Veranstaltung: | 43. Bundesdelegiertenkonferenz Leipzig |
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Tagesordnungspunkt: | EP-S Europawahlprogramm (Kapitel 4) |
Status: | Beschluss (vorläufig) |
Beschluss durch: | Bundesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 12.11.2018 |
Eingereicht: | 13.11.2018, 15:29 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Kapitel 4: Garantieren, was uns alle schützt: Frieden, Sicherheit und Globale Gerechtigkeit fördern
Beschlusstext
Die internationale Staatenordnung befindet sich im Umbruch. Russlands Präsident verletzt die
territoriale Integrität anderer Staaten und verhindert eine demokratische Entwicklung im
Inland. Chinas Führung verstärkt immer weiter die staatliche Überwachung und heizt
Territorialkonflikte im Südchinesischen Meer an. In den Staaten Nordafrikas und des Nahen
Ostens konnte sich die Hoffnung der Menschen auf eine Demokratisierung der Region nicht
erfüllen. Iran und Saudi-Arabien führen stattdessen einen Kampf um die Vorherrschaft im
Nahen Osten. In Syrien tobt nach wie vor ein brutaler Krieg, in dem sich sogar NATO-Partner
feindlich gegenüberstehen.
Und die USA, wichtige Initiatorin jener Regeln, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs
einen großen Teil der Welt halbwegs zusammengehalten haben, haben sich als berechenbarer
Akteur der Weltpolitik verabschiedet. Mit dem Krieg gegen den Irak 2003 hat die US-Regierung
einen heftigen Bruch mit dem Völkerrecht gesucht, in Guantanamo die Menschenrechte mit Füßen
getreten. Mit ihrem aktuellen Präsidenten steigt die US-Regierung aus dem Klimaabkommen aus,
kündigt das Iranabkommen, agiert in Handelsfragen aggressiv und verachtet die
internationalen Organisationen, die ihr Land selbst gegründet hat. Die EU sieht sie
wirtschaftlich als Gegner. Garantien, auf die sich die Europäische Union sicher verlassen
konnte, gelten so nicht mehr.
Währenddessen geht die globale Vermögensverteilung immer weiter auseinander. Zwar haben sich
Armut und Kindersterblichkeit in den letzten Jahrzehnten halbiert, in vielen Ländern kann
mittlerweile die Mehrheit der Mädchen und Jungen lesen und schreiben. Dennoch ist das eben
nur die Hälfte und weltweit leidet weiter jeder neunte Mensch - 821 Millionen Menschen - an
chronischem Hunger und 1,5 Milliarden Menschen sind mangelernährt. Das reichste Prozent der
Weltbevölkerung besitzt über 50 % des Gesamtvermögens und damit mehr als die übrigen 99 %
der Weltbevölkerung. Die Auswirkungen der Klimakrise vertreiben nicht nur immer mehr
Menschen aus ihrer Heimat, weil sie auf ausgetrockneten oder überschwemmten Böden nicht mehr
leben und keine Landwirtschaft betreiben können, sondern auch weil die Auswirkungen der
Klimakrise vielerorts bestehende Konflikte und schlechte Regierungsführung verschärfen.
In dieser Situation muss sich die EU beweisen. Als außenpolitische Akteurin, als
Wertegemeinschaft, in der der Mensch mit seiner Würde, seiner Freiheit und seinen
unveräußerlichen Rechten im Mittelpunkt steht – wissend, dass gerade in der Außenpolitik
immer Kompromisse nötig sind und vielfältige Interessen ausbalanciert werden müssen. Will
die EU bei der Reduzierung von Instabilität, der Bekämpfung von massiven
Menschenrechtsverletzungen und der Beendigung von Krisen in ihrer unmittelbaren
Nachbarschaft und darüber hinaus eine Rolle spielen, müssen ihre Mitgliedsstaaten im Bereich
der Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik viel stärker kooperieren als bisher.
Die Europäische Union ist nie darauf angelegt gewesen, aber die Frage, die sich stellt, ist
die nach der Weltpolitikfähigkeit. Wenn wir diese Frage nicht angehen, dann wird die
Europäische Union, dann wird die globale Zusammenarbeit bedeutungslos. Dafür die Pflöcke
entlang von Frieden, Menschenrechten und dem Völkerrecht zu setzen, ist für uns als Grüne
die zentrale Aufgabe der nächsten Jahre.
Noch immer sind Frauen und Mädchen weltweit nicht gleichberechtigt. Das wollen wir ändern.
Die Gleichberechtigung der Geschlechter nämlich ist nicht nur Menschenrecht, sondern
Stabilisator für nachhaltigen Frieden, ist Grundlage gerechter Gesellschaften und Motor
wirtschaftlicher Entwicklung. Mit einer explizit feministischen EU-Außenpolitik wollen wir
deshalb geschlechtsspezifische Analysen und gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und
Minderheitengruppen auf allen Verhandlungs- und Umsetzungsebenen fördern. Wir rücken
systematisch die Auswirkungen außenpolitischer Entscheidungen auf die Machtverhältnisse
zwischen den Geschlechtern ins Zentrum ansonsten überwiegend männlicher Debattenverläufe und
Analysen.
4.1 Menschenrechte verteidigen, demokratische Handlungsräume sichern
Wir treten für eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik ein, die sich für
Menschenrechte stark macht und Frieden sichert. Statt Aufrüstung und einer Politik, die nur
auf den nationalen Vorteil bedacht ist, brauchen wir eine EU, die friedens- und
sicherheitspolitisch mit einer Stimme spricht.
Einen Schwerpunkt setzen wir in der Stärkung der Zivilgesellschaft. Denn die
Handlungsmöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Akteurinnen und Akteure werden in vielen
Ländern immer weiter eingeschränkt. Die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen wird dort
von staatlicher Seite systematisch erschwert, diffamiert, behindert und kriminalisiert.
Insbesondere die Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit werden in vielen Staaten
beschränkt oder ganz abgeschafft. Dies betrifft nicht nur autoritäre Staaten, sondern auch
Demokratien mitten in Europa, wie zum Beispiel Ungarn, Polen, Rumänien und Österreich, in
denen Grundprinzipien wie Pluralismus, Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Medien und
Rechtsstaatlichkeit in Frage gestellt werden. Das ist fatal, denn so geraten die Fundamente
der rechtsstaatlichen Demokratie unter Druck.
Wir sehen mit Sorge die weltweite Entwicklung des „shrinking space“, also der Einschränkung
des öffentlichen Raumes für die Zivilgesellschaft. Die Europäische Union, der Europarat und
die Vereinten Nationen sollten dieser entschieden entgegentreten. Das kann für die EU nur
gelingen, wenn sie ihre Mitgliedstaaten selbst konsequent in die Pflicht nimmt. Wir wollen
Nichtregierungsorganisationen unterstützen, deren Arbeit von staatlicher Seite systematisch
erschwert, diffamiert, behindert und kriminalisiert wird, und den Schutz von
Menschenrechtsverteidigern verstärken. Die EU sollte die internationale Vernetzung und den
Austausch von zivilgesellschaftlichen Organisationen fördern und unterstützen. Es ist auch
ein wichtiges Signal an Menschenrechtsverteidiger*innen, dass sie mit ihrem Engagement nicht
alleingelassen werden. Wir Grünen wollen, dass die EU-Leitlinien zum Schutz von
Menschenrechtsverteidigern vollständig umgesetzt und öffentlich stärker bekannt gemacht
werden. Dafür ist es auch notwendig das europäische Instrument für Demokratie und
Menschenrechte zu stärken und finanziell besser auszustatten. Die EU muss weiterhin den
Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zur Situation von Menschenrechtsverteidigern
und für Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit finanziell und politisch in- und außerhalb
des VN-Menschenrechtsrates aktiv unterstützen und den Aktionsplan für Menschenrechte und
Demokratie des Europäischen Rates vorantreiben.
Aber auch Städte und Regionen innerhalb der EU können einen wichtigen Beitrag zum Schutz von
Menschenrechten und Menschenrechtsverteidiger*innen leisten. Wir wollen Initiativen wie
kommunale Menschenrechtsbeauftragte, Aufnahmeprogramme für politisch Verfolgte oder
Patenschaftsprogramme stärker durch die EU finanziell und institutionell unterstützen. Die
EU-Mitgliedsstaaten sind aufgefordert, alle menschenrechtlichen Konventionen zu
ratifizieren.
Menschenrechte müssen stärker als bisher maßgeblich für die EU-Handelspolitik sein. Die Art
und Weise, wie wir in Europa leben, hat weltweite Folgen: von der Klimakrise bis zu
ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, Zerstörung der Lebensgrundlagen, rücksichtslosem
Ressourcenabbau und der Stärkung autoritärer Regime. Damit die EU zur Förderin von
nachhaltiger Entwicklung sozialer und ökologischer Standards im Welthandel wird, bedarf es
beherzter Schritte.
Transnationale Unternehmen mit Sitz in der EU müssen auch bei uns in Europa dafür haftbar
gemacht werden können, wenn sie innerhalb ihrer Produktions- und Ressourcenketten an
Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind. Lieferketten wollen wir transparenter machen, so
dass klar ist, unter welchen Bedingungen Produkte produziert wurden, die in die EU
eingeführt werden. Wir wollen nicht, dass Kriege, Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutung
durch Produkte finanziert werden, die in der EU verkauft werden. Wir Grünen wollen eine
konsequente Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und werden uns
bei der anstehenden Novellierung der CSR-Richtlinie für mehr Berichtspflichten und weniger
Ausnahmeregelungen stark machen.
Die EU als Vorreiterin einer feministischen Außen- und Sicherheitspolitik
Die Europäische Union muss das Prinzip einer feministischen Außen- und Sicherheitspolitik
und damit die Gleichberechtigung von Frauen und Minderheitengruppen zu einer Leitlinie ihrer
gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik machen. Sie braucht dazu einen intersektionalen
Ansatz, der die Überschneidung verschiedener Formen der Diskriminierung erkennt und ernst
nimmt. Mit einer feministischen, menschenrechtsbasierten Außen- und Sicherheitspolitik
ergänzen wir den traditionellen Sicherheitsbegriff um die menschliche Sicherheit und rücken
damit die Bedürfnisse von Menschen statt Staaten in den Mittelpunkt. Grünes Ziel ist es, die
Rechte von Frauen weltweit zu fördern und Frauen als Akteurinnen in Gesellschaft, Wirtschaft
und Politik zu stärken, sowie ihnen gleichwertigen Zugang zu sozialen, ökonomischen und
politischen Ressourcen zu garantieren und die reproduktiven und sexuellen Rechte zu stärken.
Dafür wollen wir in der EU die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und politischen
Minderheiten auf allen Verhandlungs- und Umsetzungsebenen in den Organisationen der
europäischen Außen- und Sicherheitspolitik steigern. Damit durchbrechen wir die klassischen
Strukturen im außen-, sicherheits- und entwicklungspolitischen Bereich, zeigen neue
Perspektiven, richten die Bereitstellung von Geldern neu aus und stellen Machtverhältnisse
grundlegend infrage.
Der Schutz von Frauen und Minderheiten sowie deren Beteiligung an Friedensprozessen trägt in
erheblichem Maße zur Wahrung von Frieden und Sicherheit bei. Wir wollen den UN-
Sicherheitsratsbeschluss 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ und seine Folgeresolutionen
mit Leben füllen, die Genderperspektive in sämtlichen außenpolitischen Bereichen und EU-
Friedensoperationen verankern – und dieses Gesamtvorhaben langfristig finanziell
unterfüttern. Ziel ist die Gleichbehandlung und -beteiligung von Frauen und Minderheiten in
der zivilen Krisenprävention, in Friedensverhandlungen und Friedensmissionen, in der
Konfliktbearbeitung und beim Wiederaufbau nach Konflikten sowohl auf polizeilicher und
militärischer Ebene. Dafür soll die Beraterin des Auswärtigen Dienstes der EU für Gender ein
eigenes Budget erhalten und an das Europaparlament berichten. Wir wollen zudem, dass die EU
alle ihr zur Verfügung stehenden außenpolitischen Instrumente nutzt, um der systematischen
Diskriminierung von Frauen und Mädchen weltweit sowie sexualisierter und
geschlechterbasierter Gewalt entgegenzuwirken.
Neben der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Durchsetzung der Frauenrechte treten
wir dabei auch gegen die Diskriminierung und für den Schutz der Menschenrechte von Lesben,
Schwulen, Bisexuellen, trans*, inter* und queeren (LSBTIQ*) Menschen ein. 2007 wurden in
Yogyakarta Prinzipien zur Anwendung der Menschenrechte in Bezug auf die sexuelle
Orientierung und die geschlechtliche Identität verabschiedet. Diese wollen wir weiter
fördern und umsetzen.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- den aktiven Schutz von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, insbesondere durch die
Stärkung von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen,
- für eine verantwortungsvolle Handelspolitik, in der Menschenrechte auch gegenüber
transnationalen Unternehmen einklagbar sind,
- eine feministische Außen- und Sicherheitspolitik.
4.2 Eine gemeinsame europäische Außenpolitik gestalten
Die multilaterale Ordnung und ihre Institutionen sind unter Druck. Es kommt jetzt mehr denn
je auf die EU als weltpolitikfähige Akteurin an, die global gestaltet. Das kann nur
gelingen, wenn die EU als dialogbereite und verlässliche Partnerin und gute Nachbarin
agiert. Einen Rückfall in Nationalismus und Populismus zu verhindern und die multilaterale
Ordnung zu erhalten und gerechter zu gestalten, ist Aufgabe und Interesse der EU.
Ein friedliches Zusammenleben mit unseren europäischen Nachbarregionen ist zentrale Aufgabe
europäischer Nachbarschaftspolitik. Die Kriege und Konflikte in den östlichen und südlichen
Nachbarstaaten stellen die EU vor große Herausforderungen. Es kommt jetzt mehr denn je auf
eine einheitliche und klar friedens- und menschenrechtsorientierte EU-Außenpolitik an. Die
EU muss ihr politisches und diplomatisches Gewicht in die Waagschale werfen, um Schritte für
Frieden und Sicherheit in ihrer Nachbarschaft zu ermöglichen. Und sie muss ihr Engagement
für die angrenzenden Regionen deutlich ausweiten, um Stabilität und wirtschaftliche
Entwicklung im gesamten Umfeld der Europäischen Union zu fördern.
Stärkung der multilateralen Ordnung und ihrer Institutionen
Eine friedliche Welt braucht eine starke internationale Organisation der Zusammenarbeit.
Gerade in einer Zeit, in der sich andere Staaten daraus zurückziehen, ist die Europäische
Union gefragt, Verantwortung zu übernehmen. Das betrifft sowohl die finanzielle
Unterstützung von internationalen Organisationen und Programmen, wie dem
Welternährungsprogramm, dem Umweltprogramm oder dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten
Nationen, als auch das Umsetzen von internationalen Verträgen, zum Beispiel des Pariser
Klimaabkommens.
In Zeiten, in denen einige Staatschefs wieder das Recht des Stärkeren an die Stelle der
Stärke des Rechts setzen wollen, braucht es eine Europäische Union, die das humanitäre
Völkerrecht verteidigt. Wir Grünen wollen, dass sich die EU für eine Stärkung und bessere
Funktionsfähigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes einsetzt. Es ist überfällig, dass
die EU neben den Mitgliedstaaten selbst Mitglied der Europäischen Menschenrechtskonvention
wird, damit sich auch EU-Institutionen für ihr Handeln vor dem Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte verantworten müssen.
Die schreckliche Situation in Syrien hat erneut verdeutlicht, welche negativen Auswirkungen
die Handlungsunfähigkeit der Vereinten Nationen (VN) durch die Blockadehaltung eines
Mitglieds im VN-Sicherheitsrat haben kann. Dadurch wird erschwert, dass die internationale
Gemeinschaft ihrer Schutzverantwortung nachkommen kann. Eine Blockade des Sicherheitsrats
bei zentralen Fragen schwächt das Völkerrecht und die VN insgesamt, da beispielsweise nicht
einmal der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag mit der Verfolgung von
Kriegsverbrechen beauftragt werden kann.
Die Vereinten Nationen müssen wieder voll handlungsfähig werden. Der Sicherheitsrat sollte
so reformiert werden, dass alle Weltregionen angemessen repräsentiert sind. So sollte z.B.
Indien aufgenommen werden. Damit würde sich das Gleichgewicht zwischen den Mitgliedsstaaten
verbessern. Dazu würde ein Sitz für die Europäische Union einen wichtigen Beitrag leisten.
Die Vetomöglichkeit im Sicherheitsrat wollen wir langfristig abschaffen und kurzfristig mit
einem Begründungszwang belegen, besonders bei der Frage der Responsibility to Protect. Bis
dahin sollte im Falle einer anhaltenden Blockade des Sicherheitsrats die Generalversammlung
der VN das Recht beanspruchen, nach dem Vorbild der „Uniting For Peace“-Resolution 377 von
1950 mit qualifizierter Mehrheit den Sicherheitsrat für blockiert zu erklären und an seiner
Stelle friedenserzwingende Maßnahmen, also diplomatische Maßnahmen, Sanktionen oder
militärische Maßnahmen, gemäß Kapitel VII der VN-Charta zu beschließen.
Neben den Vereinten Nationen wollen wir auch die Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa (OSZE) stärken. Dabei geht es darum, die Fähigkeiten der OSZE im
Bereich ziviler Krisenprävention, Frühwarnung und Krisenbewältigung zu stärken – materiell
und finanziell. Das Konzept der menschlichen Dimension von Sicherheit war und bleibt eine
zentrale Errungenschaft der OSZE. Sie bildet den umfassenden Sicherheitsbegriff der OSZE ab
und umfasst beispielsweise Aktivitäten in den Bereichen Medienfreiheit, Minderheitenrechte,
Rechtsstaatlichkeit und Nichtdiskriminierung. Dieses Engagement für die Förderung von
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten, Toleranz und Nichtdiskriminierung wollen
wir unterstützen. Wir fordern daher eine Stärkung des Hochkommissars für Nationale
Minderheiten, des Büros für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) und des
OSZE-Beauftragten für Medienfreiheit. Wir weisen jegliche Versuche von OSZE-Mitgliedern, die
Geltung dieser menschlichen Dimension in Frage zu stellen oder ihre Instrumente zu
diskreditieren, zurück.
Konsequent für EU-Recht beim Brexit
Erstmals in der Geschichte der Europäischen Union verlässt ein Land das gemeinsame Haus der
EU. Der Brexit verdeutlicht, wie gefährlich es ist, wenn Regierungen mit dem Feuer spielen
und Europa für nationale Machtkämpfe missbrauchen. Und er zeigt ein weiteres Mal, wie aus
Russland heraus versucht wird, Wahlen in Demokratien zu beeinflussen.
Die Europäische Union muss weiter geschlossen zusammenstehen, damit ein Drittland nicht
bessergestellt ist als ein Mitgliedsland. Rosinenpickerei darf es nicht geben, der Brexit
darf keine Blaupause für andere Staaten werden. Das würde auch diejenigen in Großbritannien
unterstützen, die eine weitere Entscheidung der Bürger*innen über das finale
Austrittsdokument fordern. Wir setzen uns dafür ein, dass eine Lösung gefunden wird, die den
in der EU lebenden Brit*innen und den in Großbritannien lebenden EU-Bürger*innen ermöglicht,
ihre jetzigen Rechtsansprüche auch nach dem Brexit geltend zu machen.
Bisher verhandelt die EU erfolgreich, besonders weil die anderen 27 Mitgliedstaaten
zusammenhalten. Wir unterstützen die Rolle der EU-Kommission als Verhandlungsführerin.
Nationale Alleingänge oder gar bilaterale Deals darf es nicht geben. Die Wahrung der vier
EU-Grundfreiheiten – Freiheit von Warenverkehr, Dienstleistung, Personen- und Kapitalverkehr
– müssen im Mittelpunkt stehen. Einen uneingeschränkten Zugang zum Binnenmarkt kann es ohne
Personenfreizügigkeit und Anerkennung des EU-Rechts nicht geben. Einen Austritt mit
Sonderstatus kann es nicht geben. Ebenso hat der Frieden auf der irischen Insel absolute
Priorität. Insbesondere die britische Regierung muss gewährleisten, dass eine harte Grenze
auf der irischen Insel vermieden wird. Ein Abkommen über die zukünftigen Beziehungen kann
erst nach dem rechtskräftigen Austritt Großbritanniens finalisiert werden. Die
außenpolitische Zusammenarbeit mit Großbritannien wollen wir nach dem Austritt im Rahmen
internationaler Organisationen (NATO, OSZE, Europarat) stärken.
Für eine verantwortungsvolle Erweiterungspolitik
Die Erweiterungspolitik der EU ist für uns eine Erfolgsgeschichte. Sie steht für Frieden,
Demokratie und Stabilität in Europa. Die Europäische Union hat allen Staaten des Westbalkans
– Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Kosovo, Albanien und Mazedonien – das
Versprechen gegeben, der EU beitreten zu können, wie dies Slowenien und Kroatien bereits
erfolgreich getan haben. Albanien und Mazedonien standen im Juni 2018 kurz vor der Eröffnung
der EU-Beitrittsverhandlungen, da alle zuvor festgelegten Bedingungen erfüllt wurden.
Trotzdem verschob der Rat die Eröffnung jedoch auf Juni 2019. Wir Grüne werden uns dafür
einsetzen, dass der Rat im Juni 2019 sein Versprechen auch in die Realität umsetzen wird,
damit Albanien und Mazedonien einen wichtigen und verdienten Schritt im langjährigen EU-
Beitrittsprozess vorankommen können.“
Die EU steht in der politischen Verantwortung, das Vertrauen in das Beitrittsversprechen
nicht zu enttäuschen und gleichzeitig den notwendigen Reformprozess in diesen Ländern
mitzugestalten. Wir wollen dieses Versprechen durch eine engagiertere und tiefgreifende
Zusammenarbeit mit möglichst vielen gesellschaftlichen Akteur*innen des Westbalkans
glaubwürdig machen. Denn die Beitrittsperspektive ist wichtiger Motor für den sensiblen
Friedens- und Aussöhnungsprozess, für Transformation und Modernisierung in einer weiterhin
fragilen Region. Und sie unterstützt vor allem diejenigen, die sich schon heute für mehr
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und den Schutz der Umwelt einsetzen. Klar
ist aber auch, dass ausschließlich der politische Reformwille vor Ort und die Erfüllung der
Kopenhagener Kriterien über das Tempo des weiteren Beitrittsprozesses und den EU-Beitritt
selbst entscheiden. Bei den dringend notwendigen Reformen darf es keinen Rabatt geben:
Gerade in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Grundwerte und Pressefreiheit, Bekämpfung von
Korruption und organisierter Kriminalität, Aufarbeitung von Kriegsverbrechen und Beilegung
von bilateralen Konflikten müssen noch viele Fortschritte erzielt werden. Diese
Herausforderungen bleiben für uns Ansporn für ein starkes Engagement.
Das bedeutet in jedem einzelnen Fall, dass die Beitrittsvoraussetzungen der Kopenhagener
Kriterien erreicht werden müssen, also die europäischen Werte und Regeln vollständig erfüllt
werden. Wir wollen außerdem, dass die EU die Erweiterungspolitik zum Anlass nimmt ihre
innere Funktionsfähigkeit endlich entschlossen anzugehen.
Transatlantische Partnerschaft neu ausrichten
Der US-amerikanische Präsident Trump hat die transatlantische Partnerschaft in eine tiefe
Krise gestürzt. Seine Präsidentschaft bringt massive Rückschritte beim Klimaschutz, bei der
Anerkennung des Völkerrechts und der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen.
Multilaterale Organisationen geraten so ins Wanken. Die US-Administration versteht die EU
als wirtschaftlichen Gegner und setzt auf eine nationalistische Strategie. Darauf braucht es
eine geschlossene Antwort der EU-Mitgliedstaaten. Die EU darf sich von Präsident Trump nicht
spalten lassen. Nur so kann Europa sich selbst behaupten.
Dennoch ist die transatlantische Partnerschaft für uns ein zentraler Bezugspunkt
europäischer Außen- und Sicherheitspolitik. Die USA sind mehr als ihr derzeitiger Präsident.
Eine enge Zusammenarbeit mit unseren amerikanischen Partnern und Netzwerken mit progressiven
Kräften im Land, die eine soziale, ökologische, friedliche und menschenrechtsbasierte
Politik verfolgen, bleiben wesentlicher Pfeiler unserer Politik. Daher sollte die
Europäische Union viel stärker auf eine Zusammenarbeit mit den US-Bundesstaaten sowie
zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, vor allem in den Bereichen Ökologie, Bildung, Energie,
Klimaschutz sowie Digitalisierung, setzen.
Das von Baden-Württemberg und Kalifornien angestoßene Klimaschutzbündnis auf der Ebene der
Regionen, die Under2 Coalition, dem sich schon über 200 Regionen angeschlossen haben, kann
hier einen wichtigen Beitrag leisten.
Östliche Partnerschaft und Russland: demokratische Kräfte stärken
Eine gute Partnerschaft mit den östlichen Nachbarn der EU ist im ureigenen Interesse Europas
und wichtiger Baustein für Stabilität und Frieden in der Region. Die Östliche Partnerschaft
der EU stärkt seit 2009 die Modernisierung, Demokratisierung und Durchsetzung von
Menschenrechten in Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und der Ukraine. Daran
wollen wir festhalten und sie weiter ausbauen. Die demokratischen Entwicklungen – sei es in
der Ukraine oder Armenien- verdeutlichen uns die Kraft der Zivilgesellschaft in diesen
Ländern. Wir halten an einer Visaliberalisierung für alle Länder der Östlichen Partnerschaft
fest. Klar ist für uns aber auch, dass diese Partnerländer noch einen weiten Weg vor sich
haben. Europäische Grundwerte dürfen nicht für wirtschaftliche Interessen geopfert werden.
Der Kampf gegen Korruption, demokratische und rechtsstaatliche Reformen und die Wahrung der
Menschenrechte müssen in diesen Ländern noch stärker von der EU eingefordert und unterstützt
werden. Die wichtige Anbindung der östlichen Nachbarn an die EU ist gleichzeitig eine
Herausforderung für das Verhältnis zu Russland. Russland versucht, die engere Zusammenarbeit
der östlichen Staaten mit der EU zu verhindern. Dennoch unterstützen wir weiterhin die
Schritte insbesondere der EU-assoziierten Länder der Östlichen Partnerschaft - also der
Ukraine, der Republik Moldau und Georgiens - in Richtung europäische Integration und wollen
ihnen den Weg zu einem EU-Beitritt offen halten.
Unter Präsident Putin hat Russland mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, dem
militärischen Vorgehen in der Ostukraine und mit dem militärischen Eingreifen in Syrien auf
der Seite Assads zu einer erheblichen Verschärfung der internationalen Spannungen
beigetragen. Putin führt Russland nicht nur innenpolitisch immer weiter weg von Demokratie,
Freiheit, der Achtung der Menschenrechte und einer dringend nötigen sozialen und
ökonomischen Modernisierung des Landes und seiner Strukturen, sondern handelt
internationalen Verpflichtungen und Standards zuwider. Gerade bei unseren osteuropäischen
Nachbarn hat das tiefe historische Erinnerungen hervorgerufen. Die Verletzung der
territorialen Integrität anderer Staaten ist inakzeptabel. Die EU muss hier klar sein und
ihre politischen und diplomatischen Anstrengungen für eine friedliche Lösung der Konflikte
in Osteuropa und im Südkaukasus verstärken.
Für uns ist klar: Es darf keine Abstriche in unserem Eintreten für Demokratie und
Menschenrechte und die Einhaltung des Völkerrechts geben. Die uneingeschränkten Gültigkeit
der Schlussakte von Helsinki, die Charta von Paris sowie die Prinzipien der OSZE leiten
unsere Politik gegenüber Russland. Eine Lösung des Konfliktes in der Ukraine kann nur eine
politische und diplomatische sein. Daher halten wir am Minsker Abkommen fest. Solange
Russland gegen dieses verstößt, muss die EU die gezielten Sanktionen aufrechterhalten. Wir
wenden uns gegen jede Verletzung der Grund- und Menschenrechte von Aktivist*innen,
Journalist*innen, Oppositionellen und Minderheiten in Russland. Wir unterstützen das
zivilgesellschaftliche Engagement in Russland. Gemeinsam mit unseren russischen Partnern
fordern und fördern wir die stärkere Kooperation mit demokratischen
Nichtregierungsorganisationen und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Denn diejenigen, die
unter den Repressionen leiden, brauchen unsere volle Solidarität. Mit Sorge sehen wir
Versuche von russischer Seite, die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten zu schwächen.
Die russische Regierung hat kein Interesse an einem geschlossenen und demokratischen Europa.
Das wurde durch die Hacks, die Wahlbeeinflussung über soziale Netzwerke und die erhebliche
finanzielle Unterstützung anti-demokratischer Kräfte in vielen europäischen Staaten
deutlich. Darauf muss sich die Europäische Union noch besser einstellen. Die Antwort muss in
einer Stärkung der EU und in einer Unterstützung demokratischer Kräfte in Russland liegen.
Dabei sollte die Absicherung von sicherheits- und versorgungsrelevanten digitalen Systemen
im Vordergrund stehen. Hier gibt es noch hohen Abstimmungs- und Handlungsbedarf innerhalb
der EU. Sich in starker europäischer Solidarität entschieden gegen russische Menschen- und
Völkerrechtsverletzungen zu stellen, bedeutet allerdings keinen Verzicht auf Selbstkritik.
Wachsender Rechts-Autokratismus ist nicht allein ein russisches, sondern auch ein
europäisches Gesellschaftsphänomen: Hier steht nicht Russland gegen Europa, sondern
beiderseits Rechtsautokratismus gegen Demokratie und Menschenrecht. Wo immer es möglich ist,
suchen wir die Kooperation mit Russland, deshalb bleiben wir auch im Gespräch. Sicherheit,
Frieden und Abrüstung lassen sich nicht erreichen, wenn man sich anschweigt.
Europäisches Engagement für Stabilität und Frieden im Nahen Osten
Der grausame Krieg in Syrien, der seit über sieben Jahren tobt, Hunderttausenden das Leben
gekostet und Millionen von Menschen in die Flucht getrieben hat, findet vor Europas Haustür
statt. Die EU sollte alle bestehenden Friedensinitiativen, sowie alle Bestrebungen zur
nationalen Aussöhnung und zur Aufarbeitung begangener Kriegsverbrechen unterstützen. Eine
europäische Hilfe für den Wiederaufbau kann es nur geben, wenn diese nicht nur den Assad-
Getreuen nützt, sondern allen Syrerinnen und Syrern. Die EU muss diplomatische Initiativen
ergreifen, damit die katastrophale humanitäre Situation verbessert wird. Die Menschen
benötigen dringend Lebensmittel und sauberes Trinkwasser, insbesondere aber medizinische
Versorgung mit Geräten, Instrumenten und Medikamenten - all das ist nahezu vollständig durch
Bomben und Granaten zerstört und vernichtet worden. Solange der Krieg ungehindert
fortgesetzt wird, müssen Sanktionen und Einreiseverbote gegen hochrangige syrische und
russische Militärangehörige bestehen bleiben und ihre Konten in der EU eingefroren werden.
Zudem müssen Waffenlieferungen, die den Krieg in Syrien befeuern, gestoppt werden. Gerade
wenn Ergebnisse im Sicherheitsrat nur schwer zu erzielen sind und immer wieder durch den
Missbrauchs des Vetorechts durch Russland oder andere Staaten blockiert werden, bedarf es
politischer Initiativen, um im Rahmen der Generalversammlung etwa eine unabhängige
Untersuchung von Verstößen gegen das Völkerrecht durchzusetzen.
Die einseitige Aufkündigung des Atom-Abkommens mit dem Iran durch US-Präsident Trump könnte
die ohnehin instabile Region in einen weiteren blutigen Konflikt stürzen. Es droht ein
nukleares Wettrüsten in der Region, das ganz konkret auch die Sicherheit in der Europäischen
Union bedroht. Wir treten für eine Atomwaffenfreie Welt ein, dafür ist auch eine nukleare
Abrüstung im Nahen Osten wichtig. Dazu kommt der Schaden für das transatlantische Verhältnis
und die multilaterale Ordnung insgesamt. Die EU muss jetzt alles daransetzen, das Iran-
Abkommen am Leben zu halten und die atomare Aufrüstung des Irans zu verhindern. Dies darf
jedoch nicht zu einem selbst auferlegten Schweigen gegenüber der dramatischen
Menschenrechtssituation, der Drohungen gegen Israel und der aggressiven Regionalpolitik des
Irans führen. Zusätzlich muss sich die EU gegenüber allen Regionalmächten um die
Durchsetzung einer Friedensordnung bemühen.
Das deutsch-israelische Verhältnis ist durch die Verfolgung und Ermordung der europäischen
Jüdinnen und Juden durch das nationalsozialistische Deutschland geprägt. Das Existenzrecht
und die Sicherheit Israels mit gleichen Rechten für all seine Bürgerinnen und Bürger sind
daher unverhandelbar. Wir Grünen setzen uns weiterhin für eine Zwei-Staaten-Regelung ein, um
die Sicherheit des Staates Israel als nationale Heimstätte des jüdischen Volkes und zum
Wohle aller seiner Bewohnerinnen und Bewohner sowie die Schaffung eines souveränen,
lebensfähigen und demokratischen Staates Palästina auf der Grundlage der Grenzen von 1967 zu
gewährleisten. Es kann nur eine gewaltfreie Lösung geben. Wir wenden uns mit aller
Entschiedenheit gegen den Terror der Hamas. Die zunehmende Diskriminierung von Minderheiten
in Israel lehnen wir genauso ab wie den illegalen Siedlungsbau. Während wir der
palästinensischen Zivilgesellschaft nicht absprechen, selbst über gewaltfreie Strategien zur
Beendigung der Besatzung zu entscheiden, lehnen wir einen Boykott Israels als Instrument
deutscher und europäischer Außenpolitik ab. Wir wollen weiterhin mit allen Kräften in Israel
und Palästina zusammenarbeiten, die sich gegen eine Fortdauer der Besatzung, gegen eine
Spaltung der israelischen Gesellschaft und für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzen.
Seit drei Jahren tobt auch im Jemen ein brutaler Krieg, in dem die Huthi-Rebellen mit
Unterstützung des Iran gegen die jemenitische Regierung und die von Saudi-Arabien angeführte
Militärallianz kämpfen. In dem unerbittlichen Krieg sind bereits mehr als 10.000 Menschen
ums Leben gekommen, 80 % der Bevölkerung sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, darunter
viele Kinder. Die EU muss ihrer humanitären Verantwortung gerecht werden und alles dafür
tun, um einen sofortigen Waffenstillstand der beteiligten Militärmächte und der Rebellen zu
erreichen. Politisch muss auf die Kriegsparteien eingewirkt werden, um die Kampfhandlungen
umgehend zu stoppen, die durch Saudi-Arabien errichtete Seeblockade aufzulösen und
Hilfsgüter ins Land zu lassen. Jegliche Lieferung von Waffen und Rüstungsgütern an Saudi-
Arabien und die anderen kriegsführenden Mitglieder der saudisch geführten Allianz müssen ein
Ende haben. Es darf nicht sein, dass die Europäische Union indirekt diesen Krieg auch noch
anheizt.
Demokratische Kräfte in der Türkei stärken
Die Türkei ist nicht Erdogan, Erdogan ist nicht die Türkei. Alle Abstimmungen der
vergangenen Jahre haben gezeigt: Rund die Hälfte der türkischen Wählerinnen und Wähler
wünscht sich eine demokratische und rechtsstaatliche Zukunft. Diese Kräfte – die trotz
schwerster Repressalien und systematischer Verfolgung durch eine autoritäre und
autokratische Regierung in der Türkei für Weltoffenheit eintreten – müssen wir unterstützen.
Wir wollen deshalb alles politische Handeln auf europäischer Ebene und in den
Mitgliedstaaten konsequent auf die Unterstützung der demokratischen Kräfte in der Türkei
ausrichten. Wir verurteilen die von Präsident Erdogan eingeschlagene Politik hin zu einem
autoritären Präsidialsystem und die massiven Angriffe auf Oppositionelle, die
Zivilgesellschaft, die Meinungs- und Pressefreiheit, die völkerrechtswidrigen Angriffe des
türkischen Militärs auf Syrien und den Nordirak sowie die Abkehr von einem friedlichen und
politischen Lösungsprozess in der Kurdenfrage. Es braucht nun eine grundlegende
Neuvermessung der europäisch-türkischen Beziehungen. Mehr denn je muss die EU klare Haltung
für Demokratie und Menschenrechte zeigen. Für die europäische Ebene bedeutet das unter
anderem: Über eine Ausweitung der Zollunion kann erst verhandelt werden, wenn die Türkei
eine Kehrtwende zurück zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vollzieht. Alle Rüstungsexporte
europäischer Mitgliedstaaten gehören beendet, ebenso wie die Beteiligung europäischer
Unternehmen an Rüstungskonsortien in der Türkei.
Die Türkei hat über 3 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Deren Versorgung nach
humanitären Standards muss die EU finanziell unterstützen. Auch sollten die EU-Staaten
dringend Kontingente zur Entlastung der dortigen Strukturen anbieten.
Das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei ist eine Folge der Weigerung der EU-Mitgliedstaaten,
zu einer gemeinsamen solidarischen Lösung in der Flüchtlingskrise zu kommen. Es hat zu
katastrophalen Lagern auf Lesbos und anderen griechischen Inseln geführt und untergräbt
durch Abschiebungen ohne Asylrechtsprüfung das Recht auf Asyl. Damit hat die Türkei einen
nicht unerheblichen Anteil an einer EU- Abschottungspolitik. Diesen EU-Türkei-Deal wollen
wir beenden.
Praktisch liegen die Beitrittsgespräche mit der Türkei bereits auf Eis. Die Wiederaufnahme
der Verhandlungen muss an strenge, messbare Bedingungen geknüpft sein. Insbesondere mit
Blick auf die Verfassungsreform und die jüngsten Wahlen in der Türkei ist eines deutlich:
Ein EU-Beitritt der Türkei ist mit der derzeit unter Präsident Erdogan verfolgten Linie zur
Aushöhlung des Rechtsstaats, von demokratischen Rechten und von gesellschaftlichen
Freiheiten nicht vorstellbar. Zugleich gilt: Für eine demokratische und weltoffene Türkei
müssen die Türen zur EU offen bleiben. Ein formaler Abbruch der Beitrittsgespräche wäre
falsch. Die vielen proeuropäischen Kräfte in der Türkei brauchen dieses Signal und weiterhin
unsere Unterstützung. Umso bedeutender ist es deshalb, die noch bestehenden EU-
Beitrittshilfen ausschließlich an prodemokratische Organisationen auszuzahlen und die
Verwendung der Gelder deutlich strenger zu kontrollieren als bislang.
Partnerschaft auf Augenhöhe mit Afrika
Afrika und Europa sind einander eng verbunden, durch die koloniale Vergangenheit hat Europa
eine besondere, historische Verantwortung. Statt aber eine Partnerschaft auf Augenhöhe
anzustreben, steht derzeit für die EU vor allem Migrationskontrolle und polizeiliche bzw.
militärische Zusammenarbeit im Vordergrund. Die gegenwärtige europäische Agrar-, Fischerei-,
Handels- und Ressourcenpolitik verhindert nachhaltige, wirtschaftliche Entwicklung in
Afrika. Diese Politik bekämpft keine Probleme, sondern verschärft die Situation derjenigen,
die am meisten unter Armut und globaler Ungerechtigkeit zu leiden haben. Wir wollen eine
Wende in den Beziehungen zu unserem Nachbarkontinent und unsere afrikanischen Partner dabei
unterstützen, lebenswerte Perspektiven für die Menschen vor Ort, besonders für die Jugend,
zu schaffen und damit auch langfristig Fluchtgründe zu bekämpfen. Dies wollen wir vor allem
durch eine Stärkung afrikanischer Organisationen wie der Afrikanischen Union oder der
Afrikanischen Entwicklungsbank erreichen. Da die Voraussetzung für gesellschaftlichen,
wirtschaftlichen und politischen Fortschritt oftmals die Teilhabe von Frauen ist, wollen wir
gemeinsam mit unseren Partner*innen unser Engagement für Geschlechtergerechtigkeit
verstärken.
Fokus unserer vertieften Zusammenarbeit ist eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung
durch sozial-ökologische Investitionen. Dabei wollen wir besonders mit kleinen und mittleren
Unternehmen zusammenarbeiten. Diese neue Partnerschaft Afrika-EU, die das Abkommen von
Cotonou ablösen wird, muss auf einem offenen und transparenten Ausgleich gegenseitiger
Interessen und Forderungen sowie auf Menschenrechten basieren. Um eine nachhaltige
Entwicklung im globalen Süden einzuleiten, braucht es eine kohärente Politik in der EU, die
sich an der Agenda 2030 der Vereinten Nationen, am Klimaabkommen von Paris, an der
Aktionsagenda von Addis Abeba und an der Agenda 2063 der Afrikanischen Union orientiert.
Europäische China-Politik: Kooperation auf Basis klarer Werte
Europas Verhältnis zu China ist über die letzten Jahre wichtiger, aber auch schwieriger
geworden. Deutschlands Beziehungen zur Volksrepublik sind besonders eng. Daraus erwächst
eine hohe Verantwortung dafür, dazu beizutragen, dass die EU gegenüber China vermehrt mit
einer Stimme spricht. Das gilt für die Abwehr chinesischer Dumpingexporte, für den
verantwortlichen Umgang mit Investitionen, die Belange der Sicherheit oder der öffentlichen
Ordnung beeinträchtigen könnten, oder für faire Chancen europäischer Unternehmen in China.
Es gilt nicht weniger für die gemeinsame Vertretung unserer gemeinsamen Werte, vornean der
Menschenrechte. Und es gilt auch gegenüber Chinas Außenpolitik, die zunehmend eine der
harten Hand ist und zunehmende Drohungen gegenüber der Selbstverwaltung Taiwans einschließt.
Wir unterstützen Europas „Ein-China-Politik“ und teilen die Auffassung, dass Chinas
Vereinigung nicht gegen den Willen der Bevölkerung Taiwans erzwungen werden darf.
Chinas heutige Führung, die im Inneren zum Totalitarismus zurückkehrt, befindet sich mit
ihren Konzepten der „neuen Seidenstraße“, des „Made in China 2025“ und der „globalen
Schicksalsgemeinschaft“ auf dem Weg zur globalen Supermacht, die Multilateralismus nur
mitmacht, wo er ihr nutzt und kritische Äußerungen von innen und außen rigoros sanktioniert.
Die Europäische Union muss der chinesischen Herausforderung mit der Bereitschaft zur
Kooperation - der Erhöhung der China-Kompetenz in der EU, etwa durch Ausbau der öffentlichen
Forschungsförderung, und dem Ausbau von kulturellem und Jugendaustausch - aber auch mit
Klarheit in der Vertretung der eigenen Werte und Interessen und mit Selbstbewusstsein
begegnen. Dabei muss auch darauf hingewirkt werden, dass die enormen Investitionen, die
China in anderen Ländern plant, auf eine nachhaltige Entwicklung einzahlen, um die globalen
und lokalen Umweltgüter, den sozialen Frieden sowie die internationale Sicherheit zu
bewahren.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- eine Initiative für die Reform und Stärkung der Vereinten Nationen,
- die materielle und finanzielle Stärkung der OSZE,
- die Stärkung des humanitären Völkerrechts und des internationalen Strafrechts zur
Verfolgung schwerster Menschenrechtsverbrechen,
- eine vertiefte und wirtschaftlich nachhaltige Partnerschaft zwischen EU und Afrika auf
Augenhöhe.
4.3 Krisen vermeiden, Frieden und Sicherheit garantieren
Als Friedensmacht ist es oberste Pflicht von uns Europäerinnen und Europäern, aktiv an einer
globalen, multilateralen Friedensordnung im Rahmen der Vereinten Nationen mitzuarbeiten. Im
Mittelpunkt muss eine Politik stehen, die verhindert, dass Krisen und Konflikte überhaupt
entstehen. Von einer kohärenten, vollständig koordinierten Krisenprävention der EU sind wir
noch weit entfernt. Wenn die EU ihre Rolle als zivile Macht ernst nimmt, darf sie nicht nur
auf die Verteidigung schauen. Zivile und präventive Maßnahmen sind frühzeitig zu ergreifen
und nicht erst, wenn Konflikte schon entflammt sind. Das gilt besonders auch für Post-
Konflikt-Situationen, auch in Regionen, die nicht im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit
stehen. Das Wiederaufflammen von Kriegen und gewaltsamen Konflikten lässt sich am besten
verhindern, wenn frühzeitig in Kooperation mit lokalen Akteur*innen Strukturen vor Ort
unterstützt und gegebenenfalls aufgebaut werden, die Sicherheit herstellen und die
Versorgung aller Menschen in einer Region ermöglichen.
Damit sich Friedenspolitik auf europäischer Ebene nicht nur am kleinsten gemeinsamen Nenner
orientiert, setzen wir uns für das Prinzip von Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und
Sicherheitspolitik im Europäischen Rat ein. Eine zivile Säule des außenpolitischen Handelns,
die Diplomatie, ist der nachhaltigere, stärkere Pfeiler einer menschenrechtsorientierten
Friedens- und Außenpolitik. Dementsprechend wollen wir den Europäischen Auswärtigen Dienst
ausbauen und auch die Aus- und Weiterbildung der Diplomat*innen stärken. Wir plädieren
dafür, die konsularischen Dienste der Mitgliedsländer gemeinsam in europäischen Botschaften
zu bündeln und dadurch Personalkapazitäten für die eigentlichen diplomatischen Aufgaben
freizusetzen.
Gerade in Zeiten zahlreicher Krisen und Konflikte wollen wir zugleich die auswärtige
Bildungs- und Kulturpolitik nutzen und stärken – als dritte Säule der Außenpolitik und
wirkungsmächtiges Instrument europäischen Handelns, das den Kontakt mit der globalen
Zivilgesellschaft sichert und Gesprächskanäle öffnet, wo sonst Schweigen und Blockade
herrschen.
Wir unterstützen den Europäischen Auswärtigen Dienst in seinen Bestrebungen, auch für den
zivilen Bereich feste Ausbauziele und gemeinsame Schwerpunkte festzulegen. Ähnlich wie die
Battlegroups im militärischen Bereich brauchen wir auch ein ziviles Einsatzteam, damit im
Krisenfall schnell zivile staatliche und nicht staatliche Experten wie Polizisten, Juristen,
Mediatoren oder Verfassungsexperten entsandt werden können. Zivile Krisenprävention und
Konfliktbearbeitung gehören ins Zentrum der europäischen Friedens- und Außenpolitik. Wir
wollen die Mittel und das Personal, z.B. für die EU- Polizei- und Rechtsstaatsmissionen,
deutlich erhöhen.
Die Kapazitäten für Frühwarnung und Mediation wollen wir ausbauen und zivilgesellschaftliche
Organisationen und NGOs stärker einbinden. Das Europäische Friedensinstitut wollen wir
stärken, gerade auch mit deutscher Beteiligung.
Wir stellen uns gegen den fatalen Paradigmenwechsel, zivile Gelder aus dem EU-Haushalt für
militärische Zwecke oder zur Abwehr von Geflüchteten umzuwidmen. Die Trennschärfe zwischen
entwicklungspolitischen und militärischen Maßnahmen muss bewahrt werden. Wir lehnen sowohl
die Öffnung des Instruments für Stabilität und Frieden für militärische Zwecke ab als auch
den Plan der EU-Kommission, dieses Instrument ab 2021 gemeinsam mit den elf anderen
außenpolitischen Finanzinstrumenten zum "Instrument für Nachbarschaft, Entwicklung und
internationale Kooperation" zu verschmelzen. Dieser neue große Topf birgt die Gefahr, dass
die Bekämpfung von Fluchtursachen militärisch gedacht wird. Stattdessen fordern wir eine
Verdoppelung der Mittel im Bereich der zivilen Krisenprävention.
Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisengebiete stoppen
Europa exportiert Waffen und Rüstungsgüter in Kriegs- und Krisengebiete sowie in Diktaturen.
Das wollen wir stoppen. Wirtschaftsinteressen dürfen nicht Frieden gefährden. Da viele
Rüstungskonzerne über Grenzen hinweg eng zusammenarbeiten, brauchen wir auch eine effektive,
strenge und gemeinsame Rüstungsexportkontrolle in der EU. Es braucht einklagbare strenge
Regeln und Sanktionsmöglichkeiten. Deshalb wollen wir Nichtregierungsorganisationen ein
Verbandsklagerecht einräumen, um die Rechtmäßigkeit genehmigter Rüstungsexporte überprüfen
zu lassen. Besonders viele Opfer weltweit fordert der Einsatz von kleinen und leichten
Waffen. Die Bundesregierung muss zunächst den Export dieser Waffen und ihrer Munition an
Drittstaaten komplett verbieten und nur wenige und gut begründete Ausnahmen nur im Rahmen
von Missionen mit VN-Mandat zulassen. Ein solches Exportverbot für Kleinwaffen fordern wir
auch auf europäischer Ebene. Auch wollen wir nicht, dass Überwachungssysteme zur
Unterdrückung von Menschen in Diktaturen genutzt werden. Wir fordern daher, dass die
Einhaltung der gemeinsamen Regeln für die Ausfuhrkontrolle von Militärtechnologie und
Militärgütern (gemeinsamer Standpunkt des Rats von 2008) überprüft und Verstöße gerichtlich
geahndet werden können. Im Rahmen der Überarbeitung der Dual-Use Verordnung fordern wir die
Einführung einer allgemeinen Menschenrechtsklausel, die nicht nur auf
Überwachungstechnologie anzuwenden ist.
Der Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag) zwischen den USA und Russland
ist der wesentliche Pfeiler der internationalen Rüstungskontrolle und der europäischen
Sicherheitsarchitektur. Die einseitige Aufkündigung dieses Vertrags durch die US-Regierung
wäre fatal. Seit 2014 gibt es substanzielle Vorwürfe gegen Russland, den Vertrag durch die
Entwicklung eines neuen Raketensystems zu verletzen. Dennoch halten wir es für falsch,
dieses Abkommen zu verlassen. Denn so steigt die Gefahr eines weltweiten nuklearen
Wettrüstens dramatisch an – nicht nur zwischen den USA und Russland, sondern auch mit Blick
auf andere Atommächte wie China, Iran oder Indien. Gegenseitige Inspektionen der
umstrittenen Waffensysteme wären jetzt das Gebot der Stunde, so wie der INF-Vertrag es für
den Streitfall vorsieht. Die EU muss jetzt alles dafür tun, dass der INF-Vertrag erhalten
bleibt. Es ist nötiger denn je, glaubwürdig für den Erhalt und die Stärkung internationaler
und regionaler Rüstungskontrollregime einzutreten. Maßnahmen zur Abrüstung muss die EU auch
auf neue Bereiche der Kriegsführung – wie das Internet, Weltraum und autonome Waffensysteme
– ausdehnen. Wir wollen, dass die EU für die Einbeziehung bewaffneter unbemannter
Luftfahrzeuge in internationale Abrüstungs- und Rüstungskontrollregime eintritt. Das gilt
insbesondere für die Entwicklung, Herstellung, Beschaffung und Verbreitung voll-autonomer
Waffensysteme, bei denen Auswahl und Bekämpfung von Zielen keiner Steuerung durch den
Menschen unterliegen. Sie können zu massiven Völkerrechtsverletzungen führen und ein neues
Wettrüsten ankurbeln. Deshalb soll sich die EU für eine umfassende völkerrechtliche Ächtung
autonomer Waffensysteme (LAWs) einsetzen. Außerdem muss die EU zur atomaren Abrüstung
beitragen, sowohl im Innern durch den Einsatz für ein atomwaffenfreies Europa als auch
international, und ihre Mitglieder zur Unterzeichnung des UN-Vertrags auffordern.
Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik
Heutzutage werden Sicherheitsrisiken immer komplexer und reichen von der Verbreitung von
Massenvernichtungswaffen und Cyberangriffen bis hin zur Bedrohung der Energie- und
Umweltsicherheit, während zugleich militärische Annexionen direkt vor unserer Haustür
stattfinden. Europa kommt gar nicht darum herum, sich diesen Herausforderungen stärker
selbst zu stellen. Die NATO hat nach wie vor eine wichtige Bedeutung für die Sicherheit
Europas. Doch auch angesichts der Spannungen und Konflikte im NATO-Bündnis ist es sinnvoll,
die Sicherheit Europas stärker gemeinsam voranzutreiben. An der Vision einer
gesamteuropäischen Sicherheitsordnung, die den Raum der OSZE umfasst, halten wir fest. In
diesem Sinne wollen wir an einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsunion arbeiten und die
verstärkte Zusammenarbeit der Streitkräfte in der EU ausbauen, anstatt immer mehr Geld in
nationale Rüstungssektoren zu pumpen. Den Aufbau einer europäischen Atommacht lehnen wir ab.
Genauso wenig wollen wir, dass Deutschland sich atomar bewaffnet oder sich unter den
Schutzschild der französischen Atomstreitkräfte stellt.
Forderungen aus der NATO, die nationalen Militärausgaben auf 2 % des Bruttoinlandsprodukts
zu steigern, lehnen wir ab. Aus Sicht der EU-Kommission würden sich schon jetzt durch eine
tiefgehende Kooperation im Verteidigungsbereich Einsparungsmöglichkeiten von 25 bis 100
Milliarden Euro pro Jahr ergeben. Statt 17 nicht funktionsfähiger Systeme sollten wir besser
ein funktionierendes System schaffen. Wir unterstützen daher grundsätzlich die ständige und
strukturierte Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich (PESCO), wobei die zivile Seite der
Sicherheitskooperation bislang deutlich hinterherhinkt. PESCO ist mit der Teilnahme von 25
der 28 Mitgliedsstaaten zu einem Projekt nahezu der gesamten Europäischen Union geworden.
Die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich darf aber nicht dazu führen, dass wir
zusätzliches Geld in ein ineffizientes System der Verteidigungsbeschaffung stecken. Was
europäisch getan wird, darf nicht noch parallel national weitergeführt und finanziert
werden. Vielmehr wollen wir eine sicherheitspolitische Integration auf europäischer Ebene im
Sinne einer echten Umsetzung des „pooling & sharing“. Die europäischen Verteidigungsausgaben
dürfen auch nicht zu Lasten anderer Aufgaben der EU gehen. Die Umwidmung bisher ziviler
Haushaltstitel auf EU-Ebene lehnen wir ab. Die Entwicklung des Europäischen
Verteidigungsfonds verfolgen wir kritisch und setzen uns für mehr Transparenz und
Kontrollmöglichkeiten durch das Europäische Parlament ein. Der Fonds darf nicht zu
Aufrüstung führen. Wir sind gegen eine Etablierung von Parallelstrukturen zur Gemeinsamen
Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) wie die Europäische Interventionsinitiative
(EII). Ein gemeinsames außen- und sicherheitspolitisches Vorgehen Europas kann es nur
innerhalb der Strukturen der Europäischen Union geben.
Damit der Einsatz des Militärs auch wirklich das äußerste Mittel bleibt, muss der zivile
Aspekt der Sicherheit deutlich gestärkt werden, wozu vor allem die Nichtverbreitung von
Waffen, die Verhinderung von Völkermord, die wirtschaftliche Entwicklung, die
Rechtsstaatlichkeit, die Vermittlung und Versöhnung und die territoriale Integrität zählen.
Wichtig ist für uns, dass die gemeinsamen Verteidigungsprojekte auch parlamentarisch durch
das Europäische Parlament kontrolliert werden. Aus nationaler Erfahrung wissen wir, dass
Großprojekte ohne Transparenz und echte Kontrollmöglichkeiten häufig in Missmanagement und
Korruption enden.
Außerdem brauchen wir eine regelmäßige Debatte zu Einsätzen, die im Rahmen der Missionen der
Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU durchgeführt werden. Auch
die Evaluierung solcher Missionen sollte durch das Europaparlament erfolgen. Nationale
Parlamentsvorbehalte dürfen im Zuge einer stärkeren Rolle des Europäischen Parlaments aber
nicht abgeschafft oder unterwandert werden. Mitgliedstaaten sollen auch in Zukunft die
Möglichkeit haben, nicht an GSVP-Missionen teilzunehmen.
Europäischer Beitrag zur Konfliktprävention, Friedenssicherung und Schutz vor Verbrechen
gegen die Menschlichkeit
Eine an den Menschenrechten orientierte Außenpolitik, die dem Schutzprinzip des Völkerrechts
verpflichtet ist, bedeutet auch, zu handeln, wenn Menschenrechte massiv verletzt werden. Wir
setzen uns daher für den Ausbau der europäischen Polizei- und Rechtsstaatsmissionen ein wie
auch für Ausbildungs- und Unterstützungsmissionen zur Vorsorge oder zur Stabilisierung von
Friedensprozessen.
Wir stehen zu einer Kultur der militärischen Zurückhaltung und für das Primat des Zivilen.
Die Anwendung militärischer Gewalt ist immer ein Übel. Es gibt jedoch Situationen, in denen
militärische Gewalt unter eng begrenzten Bedingungen als äußerstes Mittel im Sinne der
Schutzverantwortung der VN notwendig ist, weil nationale Regierungen nicht in der Lage oder
willens sind, Menschen vor schweren Menschenrechtsverbrechen zu schützen. Dabei steht an
erster Stelle immer die Prävention, also das Verhindern gewaltsamer Entwicklungen. Wir
machen uns die Entscheidung über Militäreinsätze niemals einfach, sondern prüfen mögliche
Mandate kritisch und sorgfältig.
Für uns gelten die VN-Charta und das Völkerrecht. Wir werden Einsätzen der Bundeswehr nur
auf Grundlage der VN-Charta und mit einem Mandat der Vereinten Nationen nach Kapitel VI oder
VII der VN-Charta zustimmen. Allerdings kann ein Nichthandeln aufgrund einer Blockadehaltung
einer oder mehrerer Vetomächte das Völkerrecht und die Vereinten Nationen ebenso massiv
beschädigen wie das Handeln ohne ein Mandat. Wenn der Sicherheitsrat anhaltend blockiert
ist, muss die Generalversammlung an seiner Stelle friedenserzwingende Maßnahmen mit
qualifizierter Mehrheit mandatieren, soweit sie das für notwendig befindet.
Einsätze müssen grundgesetzkonform sein und im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit
erfolgen. Ohne eine umfassende zivile Gesamtstrategie und eine Einbettung in klare Konzepte
für die Zukunft des betroffenen Staates dürfen militärische Interventionen nicht erfolgen.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- mehr Finanzmittel und Personal für europäische Polizei- und Rechtsstaatsmissionen,
- eine europäische Sicherheitsunion, die parlamentarisch kontrolliert wird,
- Nachhaltige Friedenspolitik statt Waffenlieferungen an Diktatoren und in Kriegs- und
Krisengebiete,
- eine Verdoppelung der Mittel für zivile Krisenprävention.
4.4 Globale Gerechtigkeit und Entwicklung fördern
Für eine gerechte Globalisierung brauchen wir eine EU, die eine menschenrechtsbasierte und
auf die nachhaltigen Entwicklungsziele ausgerichtete globale Strukturpolitik vorantreibt,
aktiv wird und nicht in Nationalismen zurückfällt. Politikkohärenz im Sinne einer
nachhaltigen Entwicklung ist unser Ziel, damit beispielsweise Handelspolitik nicht
Entwicklungszusammenarbeit torpediert. Die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele, beschlossen im
Jahr 2015 von den Vereinten Nationen, müssen innerhalb der EU und global umgesetzt werden.
Entwicklung gelingt nur dann, wenn wir soziale, ökologische und wirtschaftliche Kriterien
zusammendenken. Ziele wie „Geschlechtergerechtigkeit“, „saubere Energie“, „gute Bildung“,
„Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ der Agenda 2030 müssen wir in der EU durch
eine ambitionierte Nachhaltigkeitsstrategie verwirklichen. Die EU als eine der größten
Geberinnen in der Entwicklungszusammenarbeit muss die Rolle von Frauen in
Entwicklungsvorhaben und die Auswirkung von Entwicklungsmaßnahmen auf Frauen und ihre
Gleichstellung ernst nehmen. Sie muss ihr selbstgesetztes Ziel, dass 85% der
Entwicklungsprogramme auch zur Geschlechtergleichstellung beitragen, endlich erreichen und
mehr Mittel für Projekte zur Frauenförderung bereitstellen. Wir müssen unsere Politik
ändern, wenn Agrarsubventionen Märkte in armen Ländern zerstören, wenn europäische
Rechtsräume zur Geldwäsche oder für die Steuervermeidung und Kapitalflucht missbraucht
werden oder wenn unsere Handelspolitik Entwicklungschancen zerstört. Eine EU, die sich
Nationalismus und antidemokratischen Kräften entgegenstellt und sich glaubhaft für
nachhaltige Entwicklung engagiert, ist unser Ziel. Wichtig ist dabei, dass sie diese Ziele
nach innen und nach außen kohärent verfolgt und Widersprüche auflöst.
Eine kohärente nachhaltige Politik ist nicht nur die beste Antwort auf die Herausforderungen
weltweiter Flucht und Migrationsbewegungen, sondern auch für das Recht aller Menschen auf
ein gutes Leben und eine sichere Zukunft. Wir müssen endlich diese strukturellen Ursachen
der Zerstörung von Lebensgrundlagen konsequent angehen und globale Ungleichheit reduzieren.
Unser Lebensstil, unsere Art zu konsumieren, unser Wirtschaftssystem zerstören die
Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen im Süden unseres Planeten. Europäische
Unternehmen exportieren Rüstungsgüter in Krisengebiete, überfischen die Weltmeere, und
unsere Gesellschaften nehmen in Kauf, dass unsere Agrarexporte andernorts die
Existenzgrundlage von Bäuerinnen und Bauern als auch Kleinindustrie zerstören. Statt einer
immer stärkeren Repression gegen Menschen auf der Flucht braucht es eine kohärente
internationale Politik und strukturelle Reformen in Bereichen wie Handel, Landwirtschaft,
Energie, Fischerei, Außenpolitik und Klimaschutz, wie sie die nachhaltigen Entwicklungsziele
der UN vorgeben. Unser Ziel ist es auch, dass eine Wertschöpfung vor Ort passiert und eine
weiterverarbeitende Industrie aufgebaut wird. Die Agenda 2030 definiert "wirtschaftliche
Entwicklung" nachhaltig. Es geht um verbesserte Lebensperspektiven und nötiges
wirtschaftliches Wachstum nicht auf Kosten des sozialen Zusammenhalts oder ökologischer
Nachhaltigkeit zu erreichen. Arme Länder sollen bei der Entwicklung ihrer Volkswirtschaften
konkrete Unterstützung erhalten, damit dies nachhaltig und selbstbestimmt gelingt. Dies
bedeutet auch, dass wir globale Verteilungsgerechtigkeit in einem System natürlich
begrenzter Ressourcen neu denken.
Die EU-Mitgliedstaaten haben sich schon lange zu einer Erhöhung der Entwicklungsfinanzierung
auf 0,7 % des Bruttonationaleinkommens verpflichtet – die immer noch nicht erreicht sind.
Wir sprechen uns klar dagegen aus, dass Ausgaben für Flüchtlinge im Inland und innerhalb der
Europäischen Union als Ausgaben für die Entwicklungsfinanzierung gerechnet werden können.
Vielmehr brauchen wir einen verbindlichen Stufenplan, um das 0,7%-Ziel in der EU tatsächlich
zu erreichen und zu halten. Die wirtschaftlich starken Länder der EU stehen hier besonders
in der Pflicht und müssen gemeinsam vorangehen. Mittelfristig soll die Zusätzlichkeit der
Zusagen zur internationalen Klimafinanzierung gegenüber dem 0,7% Ziel sichergestellt werden.
Die knappen Entwicklungsgelder sollen vor allem den bedürftigsten Ländern zukommen.
Öffentlich-private Partnerschaften sollen dem Gemeinwohl und einer nachhaltigen Entwicklung
und nicht den Renditeerwartungen der Anleger dienen. Sie dürfen nicht zu neuen
Schuldenkrisen führen. Eine Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge lehnen wir ab.
Die zunehmende Aushöhlung der Entwicklungszusammenarbeit lehnen wir ab. Daher stellen wir
uns gegen den Vorschlag der Europäischen Kommission, das eigenständige Budget für die
Entwicklungszusammenarbeit aufzulösen und einem allgemeinen Instrument für Außenpolitik
unterzuordnen.
Dabei sind Entwicklungsgelder nicht alles. Wir setzen uns dafür ein, dass die EU konsequent
die Kapitalflucht und Steuervermeidung aus Entwicklungs- und Schwellenländern begrenzt. Dazu
gehören Transparenzregister, das Austrocknen europäischer Steuersümpfe und die
verpflichtende, länderbasierte Berichterstattung globaler Konzerne, die in der EU ihren Sitz
haben.
Der humanitäre Bedarf der Vereinten Nationen zur Vermeidung von Hungersnöten oder
schlimmsten Katastrophen wird von der Staatengemeinschaft immer wieder nicht erfüllt,
allerhöchstens erst nach wiederholten Appellen und Sondergipfeln. Wir wollen eine Stärkung
und ausreichende Finanzierung der europäischen und internationalen Organisationen in diesem
Bereich, dazu zählt insbesondere auch eine finanziell bessere Ausstattung der europäischen
Organisation für humanitäre Hilfe, ECHO. Auch die nationalen europäischen Hilfen sollen
besser koordiniert sein. Außerdem wollen wir in der Nothilfe stärker auf genderspezifische
Bedürfnisse achten. Dazu gehören besonders die Bereiche sexuelle und reproduktive
Gesundheit, Müttergesundheit und die Unterstützung von Überlebenden sexualisierter und
geschlechtsspezifischer Gewalt.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- die Erhöhung der Entwicklungsfinanzierung,
- die Bekämpfung von Kapitalflucht und Steuervermeidung aus Entwicklungs- und
Schwellenländern,
- eine Stärkung und bessere finanzielle Ausstattung der europäischen Organisation für
humanitäre Hilfe.
- eine faire, nachhaltige Entwicklungspolitik, die zu globaler Gerechtigkeit beiträgt
4.5 Fairen und offenen Welthandel voranbringen
Die globale Arbeitsteilung hat unzähligen Ländern mehr Wohlstand gebracht. Millionen
Menschen in sich entwickelnden Ländern haben auch dadurch den Sprung aus extremer Armut
geschafft. Der Austausch von Waren und Dienstleistungen fördert die Verbreitung von
Innovationen und trägt zu friedlichen Beziehungen zwischen den Nationen bei. Doch
gleichzeitig führt eine unregulierte Globalisierung viel zu oft zur Ausbeutung von Menschen
und Umwelt und beschleunigt die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Der aktuelle globale
Wettbewerb setzt soziale und ökologische Standards in den Staaten unter Druck. Die
Wohlstandsgewinne aus dem globalen Handel sind teilweise extrem ungleich verteilt.
Der offene Welthandel soll fair, ökologisch und gerecht gestaltet sein und Mensch und Umwelt
in den Mittelpunkt stellen. In diesem Sinne setzen wir uns dafür ein, dass die Europäische
Union eine führende Rolle bei der sozial-ökologischen Regulierung des Welthandels einnimmt.
Global und demokratisch
Die Welthandelsordnung steht unter Druck. Verhandlungen in der Welthandelsorganisation (WTO)
stecken in der Sackgasse. Immer mehr Staaten setzen darauf, nur mit einzelnen anderen
Staaten Handelsabkommen abzuschließen. Die „America-first-Politik“ von Donald Trump oder
Chinas aggressive Industriepolitik verstärken den Sog zu immer mehr bilateralen Abkommen.
Wir sehen das skeptisch, denn dabei geraten die Interessen von Ländern, die keinen Platz am
Verhandlungstisch haben, immer unter die Räder und die Verhandlungsposition ärmerer Länder
wird geschwächt.
In einer echten globalen Partnerschaft dürfen nicht nur die wirtschaftlich Stärksten
entscheiden. Deswegen fordern wir die Wiederbelebung der Verhandlungen im Rahmen der WTO.
Dazu sollte die EU einen Vorschlag vorlegen, der die WTO und das Welthandelssystem
reformiert und neu belebt und langfristig unter das Dach der Vereinten Nationen stellt.
Die Errichtung einer neuen globalen Welthandelsordnung wird Zeit brauchen. Daher können für
den Übergang auch Abkommen zwischen einzelnen Staaten und Wirtschaftsräumen sinnvoll sein.
An diese Abkommen legen wir aber harte Kriterien an. Sie dürfen nicht zu Lasten Dritter
gehen. Sie müssen demokratisch und transparent zustande kommen. Das Europaparlament muss
über das Mandat mitbestimmen und mehr Verhandlungsdokumente sollen öffentlich sein. Die
TTIP-Verhandlungen haben gezeigt, dass mehr Transparenz möglich ist. Auch müssen die
Abkommen Umwelt- und Klimaschutz, Menschenrechte, Entwicklung und soziale Gerechtigkeit
voranbringen. Getrieben von einer konservativ-neoliberalen Mehrheit wurde in Europa eine
Handelspolitik vorangebracht, die diesen Grundsätzen widerspricht oder sie sogar in ihr
Gegenteil verkehrt. Im Mittelpunkt stehen die Interessen von großen Konzernen, während
Verstöße gegen Umweltschutz, Arbeitnehmer*innen- und Menschenrechte weiterhin nicht bestraft
werden.
Wir stehen für eine Handelspolitik, die die Globalisierung gerecht gestaltet, die in ihren
Handelsabkommen verbindlich soziale und ökologische Standards und das Vorsorgeprinzip
festschreibt, die kommunale Daseinsvorsorge ausreichend schützt, den Pariser Klimavertrag
als wesentlichen Bestandteil verankert und die parlamentarische Mitentscheidung bei der so
genannten regulatorischen Kooperation garantiert. Es ist nicht hinnehmbar, dass es
Sonderschiedsgerichte für Investoren gibt, während Klimaschutz, Menschenrechte oder das
Vorsorgeprinzip nur schmückende Prosa bleiben. Wir lehnen einseitige Gerichte und
Sonderklagerechte für private Investoren ab. Das sind unsere Maßstäbe für Handelsabkommen
wie CETA, JEFTA und TTIP. Deshalb lehnen wir CETA in dieser Form weiterhin ab. Wir sind
davon überzeugt, dass es möglich ist, das Abkommen im Sinne der oben genannten Kriterien zu
verändern, so lange es noch nicht endgültig in Kraft gesetzt ist. Die derzeit laufenden
Vertragsanpassungen wollen wir nutzen.
Wir sind zusammen mit einer breiten europäischen Zivilgesellschaft erfolgreich dagegen auf
die Straße gegangen und haben dazu beigetragen, dass TTIP nicht gekommen ist und bei CETA
und JEFTA einseitige Gerichte für private Investoren erstmal verhindert werden konnten. Das
macht deutlich, dass es sich lohnt, für faire, ökologische, gerechte und demokratische
Handelsabkommen zu streiten, auch wenn wir noch nicht am Ziel sind. Denn leider halten die
Kommission und die Mehrheit der Mitgliedsstaaten unbeirrt an ihrer falschen Agenda fest. Wir
Grünen treten auf allen Ebenen dafür ein, dass diese Politik geändert wird.
Wir Grünen lehnen das Abkommen mit Japan (JEFTA) deshalb in dieser Form ab, zum Beispiel
wegen der mangelnden Verankerung und Durchsetzung sozialer und ökologischer Standards, des
Vorsorgeprinzips und des Pariser Klimaschutzabkommens im Vertragstext. Gerade mit Ländern
wie Japan bestünde die Chance, es endlich besser zu machen.
Auch beim Abkommen mit den südamerikanischen Staaten (Mercosur) fehlen verbindliche soziale
und ökologische Standards. Die EU setzt auf die Liberalisierung bei Dienstleistungen, obwohl
öffentliche Wasser- und Stromversorgung gerade in den Ländern des Mercosur ein wichtiges
Mittel zur Armutsbekämpfung sind. Das Vorsorgeprinzip ist nicht verbindlich verankert.
Stattdessen ist auf Bestreben Brasiliens der Schutz des Amazonas-Regenwaldes aus dem
Vertragstext geflogen. Dabei ist der Amazonas aufgrund der durch das Abkommen weiter
steigenden Rindfleischproduktion stark bedroht. Sie befeuert die Abholzung des Regenwaldes
und erschwert die Agrarwende in Europa.
Die EU sollte initiieren, dass die Mitgliedsstaaten ihre bestehenden nationalen
Investitionsschutzabkommen nachverhandeln, um die Investor-Staats-Schiedsgerichte zu
beenden. Wir unterstützen die EU Kommission bei ihrem Vorhaben, die existierenden
innereuropäischen Investitionsabkommen zu beenden.
Wir setzen uns stattdessen für einen ständigen internationalen Handelsgerichtshof ein, vor
dem nicht nur Unternehmen klagen können, sondern auch Betroffene gegen die Verletzung
menschenrechtlicher, sozialer und umweltrelevanter Verpflichtungen durch transnationale
Unternehmen. Der Vorschlag der EU-Kommission für einen multilateralen
Investitionsgerichtshof (MIC) erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Parlamente dürfen durch
Regeln zur regulatorischen Zusammenarbeit in Handelsabkommen nicht umgangen oder geschwächt
werden. Regulatorische Kooperation darf nicht Standards absenken, sondern muss diese
verbessern.
Das Vorsorgeprinzip, nach dem die Unbedenklichkeit von Produkten vor der Zulassung
nachgewiesen werden muss, ist die tragende Säule des europäischen Schutzes von Umwelt und
Verbraucher*innen. Die bestehende Verankerung des Vorsorgeprinzips im Primärrecht der EU
reicht hierzu nicht aus. Deshalb wollen wir, dass es für alle Bereiche der EU-
Handelsabkommen gilt. Auch Produkte, deren Verkauf in Europa verboten ist, wie bestimmte
Giftstoffe und Waffen, sollten hier auch nicht produziert und dann exportiert werden dürfen.
Wir wollen im Handel auch die Interessen von kleinen und mittleren Unternehmen stärken und
damit der Konzentration von wirtschaftlicher Macht entgegenwirken. Sie profitieren von
Zollreduktion und einheitlichen technischen Standards.
Für faire Arbeits- und Produktionsbedingungen, Klimaschutz und Menschenrechte
Handel sollte soziale Gerechtigkeit, faire Produktions- und Arbeitsbedingungen und
Menschenrechte unterstützen. Menschenrechte und die Arbeitnehmerschutzrechte der
internationalen Arbeitsorganisation, also die ILO-Kernarbeitsnormen, müssen im Handel fest
verankert werden, und ihre Verletzung muss einklagbar sein. Bei Verstößen muss die EU
Handelsvergünstigungen auch entziehen. Die EU-Kommission setzt in erster Linie auf
freiwillige Selbstverpflichtungen. Die Erfahrung zeigt: Das reicht nicht. Unsere Kleidung
wird meist unter gefährlichen Bedingungen für extrem niedrige Löhne produziert.
Notwendig sind deshalb gesetzliche Sorgfaltspflichten, neue Haftungsregeln und bessere
Klagemöglichkeiten innerhalb der EU – auch für Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen,
die von europäischen Unternehmen verursacht werden. Wir wollen Unternehmen gesetzlich zu
mehr Verantwortung und Transparenz in Bezug auf ihre Lieferketten verpflichten sowie dazu,
Menschen- und Arbeiter*innenrechte einzuhalten und fairer und ökologischer Beschaffung den
Vorrang zu geben. Für Textileinfuhren nach Europa wollen wir gesetzliche Mindeststandards
verankern.
Innerhalb der WTO sollte die EU eine Initiative starten, die soziale und ökologische Regeln
für die gesamte Lieferkette im Textilbereich verankert. Diese Regeln können dann nach und
nach auf andere Sektoren ausgedehnt werden.
Die Klimaziele von Paris müssen fester Bestandteil des Welthandels werden. Wir unterstützen
den Vorschlag des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die Klimaziele von Paris als
wesentlichen Bestandteil in Handelsabkommen zu verankern und damit verbindlich umzusetzen.
Wir müssen Handel und Klima in Einklang bringen. Eine Vorreiterrolle im Klimaschutz darf
nicht zu Nachteilen im internationalen Wettbewerb führen. Im Gegenteil wollen wir erreichen,
dass sich ein ambitionierter Klimaschutz auch ökonomisch rechnet. Dies kann zum Beispiel
über eine zu entwickelnde Klimaabgabe auf schmutzige Importe erfolgen, die aber WTO- und
entwicklungskonform ausgestaltet sein muss.
Unfairen Wettbewerb durch Preis- oder Standard-Dumping wollen wir verhindern. Die letzte
Reform der europäischen Anti-Dumping-Instrumente war ein wichtiger Schritt. Es ist ein
Erfolg grüner Politik im Europaparlament, dass Marktverzerrung nun auch bei Verstößen gegen
internationale Arbeitnehmer- und Umweltstandards festgestellt werden kann. Wir wollen in
kritischen Bereichen strategische Infrastruktur schützen.
Handelsabkommen dürfen keine Treiber von Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung
werden. Wo sich Privatisierungen als Holzweg erwiesen haben, wollen wir diese rückgängig
machen können. Die öffentliche Daseinsvorsorge muss umfassend geschützt werden. Kommunen
dürfen in ihrer Handlungsfreiheit nicht beschränkt werden.
Faire Rohstoffpolitik
Durch viele Produkte des Alltags sind wir mit der ganzen Welt verbunden, die Produktion
findet in Asien statt, die Rohstoffe kommen vom afrikanischen Kontinent und konsumiert wird
bei uns. Wir wollen die Lieferketten besser kontrollieren. Deshalb wollen wir transparente
Lieferketten mit sozialen und ökologischen Mindeststandards durch entsprechende
Offenlegungs- und Sorgfaltspflichten erreichen. Was in der Europäischen Union konsumiert
wird, darf nicht zu Krieg und Ausbeutung beitragen.
Wir stehen für eine andere Rohstoffpolitik. Die Rohstoffe, die wir für unsere Handys oder
Tablets benötigen, werden oft unter miserablen Bedingungen abgebaut und gehen mit
Menschenrechtsverletzungen, Konflikten und Umweltzerstörungen einher. Ausbeutung darf aber
nicht Grundlage der Digitalisierung und unseres Konsums sein. Wir treten ein für faire
Rohstoffpartnerschaften, die die Bedürfnisse der Abbauländer berücksichtigen, für Einsparung
des Rohstoffverbrauchs und eine nachhaltige Nutzung in Europa. Wir wollen verbindliche
Standards bei Abbau, Weiterverarbeitung und Handel von Rohstoffen im Rahmen eines
transparenten Verfahrens, das auch gegen Korruption und Steuervermeidung wirkt. Besonders
Konfliktmineralien müssen besser kontrolliert werden.
Europa trägt durch den Import von Soja, Palmöl und Holz in einem hohen Umfang zur weltweit
fortschreitenden Entwaldung bei. Wir wollen, dass die Europäische Holzhandelsverordnung
künftig für alle Holz- und Papierprodukte gilt und durch ein effektives Überwachungs- und
Sanktionssystem scharf gestellt wird. Sie muss für alle Liefer- und Verarbeitungsschritte
gelten. Außerdem engagieren wir uns für europaweit wirksame Regelungen, die den Handel mit
Gütern ausschließen, wenn ihre Herstellung direkt oder indirekt mit Waldvernichtung,
insbesondere von tropischen und borealen Wäldern oder vergleichbaren Ökosystemen,
einhergeht.
Entwicklungspartnerschaft auf Augenhöhe
Die gegenwärtige Handelspolitik der EU mit Entwicklungsländern ist einseitig von den
wirtschaftlichen Interessen europäischer Unternehmen dominiert. Durch den Abbau von Zöllen
werden heimische Industrie, Handwerk und Landwirtschaft in Entwicklungsländern durch
Billigimporte aus der EU bedroht. Die EU ist durch ihre starke Verhandlungsposition in der
Lage, den Entwicklungsländern Bedingungen zu diktieren. Die derzeitigen
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) mit Afrika verhindern den Aufbau einer eigenen
Wirtschaft in diesen Ländern, statt ihn zu fördern. Wir wollen diese Abkommen stoppen und zu
einer echten Entwicklungspartnerschaft auf Augenhöhe übergehen. Die Entwicklungsländer
müssen ihren Weg einer nachhaltigen Entwicklung selbst bestimmen können. Gleiche Rechte sind
nur zwischen gleich starken Partnern gerecht. Bei der Partnerschaft auf Augenhöhe spielen
für uns auch zivilgesellschaftliche Akteure eine wichtige Rolle.
Wir wollen Entwicklungsländern ausreichend Raum für handelspolitische Schutzmaßnahmen
lassen, um ihre heimische Wirtschaft aufzubauen und junge Industrien zu schützen.
Zolleinnahmen sind eine wichtige Einnahmequelle für Entwicklungsländer. Ohne diese werden
die mageren Staatseinnahmen stark belastet und es fehlen Mittel für Investitionen in
öffentliche Güter wie Bildung, Basis-Gesundheitsdienste und andere Aspekte der öffentlichen
Daseinsvorsorge. Die EU hingegen sollte ihre Zölle auf verarbeitete Produkte aus
Entwicklungsländern abschaffen, um eine diversifizierte Industrie und Wertschöpfung vor Ort
zu ermöglichen.
Fairer Handel auch in der Landwirtschaft
Europäische Agrarsubventionen zerstören kleinbäuerliche Strukturen im globalen Süden und
schaffen so Abhängigkeiten, vernichten Existenzen und zementieren Armut. Das muss ein Ende
haben.
Wir brauchen einen Neustart des europäischen Agrarhandels, der nicht länger mit
Dumpingpreisen Märkte im globalen Süden zerstört. Wenn Produkte in die EU importiert werden,
müssen Mindeststandards, beispielsweise die Arbeitsnormen der ILO, gelten.
Die Patentierung von Saatgut sowie Landgrabbing wollen wir bekämpfen. Die EU muss Investoren
und staatliche Institutionen dazu drängen, die Leitlinien der Ernährungs- und
Landwirtschaftsorganisation der UN zu Landrechten, Fischgründen und Wäldern einzuhalten.
Agrochemiekonzerne wie Bayer, der durch die Übernahme von Monsanto zum Marktbeherrscher
geworden ist, kontrollieren bereits jetzt große Teile des weltweiten Saatgut-, Düngemittel-
und Pestizidmarkts. Mit ihren Patenten werden Kleinbäuerinnen und -bauern in teure
Abhängigkeiten gezwungen und die Artenvielfalt wird zerstört.
Wir wollen die Rechte der Kleinbäuerinnen und -bauern in Entwicklungsländern auf freien
Austausch und kostenlose Wiederaussaat von Saatgut sichern. Darüber hinaus wollen wir den
Auf- und Ausbau lokaler Saatgutbanken fördern, damit traditionelles Wissen und die
biologische Vielfalt erhalten und zugänglich bleiben. Sortenvielfalt ist ein wichtiger
Baustein, um das Recht auf Nahrung zu verwirklichen und die Landwirtschaft
widerstandsfähiger gegen die Folgen des Klimawandels zu machen.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- die Verankerung des Pariser Klimaschutzabkommens und des Vorsorgeprinzips in allen
Handelsverträgen der EU,
- WTO-konforme Klimaabgaben auf schmutzige Importe,
- die Abschaffung von Zöllen auf verarbeitete Produkte aus Entwicklungsländern.
4.6 Drogenkriege beenden
Der globale Krieg gegen Drogen ist gescheitert. Er fördert organisierte Kriminalität,
unterminiert die Gesundheit der Drogenkonsument*innen, verletzt Menschenrechte und trägt zur
Destabilisierung von Staaten bei. Damit verhindert er die politische und wirtschaftliche
Entwicklung der betroffenen Länder. Europa trägt als Konsumentenregion Verantwortung für die
Auswirkungen der Nachfrage nach Drogen. Wir wollen deshalb, dass die Europäische Union sich
auf der Ebene der Vereinten Nationen dafür einsetzt, dass der Drogenkrieg beendet wird.
Nationale Schritte für eine Reform der Drogenpolitik wie in verschiedenen Ländern
Lateinamerikas sollten unterstützt und nicht behindert werden. Die Europäische Union soll
eine Reform der Drogenpolitik in den Mitgliedstaaten unterstützen, die zuallererst auf
Prävention, Hilfe, Schadensminderung, Entkriminalisierung und Regulierung setzt – und nicht
auf Verbote und Repression. Die kontrollierte Abgabe von Cannabis in einzelnen
Mitgliedstaaten sowie Modellprojekte auf regionaler Ebene können dazu beitragen, die
organisierte Kriminalität innerhalb der EU zu verringern.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- eine globale Reform der Drogenpolitik,
- eine an den gesundheitlichen Risiken orientierte Regulierung von Drogen.