Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Rebecca Lenhard (KV Nürnberg-Stadt) und 151 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 40%) |
Status: | Eingereicht |
Angelegt: | 13.10.2025, 16:04 |
V-22: Digitale Souveränität stärken: Unsere Unabhängigkeit, Freiheit und Demokratie schützen!
Antragstext
Europa und Deutschland befinden sich in einer Zeit tiefgreifender geopolitischer
und technologischer Umbrüche. Digitale Technologien sind längst zu einem
zentralen Machtfaktor in der globalen Ordnung geworden. Wer sie kontrolliert,
bestimmt zunehmend auch über wirtschaftliche Stärke, politische
Handlungsfähigkeit und gesellschaftliche Resilienz. Während autoritäre Staaten
technologische Kontrolle gezielt ausbauen, geraten Demokratien unter Druck, ihre
digitale Unabhängigkeit zu sichern. US-Präsident Donald Trump versucht
europäische Digitalgesetze als Hebel in den Zoll- und Handelsverhandlungen zu
nutzen, um mühsam erkämpfte europäische Standards gezielt zu schwächen und den
Einfluss US-amerikanischer Konzerne zu sichern. Auch China drängt mit staatlich
gestützten Tech-Konzernen auf europäische Märkte. Große Abhängigkeiten von
einzelnen Anbietern bleiben ein großes Problem, wenn es darum geht,
Eigenständigkeit zu wahren. Europas und Deutschlands Antwort auf diese
Herausforderungen kann nur darin bestehen, diese Abhängigkeiten zu erkennen, sie
zu reduzieren, offene, transparente und sichere Infrastrukturen zu fördern,
eigene technologische Fähigkeiten auszubauen und eine größere digitale
Souveränität als Leitlinie einer wertebasierten Außen-, Wirtschafts- und
Digitalpolitik zu begreifen. Selbstbestimmt agiert nur, wer darüber entscheiden
kann, wie digitale Infrastrukturen, Online-Plattformen und Daten
ineinandergreifen und nach welchen Regeln sie funktionieren. Dafür braucht es
Wahlfreiheit über digitale Dienste, die interoperabel ausgestaltet und modular
kombinierbar sind.
Auch und gerade im Bereich der inneren Sicherheit zeigt sich ein
besorgniserregender Trend: Noch immer sind – trotz jahrelanger Diskussionen und
Warnungen - sehr relevante Teile unserer digitalen Infrastrukturen im
Sicherheitsbereich, auf Servern und in Cloud-Lösungen, bei denen der Zugriff
durch entsprechende rechtliche Regelungen nicht ausgeschlossen ist. Statt diese
Abhängigkeiten und Risiken schnellstmöglich zu reduzieren und für angemessene
Schutzstandards zu sorgen, versuchen Teile der aktuellen Bundesregierung
weitere, extrem risikoreiche Abhängigkeiten und Gefahren zu schaffen. Gerade hat
die Bundeswehr einen neuen Vertrag mit Google über die Nutzung der Cloud
geschlossen. Die schwarz-rote Bundesregierung prüft derzeitden Einsatz der
Analysesoftware des US-Unternehmens Palantir auch in Bundesbehörden, obwohl eine
Beschlusslage des Deutschen Bundestages dies ablehnt und auch die
Innenministerkonferenz vor neuen Abhängigkeiten und Gefahren warnt. Bereits in
der vergangenen Wahlperiode haben wir Grüne uns dafür eingesetzt, den Einsatz
solcher, mit grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien unvereinbarerSysteme zu
verhindern. Seitdem hat sich die Lage weiter zugespitzt. Es bleibt dabei: Der
Einsatz von Palantirs Technologie birgt erhebliche verfassungs- und
europarechtliche Risiken und basiert auf Geschäftsmodellen, die im Widerspruch
zu Datenschutz, Transparenz und Grundrechten stehen. Ein Rückgriff auf solche
Systeme würdeDigitale Souveränität weiter schwächen, Bürger*innenrechte
gefährden und das Vertrauen in den Rechtsstaat untergraben. Dass wir strategisch
den Anschluss auch auf unserem eigenen Markt verpassen, zeigt die Entscheidung
Europas größten Softwarekonzerns SAP mit dem KI-Anbieter OpenAI zusammen zu
gehen, und damit künftig Verwaltungen, Schulen und Universitäten sowie andere
öffentliche Einrichtungen in Deutschland mit Anwendungen der Künstlichen
Intelligenz zu versorgen. Auch mit solchen Kooperationen droht die deutsche
Verwaltung in weitere Abhängigkeiten zu geraten, statt souveräne europäische
Alternativen aufzubauen.
Die digitale Abhängigkeit von außereuropäischen Anbietern ist längst
systemrelevant. Ob Cloud-Dienste, Betriebssysteme, KI-Anwendungen oder
sicherheitskritische Hardware, zentrale technologische Infrastrukturen stammen
überwiegend aus den USA oder China. Sowohl Wirtschaft, Verwaltung und
Bürger*innen haben nur noch begrenzte Wahlfreiheit über Hardware, Software und
Plattformen; oftmals geben marktdominante Akteure vor, wie wir digital agieren
können, und wie unsere Daten verarbeitet werden. Die Digitalgesetze der EU – von
DSA, über KI-VO, DSGVO, Data Act und DMA – müssen starke Aufsichtsbehörden in
einem ersten Schritt konsequent durchsetzen, um fairen Wettbewerb, Schutz der
Verbraucher*innen und Grundrechtsschutz zu gewährleisten. Deutschland und Europa
müssen deshalb strategisch umsteuern und eigene technologische Kapazitäten
aufbauen. Ein wichtiger Schritt sind Investitionen in freie, offene und
vertrauenswürdige Technologien, vor allem durch die öffentliche Hand. Sie ist
dem Gemeinwohl, der Verhältnismäßigkeit ihrer Ausgaben, dem verantwortlichen
Umgang mit Ressourcen und einer langfristigen Servicesicherheit verpflichtet.
Mit sogenannter Free and Open Source Software wird Wechselfähigkeit, Nähe zum
Anbieter zwecks Weiterentwicklung und Wartung im Ernstfall leicht möglich sein.
Mit der Aufnahme der IT-Sicherheit in das 500 Mrd. Euro-Sondervermögen haben wir
die Grundlage geschaffen, um Abhängigkeiten deutlich zu reduzieren und zukünftig
verstärkt auf Eigenentwicklungen zurückgreifen zu können. Mit der Sovereign Tech
Agency und dem Zentrum für Digitale Souveränität wurden in der vergangenen
Wahlperiode wichtige Grundlagen geschaffen. Nun braucht es eine langfristige
Förderstrategie, die Open Source, europäische Anbieter und faire
Wettbewerbsbedingungen auf digitalen Märkten gezielt stärkt.
Unsere digitale Infrastruktur muss so gestaltet sein, dass sie vor
Machtmissbrauch geschützt ist. Digitalisierung muss unserer Demokratie und
Menschenrechten dienen und nicht eine Gefahr für sie sein. Beste Daten- und
Grundrechtsschutz-Standards, Verschlüsselung und Dezentralität sind kein
Selbstzweck, sondern Schutz vor Überwachung, Diskriminierung und
Machtkonzentration. Sie sind zugleich Motor für vertrauensbasierte und
transparent Innovation und somit ein Wettbewerbsvorteil auf dem Markt für
Verbraucher*innen und Unternehmen, die Klarheit über ihre Rechte und ihre Daten
wollen. Eine digitale Infrastruktur, die auf Offenheit und Kontrolle durch
Parlamente und Öffentlichkeit setzt, ist die beste Versicherung gegen autoritäre
Versuchungen. Digitalisierung muss faschismussicher sein!
Als Grüne machen wir seit langem auf den Mehrwert von besten IT-
Sicherheitsstandards und Openness-Modellen, die Verbraucher*innen-Recht stärken
und zentral für Vertrauen in digitale Anwendungen sind, aufmerksam. Schleswig-
Holstein hat sich unter grüner Regierungsbeteiligung dafür entschieden,
Souveränität mit Open Source zu realisieren und versteht die Schaffung von
digitaler Souveränität durch Open Source Lösungen auch als Industriepolitik für
die Digitalwirtschaft. Das Land fördert heimische IT-Unternehmen, stärkt damit
den Standort für Fachkräfte und setzt darauf, dass entsprechende Lösungen,
beispielsweise durch den Wegfall von teils horrenden Lizenzkosten längerfristig
sogar günstiger als die Lösungen proprietärer Anbieter sind. Von solchen Best-
Practice-Beispielen können sowohl Bund als auch andere Länder lernen. Deshalb
sollte ein strukturierter Austausch über erfolgreiche Modelle digitaler
Souveränität etabliert werden, auch gemeinsam mit europäischen Staaten, die auf
diesem Weg bereits weiter sind.
Europa und Deutschland brauchen jetzt eine strategische Neuausrichtung ihrer
Digitalpolitik. Statt jedes Jahr hunderte Millionen Euro in Lizenzgebühren an
US-Konzerne zu zahlen, müssen öffentliche Mittel gezielt in deutsche und
europäische Alternativen fließen. Langjährige Lizenzbindungen und geschlossene
Systeme haben zu digitalen Pfadabhängigkeiten geführt, die neue Abhängigkeiten
fortschreiben. Wer technologische Souveränität will, muss diese Lock-in-Effekte
gezielt aufbrechen und den Umstieg auf offene Standards gezielt politisch
forcieren. Nur durch Investitionen in offene, sichere und transparente
Technologien kann Europa seine digitale Handlungsfähigkeit sichern. Auf
europäischer Ebene ist eine wichtige Perspektive die EuroStack-Initiative, mit
der europäische Akteur*innen gemeinsam an einer souveränen digitalen
Infrastruktur arbeiten. Ziel ist es, offene und interoperable Technologien zu
entwickeln, die zentrale staatliche und wirtschaftliche Anwendungen unabhängig
von außereuropäischen Plattformen ermöglichen. Deutschland sollte die Initiative
aktiv unterstützen und sich dafür einsetzen, dass sie zu einem strategischen
Kernprojekt europäischer Digitalpolitik ausgebaut wird.
Digitale Souveränität ist mehr als Technologiepolitik. Sie ist eine Investition
in die Menschen, die Europas digitale Zukunft gestalten. Wenn wir Innovation mit
Gemeinwohl, Transparenz und Nachhaltigkeit verbinden, schaffen wir nicht nur
neue Arbeitsplätze, sondern auch Vertrauen in den digitalen Wandel. Wir wollen
Talente fördern, die digitale Freiheit, Verantwortung und Demokratie zusammen
denken. Dafür braucht es eine gezielte europäische Förderstrategie für Open-
Source-Unternehmen, Start-ups und kleine sowie mittlere Betriebe, die faire
Rahmenbedingungen und Planungssicherheit schafft. Durch Investitionen in
Ausbildung, Fachkräfteentwicklung und Forschung können wir Talente in Europa
halten und neue Fachkräfte gewinnen, die unsere Werte und unseren
Gestaltungsanspruch teilen.
Deutschland muss die bereits ressortübergreifend vereinbarten Absprachen zur
Stärkung der digitalen Souveränität Deutschlands und Europas, etwa in der
Nationalen Sicherheitsstrategie, endlich mit politischem Leben füllen und
konsequent umsetzen. Europäische Initiativen wie die EuroStack-Initiative sollen
aktiv vorangetrieben und eine souveräne, offene und interoperable Cloud- und
Dateninfrastruktur in Europa gestärkt werden. Ziel ist der Aufbau einer starken
europäischen Cloud-, KI- und Halbleiterindustrie, die den europäischen
Datenschutz- und Sicherheitsstandards entspricht und rechtswidrige Datenabflüsse
ins Ausland effektiv unterbinden. So können wir auch für Länder außerhalb
Europas eine attraktive Kooperationsmöglichkeit eröffnen. Ansätze aus
Deutschland wie der „DeutschlandStack“ müssen europäisch kompatibel ausgestaltet
werden.
Deutschland muss das Vergaberecht modernisieren! Bei öffentlichen IT-
Beschaffungen müssen offene Standards, offene Schnittstellen und Open-Source-
Lösungen Vorrang vor proprietärer Software haben. Bei neu entwickelter Software
der öffentlichen Verwaltung soll "Public Money, Public Code" als Leitbild
dienen. Souveränität muss in Vergabeverfahren der öffentlichen Hand stärker
gewichtet werden. Folgekosten, die sich beim Einsatz von proprietären Lösungen
durch den Lock-In-Effekt und mangelnde Wechseloptionen ergeben, müssen in die
Wirtschaftlichkeitsbetrachtung aufgenommen werden. Bis 2029 muss ein Open-
Source-Anteil von mindestens 70 % bei Vergaben erreicht werden. Hierbei gilt es,
diesen Anteil genauer messbar zu machen: Wo proprietäre Lösungen vor allem
Lizenzkosten verursachen, gelten für Open-Source-Kosten andere Strukturen.
Wir müssen die digitalen Infrastrukturen unseres Landes insgesamt besser
schützen. Anhaltende Fälle von Spionage, Sabotage und Cyberangriffen zeigen
deutlich, wie gefährdet insbesondere die kritische Infrastruktur Deutschlands
ist.Gerade hier gefährden auch Abhängigkeiten von außereuropäischen Anbietern
die Sicherheit und Handlungsfähigkeit unseres Staates. Die EU verpflichtet mit
der NIS-II- und der CER-Richtlinie zu einem umfassenden Schutz dieser zentralen
Systeme. Wir fordern eine kohärente Umsetzung beider Vorgaben in einem
Dachgesetz sowie den klaren Ausschluss unsicherer Komponenten in sensiblen
Bereichen.
Gezielte Investitionen in Forschung, Start-ups und mittelständische IT-
Unternehmen sollen den Aufbau unabhängiger Schlüsseltechnologien fördern. Open
Source, faire Wettbewerbsbedingungen und europäische Zusammenarbeit sind die
Grundlage für technologische Souveränität. Der Staat kann dabei als
verlässlicher Ankerkunde auftreten, um europäischen Anbietern Planungssicherheit
zu geben und selbst mit gutem Beispiel für souveräne und nachhaltige Beschaffung
voranzugehen.
Digitale Souveränität kann nur gelingen, wenn sie ökologisch und sozial
verantwortungsvoll gestaltet ist. Die Digitalisierung verbraucht enorme Mengen
an Energie und Ressourcen und eröffnet zugleich neue Chancen für Klimaschutz,
Ressourceneffizienz und nachhaltiges Wirtschaften. Nur eine nachhaltige
Digitalisierung ist eine souveräne Digitalisierung. Wenn Europa auf Green IT und
Kreislaufwirtschaft setzt, verbindet es technologische Unabhängigkeit mit
Klimaschutz und Verantwortung für eine lebenswerte digitale Zukunft.
Daten- und Grundrechtsschutz, Verschlüsselung und Transparenz müssen
Grundprinzipien staatlicher IT sein. Digitale Souveränität ist nur dann
glaubwürdig, wenn sie nicht nur in Sonntagsreden beschworen, sondern auch mit
konkretem politischem Leben gefüllt wird. Sie mussDemokratie, Grund- und
Menschenrechte sowie dem Gemeinwohl nutzen. Sie bedeutet nicht Abschottung,
sondernin einer zunehmend komplexen Welt, die Fähigkeit, technologische
Entscheidungen zukünftig unabhängig und wertebasiert zu treffen. Dazu gehört
auch, dass wir die Europäischen Gesetze in diesem Bereich effektiver machen,
statt sie auf Druck des Weißen Hauses oder als Zugeständnis an Deregulierung
nach dem Motto "anything goes" schwächen oder gar abschaffen. DSA, DMA, das KI-
Gesetz und Datengesetz müssen effektiv umgesetzt werden, die Behörden und
Agenturen, müssen deren Umsetzung gegenüber Unternehmen betreuen und erklären.
Demokratie bedeutet im 21. Jahrhundert Innovation mit Steuerung, kein Fliegen
auf Sicht.
Begründung
Dieser Antrag baut auf den zentralen Prinzipien grüner Digitalpolitik der vergangenen Jahre auf: Offenheit, Transparenz, Datenschutz, Dezentralität und die enge Zusammenarbeit mit der digitalen Zivilgesellschaft. Diese Prinzipien leiten unser Handeln in Parlamenten, Regierungen und Verwaltungen und bilden die Grundlage für eine Politik, die technologische Unabhängigkeit mit Demokratie und Gemeinwohl verbindet.
Dieser Antrag wurde unter Mitwirkung der BAG Digitales und Medien, Alexandra Geese, Sergey Lagodinsky und Konstantin von Notz erstellt.