Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Yasmin Vadood (KV Berlin-Tempelhof/Schöneberg) und 51 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 58%) |
Status: | Eingereicht |
Angelegt: | 16.10.2025, 12:39 |
V-37: Geschlechtsspezifisches Töten sichtbar machen – Femizid als Mordmerkmal in § 211 StGB verankern
Antragstext
Zwar können Tötungen aus Misogynie, Besitzdenken oder patriarchaler Motivation
bereits heute als Mord aus niedrigen Beweggründen eingeordnet werden. In der
Praxis werden solche Motive jedoch häufig verkannt oder unzureichend gewürdigt.
Ein ausdrückliches Mordmerkmal würde diese strukturellen Zusammenhänge
verdeutlichen und die Anwendungspraxis stärken.
In den Gesetzesmaterialien ist klarzustellen, dass darunter insbesondere Taten
fallen, die aus Besitzanspruch, Kontrolle, Misogynie, patriarchalem Machtdenken
oder transfeindlicher Motivation begangen werden, oder solche, die im
Zusammenhang mit einer Trennung, Zurückweisung oder der Bestrafung weiblicher
oder geschlechtlicher Selbstbestimmung stehen.
Darüber hinaus setzen sich Bündnis 90/Die Grünen dafür ein, dass
geschlechtsspezifische Tötungen künftig statistisch gesondert erfasst werden, um
die strukturellen Ursachen geschlechtsspezifischer Gewalt sichtbar zu machen.
Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte sollen verpflichtend zu patriarchaler
Gewalt, geschlechtsspezifischen Motiven, Misogynie und Transfeindlichkeit
fortgebildet werden. Die Thematik soll zudem verpflichtend im
rechtswissenschaftlichen Studium behandelt werden.
Begründung
In Deutschland wird nahezu jeden dritten Tag eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet. Laut dem BKA-Lagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ (2023) waren 938 Frauen und Mädchen Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten, darunter 360 getötete Frauen.
Diese Taten sind Ausdruck patriarchaler Gewaltverhältnisse, nicht individueller Konflikte. Sie beruhen auf Besitzdenken, Kontrollverhalten und dem Anspruch, über das Leben und die Freiheit von Frauen zu verfügen.
Auch trans, inter und nicht-binäre Menschen sind überdurchschnittlich häufig von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen. Ihre Tötungen entspringen denselben patriarchalen und misogynen Strukturen, die Frauenfeindlichkeit und Transfeindlichkeit miteinander verbinden.
Das deutsche Strafrecht nennt geschlechtsspezifische Beweggründe bislang nicht ausdrücklich, auch wenn solche Motive bereits unter das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe fallen können. In der gerichtlichen Praxis werden geschlechtsspezifische Tatmotive bislang uneinheitlich berücksichtigt, sodass die strukturelle Dimension solcher Taten häufig nicht sichtbar wird.
Die Istanbul-Konvention verpflichtet Deutschland, geschlechtsspezifische Motive bei der Strafverfolgung ausdrücklich zu berücksichtigen (vgl. Art. 3 Buchst. d und Art. 46 lit. a Istanbul-Konvention, Europarats-Übereinkommen Nr. 210 vom 11. Mai 2011). Gleiches ergibt sich aus der CEDAW-Konvention (Gesetz zu dem Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, BGBl. II Nr. 17 vom 03. Mai 1985, S. 647 ff.) sowie den Empfehlungen des GREVIO-Ausschusses, der Deutschland nachdrücklich auffordert, geschlechtsspezifische Tatmotive insbesondere bei Tötungsdelikten systematisch zu erfassen und bei der Strafzumessung zu berücksichtigen (GREVIO-Inf (2022) 21, Rn. 60, 275 ff., Appendix I Nr. 50). Eine Ergänzung des Mordtatbestands um geschlechtsspezifische Beweggründe würde diese Verpflichtungen umsetzen und die strafrechtliche Bewertung geschlechtsspezifischer Gewalt systematisch schärfen.
Eine ausdrückliche Benennung geschlechtsspezifischer Beweggründe hätte zudem über die juristische Dimension hinaus eine wichtige symbolische und gesellschaftliche Wirkung. Sie würde deutlich machen, dass solche Taten keine „Familiendramen“ sind, sondern Ausdruck patriarchaler Machtverhältnisse. Damit würde das Strafrecht dazu beitragen, geschlechtsspezifische Gewalt als strukturelles Problem sichtbar zu machen.
Mit dieser Reform wird das Strafrecht feministisch und inklusiv weiterentwickelt. Es benennt, was bislang verschleiert wurde: dass geschlechtsspezifisches Töten Ausdruck von Macht, Kontrolle und strukturellem Hass ist und dass es alle betrifft, die aufgrund ihrer tatsächlichen oder zugeschriebenen Geschlechtsidentität Ziel solcher Gewalt werden.
Ein modernes Strafrecht darf nicht neutral gegenüber Ungleichheit bleiben. Es muss sichtbar machen, wo patriarchale Gewalt Leben kostet und dafür sorgen, dass niemand aufgrund seines Geschlechts oder seiner Geschlechtsidentität um sein Leben fürchten muss.