die Zahl zu 2023 sogar verdoppelt. Die dringend nötige
Prävention für demokratische Resilienz von Kindern und Jugendlichen erfordert
zivilgesellschaftliche Akteure, die diese gesellschaftliche Aufgabe mit
staatlicher Förderung übernehmen und zu wichtigen Orten demokratischer
Sozialisation werden.
Zum anderen sind Vereine und andere zivilgesellschaftliche Organisationen oft
auch die einzigen, die sich für Gemeingüter wie eine saubere Umwelt oder den
Schutz von Verbraucherinteressen einsetzen, wenn Gesetze verhandelt werden. Wenn
Ministerien und Abgeordnete zu Gesetzesvorschlägen um Rat suchen, antworten
meist vor allem Lobbyisten finanzstarker Industrien, zum Beispiel großer Banken.
Aber die Stimmen von Bankkunden, Verbrauchern oder der Natur fehlen. Diese
Vertretungen haben viel weniger Geld und Mitarbeiter zur Verfügung. Im März 2025
allein hatten Firmen und Wirtschaftsverbände 1790 Lobbytreffen mit der EU-
Kommission, NGOs nur 406. Laut EU-Verträgen sind die EU-Institutionen
verpflichtet, allen Bürgerinnen und Bürgern die gleiche Aufmerksamkeit zukommen
zu lassen. Um dieser Pflicht in der knappen Beratungszeit von Gesetzen für 450
Millionen Europäer*innen gerecht werden zu können, müssen zivilgesellschaftliche
Organisationen in die Lage versetzt werden, das große Übergewicht finanzstarker
Einzelinteressen zumindest ein Stück weit auszugleichen.
In der letzten EU-Legislatur war der Green Deal ein großer Erfolg der
Klimabewegung. Einige Konzerne und Superreiche reagieren darauf nun, indem sie
die Angriffe der AfD und anderer Rechtsaußen-Parteien in ganz Europa auf die
Zivilgesellschaft stützen. Die Angriffe von Rechtsextremen und Konservativen im
Europäischen Parlament konzentrieren sich auf die Fördermittel für die
Zivilgesellschaft, vor allem im LIFE Programm, das Finanzierungsinstrument der
EU für Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen. Daraus fließen 15,6 Millionen Euro
jährlich an zivilgesellschaftliche Akteure, die sich darum bewerben und
umfangreich ordnungsgemäße Ausgaben belegen müssen. Die Vorwürfe, dass NGOs
nicht transparent arbeiten oder Geld falsch verwenden, sind längst widerlegt.
Weder die Europäische Kommission noch der Europäische Rechnungshof haben auch
nur eine einzige Unregelmäßigkeit festgestellt. Dennoch haben die CDU/CSU mit
Unterstützung rechter Parteien wie der AfD im Europaparlament ein Extra-Gremium
zur Untersuchung von NGOs eingerichtet. Wo kein Skandal ist, wird einer
konstruiert – auf Kosten von Demokratie, Zivilgesellschaft und der
Glaubwürdigkeit des Europäischen Parlaments.
Großes Geld darf nicht den demokratischen Diskurs bestimmen und Klagen
schlagkräftiger Rechtsabteilungen dürfen nicht dazu missbraucht werden, Kritik
mundtot zu machen. Wenn legitimes zivilgesellschaftliches Engagement mit den
Mitteln des Rechtsstaats unterdrückt werden kann, bedarf es einer zusätzlichen
gerichtlichen Kontrolle. Denn Demokratie lebt von kritischer Öffentlichkeit.
Die Zahlen und Fakten zeigen: Rechte und Rechtskonservativen Parteien geht es
beim Kampf gegen die Zivilgesellschaft nicht um Wirtschaftlichkeit, nicht um
Sparmaßnahmen oder Rechtsstaatlichkeit oder Transparenz. Es geht Ihnen darum,
politisch Andersdenkende zu diskreditieren. Damit sägen sie an einem
Grundpfeiler der Demokratie. Wer in dem Glauben agiert, nur bestimmte NGOs oder
Teile der Zivilgesellschaft zu attackieren, verkennt, dass Angriff auf
Gemeinnützigkeit und Co. alle Vereine, NGOs und zivilgesellschaftliche Akteure
treffen.
1/ Wir wollen die Förderung zivilgesellschaftlicher Arbeit zur
Demokratieförderung, Verteidigung einer vielfältigen Gesellschaft, Prävention
von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und politischen Bildung als
staatliche Daueraufgabe von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung festschreiben.
Zudem braucht es für die nachhaltige Wirkung zivilgesellschaftlicher Arbeit mehr
Verlässlichkeit bei der Gewährung von Fördermitteln. Das Programm „Demokratie
leben!“ muss deshalb finanziell abgesichert und ein Demokratiefördergesetz
verabschiedet werden.
4/ Die EU hat im April 2024 eine Richtlinie „über den Schutz von Personen, die
sich öffentlich beteiligen, vor offensichtlich unbegründeten Klagen oder
missbräuchlichen Gerichtsverfahren“ beschlossen. Diese sog. „Anti-SLAPP-
Richtlinie“ muss nun so umgesetzt werden, dass sie missbräuchlichen
Prozessführung in der Praxis tatsächlich verhindert, und freie Wissenschaft,
Medien und Zivilgesellschaft schützt.
6/ Verbandsklagerechte für zivilrechtliche Organisationen bewirken viel
positiven gesellschaftlichen Fortschritt: für Verbraucher*innen, für den Abbau
von Benachteiligungen, für Umwelt- und Naturschutz oder für den Tierschutz. Den
Plänen der schwarz-roten Koalition, Verbandsklagerechte einzuschränken, stellen
wir uns entgegen. Sie sind Errungenschaften unseres Justizsystems und müssen
ausgebaut werden, zum Beispiel im Bereich Antidiskriminierung.
Begründung
Rechtsaußen Politiker haben Angst. Sie haben Angst davor, dass sich Menschen organisieren, versammeln und austauschen. Angst vor mehr als 20 Millionen Deutschen. So viele Menschen sind Mitglieder in Vereinen. Sie organisieren Feste, Wettkämpfe und die freiwillige Feuerwehr. Diese echten Begegnungen sorgen nicht nur für weniger Einsamkeit. Mit ihren gewählten Vorständen und Gremien sind Vereine auch gelebte Demokratie. Deshalb sät die AfD und ihr Umfeld Misstrauen gegen die Zivilgesellschaft, verbreitet Verschwörungserzählungen - und treibt die CDU/CSU dabei vor sich her. Deshalb müssen wir die Rechte von Vereinen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) schützen und sie gegen immer stärkere Angriffe verteidigen.