Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Anna Katharina di Bari (KV Bochum) und 154 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 34%) |
Status: | Eingereicht |
Angelegt: | 10.10.2025, 14:04 |
V-39: Der Organisierten Kriminalität den Riegel vorschieben
Antragstext
Organisierte Kriminalität verursacht enorme gesellschaftliche und
wirtschaftliche Schäden – in Deutschland, Europa und weltweit. Kriminelle
Akteur*innen arbeiten hochvernetzt und arbeitsteilig zusammen. Laut dem
Bundeslagebild Organisierte Kriminalität wird in mehr als zwei Dritteln der
polizeilichen Ermittlungen eine internationale Zusammenarbeit von Angehörigen
der Organisierten Kriminalität festgestellt.
Die durch die Organisierte Kriminalität verursachten Schäden sind enorm und eine
Gefahr für die Demokratie: Gewalt gegen Menschen destabilisiert global ganze
Länder – gerade im Drogenhandel. Einflussreiche Organisationen, wie die
italienische ’Ndrangheta oder die Cosa Nostra, erzielen Milliardengewinne und
bilden Strukturen, die rechtsstaatliche Strukturen unterwandern. Größere
Ermittlungsverfahren der letzten Jahre haben – auch in Deutschland – ein
Schlaglicht auf ihre Tätigkeiten geworfen. Doch es gibt viele Anzeichen, dass
sie nur die Spitze des Eisberges zeigen.
Denn Organisierte Kriminalität bleibt häufig unsichtbar: Gerade professionelle
Gruppen meiden die öffentliche Ausübung von Gewalt. Vielmehr setzten sie auf
eine Unterwanderung von Gesellschaft und Wirtschaft. Die gesellschaftlichen
Folgen sind aber nicht weniger relevant. Trotz eines häufig unauffälligen
Agierens von kriminellen Gruppen, lässt sich auch in Europa eine zunehmende
Gewaltbereitschaft feststellen. Beispiele hierfür sind die Mordanschläge auf
investigativen Journalisten*innen in den letzten Jahren. So wurden Daphne
Caruana Galizia 2017 in Malta, Ján Kuciak 2018 in der Slowakei und Peter Rudolf
de Vries 2021 in den Niederlanden getötet. Sie alle haben zur Organisierten
Kriminalität und Verbindungen in die Wirtschaft und Politik unerschrocken
recherchiert und kriminelle Aktivitäten aufgedeckt.
Als Bündnis 90/Die Grünen setzen wir auf einen multidisziplinären Ansatz, der
den Blick darauf richtet, wer die Betroffenen von Organisierter Kriminalität
sind und wie langfristig durch eine Zusammenarbeit von Strafverfolgung,
Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Justiz der Organisierten Kriminalität der
Riegel vorgeschoben werden kann. Wir arbeiten dafür, dass das Vorgehen gegen die
Organisierte Kriminalität ein wirklicher Schwerpunkt der Sicherheitspolitik
wird!
Ein wesentliches Merkmal der Organisierten Kriminalität ist es, andere
gesellschaftliche Bereiche zu durchdringen und die Wirtschaft zu unterwandern.
Gerade einflussreiche Akteur*innen setzen auf eine unverdächtig erscheinende
Fassade und haben wenig mit den schießwütigen Klischees gemein. Allerdings ist
der gesellschaftliche Schaden enorm, wenn Kriminelle im großen Maßstab in legale
Wirtschaftsbereiche investieren oder öffentliche Stellen korrumpieren - das gilt
etwa bei Immobilien oder in der Gastronomie. So werden Wettbewerbsbedingungen
verzerrt, rechtschaffene Unternehmer*innen geraten unter Druck und
Verbraucher*innen durch hohe Preise oder schlechte Produkte belastet.
Wir wollen, dass organisierte Wirtschaftsstraftaten in den Fokus genommen
werden. Dafür setzen wir auf einen stärkeren Austausch von Sicherheits-, Finanz-
und Ordnungsbehörden. Die Einflussnahme und Unterwanderung von staatlichen
Stellen müssen stärker betrachtet werden. Hierfür braucht es zuverlässige
Hinweisgeberstellen sowie eine verstärkte Aufklärung und Schulungen von
Verwaltungsangestellten und Beamt*innen.
Wir wollen, dass die Sicherheitsbehörden in die Lage versetzt werden, aufwändige
und komplexe Strukturermittlungsverfahren zu führen, die die häufig sehr
komplexen Netzwerke aufdecken Ermittlungserkenntnisse müssen konsequent verfolgt
und so der Ermittlungsdruck dauerhaft hochgehalten werden. Die systematisierte
Sammlung und das Zusammenführen von Ermittlungsergebnissen ist aufwendig - doch
nur so können Muster erkannt und Ermittlungen in diese Richtung gelenkt werden
können. Hierbei sollte auch häufiger die Expertise von Wissenschaftler*innen
genutzt werden. Es ist der aussichtsreichste Weg, um langfristig kriminelle
Netzwerke aufzuklären und Hintermänner zu überführen.
Dafür muss die Kriminalpolizei bei Bund und Länder gestärkt und mit ausreichend
und qualifizierten Personal ausgestattet werden. Das Bundeskriminalamt, die
Bundespolizei und der Zoll müssen hier einen klaren Schwerpunkt legen.
Quereinstiegsmöglichkeiten für Fachleute aus der Wissenschaft und Wirtschaft
müssen weiter ausgebaut werden, um externe Fachexpertise für die Polizei nutzbar
zu machen. Wir wollen, dass in der Aus- und Fortbildung und an den
Fachhochschulen der Polizei ein stärkerer Fokus auf die Bekämpfung des
organisierten Verbrechens gelegt wird.
Eine Moderne Polizeiarbeit braucht moderne Strukturen. Ebenso wie sich unsere
Gesellschaft rasant ändert, ändern sich auch kriminelle Vorgehensweisen. Gerade
die schnelle und tiefe Durchdringung der Digitalisierung bietet neue
Tatgelegenheiten. Ein Ausdruck hiervon sind digitale Betrugs- oder
Erpressungsdelikte. Gleichzeitig bieten solche Taten neue Ermittlungsansätze für
die Sicherheitsbehörden.
Wir wollen, dass die IT-Ausstattung zwischen den Ländern fortlaufend
modernisiert und dringende Investitionen getätigt werden. Polizeibehörden müssen
Daten zuverlässig und sicher austauschen können. Dafür muss die IT-Architektur
endlich harmonisiert und modernisiert werden. Daneben sind bürgerrechtsschonende
und effektive Instrumente der Datenauswertung notwendig. Hier setzen wir auf
deutsche und europäische Lösungen.
Kriminelle Gruppen arbeiten hochvernetzt und international zusammen. Damit
Behörden schlagfertig gegen Kriminelle vorgehen können, müssen wir die
Kooperation stärken. In Deutschland sind sechzehn Landeskriminalämter,
zahlreiche Polizeipräsidien, das BKA, die Bundespolizei, der Zoll und teils
sogar der Verfassungsschutz, mit der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität
betraut. Wir wollen durch die Schaffung eines „Gemeinsamen Zentrums zur
Bekämpfung der Organisierten Kriminalität“ die Zusammenarbeit der Behörden in
unserem föderalen System auf gesetzlicher Grundlage verbessern.
Wichtige Erfolge bei der Aufdeckung von OK-Netzwerken hat es durch die
gleichzeitige Ermittlung in verschiedenen EU-Ländern unter Beteiligung von
Eurojust gegeben, etwa bei einer gemeinsamen Operation “Eureka” im Jahr 2023 mit
Beamten aus zehn Ländern, bei der Haftbefehle aufgrund der Mitgliedschaft in
einer kriminellen Vereinigung, der systematischen Geldwäsche und des Handels mit
Betäubungsmitteln und Kokain vollstreckt wurden.
Diese Zusammenarbeit mit unseren europäischen Nachbarn möchten wir stärken.
Hierfür wollen wir die europäische Polizeibehörde Europol zu einem Europäischen
Kriminalamt weiterentwickeln und mit eigenen operativen Möglichkeiten
ausstatten. Die Kompetenzen der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) wollen
wir auf die grenzüberschreitende Bekämpfung der Organisierten Kriminalität
ausweiten. Gemeinsame europäische Ermittlungsverfahren (Joint-Investigation-
Teams) wollen wir fördern und durch den stärkeren Einsatz von Kontaktbeamt*innen
unterstützen. Die Gemeinsamen Zentren der Polizei in den Grenzregionen wollen
wir ausbauen und stärker im Vorgehen gegen die Organisierte Kriminalität nutzbar
machen.
Ein handlungsfähiger Rechtsstaat ist die Grundlage für ein erfolgreiches
Vorgehen gegen die Organisierte Kriminalität. Wir wollen, dass die Justiz
gestärkt und gut ausgestattet für komplexe OK-Verfahren wird. Daher ist die
konsequente Umsetzung des Pakts für den Rechtsstaat für uns von großer
Bedeutung, der z.B. die Schaffung von zusätzlichen Stellen in der Justiz
vorsieht. Wir wollen, dass Schwerpunktstaatsanwaltschaften für den Bereich der
Organisierten Kriminalität gegründet werden, um konsequenter gegen kriminelle
Gruppierungen vorgehen zu können.
Wir wollen, dass Menschen und ihren Familien ohne Aufenthaltstitel schnell und
unbürokratisch Schutz geboten und ein Bleiberecht zugesprochen wird, wenn sie
bei der Aufklärung von Straftaten mitwirken. Aussagen von Kronzeug*innen wollen
wir stärker bei der Aufklärung von Aktivitäten der Organisierten Kriminalität
nutzbar machen und hier die europäische Zusammenarbeit stärken. Wir wollen, dass
Organisierte Kriminalität besser verfolgbar wird. Geldwäsche und andere
Phänomene Organisierter Kriminalität werden in der juristischen Ausbildung
häufig vernachlässigt und in der Praxis aufgrund ihrer Komplexität häufig nicht
ausreichend priorisiert. Mit Schwerpunktstaatsanwaltschaften wie in NRW ändern
wir das - und setzen uns zudem für die Weiterentwicklung des Straftatbestands
der kriminellen Vereinigung ein, damit er ein scharfes und zielgenaues
Instrument wird.
Deutschland gilt als ein wichtiges Zielland für Geldwäsche. Eine vielbeachtete
Studie kommt gar zum Schluss, dass in Deutschland rund 100 Milliarden Euro
jährlich „gewaschen“ werden. Organisierte Kriminalität ist ohne Geldwäsche nicht
denkbar, das BKA stellt in rund einem Drittel der OK-Verfahren
Geldwäscheaktivitäten fest. Gleichzeitig bleiben die Vermögenssicherungen auf
einem relativ geringen Niveau.
Damit sich Verbrechen nicht lohnen, wollen wir die Vermögensabschöpfung stärker
nutzbar machen. Wir setzen uns dafür ein, dass das Instrument der
administrativen Abschöpfung von Vermögensgegenständen in Deutschland endlich
genutzt wird. Dieser Weg ermöglicht es, verdächtigen Vermögenswerte bereits
unterhalb der Schwelle für einen strafrechtlichen Anfangsverdacht nachzugehen.
Besonders bei komplexen Geldwäsche-Strukturen kommt der vortatenzentrierte
Ansatz an seine Grenzen, sodass ein Fokus auf präventiven Finanzermittlungen
eine effektivere Verfolgung von Finanzkriminalität ermöglicht.
Mit einer bundesweiten Servicestelle wollen wir die Expertise über den
Missbrauch von Kryptowährungen bündeln und für die Länder nutzbar machen. Um der
Verschleierung von Vermögenswerten durch komplexe und unübersichtliche
Unternehmensstrukturen entgegenzuwirken, wollen wir das Transparenzregister
weiterentwickeln.
Der Handel mit illegalen Drogen zählt seit jeher zu einem Hauptbetätigungsfeld
der Organisierten Kriminalität. Durch die Legalisierung von Cannabis haben wir
Teile des Marktes trockengelegt. Nun gilt es die Cannabisgesetzgebung
weiterzuentwickeln, damit Konsument*innen geschützt bleiben und der Handel mit
Cannabis langfristig dem Schwarzmarkt entzogen wird.
Enorme Umsätze erzielen kriminelle Gruppen mit dem Handel von Kokain.
Wiederholte Sicherstellungen von Kokain im Tonnenbereich – insbesondere im
Hamburger Hafen – haben Sicherheitsbehörden einen seltenen Einblick in den
internationalen Drogenhandel gegeben. Für uns ist klar, wenn kriminelle
Gruppierungen Drogen im Verkaufswert im Bereich von vielen hundert Millionen
Euro bewegen, erwächst hieraus ein ernsthaftes Sicherheitsrisiko. Wir wollen,
dass die dahinter liegenden Strukturen stärker in den Blick genommen und
zerschlagen werden. Wir wollen, dass Aufklärungs- und Präventionsprogramme
gestärkt werden, um den Konsum von illegalen Drogen zu reduzieren.
Die Organisierte Kriminalität hat häufig Überschneidungen zu anderen kriminellen
Milieus. So greifen terroristische Gruppierungen immer wieder auf die Expertise
oder illegale Dienstleistungen der Organisierten Kriminalität zurück. Beispiele
hierfür sind die Beschaffung von Waffen oder gefälschten Dokumenten.
Gleichzeitig lässt sich immer wieder feststellen, dass islamistische oder
rechtsextreme Gruppierungen mit illegalen Waren und vor allem Drogen handeln, um
ihre Aktivitäten zu finanzieren. Darüber hinaus lässt sich zunehmend
feststellen, dass autoritäre Staaten mit der Organisierten Kriminalität
zusammenarbeiten, um Warenflüsse zu organisieren und so Kontrollmechanismen und
Sanktionen zu umgehen.
Wir wollen, dass die Überschneidungen von Terrorismus und Organisierten
Kriminalität stärker betrachtet und Erkenntnisse systematisch und kontinuierlich
zusammengeführt werden. Internationale Verbindungen von unterschiedlichen
kriminellen Akteur*innen müssen stärker im Rahmen der europäischen Außen- und
Sicherheitspolitik aufgeklärt werden.
Ein nachhaltiges Vorgehen gegen kriminelle Gruppen kann nur gemeinsam mit der
Zivilgesellschaft gelingen. Wir wollen Gruppen und Organisationen stärken, die
Aufklärung betreiben oder als Anlaufstelle für von Kriminalität betroffene
Personen dienen. Dazu zählt, dass wir durch die Zivilgesellschaft gewonnene
Erkenntnisse stärker in die kriminalpolizeiliche Arbeit einbeziehen.
Gleichzeitig wollen wir die Arbeit der Sicherheitsbehörden, unter klaren
Voraussetzungen, stärker für die wissenschaftliche Forschung öffnen. Die
Forderung der Zivilgesellschaft nach einer unabhängigen Beobachtungsstelle zur
Organisierten Kriminalität unterstützen wir.
Wir wollen, dass zuverlässige Anlaufstellen bei den Sicherheitsbehörden für
Hinweisgeber oder aus der Kriminalität ausstiegswillige Personen geschaffen
werden. Investigative Journalist*innen spielen eine enorm wichtige Rolle bei der
Aufdeckung von kriminellen Aktivitäten und Netzwerken der OK. Wir wollen, dass
der Schutz von Journalist*innen gestärkt und höchste Priorität bei den
Sicherheitsbehörden erhält.