Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Sebastian Rössler (KV Odenwald-Kraichgau) und 68 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 42%) |
Status: | Eingereicht |
Angelegt: | 12.10.2025, 12:28 |
V-27: Gerechtigkeit stärken, Demokratie bewahren
Antragstext
Deutschland ist ein reiches Land. Leider sind die Vermögen in Deutschland jedoch
so ungleich verteilt wie in fast keinem anderen Land in Europa1. Die reichsten
10% der Bevölkerung besitzen hierzulande knapp 54% des Gesamtvermögens, die
ärmere Hälfte besitzt nicht einmal 3%1! Gleichzeitig sind über 50% des Vermögens
von den Vermögenden nicht erarbeitet worden, sondern wurden ererbt2.
Wir GRÜNE sehen sowohl die Sorgen der Menschen, die finanziell benachteiligt
sind, als auch die Sorgen derer, die die Demokratie durch einen Mangel an
sozialer Nachhaltigkeit akut in Gefahr sehen. Diese Sorgen nehmen wir sehr ernst
und wir fordern wirksame Maßnahmen, die dazu führen, dass die berühmte „Schere
zwischen Arm und Reich“ in Deutschland nicht weiter auseinander geht und dass
bei zentralen staatlichen Aufgaben wie Bildung, Infrastruktur und Sozialsysteme,
von denen in besonderem Maße Menschen mit weniger Vermögen profitieren, nicht
weiter gekürzt wird. Kurzum: wir fordern Maßnahmen, die Deutschland wieder zu
einem gerechteren und damit stabileren Land machen - zum Wohle der gesamten
Gesellschaft.
Um die Gerechtigkeistlücken zu schließen, die dafür sorgen, dass in Deutschland
Vermögende, die mehr als 100 Mio. Euro besitzen, in der Praxis deutlich
niedriger besteuert werden als Verteter*innen der Mittelschicht, und
Milliardär*innen in Deutschland sogar weniger Abgaben zahlen als ähnlich
Vermögende in der Schweiz3, wollen wir eine nationale Vermögensteuer i.H.v. 2%
für Vermögen über 100 Mio. Euro einführen, die damit ausschließlich die
reichsten etwa 5000 Haushalte betrifft.
Um Steuervermeidung bestmöglich zu unterbinden soll es keine Vermögenswerte
geben, die von der Steuer ausgenommen sind. Dem Argument, dass dies einen
immensen Aufwand bei der Erhebung der Steuer bedeutet, begegnen wir mit der
Tatsache, dass eine Prüfung in der Praxis nur bei einer sehr kleinen Anzahl an
Personen durchgeführt werden muss und die Erträge den Aufwand um Größenordnungen
übertreffen.
Gegner*innen der Vermögensteuer arbeiten gerne mit dem Schreckgespenst von
Arbeitsplatzverlusten und sonstigen negativen Auswirkungen einer solchen Steuer.
Hochvermögende erzielen jedoch durchschnittliche jährliche Vermögenszugewinne,
die den geforderten Steuersatz um ein Vielfaches übersteigen. Die Steuerlast
wird also in aller Regel aus dem Vermögenszugewinn geleistet werden können.
Damit stellen wir sicher, dass auch sehr große Familienunternehmer*innen durch
die Steuer keinem Druck zu einer Veräußerung ihrer Unternehmen ausgesetzt sind.
Da sehr vermögende Personen insbesondere durch klimaschädliche Investitionen pro
Kopf besonders viel CO2 ausstoßen, soll untersucht werden, inwieweit diese
Vermögensteuer eine Komponente erhalten kann, die klimafreundliche Investitionen
belohnt4. Eine solche Komponente entkräftet auch die häufig angeführten
Bedenken, wonach eine Vermögensteuer investitionshemmend wirken würde, da sie
nachhaltige, klimafreundliche Investitionen belohnen würde.
Um längerfristig dafür zu sorgen, dass Deutschland wieder von einer
„Erbengesellschaft“ zu einer „Leistungsgesellschaft“ wird, reicht es nicht, nur
jährlich einen Teil der Vermögenszugewinne über eine Vermögensteuer
abzuschöpfen. Zusätzlich bedarf es einer gerechteren Gestaltung der
Erbschaftsteuer.
Die aktuellen Regelungen zur Erbschaftsteuer enthalten eklatante
Gerechtigkeitslücken, die dafür sorgen, dass die Steuerlast effektiv regressiv
ist. D.h. je mehr man erbt, desto kleiner wird der Prozentsatz, der an
Erbschaftssteuer zu leisten ist. Wir möchten das System vom Kopf auf die Beine
stellen und wieder dafür sorgen, dass eine progressive Besteuerung stattfindet.
Dazu bekräftigen wir noch einmal unsere Forderung der 50. BDK in Wiesbaden5.
Aufgrund wissenschaftlicher Ergebnisse soll ein persönlicher Lebensfreibetrag
mindestens im siebenstelligen Bereich festgelegt werden, der insgesamt
steuerfrei ererbt werden kann. Der Betrag soll so gewählt werden, dass nur die
höchsten Erbschaften überhaupt von der Erbschaftsteuer betroffen sein werden.
Selbstgenutzter Wohnraum soll auch weiterhin geschützt sein.
Die vielen, teilweise zur kompletten Steuerbefreiung führenden
Verschonungsregelungen und Ausnahmen sollen entfallen (außer § 13 ErbStG, der
u.a. den Schutz von Familienheimen und von Zuwendungen für die Ausbildung
regelt), insbesondere sollen die Regelungen zur Ausnahme von Betriebsvermögen
von der Erbschaftsteuer abgeschafft werden. Die Besteuerung darf real nicht wie
heute regressiv sein.
Wie auch bei der Vermögensteuer, haben wir die Auswirkungen der Erbschaftsteuer
auf Unternehmensanteile und Arbeitsplätze fest im Blick. Um Unternehmen und
Arbeitsplätze nicht durch Liquiditätsengpässe zu gefährden, sollen großzügige,
langjährige Stundungsregelungsmöglichkeiten eingeführt werden, die Unternehmen
die Rückzahlung der Steuer dann ermöglichen, wenn sie diese aus ihrer Liqidität
heraus auch leisten können. Die Steuer kann unabhängig von der Art des
übertragenen Vermögens längerfristig gestundet und während des
Stundungszeitraumes in jährlichen Raten beglichen werden. Das schafft
Steuergerechtigkeit, sichert zugleich Arbeitsplätze und lässt Raum für
Investitionen.
Durch die Vermögensteuer alleine erwarten wir laut Studienlage jährliche
Einnahmen i.H.v. 25 Mrd. Euro4. Insgesamt werden die Maßnahmen zu
Steuermehreinnahmen im mittleren zweistelligen Milliardenbereich führen. Dadurch
gelingt es uns die Aufgaben der staatlichen Daseinsvorsorge, insbesondere
Bildung, Infrastruktur und soziale Absicherung, zu verbessern, von denen in
besonderem Maße Menschen mit keinem oder geringem Vermögen profitieren.
Da das Wirtschaftswachstum (und damit i.d.R. auch die Beschäftigtenquote) eines
Landes besonders dann durch gesteigerte Binnennachfrage profitiert, wenn die
Einkommensschwächsten ihren Einkommensanteil erhöhen können6, setzen wir mit
diesen Maßnahmen auch einen nachhaltigen Wachstumsimpuls für die Wirtschaft.
Wir sind fest davon überzeugt, dass die allermeisten Menschen gerne politisch in
der Mitte verbleiben möchten und sich nur in größter Not an Extreme und
Extremisten wenden. Dieses Maßnahmenpaket zeigt unmissverständlich, dass wir als
Partei aus der Mitte der Gesellschaft Antworten auf das drängende Problem der
Vermögensungleichheit haben. Es leistet damit nicht nur unmittelbar einen
Beitrag zum hohen Gut der Gerechtigkeit, sondern es trägt zur Sicherung unseres
sozialen Friedens und damit letztlich unserer freiheitlich demokratischen
Grundordnung bei, einer Errungenschaft, von der alle - ungeachtet ihres
Vermögens - letztlich profitieren.
Begründung
Die Begründung für diesen Antrag hat zwei wesentliche Dimensionen, nämlich eine inhaltliche und eine strategische, die im Folgenden klar dargelegt werden sollen.
Inhaltliche Begründung
Ausgangslage
Die Steuerlast für sehr vermögende Personen ist seit den frühen 1980er Jahren stark gesunken. Die Steuern auf Kapitalerträge sind von 56% auf etwa 26% (inklusive Solidaritätsbeitrag) und die Steuern auf Unternehmensgewinne von 62% auf unter 30% gesenkt worden. Die Idee dahinter war, dass durch die Entlastung der überaus Vermögenden ein Effekt einsetzen sollte, der dazu geführt hätte, dass durch vermehrte Investition und Konsum nach und nach auch die unteren Schichten der Gesellschaft profitieren (sog. „Trickle-Down-Ökonomie“). Nach nunmehr über 30 Jahren ist ein solcher Effekt laut führenden Wissenschaftler*innen nicht eingetreten.
„[…] eine Strategie des ‚Trickle Down‘ hat noch nie funktioniert und wird auch in der Zukunft nichts bringen, außer höhere Schulden und weniger Wohlstand.“ (Prof. Dr. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)) (Quelle)
Auch der Wirtschaftsweise Prof. Dr. Achim Truger sagte bereits 2021, dass die Steuerpolitik der letzten 30 Jahre die Ungleichheit verstärkt habe und dass es zumindest für Deutschland keine „Trickle-Down“-Wirkung gab. (Quelle)
Sogar Papst Franziskus stellte bereits 2013 in einem apostolischen Schreiben fest, dass die „Trickle-Down“-Ökonomie ein „undifferenziertes, naives Vertrauen auf die Güte derer aus[drückt], die die wirtschaftliche Macht in Händeln halten“. (Quelle)
Die deutsche Steuerpolitik führte im Ergebnis dazu, dass sehr Vermögende heute durchschnittlich geringere Abgabenlasten haben, als Vertreter*innen des Mittelstands. Milliardär*innen in Deutschland haben sogar eine geringere Abgabenlast als Milliardär*innen in der Schweiz. (Quelle)
Insbesondere in Zeiten knapper Kassen, dringend benötigter Investitionen und schwindendem sozialen Zusammenhalt ist es unbedingt nötigt, dass wir hier entschieden gegensteuern und wieder für mehr Gerechtigkeit sorgen.
Positive wirtschaftliche Auswirkungen
Während die Gegner*innen von Substanzsteuern, wie Erbschaft- bzw. Vermögensteuern regelmäßig große Vorbehalte bezüglich etwaiger negativer wirtschaftlicher Auswirkungen von solchen Steuern anführen, soll hier auf positive wirtschaftliche Auswirkungen solcher Steuern hingewiesen werden.
Das deutsche Wirtschaftsmodell basierte in der Vergangenheit wesentlich auf starken Exporten, die in der aktuell herausfordernden Weltlage mehr und mehr unter Druck geraten. Wirtschaftswissenschaftler sind sich einig darin, dass die Antwort darauf eine Stärkung der Binnennachfrage sein muss.
Studien des Internationalen Währungsfonds ergaben, dass entgegen der „Trickle-Down“-Logik das Wirtschaftswachstum von Ländern gerade dann durch erhöhte Binnennachfrage zunimmt, wenn die Einkommensschwächsten ihren relativen Anteil am Gesamteinkommen vergrößern können (Quelle). Genau dazu führt das hier vorgeschlagene Maßnahmenpaket, da wir die Steuermehreinnahmen aus den Vermögen von Überreichen dazu verwenden wollen, staatliche Leistungen zu finanzieren, von denen in besonderem Maße ärmere Menschen profitieren. Als plakative Beispiele seien hier die Preisstabilisierung des Deutschlandtickets oder der Ausbau der Betreuungsangebote für (Klein-)Kinder genannt. Von letzterem profitiert die Wirtschaft gleich doppelt, da insbesondere Frauen in Lohnarbeit kommen, die bisher aufgrund eines Mangels an Alternativen mit der Betreuung von Kindern beschäftigt sind.
Ökologische Lenkungswirkung
Sehr vermögende Menschen haben laut Studienlage einen bis zu 44 mal höheren CO2 Ausstoß im Vergleich zu dem eines durchschnittlichen Menschen in der unteren Einkommenshälfte. Dieser enorm hohe CO2 Ausstoß wird zum Großteil durch klimaschädliche Investitionen ausgelöst. Um dem zu begegnen befürworten wir die Untersuchung einer möglichen Zusatzbelastung bei der Vermögensteuer für diejenigen, deren Investitionen nicht mit den Paris-Zielen übereinstimmen.
Damit bekommt die Vermögensteuer nicht nur eine soziale und finanzpolitische sondern auch eine klimapolitische Lenkungswirkung und führt somit zu einer Win-Win-Win-Situation.
Strategische Begründung
Der Anteil derer, die ein geringes oder kein Vertrauen in Exekutive und Legislative in Deutschland haben, steigt seit Jahren und erreicht aktuell etwa die Hälfte der Menschen (Quelle). In dieser Situation muss allen Beteiligten klar werden, dass ein einfaches "Weiter so!" keine Option sein kann. Die bedeutenden demokratischen Parteien tun sich jedoch offensichtlich schwer damit, sich an diese Situation anzupassen und Antworten zu geben, deren Größe der Größe der Herausforderungen angemessen sind.
Dadurch entsteht ein politisches Vakuum, das bisher insbesondere Rechtsextreme für sich zu nutzen wissen. Diese Entwicklung ist eine echte Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung und damit für das Fundament unserer Gesellschaft.
62% der Menschen ingesamt, 84% unserer Wähler*innen und sogar 55% der Unionswähler*innen stimmen der Einführung einer Vermögensteuer ab 1 Mio. Euro zu (Quelle). Die Zustimmungswerte zu einer Vermögensteuer ab 100 Mio. Euro, wie sie in diesem Antrag vorgeschlagen wird, wären logischerweise noch einmal deutlich höher.
Wir GRÜNE verstehen, dass ein Mangel an Gerechtigkeit in bedeutendem Maße zum Vertrauensverlust in unser System beigetragen hat.
Dieser Antrag soll zeigen dass wir das Thema Gerechtigkeit bei der Stabilisierung unserer Gesellschaft als zentral ansehen und wir bereit sind, große Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit zu geben.
Quellen
1 Bundesbank: „Vermögen und Finanzen privater Haushalte in Deutschland: Ergebnisse der Vermögensbefragung 2023“, Link
2 Finanzwende Recherche, „Die eklatante Vermögensungleichheit unserer Erbengesellschaft“, Link
3 Netzwerk Steuergerechtigkeit, „Superreiche (wieder) gerecht besteuern.“, Link
4 Greenpeace „Billions for Millions“, Link
5 Bündnis 90/ DIE GRÜNEN, „Für mehr Gerechtigkeit und Effizienz: Erbschaftsteuer reformieren“, Link
6 IWF, „Causes and Consequences of Income Inequality”, Link