Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
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Tagesordnungspunkt: | A Außenpolitik: Ukraine und Naher Osten |
Antragsteller*in: | BAG Frieden & Internationales (dort beschlossen am: 12.10.2025) |
Status: | Eingereicht |
Angelegt: | 12.10.2025, 15:59 |
A-02: Leitlinien Grüner Nahostpolitik
Antragstext
In Bekenntnis zu den universellen Menschenrechten, zur grundsätzlichen
Herrschaft des Rechts und dem allgemeinen und humanitären Völkerrecht im
Besonderen, darunter auch dem Selbstbestimmungsrecht aller Völker;
Die universellen Menschenrechte sind unverhandelbar und unteilbar, und gelten
für alle Menschen, unabhängig von Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Geschlecht,
Identität, sexueller Orientierung, Religion und Weltanschauung. Sie zu schützen
und wirksam durchzusetzen, ist Kern unserer grünen Überzeugung.
Mit dem Völkerrecht und seinen Institutionen stehen wir ein für eine
internationale Ordnung, die sich an universellen Menschenrechten, demokratischen
Prinzipien und rechtsstaatlichen Verfahren orientiert.
In Anbetracht der historischen Schuld und Verantwortung Deutschlands für den
Holocaust und der daraus erwachsenden Verpflichtung, das Existenzrecht und die
Sicherheit des Staates Israel als Heimstätte von Jüd*innen aus aller Welt zu
schützen, ebenso wie jeder Form von Antisemitismus und Judenhass entschlossen
entgegenzutreten;
Geleitet von dem Grundsatz der menschlichen Sicherheit, der die Sicherheit des
Individuums – seine Freiheit von existenzieller Furcht und die Freiheit von Not
– in den Mittelpunkt stellt und anerkennt, dass die Sicherheit von Israel*innen
und Palästinenser*innen untrennbar miteinander verbunden und damit gegenseitige
Voraussetzung für eine nachhaltige Friedenslösung sind;
Entschieden verurteilend das Vorgehen der israelischen Regierung im
Gazastreifen, das zu unzähligen Opfern geführt hat, die große Mehrheit von ihnen
Zivilist*innen – darunter in unverhältnismäßig hohem Maße Frauen, Kinder und
besonders vulnerable Gruppen – sowie bewusste Angriffe auf humanitäre
Helfer*innen und Journalist*innen, wiederholte Vertreibungen, die Zerstörung
ziviler Infrastruktur, die Blockade humanitärer Hilfe – mithin des Aushungerns,
die eine humanitäre Katastrophe ausgelöst hat;
Verurteilend die Taten aller Akteur*innen, die einer friedlichen Lösung
entgegenstehen – insbesondere den Terrorismus der Hamas und anderer
Gruppierungen, die Israels Existenzrecht gewaltsam negieren, ebenso die
völkerrechtswidrigen Handlungen und Kriegsverbrechen der israelischen Regierung,
die zu unermesslichem Leid der Zivilbevölkerung geführt haben;
Verurteilend, dass der anhaltende völkerrechtswidrige Siedlungsbau und Landraub
in den besetzten Gebieten, die geduldete und teilweise unterstützte Gewalt von
Siedler*innen, die politische Unterdrückung moderater Kräfte auf
palästinensischer Seite und die Abwesenheit von Verhandlungen den Konflikt
weiter verschärfen, die Grundlage der Zwei-Staaten-Lösung und jede andere
Friedenslösung akut gefährden, sowie dadurch Rechtsstaatlichkeit und Demokratie
systematisch zerstören;
Überzeugt, dass nur eine auf Gerechtigkeit, Kompromiss und gegenseitigem Respekt
basierende Friedensvereinbarung – insbesondere die Umsetzung der Vision von zwei
Staaten, Israel und Palästina, die Seite an Seite in anerkannten Grenzen leben –
den Menschen beider Seiten auf Dauer Sicherheit, Freiheit, Gleichberechtigung
und Würde garantieren kann;
Über den israelisch-palästinensischen Konflikt hinaus Schritte zu einer
umfassenderen Friedensordnung im Nahen und Mittleren Osten unter anderem durch
regionale Dialogformate unterstützend – etwa im Rahmen eines Helsinki-Prozesses
für den Mittleren Osten, in dem Sicherheitsgarantien, Rüstungsbegrenzung,
wirtschaftliche Kooperation, Klima- und Umweltkooperation und präventive
Sicherheitspolitik verhandelt werden könnten – dies verbunden mit dem Ziel der
Schaffung einer Region ohne Massenvernichtungswaffen;
Die Freundschaft zwischen Deutschland und Israel ist nach der Shoah keine
Selbstverständlichkeit - sie ist ein Geschenk, das maßgeblich auch getragen ist
von den tiefen gesellschaftlichen Banden. In Deutschland leben außerdem
zahlreiche Menschen mit familiären, freundschaftlichen und emotionalen
Verbindungen in die palästinensischen Gebiete und die gesamte Region. Ihre Sorge
um die Menschen in Gaza und der ganzen Region, ihre Trauer um die zivilen Opfer
gehören zu unserem Land und teilen wir.
Bündnis 90/Die Grünen treten für eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung ein. Nur
diese bietet die Grundlage, das Recht auf Selbstbestimmung beider Völker zu
erfüllen – den Fortbestand Israels als demokratischen Staat und sichere
Heimstätte für Jüd*innen aus aller Welt und die Schaffung eines souveränen,
demokratischen Staates Palästina. Deutschland soll sich mit Nachdruck gegenüber
allen Beteiligten dafür einsetzen, dass diese Perspektive offengehalten und
aktiv angestrebt wird. Ein einseitiger Bruch jedweder Seite mit der Zwei-
Staaten-Prämisse wird abgelehnt, ebenso das strategische Untergraben einer
politischen Lösung durch die israelische Regierung durch Siedlungen, die
Behinderung palästinensischer Politiker*innen oder die bewusste Stärkung
radikaler Kräfte wie der Hamas.
Die besondere historische Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels
bleibt unverrückbarer Grundsatz grüner Politik. Das Existenzrecht Israels ist
bedingungslos und nicht verhandelbar. Die Grünen stehen ein für Israels Recht
auf Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UN-Charta unter Berücksichtigung der
jeweils anwendbaren Normen des humanitären Völkerrechts. Wir benennen aber, wenn
militärisches Vorgehen diesen Rahmen verlässt, wie es in Gaza passiert.
Zugleich verstehen wir Sicherheit immer umfassend und im Sinne der menschlichen
Sicherheit. Wir wirken politisch darauf hin, dass Sicherheit nicht nur
militärische Abwehr von Bedrohungen und damit auch die Befähigung zur Abwehr von
Bedrohungen umfasst, sondern auch friedliche Koexistenz und Einhaltung von
Menschenrechten, Völkerrecht und rechtsstaatlichen Prinzipien in der Region.
Menschliche Sicherheit bedeutet in allererster Linie ein Verständnis von
Sicherheit, das von jedem einzelnen Menschen ausgeht. Deswegen muss Sicherheit
für alle Menschen in der Region, für Israelis und Palästinenser*innen, kommen.
Zugleich besteht für Deutschland auch die historisch begründete politische
Verantwortung, für das Völkerrecht einzutreten, sowie auf die Vermeidung von
Krieg und Gewalt, Völkermord und Menschenrechtsverletzungen hinzuwirken und für
bedrohte Minderheiten sowie für die Opfer von Unterdrückung und Verfolgung
einzutreten. Das ist auch eine Lehre aus der unermesslichen Zerstörung, dem
unermesslichen Leid, das Diktatur und Weltkrieg über die Staatengemeinschaft
gebracht hatten.
Diese Pflichten bestehen nicht alternativ zueinander und sind kein Widerspruch,
sie bedingen sich gegenseitig, gelten gleichzeitig und umfassen neben der
historischen und moralischen, auch die rechtliche Verantwortung Deutschlands für
die Einhaltung des (humanitären) Völkerrechts und der Menschenrechte.
Deutschland muss sich – auch und gerade aufgrund seiner Verantwortung gegenüber
dem israelischen Staat und seiner Bürger*innen – zu den aus dem Völkerrecht
ergebenden Verpflichtungen bekennen und alle nötigen Maßnahmen treffen,
beispielsweise die Anordnungen des IGH zur Lage in Gaza umsetzen.
Für uns Grüne heißt das: an der Seite Israels stehen, wenn es bedroht wird, und
auf Frieden und die Einhaltung des allgemeinen und humanitären Völkerrechts
hinzuwirken, weil dauerhaft Sicherheit nur durch politische Lösungen zu
erreichen ist. Solidarität mit Israel heißt auch, die demokratische
Zivilgesellschaft und politische Opposition verstärkt zu unterstützen, wenn die
Regierung demokratische Strukturen infrage stellt und beschädigt. Unabhängig von
wechselnden Regierungen und dem aktuell schwer belasteten deutsch-israelischen
Verhältnis bleibt Deutschlands Schutzgarantie für das Land und die Menschen
erhalten.
Auch wenn Deutschland nicht die gleiche, historisch bedingte, Partnerschaft mit
Palästina verbindet, so verpflichtet uns jedoch unsere Geschichte auch zum
absoluten Einsatz für die Einhaltung der Menschenrechte und des Völkerrechts,
unter anderem das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Diese Rechte gilt es immer
zu verteidigen, insbesondere aber angesichts der Kriegsverbrechen der
israelischen Regierung im Gazastreifen und dem Leiden der palästinensischen
Bevölkerung.
Auch gegenüber der palästinensischen Führung muss klargestellt werden, dass nur
Gewaltverzicht, Achtung der Menschenrechte und eigene demokratische Strukturen
den Weg zu Eigenstaatlichkeit ebnen. Wir unterstützen legitime, demokratische
Regierungsstrukturen in Palästina und die dringend notwendige Reform dieser
Strukturen. Dass terroristische Vereinigungen wie die Hamas in einer möglichen
Nachkriegsordnung und in den palästinensischen Regierungsstrukturen keine Rolle
spielen dürfen, ist selbstverständlich.
Wir erkennen, dass die bisherige Politik der Appelle und der stillen Diplomatie
im Verhältnis zur israelischen Regierung weitgehend gescheitert ist. Daraus
ergibt sich die Notwendigkeit einer aktiveren Außenpolitik, die, vorzugsweise im
EU-Verbund – zuvorderst initiiert und vermittelt, aber auch abgestufte
Zwangsmaßnahmen, Sanktionen und andere Einschränkungen einsetzt. Die deutsche
Bundesregierung muss hier ihre Blockade – z.B. gegen das Maßnahmenpaket der
Kommission - aufgeben und darf sich nicht weiter europäisch und weltweit
isolieren.
Die Grünen setzen das Prinzip der Unteilbarkeit der Menschenrechte in den
Mittelpunkt ihrer Nahostpolitik. Wir verlangen von allen Konfliktparteien,
internationales Recht und insbesondere das humanitäre Völkerrecht einzuhalten.
Jegliche Form von Annexion und Vertreibung ist völkerrechtswidrig und wir lehnen
sie kategorisch ab. Terroranschläge wie jene vom 7. Oktober 2023 werden ohne
jede Relativierung verurteilt. Kriegsverbrechen, sei es seitens der Hamas oder
der israelischen Regierung, dürfen nicht toleriert werden. Ein Waffenstillstand,
das Ende des Krieges, die Freilassung der Geiseln und der Zugang für humanitäre
Hilfe haben oberste Priorität.
Gerade weil wir Israels Recht auf Selbstverteidigung verteidigen, erwarten wir,
dass israelische Militäroperationen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und
Schonung von Zivilisten strikt beachten. Im Zuge der aktuellen Kriegsführung
verstößt die israelische Regierung auf vielen Ebenen gegen diese Grundsätze des
humanitären Völkerrechts und begeht Kriegsverbrechen, sowohl durch eine
erkennbare Änderung der Einsatztaktiken, die Zielauswahl, Angriffe auf Schutz-
und Hilfesuchende, Journalisten und humanitäre Helfer, wiederholte Vertreibungen
und die systematische Zerstörung von ziviler Infrastruktur und Blockade
humanitärer Hilfe und damit dem Einsatz von Hunger als Waffe.
Wir begrüßen und unterstützen alle internationalen Initiativen, Vorfälle von
Völkerrechtsbruch (z.B. Angriffe auf Zivilisten, Geiselnahmen, Einsatz von
verbotenen Waffen und fehlende oder eingeschränkte Versorgung besetzter Gebiete
mit humanitärer Hilfe) unabhängig untersuchen zu lassen. Deutsche Nahostpolitik
soll aktiv dafür werben, dass Verstöße transparent aufgeklärt und geahndet
werden – etwa durch Zusammenarbeit mit UN-Untersuchungskommissionen oder dem
Internationalen Strafgerichtshof.
Wir fordern auch deswegen eine verstärkte Unterstützung für den Internationalen
Strafgerichtshof (IStGH), um ihn wirksam vor Sanktionen Dritter zu schützen und
die Einhaltung des Römischen Statuts zu stärken, auch im Hinblick auf die
Haftbefehle gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und
den ehemaligen israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant. Niemand steht
über dem Gesetz. Gerade jetzt braucht es ein klares Bekenntnis Deutschlands zu
den unabhängigen internationalen Rechtsinstitutionen. Denn das Recht und seine
Institutionen sind so stark wie diejenigen, die für es einstehen.
Deutschland soll sich aktiv und rechtsstaatlich an Verfahren internationaler
Institutionen beteiligen – etwa durch Rechtshilfe, fundierte Stellungnahmen und
Vollstreckungshilfe – ohne die Unabhängigkeit von Staatsanwaltschaften und
Gerichten zu berühren. Straftaten, die Frieden und Sicherheit untergraben
(insbesondere Kriegsverbrechen, Terrorismus und Aufstachelung zum Völkermord),
soll Deutschland begegnen, wo rechtlich möglich, mit gerichtlichen Mitteln und
ergänzend mit gezielten EU-Sanktionen wie Einreiseverboten und dem Einfrieren
von Vermögenswerten.
Wir fordern gegenüber der israelischen Regierung die Einhaltung des humanitären
Völkerrechts, Waffenruhen, Waffenstillstand, Schutz und das Zulassen der
Versorgung der Zivilbevölkerung, wie es auch im Rahmen der G7-Prinzipien (keine
Vertreibung der Bevölkerung, keine dauerhafte Besatzung Gazas, keine
Gebietsannexion, keine Entscheidungen über Gazas Status ohne palästinensische
Beteiligung) vereinbart wurde.
In Deutschland wie in Europa insgesamt verpflichtet uns unsere Geschichte und
unser Werteverständnis, jeglicher Form von Diskriminierung, Judenfeindlichkeit
und anti-muslimischem Rassismus entschlossen entgegenzutreten. Der anhaltende
Krieg in Nahost wirkt sich erheblich auf das gesellschaftliche Zusammenleben in
Deutschland aus. Jüdische, muslimische, israelische und palästinensische
Communities sind Teil unserer vielfältigen Gesellschaft. Für ihren Schutz und
ihre Entfaltung setzen wir uns ein.
Angesichts des starken Aufflammens von antisemitischer und antiisraelischer
Polemik und Angriffen gegenüber jüdischen Bürger*innen und jüdischen
Einrichtungen wie auch angesichts des Aufkommens islamfeindlicher Parolen und
Agitationen gegenüber muslimischen Bürger*innen, ganz besonders der vielfältigen
palästinensischen Community in Deutschland, und muslimischen Einrichtungen
stellen wir fest: Wir dulden weder antisemitische Hetze,
Holocaustrelativierungen oder Angriffe auf jüdische Bürger*innen und
Einrichtungen noch das Aufflammen von antimuslimischen Rassismus und damit
einhergehenden Ausgrenzungen, Hetze und Angriffe gegen Menschen arabischer und
palästinensischer Herkunft.
Die Meinungs-, Wissenschafts- und Kunstfreiheit müssen auch in aufgeheizten
Zeiten gewährleistet bleiben. Gerade dazu müssen sichere Diskursräume geschaffen
werden, in denen alle Menschen, besonders Menschen mit Verbindungen in die
Nahostregion, ohne Angst vor Diskriminierung oder Gewalt teilhaben können.
Wir setzen uns für eine offenere und differenziertere öffentliche Debatte ein,
die verschiedene Perspektiven zulässt, ohne Extremismus zu fördern. Wir
differenzieren klar zwischen strafrechtlich relevanten Aussagen und jenen, die
uns nicht gefallen mögen, aber im Zuge der Meinungsfreiheit zulässig und zu
diskutieren sind. Die Kriminalisierung friedlicher politischer
Meinungsäußerungen lehnen wir ab, ebenso wie die Verherrlichung von Gewalt und
Terror. Wir stellen fest, dass es im öffentlichen Raum vielfach zu einer
Verengung des Diskurses und einem erschreckenden Fehlen von Empathie für die
jeweils andere Seite kommt.
Deutsche Innenpolitik und Integrationsarbeit müssen dafür sorgen, dass Konflikte
in Nahost nicht zu unversöhnlichen Frontstellungen zwischen verschiedenen
Communities in Deutschland führen. Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der alle
Menschen unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion sicher leben und ihre
Meinung frei äußern können.
Die derzeit blockierten Friedensverhandlungen müssen wiederbelebt werden.
Deutschland soll sich gemeinsam mit Partnern in der EU für eine internationale
Nahost-Friedenskonferenz einsetzen, die den derzeit blockierten Friedensprozess
wiederbelebt. Hierbei ist an ein Format unter Schirmherrschaft der UNO oder des
Nahost-Quartetts (ggf. erweitert um regionale Akteure wie Ägypten, Jordanien,
Golfstaaten) zu denken. Die Initiativen von Frankreich und Saudi-Arabien
unterstützen wir. Ziel muss es sein, direkte Verhandlungen zwischen Israel und
der palästinensischen Vertretung (unter Einbindung der palästinensischen
Autonomiebehörde, der PLO und – falls möglich – moderater Kräfte aus Gaza)
wieder in Gang zu bringen. Die Konferenz soll einen neuen Rahmen schaffen, der
von beiden Seiten akzeptiert wird und realistische Zeitpläne für Schritt-für-
Schritt-Lösungen vorgibt.
- die Beendigung der Besatzung durch einen gestuften Rückzug und
Sicherheitsarrangements, welche die palästinensische Souveränität
respektieren und gleichzeitig Israels legitime Sicherheitsbedürfnisse
erfüllen, sodass weder Terrorismus erneut auflebt noch neue Bedrohungen
(z.B. aus Gaza oder von radikalen Gruppen) ungebannt bleiben,
- eine Lösung für Jerusalem nach dem Prinzip „zwei Staaten, eine Stadt“:
Beide Seiten sollen ihre Hauptstadt in Jerusalem haben können (West-
Jerusalem für Israel, Ost-Jerusalem für Palästina), bei garantierter
Zugangsfreiheit zu den heiligen Stätten für alle und
Verwaltungsvereinbarungen für die Altstadt; kurz: Jerusalem als gemeinsame
Hauptstadt beider Staaten in beidseitigem Einvernehmen,
- eine gerechte und verhandelte Lösung der Flüchtlingsfrage, die sowohl das
Leid der palästinensischen Flüchtlinge anerkennt als auch die
Aufnahmekapazitäten und historischen Entwicklungen berücksichtigt (denkbar
sind z.B. ein Rückkehrrecht in den künftigen Staat Palästina,
Entschädigungen, begrenzter Familiennachzug nach Israel auf humanitärer
Basis und ein international finanziertes Entschädigungs- und Resettlement-
Programm),
Zusätzlich soll im EU-Verbund ein DDR-Prozess (Disarmament, Demobilization,
Reintegration) angestoßen werden, welcher sich insbesondere an Kämpfer
terroristischer Gruppierungen in Gaza und der West Bank sowie radikale und
bewaffnete Siedler richtet. Hierbei beziehen wir uns auf die diesbezügliche EU-
Strategie, welche diverse Instrumente zur Umsetzung bereithält.
Die Bundesdelegiertenkonferenz unterstreicht, dass Deutschland und Europa bereit
sein sollten, für eine solche Initiative diplomatisches Kapital einzusetzen und
auch Gegenwind in Kauf zu nehmen. Gerade gegenüber einer unkalkulierbaren US-
Politik muss Europa eigenständiger handlungsfähig sein und seine Vorstellungen
von einer gerechten Friedenslösung einbringen. Die Europäische Union soll ihre
Rolle aus der Zuschauerposition lösen und zum aktiven Mitgestalter werden – auch
durch geschlossenes Auftreten gegenüber den Konfliktparteien und die deswegen
notwendige Aufgabe der deutschen Blockade. Ziel ist es, den derzeitigen
Stillstand zu überwinden und den Teufelskreis von Gewalt ohne politische
Perspektive zu durchbrechen.
Hierzu fordern wir ebenso in Verbund mit der EU einen Transitional Justice
Prozess in Israel und Palästina anzustoßen. Dieser basiert auf den grundlegenden
Prinzipien des Rechts auf Wahrheit, Rechts auf Gerechtigkeit, Rechts auf
Wiedergutmachung und Garantien der Nicht-Wiederholung und sollten bereits im
Rahmen des Friedensprozesses angewandt werden.
Ein wesentlicher Fortschritt für regionalen Frieden waren die Abraham Accords,
die 2020 diplomatische Beziehungen zwischen Israel und mehreren arabischen
Staaten begründeten. Wir begrüßen diese Accords als Meilenstein für
wirtschaftliche Kooperation und Sicherheitsarchitektur in der Region und
unterstützen zusätzlich die IMEC-Initiative, die multilaterale
Entwicklungsprojekte in Infrastruktur, Bildung und Technologie anstrebt. Diesen
Initiativen müssen weitere Folgen, die die Stärkung der Zivilgesellschaft, der
zivilen Konfliktbearbeitung, den innergesellschaftlichen Dialog und zur
Sicherung der Grundbedürfnisse im Mittelpunkt stellen. Dabei muss die
gleichberechtigte Teilhabe aller Akteur*innen, insbesondere der
Palästinenser*innen, an diesen Programmen gesichert sein, um nachhaltiges
Vertrauen und Wohlstand zu fördern. Wir würdigen auch die Bemühungen Saudi-
Arabiens zur Normalisierung seiner Beziehungen zu Israel. Grundsätzlich dürfen
alle Prozesse und Friedenslösungen nicht über die Köpfe der Palästinenser*innen
erfolgen, sondern müssen ihre Rechte und Perspektiven integraler Bestandteil
jeglicher Verhandlungslösung sein.
Der Konflikt zwischen Israel und Palästina darf nicht isoliert betrachtet
werden: Ein Frieden dort würde auch die Zusammenarbeit Israels mit der
arabischen Welt enorm erleichtern. Umgekehrt kann die Verbesserung arabisch-
israelischer Beziehungen genutzt werden, um Druck auf beide Seiten auszuüben, an
einer Lösung mit den Palästinensern zu arbeiten – hier können neue Allianzen als
Vermittler auftreten. Wir unterstützen deshalb multilaterale Ideen, z.B. eine
Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten nach Vorbild der
KSZE, an der alle relevanten Akteure – einschließlich Iran und Türkei – an einem
Tisch sitzen. Auch Klima- und Umweltkooperation könnten Friedensdividenden
bringen und sollten Teil einer präventiven Sicherheitspolitik sein.
Wesentlicher Treiber der Bedrohung und der Destabilisierung der gesamten Region
ist das iranische Regime, dessen Bevölkerung zugleich Opfer massivster
Menschenrechtsverletzungen wird. Dabei ist das Regime zugleich durch seine
Unterstützung Russlands und dem gezeigten Willen zum Einsatz von ballistischen
Langstreckenraketen eine signifikante Bedrohung unserer europäischen Sicherheit
und des Verteidigungskampfes der Ukrainer*innen. Das iranische Regime ist daher
als einer der Gründe der strategischen Kooperation zwischen Deutschland und
Europa sowie Israel zu begreifen. Wir unterstützen daher Maßnahmen, die das
weitere Streben des iranischen Regimes nach einer nuklearen Bewaffnung auf
diplomatischem Wege verhindern, so auch rechtlich festgelegte Wege wie die
Aktivierung des Snap-Back Mechanismus. Gleichzeitig unterstützen wir weiterhin
die rechtssichere Terrorlistung der Revolutionsgarden auf EU-Ebene und alle
Sanktionsmaßnahmen, die den iranischen Machtapparat treffen. Des Weiteren
unterstützen wir weitere Missionen zur Bekämpfung des Waffenschmuggels durch den
Iran an verschiedene Gruppen und Terrororganisationen.
Der Jemen erlebt eine der schwersten humanitären Krisen weltweit; Millionen
Menschen sind auf Hilfe angewiesen, leiden an Hunger und wurden vertrieben.
Angriffe der Huthi-Miliz auf Handelsschiffe im Roten Meer unterbrechen nicht nur
Versorgungskorridore, sondern gefährden auch die Stabilität Ägyptens, dessen
Staatshaushalt durch Einbußen am Suezkanal stark belastet wird. Wir fordern den
sofortigen Stopp des Beschusses von Schiffen und israelischem Kernland, die
europäische Listung der Huthi-Miliz als Terrororganisation sowie die Ausweitung
europäischer Initiativen zur Linderung der humanitären Katastrophe und zur
Sicherung der Seerouten durch das Rote Meer.
Angesichts örtlicher Gewalt mahnen wir erneut an, dass alle Syrer*innen –
inklusive Kurd*innen, Jesid*innen, Drus*innen, Alawit*innen und Christ*innen –
am politischen Prozess beteiligt und ihre Rechte und Schutz gewahrt werden. Um
dies zu ermöglichen, erwarten wir von der Türkei, und dem iranischen Regime die
syrische Integrität zu achten und Waffen- und Finanzmittellieferungen aus dem
Iran an die Hisbollah zu unterlassen. Zugleich fordern wir den Rückzug aller
israelischen Truppen westlich der „Alpha-Linie“ des UNDOF-Mandatsgebietes und
von der Führung in Damaskus die wirksame Übernahme und Wahrnehmung der
Sicherheitsverantwortung und Achtung der vereinbarten Selbstverwaltungsrechte
der Kurd*innen in Nord- und Ostsyrien.
Mit Blick auf den schwindenden Einfluss der UN und seiner Organisationen im
Nahen Osten bedauern wir das bevorstehende Ende der UNIFIL-Mission zum 31.
Dezember 2026 und fordern den Libanon beim Aufbau und der Stärkung seiner
Streitkräfte weiter und intensiv zu unterstützen, um auch den zu begrüßenden
libanesischen Initiativen zur wirksamen und dauerhaften Entwaffnung der
Hisbollah und weiterer Terrororganisationen wie der Hamas zum Erfolg zu
verhelfen. Wir verurteilen jegliche Bedrohung israelischen Staatsgebietes,
fordern Israel jedoch zugleich auf, sich bei fortschreitendem Erfolg der
libanesischen Armee aus dem libanesischen Staatsgebiet vollständig
zurückzuziehen und die Entwaffnung der Terrororganisationen kooperativ zu
fördern. Wir ermutigen beide Staaten analog zu den Verhandlungen der Seegrenze
und der Gasförderung offene Grenzverlaufsstreitigkeiten beizulegen und fordern
die Bundesregierung auf, dies aktiv zu begleiten.
Die Grünen fordern, bilateral und in der EU, mit allem Nachdruck auf einen
sofortigen Stopp der Landnahmen und völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik, wie
im IGH-Gutachten vom 19. Juli 2024 festgestellt, in besetzten Gebieten
hinzuwirken. Die fortgesetzte Ausweitung israelischer Siedlungen im
Westjordanland, insbesondere die zunehmende Zerstückelung des besetzten
palästinensischen Gebietes – zuletzt in historisch beispiellosem Ausmaß,
zerstört die geografische Grundlage einer Zwei-Staaten-Lösung und verletzt
geltendes Völkerrecht.
Wir begrüßen, die deutliche Kritik europäischer Partner und bisheriger
Bundesregierungen an der israelischen Siedlungspolitik. Dies muss jedoch mit
Konsequenzen unterlegt werden: Deutsche Außenpolitik muss negative Anreize
setzen, um die Kosten der fortgesetzten Besatzung zu erhöhen, wie in Teilen
bereits durch die EU erfolgt (z.B. Ausschluss von Siedlungen von bilateraler
Zusammenarbeit, Differenzierung bei EU-Förderprogrammen, Ausweitung der
Sanktionierung individueller extremistischer Siedler oder Siedlerorganisationen,
Aussetzung des Handels im Einklang mit internationaler Rechtsprechung, EU-
Importverbot für Produkte aus israelischen Siedlungen).
Das EU-Assoziationsabkommen stellt bereits einen starken positiven Anreiz zur
Einhaltung des Völkerrechts dar, der in der Vergangenheit nicht zu einer
Unterlassung der völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik geführt. Wir unterstützen
daher die Resolution des Europäischen Parlaments vom 11. September 2025 in der
teilweisen Beschränkung des Abkommens, sofern es nicht die Zusammenarbeit mit
der israelischen Zivilgesellschaft und Forschung betrifft.
Wichtig ist eine klare Botschaft: Deutschland erkennt keine einseitigen
Grenzverschiebungen an. Alle endgültigen Statusfragen – Grenzen, Jerusalem, etc.
– können nur durch Verhandlungen gelöst werden, nicht durch faktische Schaffung
vollendeter Tatsachen auf dem Boden, welche Gefahr laufen eine Zweistaatenlösung
zu verunmöglichen. Entsprechend sollen deutsche Stellen auch fortfahren,
völkerrechtswidrige Maßnahmen (wie z.B. die völkerrechtlich nicht anerkannte
Annexion Ost-Jerusalems und der Golanhöhen, oder eine mögliche Einverleibung
weiterer Teile der Westbank) diplomatisch nicht anzuerkennen und in
internationalen Gremien zu thematisieren.
Bündnis 90/Die Grünen stehen weiterhin zu ihrem Ziel, einen souveränen Staat
Palästina diplomatisch anzuerkennen im Sinne des palästinensischen
Selbstbestimmungsrechts. Die Bundesdelegiertenkonferenz spricht sich dafür aus,
diese Anerkennung aktiv vorzubereiten, nicht erst als Teil eines politischen
Prozesses, sondern als jetzt notwendiges Signal. In der Europäischen Union soll
für eine koordinierte Anerkennung Palästinas geworben werden.
Wir unterstützen den UN-Beschluss vom 29. Juli 2025 unter dem Titel „New York
Declaration on the Peaceful Settlement of the Question of Palestine and the
Implementation of the Two-State Solution“, sowie die UN-Resolution vom 12.
September 2025 mit dem Titel „General Assembly Endorses New York Declaration,
Charting Path to Peace“ als richtungsweisend für die internationale
Unterstützung einer Zwei-Staaten-Lösung.
Das Eintreten für einen palästinensischen Staat bedeutet keinen Widerspruch zur
Solidarität mit Israel, sondern ist deren notwendige Ergänzung: Nur wenn die
Palästinenser*innen politische Selbstbestimmung erlangen, kann auch Israel auf
Dauer gesichert sein, was es sein will – ein demokratischer jüdischer Staat. Die
Möglichkeit zur Mitbestimmung in einem souveränen palästinensischen Staat
schafft eine glaubwürdige Alternative zu Militanz, fortgesetzter Besatzung und
asymmetrischer Kriegsführung.
Unabhängig vom Zeitpunkt einer formalen Anerkennung sollte Deutschland weiterhin
palästinensische Staatlichkeitsbestrebungen praktisch fördern – z.B. durch
Unterstützung beim Aufbau von Institutionen, Ausbilden von Verwaltung und
Rechtsstaat, Förderung demokratischer Prozesse und auch entsprechendem
Reformdruck auf die palästinensische Autonomiebehörde, sowie die ökonomische
Perspektive.
Wir stärken die bi- und multilaterale Zusammenarbeit mit der Palästinensischen
Autonomiebehörde als Vertretung des palästinensischen Volkes und ihre Rolle in
der internationalen Gemeinschaft. Den notwendigen demokratischen Reformprozess
der Palästinensischen Autonomiebehörde unterstützen wir und fordern wir ein.
Wir unterstützen die Forderung aus der Resolution der UN-Generalversammlung vom
12.09.2025, dass alle bewaffneten Gruppierungen ihre Waffen abgeben und bekennen
uns zur Nichteinbindung terroristischer Akteur*innen. Allerdings erkennen wir
an, dass humanitäre Kontakte und indirekte Verhandlungen (wie über Vermittler
zwecks Waffenruhe oder Gefangenenaustausch) notwendig sind, um Menschenleben zu
retten. Diese sollen auch weiterhin geführt werden. Gleichzeitig nehmen wir die
Gefahr der ungerechtfertigten Diffamierung und Delegitimierung
zivilgesellschaftlicher palästinensischer und palästina-solidarischer
Akteur*innen unter dem Deckmantel der Terrorismusunterstützung wahr und treten
für deren Schutz ein.
Langfristig setzen wir Grünen darauf, dass nur die palästinensischen Kräfte
internationale Anerkennung genießen sollen, die bereit sind, in einen
demokratischen, politischen Prozess einzutreten. Zugleich rufen wir die
israelische Regierung und die internationale Gemeinschaft dazu auf, die
Palästinensische Autonomiebehörde nicht zu schwächen. Das betrifft sowohl
notwendige Finanzmittel als auch den abzuwehrenden Eingriff durch Behinderung
palästinensischer Politiker*innen oder die bewusste Stärkung radikaler
palästinensischer Kräfte.
Eine Politik der Differenzierung ist wichtig: Kooperation mit Friedensbereiten
Schutz und Stärkung von Journalist*innen und medizinischem Personal bei
gleichzeitiger Verurteilung von Instrumentalisierung dieses Schutzstatus durch
terroristische Akteur*innen. Wir begrüßen ausdrücklich auch Initiativen in
Israel, Palästina und der weiteren Region, die den Dialog suchen und regen an,
dass die deutsche und europäische Diplomatie solche Begegnungen aktiv fördert.
Konkret bedeutet dies: Keine deutschen Waffen in Krisenregionen oder an
kriegführende Parteien, wenn die Gefahr missbräuchlicher und
völkerrechtswidriger Verwendung besteht. Das ist nicht nur politische Pflicht,
entspricht den politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern sowie dem Gemeinsamen Standpunkt der
GASP, sondern folgt auch aus völkerrechtlichen Verpflichtungen – etwa dem
humanitären Völkerrecht und dem Arms-Trade-Treaty – sowie aus nationalem Recht,
insbesondere Artikel 26 Absatz 2 Grundgesetz, dem Kriegswaffenkontrollgesetz und
dem Außenwirtschaftsgesetz.
Bezogen auf Israel erkennen wir zwar dessen besondere Sicherheitslage an.
Waffenlieferungen an Israel dienen dem legitimen Recht auf Selbstverteidigung
und der Existenzsicherung und sind daher im ersten Bewertungsschritt
gerechtfertigt. Jedoch gilt auch hier: Waffen, die im Rahmen der unzähligen
Verletzungen humanitären Völkerrechts in Gaza eingesetzt werden können, dürfen
nicht geliefert werden. Bei andauernden schwerwiegenden Verletzungen müssen auch
bestehende Ausfuhrgenehmigungen widerrufen oder ausgesetzt werden. Eine
Unterscheidung zwischen defensiven und anderen Waffen kennt das Recht hier
nicht. Auch ist es rechtlich irrelevant, dass solche Waffen möglicherweise
gleichzeitig zur legitimen Landesverteidigung eingesetzt werden.
Wenn das eindeutige Risiko des Einsatzes gelieferter Waffen unter Verstoß gegen
humanitäres Völkerrecht besteht, reicht eine Selbstverpflichtung Israels nicht
aus – die Prüfpflicht Deutschlands geht weit darüber hinaus. Israelische
Selbstverpflichtungen haben sich nicht als ausreichender Absicherung gegen
Völkerrechtsverletzungen erwiesen.
Deutschland muss für zukünftige Ausfuhrgenehmigungen nach Israel, anknüpfend an
den bestehenden rechtlichen Rahmen, bindende rechtliche Einschränkungen
erarbeiten (bspw. kein Einsatz in besetzten Gebieten) und bei Verletzungen
Konsequenzen folgen lassen. Zusätzlich müssen mindestens die
Entscheidungskriterien für Rüstungsexportgenehmigungen transparenter werden.
Deutschland muss seiner humanitären Verantwortung in der Nahost-Region gerecht
werden. Die oberste Priorität hat der schnelle, ungehinderte Zugang zu
humanitärer Hilfe: Nahrung, Medizin, Wasser, Energie. Wir setzen uns dafür ein,
die Blockade lebensnotwendiger Güter zu beenden. Der Stopp eingespielter und
effektiver UN-Verteilungsstrukturen ist ein schwerer Verstoß gegen das
Völkerrecht und muss unterbunden werden. Die Sicherheit und Arbeitsfähigkeit
humanitärer Akteure müssen sichergestellt werden. Humanitäres ist neutral und
ein Gebot der Menschlichkeit. Zusätzlich besteht für eine Besatzungsmacht eine
besondere Pflicht aus dem humanitären Völkerrecht zu Versorgung der Bevölkerung
in besetzten Gebieten. Der Ersatz der UN-Strukturen durch den Gaza Humanitarian
Foundation erfüllt diese Bedingungen und Pflichten erkennbar nicht. Durch die
radikale Reduzierung der Verteilstationen, die dauerhaft zu geringe Hilfe, die
Militarisierung der Hungerhilfe und Angriffe auf Hilfesuchende ist der GHF
vielmehr Teil einer Strategie den Hunger als Waffe einzusetzen.
Deutschlands Verantwortung schließt auch ein starkes Engagement zum Wiederaufbau
ein. Ansätze der humanitären Hilfe sollten frühzeitig mit solchen Ansätzen
kombiniert werden, die den nachhaltigen Staatsaufbau und die Stärkung lokaler
Kapazitäten und der Zivilgesellschaft in den Blick nehmen. Dabei muss auf
Erfahrungen der deutschen und internationalen Entwicklungszusammenarbeit in der
Region aufgebaut und maßgeblich auf lokale Expertise gesetzt werden.
Wir unterstützen den Aufbau der Palestine Donor Group der EU, wie die
Kommissionspräsidentin in der State of the Union 2025 angekündigt hat, oder
anderweitiger internationaler Wiederaufbaufonds. Diese Gruppe sollte dann auch
auf die Staaten in der Region zugehen, um entsprechende finanzielle Ressourcen
zusammenzuführen. Ebenso unterstützen wir die Etablierung eines dezidierten
Instruments für den Wiederaufbau für Gaza. Die Ausgestaltung des Wiederaufbaus
muss im Sinne des Prinzips von local ownership gemeinsam mit den
Palästinenser*innen erfolgen. Das Instrument muss sicherstellen, dass Hilfe die
Menschen erreicht und nicht korrupte oder extremistische Strukturen stärkt.
Vorschläge wie eine zeitweilige internationale Verwaltung Gazas unter UN-Mandat
oder die Ausweitung der Rolle der Palästinensischen Autonomiebehörde oder
gemeinsam durch arabische Staaten in Gaza sollen ernsthaft geprüft und
diplomatisch sondiert werden, da ein Wiederaufbau nur in einem stabilen
administrativen Rahmen gelingen kann.
Langfristig soll Deutschland in Zusammenarbeit mit den relevanten staatlichen
und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen Programme fördern, die wirtschaftliche
Entwicklung und Klimaschutz in Palästina voranbringen (z.B. Solarenergie,
Wasserentsalzung, Startup-Förderung), um Perspektiven für die Jugend zu
schaffen. Auch gegenüber Israel gilt: Projekte, die beiden Seiten nutzen (etwa
regionale Wasser-/Energie-Kooperationen), verdienen Unterstützung, da sie die
Interdependenz und den Frieden von unten fördern.
Die feministische Außen- und Friedenspolitik orientiert sich am Leitgedanken der
Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ des UN-Sicherheitsrates und
zielt darauf ab, Machtasymmetrien abzubauen, die Perspektiven von Frauen,
Jugendlichen, Minderheiten, Menschen mit Behinderung, LGBTIQ-Personen sowie
weiteren vulnerablen Gruppen systematisch einzubeziehen, Zivilgesellschaft als
gestaltende Akteurin internationaler Politik zu stärken und den Menschen in den
Mittelpunkt zu stellen.
Deutschland soll in internationalen und regionalen diplomatischen Initiativen
dafür eintreten, dass Frauen und feministische Stimmen in
Verhandlungsdelegationen und Friedensprozessen angemessen vertreten sind. Wir
unterstützen Organisationen und Programme, die Frauen und Jugendlichen Raum
geben, aktiv an Versöhnung, Aufarbeitung und gesellschaftlicher Neugestaltung
mitzuwirken. Dies umfasst insbesondere psychosoziale Betreuung und
Teilhabeprogramme für traumatisierte Menschen in der Region – seien es
Betroffene von Krieg und Vertreibung in Gaza, Familien israelischer Terroropfer
oder andere Gewaltopfer. Außerdem setzen wir uns für den Schutz von besonders
verletzlichen Gruppen ein: etwa politische Gefangene, Minderheiten (z.B. LGBTIQ-
Personen in der Region) und Menschenrechtsverteidigerinnen. Dabei darf
feministische Politik nicht auf eine Opferperspektive verengt werden: Sie muss
die Handlungsmacht und Führungsrolle von Frauen und Jugendlichen stärken.
Deutschland hat mit den 2023 vorgelegten Leitlinien zur feministischen
Außenpolitik einen wichtigen Schritt getan, diesen Anspruch zu
institutionalisieren: Gleichstellung und Teilhabe sollen in Diplomatie,
Entwicklungszusammenarbeit und Krisenpolitik systematisch verankert werden. Eine
glaubwürdige feministische Außenpolitik muss sich aber an der Praxis messen
lassen. Gerade im Nahostkrieg zeigt sich, dass Prinzipien wie Schutz von
Zivilist*innen, menschliche Sicherheit und Teilhabe vulnerabler Gruppen
konsequenter umgesetzt werden müssen.
Zivilgesellschaft ist für uns kein abstrakter Begriff, sondern bezieht sich auf
progressive, menschenrechtsorientierte Akteurinnen, die für Demokratie,
Gleichberechtigung, Gewaltfreiheit und soziale Teilhabe eintreten. Wir stellen
uns klar gegen Versuche, zivilgesellschaftliche Organisationen zu schwächen oder
zu kriminalisieren – sei es durch Repressionen, sogenannte „foreign agent laws“
oder Defunding. Deutschland soll sich in internationalen Foren und in
bilateralen Gesprächen für den Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen
einsetzen und gegen den „shrinking space“ für zivilgesellschaftliches Engagement
aktiv werden.
Eine feministische Außenpolitik misst Erfolg nicht allein an staatlicher
Stabilität, sondern am Wohlergehen der Menschen. Sicherheit bedeutet Zugang zu
Nahrung, Wasser, Gesundheitsversorgung, Schutz vor Gewalt, Rechtsstaatlichkeit
und Teilhabe. In Gaza wie in Israel ist es daher zentral, dass humanitäre Hilfe
und Wiederaufbau an den Bedürfnissen der Zivilbevölkerung ausgerichtet werden –
insbesondere jener Gruppen, die in Konflikten am stärksten gefährdet sind. Dazu
gehören Frauen, Kinder, ältere Menschen, Menschen mit Behinderung und
Minderheiten. Deutschland sollte daher humanitären Waffenstillständen Priorität
einräumen, um den Schutz von Zivilist*innen sicherzustellen.
Der israelisch-palästinensische Konflikt ist in erster Linie politisch, jedoch
spielen religiöse Dimensionen und Interpretationen eine wichtige Rolle.
Israelische Gesellschaft wie auch die palästinensische Gesellschaft sind
religiös, ethnisch und kulturell vielfältig: Jüdinnen und Juden, Muslim*innen,
Christ*innen, Drusen, Bahai und Menschen anderer Glaubenstraditionen prägen das
Zusammenleben. Ebenso gehören Palästinenser*innen unterschiedlichen religiösen
Gemeinschaften an. Diese Vielfalt muss anerkannt und ernst genommen werden, um
vereinfachenden Zuschreibungen entgegenzuwirken und differenzierte
Lösungsansätze zu entwickeln.
Grüne Nahostpolitik bleibt menschenrechtsorientiert – auch dort, wo strategische
Partnerschaften im Raum stehen. In Ländern wie Ägypten oder Saudi-Arabien
sprechen wir die Inhaftierung von Oppositionellen, die Anwendung der Todesstrafe
oder die Einschränkung von Frauen- und Minderheitenrechten klar an. Diesen Fokus
verlieren wir auch nicht, während wir gleichzeitig die Vermittlerrollen dieser
Länder anerkennen. Im Iran unterstützen wir explizit die mutige
Zivilgesellschaft, die für Freiheit, Gleichberechtigung und ein Ende staatlicher
Gewalt eintritt. Unsere Solidarität gilt allen, die in der Region trotz
Repression für ihre Rechte kämpfen.
Dies soll Teil einer gesamten Nahost-Strategie sein, die nicht nur Staaten,
sondern auch Gesellschaften im Blick hat. Eine feministische Nahostpolitik
bedeutet, Gesellschaften in ihrer ganzen Vielfalt in den Blick zu nehmen,
progressive Akteur*innen zu unterstützen und konsequent für Menschenrechte
einzutreten. Sie verbindet Diplomatie, Schutz vulnerabler Gruppen und die
Förderung von Aufarbeitung und Versöhnung. Wertebasierte Politik misst nicht mit
zweierlei Maß – sie steht solidarisch an der Seite derer, die für Freiheit,
Gleichberechtigung und Menschenwürde eintreten.
Die Bundesdelegiertenkonferenz empfiehlt der Grünen-Fraktion im Bundestag und
den zuständigen Gremien, die Umsetzung dieser Leitlinien regelmäßig zu
überprüfen. Angesichts der dynamischen Lage soll z.B. jährlich ein Bericht
erstellt werden, der auswertet, was die jeweilige Bundesregierung in Bezug auf
Friedensinitiativen, Menschenrechtsanliegen und Krisenprävention im Nahen Osten
erreicht hat, und wo ggf. nachjustiert werden muss. So bleibt die Grüne
Nahostpolitik ein lernendes Konzept, das sich veränderten Umständen anpasst,
ohne die grundsätzlichen Werte zu verraten.
Begründung
Dieser Antrag zielt darauf ab, die Grüne Nahostpolitik strategisch neu auszurichten, jenseits kurzfristiger Tagespolitik. Angesichts der Zuspitzung des Nahostkonflikts 2024/25 benötigen Bündnis 90/Die Grünen eine klare, prinzipienfeste, aber auch vorausdenkende Linie, die Werte und Realismus vereint. Die oben formulierten Leitlinien sollen der Partei Orientierung geben und zugleich in die öffentliche Debatte ausstrahlen. Wir wollen zeigen, dass eine wertegeleitete Außenpolitik kein Luxus ist, sondern gerade in Krisenzeiten ein Kompass, um nicht in blinden Aktionismus oder einseitige Parteinahme zu verfallen. Deutschland kann und muss im Nahen Osten eine Rolle als Brückenbauer und Anwalt des Völkerrechts spielen. Dieses Profil wollen wir mit dem Antrag schärfen. Er soll dazu beitragen, innerhalb der Partei einen Konsens zu finden, der die legitimen Sicherheitsinteressen Israels und die berechtigten Freiheits- und Gerechtigkeitsinteressen der Palästinenser nicht gegeneinander ausspielt, sondern miteinander denkt. Nur so können die Grünen glaubwürdig bleiben und zugleich Teil der Lösung, statt Teil des Problems werden. Die vorgeschlagenen Leitlinien verbinden realpolitische Vernunft mit visionären Zielen: Sicherheit durch Kooperation, Frieden durch Gerechtigkeit. Sie geben der Partei Werkzeuge an die Hand, um sowohl gegenüber und in der Bundesregierung als auch auf europäischer Ebene Druck für Fortschritte zu machen und sich klar zu positionieren – für einen Nahen Osten, der eines Tages nicht mehr von Krieg und Besatzung, sondern von Koexistenz und Rechtsstaatlichkeit geprägt ist.
Zudem sendet ein solcher Beschluss ein Signal an die Öffentlichkeit und insbesondere an die jüngere Generation sowie Menschen mit familiären Wurzeln in der Region: Die Grünen hören zu, sie nehmen die Sorgen aller Betroffenen ernst und sie haben den Mut, aus alten Denkmustern auszubrechen, ohne ihre Prinzipien aufzugeben. Dies kann helfen, Vertrauen zurückzugewinnen, wo es verloren ging, und die Grünen wieder als konstruktive Kraft im Nahostdiskurs zu verankern – in Deutschland wie international. Letztlich streben wir eine Nahostpolitik an, die werteorientiert und wirksam zugleich ist. Dieser Antrag ist ein Schritt auf diesem Weg.