Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Katrin Schmidberger (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg) und 73 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 39%) |
Status: | Eingereicht |
Angelegt: | 17.10.2025, 10:59 |
V-64: Verfassungswidriges Pflichtjahr durch die Bundesregierung stoppen – Sozialen Zusammenhalt kann man nur durch soziale Politik stärken - für die Stärkung des Freiwilligendienstes
Antragstext
Aktuell diskutiert u.a. die Bundesregierung über die Einführung eines
sogenannten Pflichtjahrs für junge Menschen, also ein verpflichtendes soziales
oder gemeinnütziges Jahr nach der Schule für alle, die, unabhängig vom
Geschlecht, keinen Dienst bei der Bundeswehr in dieser Zeit leisten. Neben den
massiven Einschränkungen, die ein solcher Zwangsdienst für die
Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen bedeuten würde, gibt es auch
juristisch mehrere gewichtige verfassungsrechtliche Gründe, insbesondere in
Bezug auf das Grundgesetz (GG), die dagegen sprechen. So würde ein
verpflichtendes Gesellschaftsjahr für junge Menschen mit mehreren Grundrechten
kollidieren. Es verstößt gegen das Verbot des Arbeitszwangs (Art. 12 II GG), die
Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 GG) sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz
(Art. 3 GG). Der Verfassungsgrundsatz des Art. 12 II GG ließe sich selbst mit
einer 2/3-Mehrheit nicht ändern, da Art 79 III GG eine solche Änderung
verbietet.
Auch die parallel diskutierte Wiedereinführung der Wehrpflicht lehnen wir
ab.Durch die Wiedereinführung der Wehrpflicht wird eine Lösung struktureller
Probleme suggeriert, die von alten Männern verursacht wurden und nicht über die
Rekrutierung junger Menschen gelöst werden können. Besonders der absurde
Vorschlag des Losverfahrens zeigt die Ratlosigkeit und die ideologischen
Scheuklappen, mit denen große Teile der Bundesregierung das Thema angehen. Die
Debatte zeigt auch, dass viele beim Thema Wehr- und Verteidigungsfähigkeit im
20. Jahrhundert stecken geblieben sind. Wir Grüne stehen für eine moderne
Sicherheitspolitik, die auf die zweifelsohne großen Sicherheitsherausforderungen
angemessen, wissenschaftsbasiert und grundrechteschützend antworten. Wir können
unsere freiheitliche Demokratie nicht schützen, indem wir Grundrechte abbauen.
Die Einführung eines geschlechtsunabhängigen Pflichtjahres für junge Menschen
wirft die Frage auf, inwiefern dies mit Art. 3 GG vereinbar ist. Gerade junge
Menschen haben in der Corona-Zeit mit großen Einschränkungen zu kämpfen gehabt
und oftmals zu Lasten der eigenen psychischen Gesundheit Rücksicht auf die
gesamte Gesellschaft genommen. Wieso nun ausgerechnet von dieser Altersgruppe
ein verpflichtender Dienst eingefordert wird, anstatt die bestehenden
Freiwilligendienste und ehrenamtliches Engagement entsprechend anzuerkennen und
zu fördern, erschließt sich nicht. Gerade zum Zeitpunkt nach Abschluss der
Schulausbildung stehen junge Menschen vor wichtigen Lebensentscheidungen in der
weiteren beruflichen und persönlichen Entwicklung, in die ein Pflichtjahr massiv
eingreifen würde.
Wir, Bündnis 90/Die Grünen, lehnen eine allgemeine Dienstpflicht für junge
Erwachsene ab. Es ist zielführender und gerechter, wenn endlich die vorhandenen
freiwilligen Dienste gestärkt werden. Es ist außerdem günstiger, wenn die
freiwilligen Engagements, die es schon gibt, oder die jugendfreiwilligen Dienste
gefördert und besser finanziert werden. Der soziale Zusammenhalt ist nicht in
die Krise geraten, weil junge Menschen nicht mehr bereit sind, sich zu
engagieren oder die Zivilgesellschaft nicht verlässlich ist. Eine Öffnung der
Freiwilligendienste auch für andere Altersgruppen (zB Rentner*innen) halten wir
für eine diskussionswürdige Möglichkeit, um die Freiwilligendienste weiter zu
stärken.
Für uns liegt es klar auf der Hand, dass die Ursachen der sozialen Spaltung eher
im politischen Versagen, im Versagen des Staates liegen, u.a. bei der Wohnungs-,
Sozial-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik. Gerade der massive Fachkräftemangel
im Gesundheits- und Pflegebereich wird sich nicht dadurch beheben lassen, dass
wir junge Menschen dazu zwingen, hier absolut unterbezahlt Aufgaben zu
übernehmen, für die es eigentlich eine mehrjährige Ausbildung braucht. Es
mangelt nicht an Menschen, die Interesse an dem beruflichen und ehrenamtlichen
Engagement in diesem Bereich haben, sondern an Respekt und guten
Arbeitsbedingungen. Daher kämpfen wir als Bündnis 90/Die Grünen gegen Armut, für
faire Mieten, für eine faire Grundrente, die Erhöhung der Mindestlöhne sowie die
Verbesserung der Tariflöhne im Gesundheits- und Pflegebereich.
Begründung
Der Vorschlag eines Pflichtdienstes verstößt u.a. gegen den Artikel 12 Abs. 2 des GG „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen Allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstpflicht.“
Ein solcher befristeter z.B. sozialer Pflichtdienst in 'Friedenszeiten' (, der dann ja nicht während 'aktiv praktizierter' Wehrpflicht bloß zulässigen 'Ersatz' für Kriegsdienstverweigerer darstellen würde: arg. Art 12a GG), entspräche gerade nicht den Voraussetzungen im Sinne der o.g. Ausnahme in Art. 12 Abs. 1 GG: nämlich
a) "herkömmlich" = nur wenige Tage lang sogenannte. Hand-+ Spanndienste (statt aktuell gefordert: Pflichtjahr) und
b) LEDIGLICH für Notstände / Katastrophen (= „normale“ tradierte Bürgerpflichten zB Feuerwehrdienstpflicht oder Deichschutzpflicht)
Außerdem verstieße solch eine Dienstpflicht gegen das Arbeitszwang-Verbot des Art. 4 EMRK bzw. Art. 5 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta.
Die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht in Deutschland – sei es durch einfaches (Bundes-)Gesetz oder durch eine Verfassungsänderung (z.B. Schaffung eines Art. 12b GG) – würde gleichermaßen gegen das Verbot der Zwangsarbeit nach Art. 4 Abs. 2 EMRK verstoßen. Darüber hinaus ließe sich der Verfassungsgrundsatz des Art. 12 II GG selbst mit einer 2/3-Mehrheit nicht ändern, da Art 79 III GG eine solche Änderung verbietet.
Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.
In der medialen Debatte haben sich auch bereits mehrere Mitglieder unser Bundestagsfraktion und des Parteivorstandes klar geäußert, so sagte beispielsweise Franziska Brantner am 22.4.2025 in Funke-Mediengruppe:
“Bundeswehr-Debatte: Grünen-Politikerin sieht Freiwilliges Modell als Alternative zum Pflichtdienst - Wer junge Menschen langfristig für die Truppe gewinnen wolle, müsse für bessere Bedingungen sorgen – etwa bei der Vereinbarkeit von Familie und Dienst, der Ausstattung und der beruflichen Entwicklung. Zwang helfe dabei nicht, so Brantner, im Gegenteil: Gerade mit Blick auf die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr bringe es wenig, wenn junge Menschen nur widerwillig Dienst leisten und der Truppe danach den Rücken kehren würden. Das freiwillige Potenzial sei bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Die Mindestdauer von sechs Monaten soll entweder am Stück oder zeitlich gestreckt erfüllt werden können.
Franziska Dröge äußerte sich u.a. am 5.4.2025 in mehreren Medien. So sagte sie beispielsweise zur NOZ: „Ich finde grundsätzlich, dass alle gesellschaftlichen Aufgaben gleichberechtigt verteilt werden sollten.
"Gleichzeitig müssen wir dann aber auch die Gleichstellung in allen anderen Bereichen schaffen, etwa für die Familien- und Pflegezeit". Pistorius-Modell (Erfassung von Männern, Antwortpflicht) sei gangbar. „Perspektivisch kann ich mir das auch für Frauen vorstellen". - "Jungen Menschen zu unterstellen, sie wollten nichts für ihr Land tun, und gleich wieder mit Zwang zu kommen, ist nicht meine Perspektive",
Im BR hat sie sich ebenfalls gegen einen verpflichtenden Freiheitsdienst ausgesprochen. Den hatten ihre bayerischen Parteifreunde vorgeschlagen. Dies sei nicht ihr Vorschlag. Sie sei dagegen, jungen Menschen mit Zwang zu kommen.
Auch Felix Banaszak hat am 8.4.2024 bei Abgeordnetenwatch auf die Frage: “Sollte eine allgemeine Dienstpflicht statt alter Wehrpflicht...“? wie folgt geantwortet
„Anstatt einen Pflichtdienst einzuführen, welcher derzeit weder staatlicherseits noch trägerseitig umsetzbar wäre, wollen wir die freiwilligen Angebote ausbauen.”
Auch der Bundestagsabgeordnete Leon Eckert positionierte sich wie folgt: "Wir wollen motivieren statt verpflichten." Es gebe eine enorme Zahl an Ehrenamtlichen. "Die Basis für eine engagierte Zivilgesellschaft ist in der Bundesrepublik vorhanden." Nun müsse es darum gehen, noch mehr Menschen dazu zu bringen, sich insbesondere bei der Feuerwehr, dem THW oder bei der Bundeswehr zu engagieren. "Hierfür muss die finanzielle Ausstattung der Freiwilligendienste im Bundeshaushalt deutlich verbessert werden"
Neben den kritischen Stimmen aus unserer Partei, die in den vergangenen Monaten deutlich geworden sind, sprechen sich auch die Sozialverbände, die wichtige Verbündete von uns sind, klar gegen die Einführung eines Pflichtdienstes aus.