| Veranstaltung: | 51. Bundesdelegiertenkonferenz Hannover |
|---|---|
| Tagesordnungspunkt: | A Außenpolitik: Ukraine und Naher Osten |
| Antragsteller*in: | Jörn Böhme (KV Berlin-Steglitz/Zehlendorf) und 69 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 36%) |
| Status: | Eingereicht |
| Angelegt: | 16.10.2025, 13:38 |
A-06: Israel - Palästina - Deutschland
Diese Tabelle beschreibt den Status, die Antragstellerin und verschiedene Rahmendaten zum Antrag
Antragstext
- Der israelisch-palästinensische Konflikt wird spätestens seit dem
terroristischen Überfall von Hamas und anderen palästinensischen Gruppen
am 7.10.2023 von vielen direkt und indirekt an dem Konflikt Beteiligten
wieder als ein existentieller Konflikt wahrgenommen. Als ein Konflikt
also, bei dem es um das eigene Überleben geht, das von der anderen Seite
bedroht ist. In dieser Wahrnehmung erscheint alles gerechtfertigt, um
gegen die andere Seite vorzugehen. Dafür und für die Folgen wird wiederum
ausschließlich die andere Seite verantwortlich gemacht.
- Das Ergebnis sind ein zerstörter Gazastreifen mit über sechzigtausend
Toten und über hundertsechzigtausenden Verletzten, eine faktisch
weitgehend annektierte Westbank mit hunderten Toten und tausenden
Vertriebenen. Die israelische Gesellschaft ist durch den Überfall der
Hamas mit mehr als 1200 Toten und der Geiselnahme von israelischen
Zivilist*innen traumatisiert. Die angerichteten Verwüstungen werden die
israelische und die palästinensische Gesellschaft auf Jahre und Jahrzehnte
beeinflussen und prägen.
- In der internationalen Arena hatten viele Akteure vor dem 7.10.2023 keine
diplomatischen Schritte mehr für eine Regelung des israelisch-
palästinensischen Konfliktes unternommen. Zu festgefahren schienen die
Positionen, zu aussichtslos eine Konfliktregelung. Und zu wenig schien
sich angesichts dieser Lage politisch gewinnen zulassen. Nolens volens
folgte man damit einer israelischen Politik, die meinte, den Konflikt
managen zu können, auch wenn den Palästinenser:innen dauerhaft
grundlegende Rechte verweigert werden.
- Unter anderem von israelischen und palästinensischen Friedenskräften und
lokalen sowie internationalen Menschenrechtsverteidiger:innen wurde lange
auf die Widersprüche dieser Politik hingewiesen und vor ihrer
Unhaltbarkeit gewarnt. Ebenso wurde darauf verwiesen, dass eine
Normalisierung der Beziehungen zwischen arabischen Staaten und Israel
(Abraham Accords) dann kein Beitrag für eine Entspannung im Nahen Osten
sein kann, wenn diese die Rechtlosigkeit der unter israelischer Besatzung
lebenden Palästinenser:innen unangetastet lässt. Doch erst mit dem
Überfall auf Israel im Oktober 2023 und der durch Verbrechen gegen die
Menschlichkeit geprägten anschließenden Kriegsführung der israelischen
Regierung und des israelischen Militärs wurde der Preis deutlich, den eine
solche Politik haben kann.
- Die Eskalation des israelisch-palästinensischen Konfliktes hat nicht nur
in der Region, sondern auch weltweit in unterschiedlichem Maße zu
Polarisierungen in den Gesellschaften geführt. Davon betroffen, eingeengt
und bedroht fühlen sich in erster Linie Juden und Jüdinnen,
Palästinenser:innen und Araber:innen.
- Ausgerechnet der US-amerikanischen Regierung unter Donald Trump, die im
eigenen Staat nichts unversucht lässt, um Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit zu zerstören und eine gesellschaftliche Polarisierung
voranzutreiben, ist es nun gelungen, einen Waffenstillstand und die
Freilassung der israelischen Geiseln zu vermitteln. Das hat nicht zuletzt
mit wirtschaftlichen Interessen der in den Verhandlungen führenden Akteure
der Trump Administration zu tun. Aber auch die mutigen und beharrlichen
Protestaktionen demokratischer israelischer zivilgesellschaftlicher
Gruppen sowie internationale Proteste haben eine Rolle gespielt.
- Um die jetzige, in vielerlei Hinsicht ausgesprochen fragile Situation in
einen Prozess zu überführen, der auch nur annähernd den Titel
„Friedensprozess“ verdient, bedarf es des kontinuierlichen und
nachhaltigen Engagements auf Basis international anerkannter Rechtsnormen
vieler Staaten und Akteure.
- Dafür liegen wichtige Orientierungspunkte vor, die es zum Teil schon vor
dem 7.10.23 gab und die teilweise neu hinzugekommen sind:- Die „Arabische Friedensinitiative“, die im Jahr 2002 von der
Arabischen Liga und dann auch von allen 57 Mitgliedern der
Organisation für Islamische Zusammenarbeit), einschließlich des Iran
angenommen wurde. Sie stellt eine Normalisierung der Beziehungen zu
Israel und eine Anerkennung Israels im Gegenzug zu einem Ende der
israelischen Besatzung und der Schaffung eines palästinensischen
Staates in Aussicht. - Die UN-Sicherheitsrats-Resolution 1397 vom März 2002, die sich
ebenfalls für eine Zwei-Staaten-Regelung des israelisch-
palästinensischen Konflikts ausspricht. - Die UN-Sicherheitsrats-Resolution 2334 vom Dezember 2016, die u.a.
die UN-Sicherheitsrats-Resolution 1397 bekräftigt und alle Staaten
auffordert „in ihren relevanten Beziehungen zwischen dem
Hoheitsgebiet des Staates Israel und den seit 1967 besetzten
Gebieten zu unterscheiden“. - Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofes (IGH) vom 19.7.2024,
dass die israelische Besatzung palästinensischer Gebiete für illegal
erklärte. - Die am 10.9.2025 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen
unterstützte „New York Declaration“, das Ergebnis der von Frankreich
und Saudi-Arabien im Juli 2025 einberufenen Konferenz zur
friedlichen Regelung der Palästina-Frage und der Umsetzung der Zwei-
Staaten-Regelung.
- Die „Arabische Friedensinitiative“, die im Jahr 2002 von der
- In Deutschland ist die Auseinandersetzung mit dem Thema Israel/Palästina
in besonderem Maße aufgeladen vor dem Hintergrund des von Deutschen
geplanten und umgesetzten Menschheitsverbrechens der Verfolgung und
Ermordung der europäischen Juden und Jüdinnen. Als Konsequenz besteht für
Deutschland sowohl eine Verpflichtung für eine gesicherte Existenz des
Staates Israel wie auch eine Verpflichtung auf das Völkerrecht als
Grundlage deutscher Politik.
- Auch in unserer Partei führte und führt die Auseinandersetzung mit dem
Thema Israel/Palästina zu teilweise erheblichen Friktionen aber auch zu
Sprachlosigkeit.
Auf diesem Hintergrund beschließt die Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis
90/Die Grünen:
- Eine dauerhafte Selbstreflexion über Hintergründe und Motive der je
eigenen Positionierung zum Thema Israel/Palästina. Diese Positionierung
muss das Ergebnis von intellektueller Anstrengung, emotionalem Aushalten
von Spannungen und von langem politischem Atem sein. Das Thema ist als
emotionaler Wohlfühlgegenstand ebenso ungeeignet wie für den Wunsch nach
schneller und einfacher Positionierung auf der vermeintlich richtigen
Seite der Geschichte.
- Sich mit den vielfältigen Formen des Antisemitismus und des Rassismus
auseinanderzusetzen und sich ihnen entgegenzustellen. Dazu gehört auch die
Auseinandersetzung mit und gegebenenfalls die Zurückweisung von Vorwürfen,
bei denen der Antisemitismusbegriff so weit ausgedehnt wird, dass damit
auch Kritik an israelischer Regierungspolitik, der fortgesetzten Besatzung
und der Rechtungleichheit in Israel belegt werden kann.
- Bündnis 90/Die Grünen sollen auf den verschiedenen Parteiebenen Räume
suchen und öffnen für eine kontinuierliche und respektvolle
Auseinandersetzung mit dem Thema Israel/Palästina. Dabei soll bewusst der
Kontakt zu jüdischen und palästinensischen Communities gesucht werden, um
zuzuhören und um die eigenen Positionen zu erläutern.
- Bündnis90/Die Grünen fordern von der Bundesregierung eine Differenzierung
zwischen dem Hoheitsgebiet des Staates Israel und den seit 1967 besetzten
Gebieten und damit die Erfüllung der UN-Sicherheitsrats-Resolution 2334.
Dazu gehören:- Sich für ein EU-Importverbot für Produkte aus israelischen
Siedlungen in der Westbank einzusetzen. - Sicherzustellen, dass es keine visumfreie Einreise von
Bewohner:innen von israelischen Siedlungen mehr gibt. - Entsprechend dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofes (IGH)
sicherzustellen, dass die finanzielle und wirtschaftliche
Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Staat Israel in keiner Weise
den israelischen Siedlungen zugutekommt.
- Sich für ein EU-Importverbot für Produkte aus israelischen
- Bündnis 90/Die Grünen treten seit langem für die Zwei-Staaten-Regelung
ein. Um diesem Bekenntnis wieder Glaubwürdigkeit zu verleihen, treten wir
für konkrete Schritte ein. Dazu gehören:- Denjenigen Staaten der EU, die diesen Schritt bereits vollzogen
haben zu folgen und den Staat Palästina unverzüglich anzuerkennen. - Weiter den Aufbau des Staates Palästina zu unterstützen. Die
deutsche finanzielle Unterstützung für die Palästinensische
Autonomiebehörde (PA) soll so gestaltet werden, dass demokratische
Reformen vorangetrieben werden, die die PA rechenschaftspflichtiger
und effizienter in der Erbringung von Dienstleistungen macht und
eine Partizipation der Zivilbevölkerung in politischen
Entscheidungsprozessen ermöglichet. - Weiter und in verstärktem Maße demokratische palästinensische
zivilgesellschaftliche Gruppen zu unterstützen, die sich für
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für Menschenrechte, eine
Beendigung der Besatzung, für Gleichberechtigung und für
gegenseitige Anerkennung und friedliche Koexistenz einsetzen. - Sowohl der Arabische Friedensinitiative von 2002 als auch die vom
damaligen EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und Saudi-Arabien 2024
ins Leben gerufene Globale Allianz für die Umsetzung der Zwei-
Staaten-Regelung und den von Frankreich und Saudi-Arabien 2025
gestarteten Prozess für die Umsetzung einer Zwei-Staaten-Regelung
bekannt zu machen und aktiv zu unterstützen.
- Denjenigen Staaten der EU, die diesen Schritt bereits vollzogen
- Da die israelische Regierung in ihrem bisherigen Verhalten gezeigt hat,
dass sie zu einem politischen Kompromiss im israelisch-palästinensischen
Konflikt und zu Verhandlungen darüber nicht bereit ist, muss ihr deutlich
gemacht werden, dass weder ein möglicher erneuter Bruch des
Waffenstillstands (wie im März 2025), noch die weitere faktische Annexion
der Westbank noch eine weitere Zerstörung demokratischer und
rechtsstaatlicher Strukturen innerhalb Israels akzeptiert werden. Wir
fordern von der Bundesregierung:- Ihren bisherigen Widerstand gegen eine mögliche Aussetzung des
Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel aufzugeben. - Die rechtlichen Verpflichtungen, die sich für Deutschland als
Vertragsstaat des Waffenhandelsvertrages (ATT) ergeben, vollständig
einzuhalten. - Ihre Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) zu
bekräftigen und auszubauen. - Weiter und in verstärktem Maße demokratische israelische
zivilgesellschaftliche Gruppen zu unterstützen, die sich für
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für Menschenrechte, eine
Beendigung der Besatzung, für Gleichberechtigung und für
gegenseitige Anerkennung und friedliche Koexistenz einsetzen.
- Ihren bisherigen Widerstand gegen eine mögliche Aussetzung des
- Um zu einer Verbesserung der katastrophalen Lage im Gazastreifen
beizutragen, muss die Bundesregierung:- Sich großzügig an der humanitären Versorgung der Bevölkerung
beteiligen. - Die von ihr bereits zugesagte Organisation einer
Wiederaufbaukonferenz mit Ägypten zügig umsetzen und sich großzügig
und kontinuierlich an den Kosten des Wiederaufbaus beteiligen. - Die finanzielle und politische Unterstützung für das Hilfswerk der
Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA)
bekräftigen und ausbauen. - Sich gegenüber der israelischen Regierung für den ungehinderten
Zugang und Schutz von Journalist:innen sowie von
Untersuchungskommissionen und Ermittler:innen, die durch die UN
mandatiert sind, einzusetzen.
- Sich großzügig an der humanitären Versorgung der Bevölkerung
- Der Waffenstillstand ist nur ein erster Schritt auf dem Weg zu einer
nachhaltigen Regelung des Konflikts. Deutschland und Europa müssen eine
konstruktive Rolle dabei spielen, einen irreversiblen politischen Prozess
zu gestalten, der die Ursachen des Konflikts adressiert und zu einem Ende
der Besatzung im Gazastreifen und im Westjordanland sowie der
gegenseitigen Anerkennung als souveräne Staaten führt. In der von den
Vereinten Nationen unterstützten New Yorker Erklärung wird ein solcher
Rahmen vorgeschlagen, den die deutsche Bundesregierung unterstützen
sollte.
- Angesichts der Polarisierungen innerhalb der deutschen Gesellschaft
infolge der Eskalation des israelisch-palästinensischen Konflikts ist die
Bundesregierung aufgefordert, vorschnellen Repressionen unter Hinweis auf
den aus der Zeit des Obrigkeitsstaates stammenden und in seiner heutigen
Bedeutung nie erklärten Begriff der „Staatsraison“ zu entsagen bzw.
entgegenzutreten. Sie muss vielmehr dafür sorgen, dass Räume des Ausdrucks
und des Dialoges geöffnet und erweitert werden, solange es zu keiner
Gewaltanwendung oder strafrechtlich verfolgbaren Äußerungen kommt.
- Bündnis 90/Die Grünen verpflichten sich, weiterhin engagiert zu bleiben in
der Auseinandersetzung mit den von Deutschen begangenen
Menschheitsverbrechen, in der Auseinandersetzung darüber, welche
Konsequenzen daraus zu ziehen sind, in der Stärkung der deutsch-
israelischen Beziehungen und der deutsch-palästinensischen Beziehungen, in
der Verpflichtung auf das Völkerrecht, die universelle Erklärung der
Menschenrechte sowie auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
