Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
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Tagesordnungspunkt: | A Außenpolitik: Ukraine und Naher Osten |
Antragsteller*in: | BAG Frieden & Internationales (dort beschlossen am: 12.10.2025) |
Status: | Eingereicht |
Angelegt: | 12.10.2025, 16:08 |
A-03: Von Menschenrechten kann man nicht zurücktreten. Für die Freilassung ukrainischer Zivilgefangener in russländischer Gefangenschaft
Antragstext
Wir fordern die Stärkung der internationalen Bemühungen um die Freilassung
ukrainischer Zivilpersonen aus der Gefangenschaft der Russischen Föderation. In
Friedensgesprächen werden territoriale Kompromisse und „Gebietstausch“
diskutiert. Dabei droht das Schicksal tausender Zivilgefangener in
russländischem Gewahrsam in Vergessenheit zu geraten.
Am 17. September 2025 hat die Staatsduma einstimmig den Austritt Russlands aus
der europäischen Anti-Folter-Konvention beschlossen. Damit entzieht sich
Russland bewusst der internationalen Kontrolle seiner Haftanstalten. Diese
Entscheidung unterstreicht die Dringlichkeit, die Lage der tausenden zivilen
ukrainischen Gefangenen in russländischer Haft mit allen politischen und
diplomatischen Mitteln auf die internationale Agenda zu setzen.
Russland setzt systematisch Repression, Folter und Mord ein, um Widerstand in
der Bevölkerung zu brechen und die Menschen nach stalinistischen Methoden zu
russifizieren. Nach Angaben der ukrainischen Ombudsperson wurden bis Mai 2025
fast 16.000 Zivilpersonen identifiziert, die sich in Gefangenschaft der
Russischen Föderation befinden oder befanden; rund 1.800 sind weiterhin in
russländischen Haftanstalten. Das Europäische Parlament spricht von über 70.000
Vermissten, deren Schicksal unklar ist.
Überlebende berichten von überfüllten Zellen, Schlafentzug, Hunger, Entzug von
medizinischer Versorgung, Schlägen, Elektroschocks, sexualisierter Gewalt und
Scheinexekutionen. Familien erhalten keine Informationen über den Aufenthaltsort
oder Gesundheitszustand ihrer Angehörigen. Internationalen Organisationen wird
der Zugang zu Gefängnissen verweigert.
Jeder Verdacht auf Loyalität zur Ukraine wird unter dem Vorwand von Spionage,
Hochverrat, Terrorismus und die Diskreditierung der russischen Streitkräfte zur
Anklage gebracht und die Gerichte in den besetzten Gebieten, die zu einem großen
Teil mit Richtern besetzt sind, die aus der Russischen Föderation abgeordnet
wurden, verurteilen Zivilpersonen zu drakonischen Strafen von bis zu 25 Jahren
und zu horrenden Geldstrafen.
Diese Politik zielt darauf ab, ukrainische Gefangene dem Schutz des Völkerrechts
zu entziehen. Langanhaltende Inhaftierungen unter vollständiger Isolation von
der Außenwelt erfüllen den Tatbestand unmenschlicher und erniedrigender
Behandlung im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention und der UN-
Antifolterkonvention.
Ein besonders erschütterndes Beispiel ist das Schicksal der ukrainischen
Journalistin Viktoria Roshchyna. Im August 2023 wurde sie während einer
Recherchereise in den von Russland besetzten Gebieten verschleppt. Monate später
bestätigten Behörden der Russischen Föderation ihre Inhaftierung, hielten sie
jedoch ohne Kontakt zur Außenwelt fest. Sie starb im September 2023 in
Gefangenschaft und ihr Leichnam wurde erst im Februar 2025 an die Ukraine
übergeben. Forensische Untersuchungen belegten Spuren schwerster Misshandlungen
und Folter. Roshchynas Tod macht deutlich, wie gezielt Russland Zivilpersonen –
darunter auch Journalist*innen – ins Visier nimmt, um jede unabhängige
Berichterstattung zu unterdrücken und die Opfer dem Schutz internationalen
Rechts zu entziehen.
Personen, die sich in den okkupierten Gebieten der Russifizierung widersetzen,
werden dabei in Medien und durch Sicherheitsorgane der Russischen Föderation
häufig mit Verweis auf angebliche „psychische Erkrankungen“ diffamiert.
Exemplarisch steht hierfür der Fall von Kostiantyn Zinovkin, der nach Protesten
verschleppt, durch Folter zu einem „Geständnis“ gezwungen und nach Rostow am Don
überführt wurde. Seine Ehefrau setzt sich in Deutschland für ihn ein – sein
Schicksal steht stellvertretend für viele andere.
Diese Praxis der Zwangspsychiatrisierung knüpft an sowjetische Methoden an und
erfüllt nach Einschätzung der UN und internationaler
Menschenrechtsorganisationen den Tatbestand von Verbrechen gegen die
Menschlichkeit. Zudem verstoßen diese Repressionen gegen internationales Recht,
darunter die Genfer Konventionen von 1949, die Zusatzprotokolle von 1977 und die
Europäische Menschenrechtskonvention von 1950. Deutschland und seine
Partnerstaaten müssen darauf drängen, dass diese Rechte eingehalten werden.
- sich in allen internationalen Foren – einschließlich UN, Europarat und EU
– nachdrücklich für die Freilassung aller ukrainischen Zivilpersonen in
russländischem Gewahrsam einzusetzen, unabhängig davon, ob diese seit 2014
auf der Krim, im Donbas oder seit 2022 in den neu besetzten Gebieten
inhaftiert wurden und ob sie in den besetzten Gebieten zwangsweise die
russländische Staatsangehörigkeit annehmen mussten;
Begründung
Seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 und der Errichtung russländischer Besatzungsstrukturen im Donbas wurden tausende ukrainische Zivilpersonen willkürlich verschleppt und inhaftiert. Mit dem Angriffskrieg 2022 nahm diese Praxis massiv zu.
Russland missbraucht als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats sein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat als Schutzschild. Umso wichtiger ist es, Russlands Politik in der Generalversammlung und in allen internationalen Foren zur Sprache zu bringen, den gezielten Bruch internationalen Rechts klar zu benennen und Russland stärker zu isolieren.
Die oben genannten Fälle stehen stellvertretend für Tausende und unterstreichen die Notwendigkeit, den Schutz ziviler Gefangener und inhaftierter Zivilpersonen durch das Völkerrecht zu sichern. Daher benötigt die internationale Gemeinschaft Instrumente, um Verantwortlichkeiten eindeutig festzulegen und konsequent durchzusetzen. Zudem verdeutlicht die Lage in den besetzten Gebieten, wie brutal Information und Wahrheit von der russländischen Propaganda als Angriffsziele, durch Diffamierung, Leugnung oder Verschleierung des tatsächlichen Zustands von Gefangenen, missbraucht werden.
Zivile Gefangene haben – anders als Kriegsgefangene – keinen "Tauschwert". Andernfalls könnte die russländische Militärführung vermehrt ukrainische Zivilisten gefangen nehmen, um sie für ihre Militärangehörigen zu tauschen. Ohne internationalen Druck, Sanktionen und öffentliche Thematisierung ist nicht zu erwarten, dass Russland diese Menschen freilässt. Ihre Festsetzung unter fadenscheinigen Begründungen dient der Bedrohung jeder noch so kleinen Geste der Loyalität zur Ukraine.
Darum ist es dringend erforderlich, ihre Freilassung zu einer internationalen Priorität zu machen und den Druck auf Russland zu erhöhen.
Frieden beginnt dort, wo Unrecht benannt und Menschen befreit werden.
Quellen:
- Putin Marks Another Break From International Norms As Russia Exits Anti-Torture Pact https://www.rferl.org/a/russia-withdraws-antitorture-convention/33533784.html
- Amnesty International (2023/2024): dokumentiert systematische Folter, willkürliche Festnahmen und das „Verschwindenlassen“ von Zivilist:innen in den besetzten Gebieten (Krim, Donbas, später auch Cherson, Saporischschja).
- Quelle: Amnesty International, Russia/Ukraine: Torture and abductions in occupied territories, 2023.
- Human Rights Watch (2023/2024): berichtet über ein Netz von Geheimgefängnissen und Folterzentren, insbesondere in Donezk und Luhansk; hunderte Fälle von willkürlicher Inhaftierung dokumentiert.
- Quelle: HRW, Ukraine: Torture, Abductions in Occupied Regions, 2022
- EU-Parlament (Resolution 2023/2024): geht von „mehreren Tausend Zivilpersonen“ aus, die in russischen Gefängnissen oder Lagern festgehalten werden, ohne Aussicht auf Austausch.
- Quelle: Europäisches Parlament, Resolution zu Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten, 2023.
- IGFM (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, 2024): hebt Einzelschicksale hervor (z.B. Fall Zinovkin) und fordert politische Patenschaften. Schätzungen zufolge befinden sich über 1.000 Zivilpersonen in russischen Gefängnissen, viele davon aus dem Donbas.
- Pavel Lysiansky / Eastern Human Rights Group (laufend): berichtet seit 2014 über systematische Verfolgung in den „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk.
- "Sie foltern, benutzen sowjetische Methoden, sie haben keine Angst vor irgendetwas, weil die Militärführung auch alle Soldaten so verängstigt, dass, wenn sie Russland verlieren, Den Haag auf alle warten wird, also müssen sie härter mit Gefangenen und entführten Menschen umgehen. Sie vergewaltigen auch Frauen, das heißt, es kann davon ausgegangen werden, dass dies Lager auf dem Gebiet des Kernkraftwerks Enerhodar im Gebiet Saporischsja ein weiteres vollwertiges Filtergefängnis ist", sagte Lysiansky. (Die Übersetzung wurde präzisiert). https://censor.net/en/news/3363521/occupying_leadership_at_znpp_threatens_---subordinates_of_hague_to_treat_prisoners_more_harshly_human_rights
- Quelle: Eastern Human Rights Group Reports, 2019–2025.
- Bundeszentrale für politische Bildung. Dokumentation: Kurzzusammenfassungen ausgewählter Berichte zur aktuellen Lage in den von Russland besetzten Gebieten Ukraine-Analysen Nr. 317
- Detention of civilians in the context of the armed attack by the Russian Federation against Ukraine, 24 February 2022 – 23 May 2023
- Thousands of Ukraine civilians are being held in Russian prisons. Russia plans to build many more. (July 13, 2023)
- Koordinierungsstab zur Freilassung von Gefangenen
- Texty.org.ua –
- Zeugnisse ehemaliger Gefangener
- Frontliner.ua
- Dekoder.org.ua – Sammlung von Zeugenaussagen
- Die Plattform hat über dreieinhalb Jahre hinweg Aussagen von Gefangenen gesammelt. Der Tenor: Folter ist systematisch, die Organisation der Haft chaotisch, und die Inhaftierten werden gezielt entmenschlicht.
- Civilians in Captivity
- Amnesty International Ukraine: Der Bericht „A Deafening Silence“ dokumentiert, wie ukrainische Zivilpersonen in russischer Haft verschwinden, gefoltert und isoliert werden – oft über Jahre hinweg.
- What Is Going On in Donbas? - Interview with Representative of Ukraine’s Ombudswoman, (20. Januar, 2020)
- Zwangskonversion und Terror. Russlands Besatzungsregime in der Ukraine, Andreas Heinemann-Grüder, Sergej Savčenko, Dmitrij Durnev,