Die gesetzliche Rentenversicherung steht vor tiefgreifenden strukturellen Herausforderungen. Demografischer Wandel, Fachkräftemangel und stagnierendes Produktivitätswachstum führen ohne Gegenmaßnahmen zu steigenden Beitragssätzen, wachsendem Steuerzuschussbedarf und sinkender relativer Kaufkraft der Renten. Laut Rentenversicherungsbericht 2024 droht der Beitragssatz ohne Reformen bis Mitte der 2030er auf über 23 Prozent zu steigen. Zugleich schwächt die aktuelle Koalition mit der geplanten Aussetzung des Nachhaltigkeitsfaktors bis 2031 die automatische Dämpfung der Rentenanpassung - und erhöht damit langfristig den Finanzierungsdruck.
Eine nachhaltige Reform muss Beitragsstabilität, Kaufkraftschutz und Generationengerechtigkeit zugleich sichern. Dazu gehören drei Elemente: eine regelgebundene Rentenformel, eine sozial ausgewogene Anpassung des Regelalters und eine breitere Finanzierungsbasis durch Einbeziehung bislang nicht versicherter Gruppen. Von besonderer Bedeutung sind dabei zudem zielgenaue Instrumente gegen Altersarmut und eine verlässliche steuerliche Flankierung.
1. Nachhaltige Rentenformel und Kaufkraftschutz
Der Nachhaltigkeitsfaktor (§ 68 SGB VI) ist ein zentrales Steuerungsinstrument, um das Verhältnis von Beitragszahlenden und Rentenbeziehenden abzubilden. Seine geplante Aussetzung bis 2031 untergräbt die langfristige Stabilität des Systems. Eine befristete, steuerfinanzierte Kaufkraftklausel schützt Renten in Inflationsphasen, ohne den Faktor dauerhaft außer Kraft zu setzen. Der Nachholfaktor bleibt als Ausgleichsmechanismus wichtig, um Generationengerechtigkeit zu sichern.
2. Regelalter an Lebenserwartung koppeln – mit sozialer Schutzschicht
OECD, Bundesbank und der Sachverständigenrat empfehlen eine schrittweise Koppelung des Rentenalters an die Lebenserwartung. Zugleich belegen Daten von RKI und Destatis deutliche soziale Unterschiede in der Lebenserwartung. Deshalb braucht es eine soziale Schutzschicht mit klaren Kriterien für besonders belastende Berufe. Ein Belastungs- und Gefährdungsatlas kann hierfür die empirische Grundlage liefern.
3. Erwerbstätigenversicherung und faire Finanzierungsbasis
Rund drei Millionen Selbständige verfügen über keine obligatorische Alterssicherung. Eine solidarische Erwerbstätigenversicherung schließt diese Lücke und stärkt die Legitimation des Systems. Für den Beamtenbereich sind verfassungsrechtliche Grenzen (Art. 33 V GG) zu beachten; ein direkter Systemwechsel scheint ohne Grundgesetzänderung nicht möglich. Realistisch und sachgerecht ist daher eine Begrenzung neuer Verbeamtungen außerhalb der Eingriffsverwaltung sowie eine Konsolidierung der Beamtenversorgung.
4. Zielgenaue Armutsprävention und Beratung
Bedarfsgeprüfte Zuschläge für langjährig Versicherte mit niedrigen Entgeltpunkten, die automatische Aufwertung von Niedriglohnzeiten und eine verbesserte Anerkennung von Sorge- und Pflegezeiten reduzieren Altersarmut wirksamer als pauschale Haltelinien. Ein gesetzlicher Anspruch auf unabhängige Rentenberatung stellt sicher, dass Betroffene ihre Ansprüche auch tatsächlich wahrnehmen.
5. Öffentlicher Opt-out-Fonds und betriebliche Vorsorge
Internationale Erfahrungen zeigen, dass kollektive, kostengünstige Standardfonds mit Lebenszyklus-Portfolios hohe Renditen bei geringen Gebühren erzielen. Ein öffentlicher deutscher Opt-out-Fonds kann die private Vorsorge ergänzen, sofern Governance, Transparenz und Gebühren-Caps gesetzlich verankert sind. Das Generationenkapital aus dem Rentenpaket II ist ein sinnvoller Zwischenschritt, wird aber erst mittelfristig entlastend wirken.
6. Steuerliche Entlastung kleiner Renten
Der Grundfreibetrag wird bislang jährlich per Gesetz an die Inflation angepasst, aber nicht formelgebunden. Eine gesetzliche Indexierung würde die kalte Progression dauerhaft beseitigen und Planungssicherheit schaffen. Der Altersentlastungsbetrag (§ 24a EStG) läuft systemgerecht aus, weil mit der vollständigen Umstellung auf die nachgelagerte Besteuerung keine Doppelbelastung mehr besteht. Stattdessen sollten gezielte Entlastungen für niedrige Renten geprüft werden. Eine regelmäßige Indexierung der Werbungskostenpauschale wäre zudem sachgerecht, um reale Aufwendungen Erwerbstätiger abzubilden.
7. „Rente mit 63“ sozial treffsicher neu ausrichten
Die seit 2014 geltende abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren wird überproportional von Männern mit stabilen Erwerbsverläufen und höheren Einkommen genutzt. Ihre Reform hin zu einem belastungsbasierten Frühverrentungsfenster, kombiniert mit gestärkter Erwerbsminderungsrente und Erhalt der Hinzuverdienstfreiheit, erhöht Treffsicherheit und Fairness und stabilisiert die Finanzierung.
Fazit
Die vorgeschlagenen Maßnahmen bilden ein kohärentes Gesamtkonzept:
– sie stabilisieren die Beitragssätze durch eine demografiefeste Formel,
– sie schützen die Kaufkraft der Renten zielgerichtet,
– sie erweitern die Finanzierungsbasis generationengerecht und
– sie stärken niedrige Renten ohne zusätzliche Belastung der Beitragszahler.
So entsteht eine verlässliche, gerechte und zukunftsfähige Alterssicherung.
