Veranstaltung: | 49. Bundesdelegiertenkonferenz Karlsruhe |
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Tagesordnungspunkt: | EP-FH Was Freiheit schützt |
Status: | Beschluss (vorläufig) |
Beschluss durch: | Bundesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 26.11.2023 |
Antragshistorie: | Version 2 |
D – Was Freiheit schützt
Beschlusstext
Die Europäische Union (EU) ist ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und der Demokratie. Die
Europäer*innen haben sie auf den Ruinen von Krieg und Unterdrückung errichtet. Heute
garantiert sie, dass wir ohne Grenzkontrollen reisen können, wo uns früher Stacheldraht,
Mauern und Schlagbäume trennten. Sie sorgt dafür, dass Meinungsfreiheit gilt, wo noch vor
wenigen Jahrzehnten Diktatoren herrschten. Sie schützt den Rechtsstaat. Sie garantiert, dass
alle Bürger*innen der EU ihre Regierungen frei wählen können – von der Gemeindeebene bis
nach Brüssel.
Das Europa, das wir weiter prägen wollen, bietet Sicherheit und Schutz, führt zusammen und
bindet ein. Unterschiede nämlich nicht nur auszuhalten, sondern als Chance zu begreifen;
Brücken zu bauen über Grenzen und Gräben hinweg; das verbindende Element zu suchen, statt
das Trennende tatenlos hinzunehmen: Nichts anderes ist Gründungsgedanke der EU.
Sicherheit und Schutz aber brauchen Organe, die sie schaffen und erhalten. Sie wollen wir
stärken. Extremismus, Desinformation und Kriminalität machen vor nationalen Grenzen nicht
Halt, im Gegenteil: Gerade in den vergangenen Jahren haben wir erlebt, wie autoritäre
Staaten unsere freie Gesellschaft angreifen. Die EU ist in der Verantwortung, durch
Koordination und starke eigene Institutionen den Schutz zu bieten, den die Bürger*innen zu
Recht erwarten – zumal diese Erlebbarkeit von Sicherheit und staatlicher Verlässlichkeit das
Vertrauen in den demokratischen Staatenverbund der EU unmittelbar steigert.
Die Entwicklung der EU ist eine Entwicklung zu einem immer engeren Bündnis. Das ist gut,
denn wir brauchen das Gewicht und die Fähigkeiten der EU, um viele der drängenden Probleme
unserer Zeit zu lösen. Wie wir das tun, müssen wir in einem demokratischen Prozess
bestimmen. Im Zentrum davon steht das Europäische Parlament, dessen Rechte wir erweitern
wollen. So schaffen wir die Grundlage für eine föderale europäische Republik mit einer
eigenen Verfassung. Auch wenn Entscheidungsprozesse in Europa zuweilen mühsam und langwierig
sind, so stellen sie doch einen großen Wert da: Mit der Kraft des Wortes und der Diskussion
steht am Ende oft ein Kompromiss, der zwar nicht jede und jeden vollends zufriedenstellt,
aber alle weiterbringt. Dafür stehen wir ein.
Denn der Zuwachs an Freiheit, Sicherheit und Demokratie, für den die europäische Einigung
seit dem Zweiten Weltkrieg gesorgt hat, gehört zu den größten politischen Erfolgen der
Weltgeschichte. Nicht ohne Grund ist die EU das Zielobjekt von Extremist*innen aller Art:
Wer meint, dass Frauen nicht die gleichen Rechte haben sollten wie Männer, wer freie Medien
mundtot machen will, wer seine Interessen durch Desinformation und Hetze durchsetzen will –
für den ist die EU ein Dorn im Auge.
Wir wollen die EU in ihrer Fähigkeit stärken, die Rechte und Freiheiten derer zu schützen,
die hier leben. Unser Credo: Wir schützen unsere Freiheit am besten, wenn wir sie ausbauen.
Wir wollen die europäische Demokratie stärken, damit die besten Ideen in einen fairen
Wettstreit um die Zukunft unseres Kontinents treten können. Wir wollen die
Rechtsstaatlichkeit ausbauen, die allen Bürger*innen Sicherheit und gleiche Rechte bietet.
Wir wollen eine EU, die für ihre Bürger*innen arbeitet. Wir wollen, dass diese über das
Europäische Parlament noch klarer den Kurs mitbestimmen können. Und wir wollen, dass die EU
auch im Inneren, etwa gegenüber Regierungen wie der ungarischen von Viktor Orbán, die nötige
Durchsetzungskraft beweist: Wer gegen die Grundwerte der EU verstößt, sollte nicht
gleichzeitig uneingeschränkt von ihren Privilegien profitieren können.
Die Möglichkeit zur gleichberechtigten Teilhabe aller ist einer dieser Grundwerte – und eine
Grundvoraussetzung für unseren Zusammenhalt. Das gilt nicht zuletzt für die Rechte von
Frauen. Solange die Hälfte der Bevölkerung in vielen Lebensbereichen benachteiligt ist,
solange ist unsere Demokratie nicht vollständig. Und auch solange trans, inter und
nichtbinäre Menschen diskriminiert werden, können noch nicht alle gleichberechtigt
teilhaben. Autoritäre Kräfte innerhalb und außerhalb Europas stellen unseren Zusammenhalt
indes infrage, indem sie einzelne Gruppen zum Feindbild erklären. Das schwächt uns alle und
droht unseren Kontinent zu spalten. Dem treten wir entschieden entgegen. Ein vielfältiges
Europa ist ein starkes Europa: Es sorgt dafür, dass alle beitragen und teilhaben können. Wir
stehen fest an der Seite all jener, die ausgegrenzt und diskriminiert werden. Und weil wir
die EU als Vorreiterin einer wertegeleiteten Digitalisierung sehen, wollen wir Demokratie
und Rechtsstaatlichkeit auch im Netz sichern.
Die EU ist stark, wenn sie im Kern ein Wertebündnis ist. Diese Werte müssen dabei
glaubwürdig gelebt werden. Das gilt nicht zuletzt im Umgang mit Menschen, die nach Europa
kommen wollen – oder müssen. Das Sterben im Mittelmeer und die Lage an den europäischen
Außengrenzen sind unhaltbar. Wir stehen für Humanität und Ordnung im Umgang mit
Geflüchteten. Wir wollen Schutz bieten für Menschen, die vor Krieg und politischer
Verfolgung fliehen müssen. Wir wollen Einwanderung so gestalten, dass diejenigen, die als
Informatikerinnen oder Krankenpfleger, als Studentinnen oder Erntehelfer zum Erfolg unserer
Gemeinschaft beitragen wollen, diesen Beitrag auch leisten können. Migration ist nicht nur
Triebfeder für Fortschritt, sie ist auch eine Kraftanstrengung. Menschen kommen nach Europa
mit unterschiedlichen Perspektiven, Erfahrungen und Gesellschaftsbildern. Wir wollen uns
dieser großen Herausforderung politisch stellen. Damit das gelingt, braucht es die
Bereitschaft, gemeinsam Einwanderungsgesellschaften auf Grundlage europäischer
Wertvorstellungen zu gestalten. Das gilt für die Menschen, die hier leben, ebenso wie für
diejenigen, die nach Europa kommen und teilweise völlig andere Wertvorstellungen haben.
In Vielfalt geeint, so lautet das Motto der EU. Gemeinschaft soll sie sein, Gemeinschaft
soll sie bleiben – über alle Unterschiede und Herausforderungen hinweg. Wir setzen uns ein
für eine EU, die sich als Motor für ein immer engeres Zusammenwachsen unseres Kontinents
versteht. Für einen Kontinent, in dem die Menschen in Freiheit und unter demokratischen
Werten sicher leben. Für eine EU, die ein Zuhause bietet und sich nicht abschottet. Dieses
Europa wollen wir sein.
1. Demokratische Institutionen
Rechtsstaatlichkeit verteidigen
Die Achtung von Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit
einschließlich der Rechte von Minderheiten bilden das Fundament der EU. Wenn Regierungen in
Mitgliedstaaten diese Wertebasis systematisch aushöhlen, indem sie die Unabhängigkeit der
Justiz – die erste Wächterin des Rechtsstaats – aushebeln, Freiräume der Opposition und
Zivilgesellschaft beschneiden, freie Medien bekämpfen, Frauen-, Minderheiten- und LGBTIQ*-
Rechte einschränken, das Recht auf Asyl verweigern oder Korruption Tür und Tor öffnen,
bereiten sie den Weg für Diskriminierung. Damit schwächen sie die EU. Deshalb ist es
unverzichtbar, dass die bestehenden Rechtsstaatsinstrumente konsequenter und schneller
genutzt und weiterentwickelt werden.
Die Grundrechtecharta, das Grundgesetz der EU, soll allen hier lebenden Menschen Schutz
bieten.. Da sich ihre Anwendung auf die Durchführung von EU-Recht beschränkt, ist ihre
Schutzwirkung bislang begrenzt. Das wollen wir ändern: Sie soll auch für rein nationales
Handeln der Mitgliedstaaten gelten und dort einklagbar werden. Wenn eine Regierung die
Grundrechte ihrer Bürger*innen verletzt, soll sie dafür auch auf europäischer Ebene belangt
werden können. Auch die Durchsetzbarkeit der Urteile des Europäischen
Menschenrechtsgerichtshofs, der über die Einhaltung der Europäischen
Menschenrechtskonvention wacht, wollen wir innerhalb der EU stärken.
Dem bestehenden Rechtsstaatscheck und dem Rechtsstaatsdialog, mit denen die Lage der
Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten durchleuchtet wird, wollen wir mehr Gewicht
verleihen. Wir sorgen dafür, dass besonders der Freiraum für die Zivilgesellschaft gezielter
bemessen und geschützt wird. Um den Reformdruck zu erhöhen, setzen wir auf verbindliche
Reformvereinbarungen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, die perspektivisch
sanktionsbewehrt werden müssen. Öffentliche Debatten hierzu im Europäischen Parlament müssen
zur Regel werden und in die Bewertungen einfließen. Das Rechtsstaatsverfahren nach Artikel
7, das in einem mehrstufigen Verfahren zum Beispiel zum Entzug des Stimmrechts führen kann,
soll wieder nutzbar gemacht werden. Das soll dadurch geschehen, dass die Mitgliedstaaten im
Rat der EU (Ministerrat) und im Europäischen Rat in allen Phasen des Verfahrens nicht mehr
mit Konsens, sondern mit qualifizierter Mehrheit abstimmen.
Die Auszahlung von EU-Mitteln soll an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit, demokratischer
Prinzipien und der Grundrechte geknüpft werden. Um den Missbrauch europäischer Steuergelder
etwa durch systematische Korruption, Günstlings- und Vetternwirtschaft zugunsten bestimmter
Parteien wirksam zu stoppen, darf die Überprüfung nicht allein stehen bleiben. Auch eine
wirksame Gewaltenteilung und die umfängliche Gewährung der Grundrechte sind entscheidend.
Deshalb erweitern wir den Haushaltsmechanismus auf die Einhaltung der Grundrechtecharta. Das
heißt: Bei Verstößen müssen EU-Gelder anteilig und gegebenenfalls stufenweise eingefroren
werden.
Bei Vertragsverletzungsverfahren setzen wir auf klare Regeln und mehr Transparenz. Die
Kommission wird ihrer Rolle als Hüterin der Verträge dann gerecht, wenn Recht eingehalten
wird. Verspätete Durchsetzung von EU-Recht schadet allen.
Für eine Stärkung unserer gemeinsamen Werte setzen wir auf eine zwischen Rat, Kommission und
Europäischem Parlament besser abgestimmte, sich gegenseitig verstärkende Anwendung aller
Rechtsstaatsinstrumente. Die jeweiligen Erkenntnisse führen wir zu einer gemeinsamen
Bewertungsgrundlage zusammen. Um einen regelmäßigen Charta-Check zu garantieren, den alle
Mitgliedstaaten akzeptieren, schaffen wir eine unabhängige Expert*innen-Kommission, die die
EU-Kommission unterstützt. Wollen Mitgliedstaaten künftig EU-Fördermittel erhalten, müssen
sie sich verpflichten, mit der europäischen Staatsanwaltschaft zu kooperieren. Bei
Mittelkürzungen dürfen am Ende aber nicht die Menschen in den Kommunen die Leidtragenden
sein, weil sich korrupte Regierungen aus ihrer finanziellen Verantwortung stehlen und lieber
mit dem Finger nach Brüssel zeigen. Daher prüfen wir, wie Kommunen direkt unterstützt werden
können.
Mehr Demokratie wagen
Die Stärkung der EU muss mit ihrer weiteren Demokratisierung und mehr Bürgernähe
einhergehen. Dazu wollen wir das direkt gewählte Europäische Parlament weiter stärken. Das
Parlament soll dem Rat gesetzgeberisch in allen Politikfeldern gleichgestellt sein und wie
jedes Parlament gleichberechtigt Gesetze beschließen, etwa in der Steuer- oder
Sicherheitspolitik. Es soll ein vollwertiges Initiativrecht erhalten, damit es eigenständig
Gesetze auf den Weg bringen kann. Wir wollen sein Recht ausbauen, Untersuchungsausschüsse
einzuberufen und Zeug*innen vorzuladen. Außerdem soll es die Kommission auf Vorschlag der
Kommissionspräsidentin bzw. des Kommissionspräsidenten wählen und im Notfall wieder
entlassen können.
Für mehr demokratische Legitimierung der Entscheidungen auf EU-Ebene braucht es mehr
Transparenz im Europäischen Rat und in den Ministerräten. Die Debatten und die Positionen
der einzelnen Mitgliedsländer sollen nachvollziehbarer gemacht werden.
Unsere Vision ist die Föderale Europäische Republik mit einer europäischen Verfassung. Das
Parlament soll in einem Zweikammersystem zusammen mit dem Rat ein gleichberechtigter Teil
der gesetzgebenden Gewalt werden.
Um die Europawahlen europäischer und demokratischer zu machen, wollen wir, dass alle
Parteien Spitzenkandidat*innen nominieren. Aus deren Reihen wiederum wählt das Europäische
Parlament den nächsten Präsidenten bzw. die nächste Präsidentin der Kommission. Zudem sind
bei der Europawahl bislang nur Kandidat*innen aus dem jeweils eigenen Land wählbar. Das
wollen wir im Sinne eines grenzüberschreitenden Wahlkampfs ändern. Ein Teil der Abgeordneten
soll zukünftig nicht mehr allein über die nationalen Listen, sondern über europäische
transnationale Listen bestimmt werden. Auch in den bleibenden nationalen oder regionalen
Wahlkreisen soll die Europa-Parteizugehörigkeit nationaler Parteien klar erkennbar werden.
Wir treten außerdem dafür ein, dass das Europäische Parlament Frauen und unterrepräsentierte
Gruppen besser abbildet.
Wir treten dafür ein, Wahlhürden zu senken. Wer dauerhaft seinen Lebensmittelpunkt in der EU
hat, muss sich dort auch politisch einbringen können. Unionsbürger*innen sollen an ihrem
ständigen Wohnsitz in der Union mitwählen können, und nicht nur für Kommunalparlamente und
das Europäische Parlament, sondern auch bei regionalen und nationalen Wahlen. Wer in
Deutschland dauerhaft seinen Lebensmittelpunkt hat, muss die Möglichkeit haben, hier an
allen Wahlen, Abstimmungen und demokratischen Prozessen gleichberechtigt teilzunehmen.
Junge Menschen mischen sich ein und wollen Europa mitgestalten. Deshalb war die Einführung
des Wahlrechts ab 16 Jahren in Deutschland für die Europawahl ein großer Erfolg. Wir wollen,
dass Jugendliche besser an politischen Prozessen beteiligt werden. Deshalb werden wir auf
Basis einer unmittelbar an die Europawahl anschließenden Evaluation das Wahlalter ggf.
weiter absenken.
Ergänzend zur demokratischen Vertretung der Bürger*innen im Europäischen Parlament wollen
wir mehr direkte Teilhabe auch auf EU-Ebene ermöglichen. Im Parlament werden wir darüber
hinaus darauf hinwirken, dass den Abgeordneten mehr Zeit für die Arbeit in ihren
Heimatregionen zur Verfügung steht, um vor Ort ansprechbar zu sein.
Mit dem Europäischen Bürger*innenforum, das erstmals in dieser Legislatur als
Zukunftskonferenz stattgefunden hat, können europäische Bürger*innen, die nach dem
Zufallsprinzip und repräsentativ aus der gesamten Bevölkerung der EU ausgelost werden, in
einem Bürger*innen-Gutachten konkrete Handlungsvorschläge formulieren. Wir wollen dieses
Instrument fest verankern, digitale Teilnahme ermöglichen und setzen uns dafür ein, dass die
Vorschläge der Bürger*innen auch umgesetzt werden.
Die Europäische Bürgerinitiative (EBI), bei der Bürger*innen direkt ein Thema auf die
Tagesordnung der europäischen Politik setzen können, wollen wir erweitern, verbindlicher und
bekannter machen. Einer erfolgreichen EBI muss zwingend innerhalb eines Jahres ein
Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission folgen und dem Europäischen Parlament sowie
dem Rat zur Abstimmung vorgelegt werden. Die Initiator*innen einer EBI sollen als
Zwischenschritt auch ein Europäisches Bürger*innenforum einberufen können.
Handlungsfähiger werden
Angesichts der vielfältigen Herausforderungen sind wir auf eine handlungsfähige EU
angewiesen. Deshalb wollen wir zum einen mit der Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen
Entscheidungen schneller ermöglichen, etwa durch Anwendung der Passerelle-Klausel. Wo bisher
noch Einstimmigkeit zwischen den Staaten erforderlich war und Entscheidungen deshalb leicht
blockiert werden konnten, soll in Zukunft mit qualifizierter Mehrheit abgestimmt werden.
Dabei ist es wichtig, dass die Interessen kleinerer Mitgliedstaaten weiterhin Gehör finden
und respektiert werden.
Zum anderen wollen wir die in den Verträgen vorgesehene Klausel der Verstärkten
Zusammenarbeit besser nutzen. Sie erlaubt es einer Gruppe von mindestens neun EU-
Mitgliedstaaten, in ausgewählten Politikfeldern enger zu kooperieren und gemeinsam Projekte
anzustoßen. Damit können sie schneller wichtige Projekte auf den Weg bringen. Wichtig für
uns: Dabei soll das Europäische Parlament einbezogen werden – und alle anderen
Mitgliedsländer sollen sich auch zu einem späteren Zeitpunkt anschließen können.
Einige der Reformen sind ohne Vertragsänderung möglich. Sie sollen zügig und zeitnah in die
Realität umgesetzt werden. Eine Reihe der Reformvorschläge, für die wir eintreten, bedarf
einer Vertragsänderung. Dafür wollen wir einen Konvent unter der Einbeziehung von EU-
Bürger*innen einberufen. Dieser soll die Empfehlung der wegweisenden Konferenz zur Zukunft
der EU einbeziehen. Hier waren Bürger*innen maßgeblich an der Formulierung von neuen
Perspektiven für die EU beteiligt.
Korruption bekämpfen
Demokratie lebt vom Vertrauen der Bürger*innen, jeder Anschein käuflicher Politik richtet
Schaden an. Wir sorgen deshalb für mehr Transparenz im Europäischen Parlament, in der
Kommission und im Rat, um die Glaubwürdigkeit demokratischer Prozesse und das Vertrauen in
die EU zu stärken. Wir machen Lobbyinteressen und Interessenskonflikte für alle sichtbar.
Mit dem Korruptionsskandal einzelner Europaabgeordneter aus dem Jahr 2022 ist das
dringlicher denn je. Die Ausweitung der Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung- und
bestechlichkeit auf EU-Ebene unterstützen wir.
Den Verhaltenskodex des Europäischen Parlaments stellen wir endlich scharf. Bei
rechtskräftig festgestellten Verstößen müssen finanzielle Strafen zügig durchgesetzt werden.
Mit einem für alle EU-Institutionen, auch den Rat, verbindlichen Lobbyregister legen wir auf
allen politischen Ebenen offen, wer in den Institutionen ein- und ausgeht. Diejenigen, die
auf die Gesetzgebung Einfluss ausüben, machen wir durch einen „legislativen Fußabdruck“
sichtbar, der umfassend nachvollziehbar macht, welche Positionen im Gesetzgebungsprozess
eingebracht wurden.
Wir beenden die unwirksame reine Selbstkontrolle und schalten eine unabhängige Ethikbehörde
ein, die für alle EU-Institutionen die Regeln zur Lobbykontrolle durchsetzt. Beim Wechsel
zwischen Politik und Wirtschaft sorgen wir für klare Karenzzeitregeln, die an
Übergangszahlungen angepasst sind, und für deren Kontrolle. Dass Europaabgeordnete jetzt
ihre Vermögensverhältnisse gegenüber dem Parlament und Ermittlungsbehörden offen legen
müssen, erschwert Korruption. Wir wollen dies transparent machen, so wie es bereits in
vielen Mitgliedstaaten der Fall ist.
Mit einer EU-weiten Datenbank, die politische Onlinewerbung sowie ihre Auftrag- und
Geldgeber*innen transparent erfasst und digitaler Wahlkampfwerbung bei
der Nutzung persönlicher Daten klare Schranken setzt, garantieren wir mehr Fairness im
demokratischen Wettbewerb und mehr Schutz gegen Desinformation und Onlinehass.
Der rechtliche Rahmen zur Einziehung von Vermögenswerten, die durch Korruption erworben
wurden oder aus Erträgen, die aus diesem illegalen Vermögen stammen, soll weiter gestärkt
werden.
2. Feminismus
Europa zum Motor für Frauenrechte und Gleichstellung machen
Wir wollen ein Europa, in dem alle Menschen, unabhängig vom Geschlecht, selbstbestimmt leben
und gleichberechtigt teilhaben können. Strukturelle Benachteiligung und
geschlechterspezifische Diskriminierung hindern insbesondere Frauen, trans, inter und
nichtbinäre Menschen daran. Unsere Antwort darauf ist ein Feminismus, der alle Menschen und
Mehrfachdiskriminierungen in den Blick nimmt.
Frauen und Mädchen sollen in der gesamten EU gleichgestellt und selbstbestimmt leben können.
In Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft – überall gibt es noch viel zu
tun. Oft war Europa die Vorreiterin für Frauenrechte und Gleichstellung der Geschlechter.
Doch rechte und rechtskonservative Kräfte in vielen Ländern nehmen unsere Errungenschaften
ins Visier. Sie versuchen durch eine rückwärtsgewandte Familienpolitik, Frauen aus dem
Arbeitsmarkt zu drängen. Reproduktive Rechte, besonders das Recht auf
Schwangerschaftsabbruch, sind Menschenrechte und müssen für alle und in allen
Mitgliedstaaten gleichermaßen gelten. Doch gerade die reproduktiven Rechte von Frauen,
insbesondere aus marginalisierten Gruppen, wie zum Beispiel queeren Frauen, werden offen
infrage gestellt. Errungenschaften im Kampf gegen Gewalt an Frauen werden zurückgedrängt und
die Rechte von trans, inter und nichtbinären Menschen in Frage gestellt. Dem treten wir mit
aller Macht entgegen.
Unser Ziel ist es, dass die EU eine Garantin für Geschlechtergerechtigkeit auf unserem
Kontinent wird. Geschlechtergerechtigkeit soll sich durch alle Politikbereiche der Union
ziehen. Deshalb wollen wir das EIGE (European Institute for Gender Equality) stärken und
ausbauen. Dafür braucht es größeres Wissen, mehr Daten und wissenschaftliche Expertise. Auch
deshalb werden wir die Gender-Studies weiter fördern und gegen Angriffe verteidigen.
Die Gender-Equality-Strategie der EU-Kommission, die 2025 ausläuft, muss zügig und
umfangreich evaluiert werden. Auf Grundlage dieser Ergebnisse werden wir in der kommenden
Legislatur einen ambitionierten Plan erstellen, um mit großen Schritten in Sachen
Gleichberechtigung voranzukommen.
Alle Menschen müssen selbst über ihren Körper und ihr Leben entscheiden können. Wir wollen
auch deswegen, dass die EU die Selbstbestimmungsrechte von Frauen und Mädchen stärkt. Dazu
gehört, dass die reproduktive Gesundheit und das Recht auf körperliche Selbstbestimmung
sowie selbstbestimmte Familienplanung für alle sichergestellt sind. Wir wollen den
uneingeschränkten Zugang zu Verhütungsmitteln stärken. Eine professionelle Beratung zur
Familienplanung ist die Grundlage für selbstbestimmte Entscheidungen. Sie muss breit in der
EU verfügbar sein. Die Initiative, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in der EU-
Grundrechtecharta zu verankern, unterstützen wir. Der Zugang zu Monatshygieneprodukten ist
Teil einer guten Gesundheitsversorgung. Deshalb wollen wir ihn verbessern.
Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt verwirklichen
Alle profitieren davon, wenn Frauen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Als
Ingenieurinnen, Erzieherinnen, Ärztinnen und in unzähligen weiteren Berufen schaffen sie
Wohlstand – für Europa und für sich: Denn eine faire Beteiligung am Arbeitsmarkt hilft
Frauen, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern und zum Beispiel Altersarmut zu
vermeiden. Um dieses Ziel zu erreichen, wollen wir auch politisch den Weg ebnen.
Der Gender-Pay-Gap, also die Lücke zwischen den Löhnen von Männern und denen von Frauen,
klafft in allen EU-Ländern. Im Durchschnitt liegt er bei 12,1 Prozent, in Deutschland sogar
bei circa 18 Prozent. Deshalb war die Verabschiedung der Lohntransparenzrichtlinie ein
großer Erfolg. Sie schafft mehr Transparenz durch Auskunftsansprüche und Berichte,
Entschädigungsansprüche bei geschlechtsspezifischer Lohndiskriminierung und stärkt so die
Rechte der Arbeitnehmerinnen. Wir setzen uns mit aller Kraft dafür ein, dass diese
Richtlinie auch in den Mitgliedstaaten konsequent umgesetzt wird. Und natürlich müssen
sogenannte Sorge- und Care-Berufe, die hauptsächlich von Frauen ausgeübt werden, durch
bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung aufgewertet sowie die gerechtere Verteilung von
bezahlter Arbeit und unbezahlter Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern verbessert werden.
Um für Frauen die gleichen Zugangs- und Aufstiegschancen auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen
und die Geschlechtergerechtigkeit zu erhöhen, wurde vom Europäischen Rat eine
Vereinbarkeitsrichtlinie erlassen. Diese soll es Eltern partnerschaftlich ermöglichen,
Berufs- und Privatleben miteinander zu vereinbaren. Mit der Familienstartzeit, die
Partner*innen nach der Geburt eine 14-tägige berufliche Freistellung ermöglicht, wird die
Bundesregierung hier einen weiteren Schritt zur Erfüllung tun und Paare bei der
partnerschaftlichen Arbeitsteilung unterstützen. Wir dringen weiter auf die Umsetzung und
Ausweitung dieser Richtlinie. So wollen wir vor allem Väter dazu ermutigen, Elternzeit zu
nehmen. Eine gute und partnerschaftliche Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eine
effektive Maßnahme, um dem existierenden Fachkräftemangel durch eine höhere Erwerbsquote von
Frauen entgegenzuwirken. Denn: Viele Frauen möchten gern mehr arbeiten und immer mehr Männer
wünschen sich, Familienaufgaben paritätisch aufzuteilen – die Bedingungen lassen es aber
nicht zu.
Besonders auffällig ist der europaweit geringe Anteil von Frauen in allen Bereichen der
sogenannten MINT-Berufe und den entsprechenden Studiengängen. Auch wenn hier die Zahl der
Studienanfängerinnen steigt, spiegelt sich das nicht in den wissenschaftlichen Laufbahnen
wider. Das muss sich ändern, denn angesichts des Arbeits- und Fachkräftemangels ist es
geradezu fahrlässig, auf dieses Potenzial zu verzichten. Entsprechend wollen wir Frauen und
Mädchen aktiv fördern und damit zeitgleich das Arbeitskräfteangebot für den MINT-Bereich
verbessern. Außerdem fordern wir auf EU-Ebene bessere Finanzierungsmöglichkeiten für
Darlehen und Eigenkapitalfinanzierungen für junge Unternehmerinnen und Innovatorinnen durch
EU-Fonds und Programme sowie die Erleichterung des Zugangs von Frauen zu bestehenden Fonds,
aber auch zu gut bezahlten Arbeitsplätzen.
Gewaltschutz durchsetzen
Wir wollen ein Europa, das Schutz und Unterstützung für alle Betroffenen von
geschlechtsbasierter Gewalt bietet. Wir setzen uns dafür ein, dass Gewalt gegen Frauen
sowohl durch präventive Maßnahmen verhindert als auch verfolgt und verurteilt wird. Ein
wichtiger Baustein dafür ist die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen - insbesondere von
Müttern und ihren Kindern, da sie die Trennung von gewalttätigen Partnern erleichtert und
somit eine wichtige Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben ist. Die Istanbul-
Konvention ist das erste Instrument in Europa, das rechtsverbindliche Standards speziell zur
Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt festlegt. Endlich wurden durch die
Initiative der Bundesregierung auch in Deutschland sämtliche Vorbehalte zurückgenommen. Bis
heute aber haben sechs Mitgliedstaaten – Bulgarien, die Tschechische Republik, Ungarn,
Lettland, Litauen und die Slowakei – diese Konvention noch nicht ratifiziert. Deshalb ist es
ein großer Erfolg, dass die EU selbst umfassend und ohne Ausnahmen der Istanbul-Konvention
beigetreten ist. Wir wollen, dass alle Leistungen der Mitgliedstaaten zum Schutz von Frauen
mindestens den Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention und ihrem erläuternden Bericht
entsprechen – einschließlich der Standards für Unterkünfte, Betreuungsstellen für Betroffene
sowie Notrufstellen. Zudem müssen intersektionale Schutzkonzepte und Zufluchtsräume,
insbesondere
auch für trans, inter und nichtbinäre Menschen, entwickelt und bereitgestellt werden. Nun
muss auch die ergänzende neue EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und
häuslicher Gewalt zügig verabschiedet und umgesetzt werden. Wir setzen uns dafür ein, dass
die Istanbul-Konvention auch im Hinblick auf die Schutzbedarfe von trans, inter, lesbischen
und nichtbinären Menschen umgesetzt wird.
Gewaltbetroffene Frauen, deren Aufenthaltsstatus von dem Aufenthaltsstatus ihres Ehemanns
oder Partners abhängt, sollen einen eigenständigen Aufenthaltstitel erhalten können. Damit
diese Frauen ihr Recht leichter einfordern und durchsetzen können braucht es
niedrigschwelligen Zugang zu geschulter mehrsprachiger Beratung und unterstützender
Hilfestrukturen.
Auch Sexarbeiter*innen brauchen Rechte und Schutz vor Gewalt, Stigmatisierung und
Kriminalisierung.
Frauenrechte stärken und Menschenhandel bekämpfen
Menschenhandel ist eine schwere Straftat und Menschenrechtsverletzung, die wir durch ein
gemeinsames europäisches Vorgehen konsequent bekämpfen müssen. Die verbreitetste Form des
Menschenhandels in der EU geschieht zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Betroffene werden
gezwungen, unter menschenunwürdigen Bedingungen in der Prostitution zu arbeiten. Mehr als
die Hälfte der Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in der EU sind
EU-Bürger*innen, überwiegend Frauen und Mädchen.
Wir wollen die internationale Zusammenarbeit bei der Prävention, Strafverfolgung und zum
Schutz der Betroffenen entlang der bereits bestehenden Vereinbarungen stärken. Um Frauen
besser vor Menschenhandel und vor Gewalt zu schützen, wollen wir ihre Rechte stärken. Dies
tun wir, indem wir uns bei der anstehenden Überarbeitung der EU-Opferschutz-Richtlinie dafür
stark machen, dass alle Opfer von Straftaten besser geschützt werden. Wir wollen den Zugang
zu Informationen über Opferrechte stärken sowie eine gute Koordination zwischen den
Mitgliedstaaten, öffentlichen Stellen und den Justizbehörden sicherstellen. Dabei muss der
Opferschutz im Zentrum des Handelns stehen. Opfer von Menschenhandel abzuschieben, ist
falsch. Stattdessen wollen wir sie durch dauerhafte Bleiberechte und Schutzprogramme
schützen. Dies würde auch zu einer Erhöhung ihrer Anzeige- und Aussagebereitschaft führen
und die Strafverfolgung der Täter*innen erleichtern.
Die Hälfte der Macht zur Realität werden lassen
Solange Frauen in Schlüsselbereichen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft nicht
angemessen vertreten sind, ist die Demokratie nicht vollständig. Auch in Europa müssen wir
immer noch mit der Lupe suchen, um Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen zu finden. Wir
begrüßen, dass die Richtlinie zu Führungspositionen nun endlich in Kraft treten konnte. Die
Kommission muss nun durch regelmäßige Überprüfungen das Erreichen der entsprechenden Quoten
sicherstellen. Denn verbindliche Quoten sind ein effektives Mittel, um Führungsgremien in
Wirtschaft und Politik geschlechtergerecht zu besetzen, auch in den Institutionen der EU
selbst. Auch die Kommission selbst soll geschlechterparitätisch besetzt werden.
Um die finanzielle Macht in Europa geschlechtergerechter zu gestalten, wollen wir ein
effektives Gender Budgeting und Gleichstellungschecks für den EU-Haushalt durchsetzen. Es
ist uns gelungen, künftige EU-Haushalte gerechter für alle Geschlechter aufzustellen: In der
neuen Haushaltsordnung ist nun festgeschrieben, dass die Vergabe von EU-Geldern nach
Geschlechtern transparent gemacht wird. Wir setzen uns dafür ein, dass diese Transparenz
auch in den Verhandlungen mit dem Rat stark gemacht und in der Haushaltsordnung für alle
Fördermittel festgelegt wird. Dadurch werden bestehende Ungerechtigkeiten bei der
Mittelverteilung sichtbar und können korrigiert werden. Zudem hat die Kommission eine
Methode zur Messung der Auswirkungen von Haushaltsmitteln auf die Gleichstellung entwickelt.
Diese muss aber in einigen Bereichen noch verbessert werden. Aufgrund der neuen Datenlage
muss der nächste Mehrjährige Finanzrahmen geschlechtergerecht gestaltet werden.
3. Europas Vielfalt
Zivilgesellschaft stärken
Europa zeichnet sich durch seine Vielfalt und das Miteinander verschiedener Menschen aus.
Queere und nicht-queere Menschen, Menschen mit und ohne Behinderung, Atheist*innen und
religiöse Menschen, Junge und Alte bringen jeweils ihre Lebensperspektiven ein, gestalten
unser Miteinander und unsere Demokratie. Unsere pluralistische Demokratie ist stark, weil
Menschen in Bürgerinitiativen und Parteien, Vereinen,Nichtregierungsorganisationen (NGOs)
und Religionsgemeinschaften eine lebendige Zivilgesellschaft gestalten. Es ist Aufgabe der
EU, diese Freiheitsrechte zu sichern.
Wir unterstützen deshalb die europäische Zivilgesellschaft dabei, sich selbst
grenzüberschreitend zu denken und zu organisieren. Im Europäischen Parlament haben wir
erfolgreich eine Initiative für ein europäisches Vereinsrecht auf den Weg gebracht. So
sorgen wir dafür, dass zivilgesellschaftliche Initiativen überall in Europa rechtlich
abgesichert arbeiten können.
Zivilgesellschaftliche Initiativen sind häufig die erste Anlaufstelle für Menschen, die
Diskriminierung , wie Antisemitismus, Rassismus, Frauen- oder Queerfeindlichkeit und Gewalt
erfahren. Damit sie Betroffene angemessen beraten können, wollen wir die bestehenden
Beratungsstrukturen weiter fördern und ausbauen.
Wir setzen uns dafür ein, dass Förderprogramme wie „Bürgerinnen und Bürger, Gleichstellung,
Rechte und Werte“ (CERV) angemessen ausgestattet werden. So fördern wir Initiativen und
Selbstvertretungsorganisationen, die sich gegen Diskriminierung und für die
Gleichberechtigung aller Menschen stark machen und vor allem auch in Staaten aktiv sind, wo
Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Minderheitenrechte besonders unter Druck stehen. Denn
die Werte der Grundrechtecharta, wie beispielsweise die Versammlungsfreiheit, müssen wir
auch in der EU stärken und sichern.
Wir treten der Einschränkung von zivilgesellschaftlichen Handlungsspielräumen entschieden
entgegen und setzen uns für den Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen innerhalb der EU
ein.
Religion und Glauben sind Bestandteil unserer Kulturen und haben integrative Kraft für
breite Teile der Gesellschaft. Sie sind die Grundlage vieler Gemeinden und Einrichtungen,
die zum Zusammenhalt beitragen. Religionsfreiheit ist konstitutiv für eine vielfältige und
freie Gesellschaft. Menschen, die aufgrund ihres Glaubens, Nicht-Glaubens oder ihrer
Weltanschauung verfolgt werden, verdienen unseren Schutz. Wir wollen den interreligiösen
Dialog vertiefen und Gemeinden dabei unterstützen, Menschen verschiedenen Glaubens
miteinander in Kontakt zu bringen. Wir sind überzeugt, dass im gegenseitigen Respekt und im
Dialog auf Augenhöhe unser vielfältiges Europa gestärkt wird.
Diskriminierung überwinden
Sicherheit, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Bürger*innen-Rechte gelten für alle
Menschen. Sie sind die Voraussetzung für ein Leben in Freiheit. Sie müssen unabhängig davon
gelten, woher ein Mensch kommt, wie er oder sie liebt, lebt oder glaubt. Ein Europa, das in
seiner Vielfalt zusammenhält und die Rechte jedes und jeder Einzelnen schützt, schafft
demokratischen Fortschritt, Teilhabe und Freiheit für alle. Doch noch immer sind Menschen in
Europa aufgrund von Antisemitismus, Rassismus und anderen Formen von gruppenbezogener
Menschenfeindlichkeit Gewalt und Ausgrenzung ausgesetzt. Wir wollen Diskriminierungen auf
allen Ebenen abbauen. Um das Versprechen des vielfältigen Europas der Teilhabe einzulösen,
muss die EU konsequent mit rechtlichen Maßnahmen gegen Diskriminierung vorgehen. Dabei
wollen wir den Blick besonders auf Mehrfachdiskriminierungen lenken.
Noch immer ist Antisemitismus bis in die Mitte der europäischen Gesellschaft tief verwoben.
Jüdische Einrichtungen werden bedroht und angegriffen. Dem stellen wir uns entschlossen
entgegen. Dies gilt in besonderer Weise für uns als Deutschland und dem Versprechen „Nie
wieder!“, dem sich auch Europa nach dem Zweiten Weltkrieg und der Shoah verpflichtet hat. Es
ist die Aufgabe aller Mitgliedstaaten, die Sicherheit jüdischer Gemeinden zu gewährleisten
und sicherzustellen, dass Jüdinnen und Juden in Europa eine sichere Zukunft sehen. Wir
befürworten deshalb die Aufstockung der europäischen Gelder für Sicherheitsprojekte, um sie
dabei zu unterstützen. Als Europäer*innen ist es nicht nur unsere Aufgabe, Antisemitismus in
all seinen Formen entgegenzutreten, sondern auch jüdisches Leben in seiner Vielfalt sichtbar
zu machen und zu stärken. Eine wichtige Bedeutung kommt dabei der Kultur zu. Die
Perspektiven jüdischer Künstler*innen sind wichtiger Bestandteil einer europäischen Kultur.
Diskriminierung und Boykotten gegen Jüdinnen und Juden muss daher entschieden
entgegengetreten werden. Um das Wissen über das jüdische Leben allgemein sowie Kontakte und
Erfahrungen mit jüdischen Menschen europaweit zu vermitteln, wollen wir politische und
kulturelle Bildungsangebote fördern.
Muslim*innen bilden die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in Europa. Muslimisches Leben
gehört zu Europa und ist zugleich zur Zielscheibe von rechten und verschwörungsideologischen
Bewegungen geworden. Wir begrüßen es, dass die EU nach langer Zeit endlich die Stelle der
EU-Koordinatorin gegen Islamfeindlichkeit neu besetzt hat. Ihre Rolle wollen wir stärken.
Wir wollen, dass die Bekämpfung von Antiziganismus eine neue Priorität wird und sich dabei
von paternalistischen Ansätzen verabschiedet. Denn Menschen mit Romani-Hintergrund werden
beim Zugang zu Bildung, Gesundheit, Wohnen und Arbeit oft benachteiligt. Damit die
politische Teilhabe und der Einsatz gegen Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja gefördert
werden, richten wir ein europäisches Beratungsgremium ein. Diesem gehören unter anderem
Expert*innen, Selbstvertretungsorganisationen und lokale sowie regionale
Gebietskörperschaften an. Wir setzen uns für die Einführung von verbindlichen Gesetzen zur
Förderung einer gleichberechtigten Teilhabe ein.
Menschen, die Diskriminierung erfahren, sei es durch öffentliche Institutionen, auf dem
Wohnungs- oder auf dem Arbeitsmarkt, dürfen nicht allein gelassen werden, sondern müssen
Recht und Gesetz auf ihrer Seite wissen. Die EU hat das Potenzial,den Schutz gegen
Diskriminierung, sei es aufgrund der sozialen Herkunft, einer rassistischen Zuschreibung,
der sexuellen Orientierung, einer Behinderung oder des Alters, zu verbessern. Dies wollen
wir konsequent nutzen. Um das Schutzniveau zu vereinheitlichen und zu stärken sowie
Schutzlücken zu schließen, wollen wir, unter anderem, dass die 5.
Antidiskriminierungsrichtlinie endlich verabschiedet wird. Auch Deutschland soll seinen
Vorbehalt aufgeben. Wir stehen fest an der Seite von Menschen, die aufgrund von
Diskriminierung Gewalt erfahren und wollen sie beispielsweise durch den Zugang zu
rechtlicher, medizinischer und psychologischer Beratung unterstützen. Die systematische
Erfassung von Diskriminierungsfällen wollen wir euopaweit stärken, um die europäische
Antidiskriminierungsarbeit zielgenau und wissenschaftlich fundiert weiterzuentwickeln.
Wir wollen die Forschung zu Rassismus und seinen unterschiedlichen Formen, wie zum Beispiel
anti-Schwarzen Rassismus europäisch fördern. Die UN-Dekade für Menschen afrikanischer
Herkunft treiben wir voran. Maßnahmen zum Abbau von Rassismus, Antisemitismus und
Diskriminierung sollen dabei unter kontinuierlicher Einbindung von Expert*innen und
Selbstvertretungsorganisationen erarbeitet werden. Wir wollen zudem, dass die EU die
Mitgliedstaaten zum Beispiel durch Schulungen dabei unterstützt, diskriminierenden
Einstellungen in den Strafverfolgungsbehörden entgegenzuwirken. Das Amt der bzw. des
Antirassismusbeauftragten der Europäischen Kommission soll gestärkt und über 2025 hinaus
besetzt werden. Wir unterstützen die Minority-SafePack-Initiative und wollen
Minderheitenrechte wie den Erhalt von Sprache, Kultur und Identität in der EU stärken. Wir
brauchen zudem eine unabhängige institutionelle europäische Förderung von Nationalen
Minderheiten. Damit Minderheitenrechte in der EU gewährleistet werden können, soll die
Zuständigkeit für den Schutz nationaler Minderheiten und autochthoner Volksgruppen innerhalb
der EU-Kommission verbindlich geregelt sein.
Aktuell wird die europäische Gesellschaft in ihrer Vielfalt im Personal der Europäischen
Kommission nicht ausreichend abgebildet. Wir wirken deshalb darauf hin, dass die Kommission
als Arbeitgeberin aktiv Konzepte zur diskriminierungssensiblen Öffnung, beispielsweise bei
Bewerbungsverfahren, weiterentwickelt und umsetzt.
Queere Rechte schützen
Die Möglichkeit, sich frei zu entfalten und in der eigenen Individualität leben zu können,
ist ein Kern der europäischen Werte. Obwohl queere Menschen in den letzten Jahrzehnten viele
ihrer Rechte erfolgreich erkämpfen konnten, erleben wir, dass autoritäre Kräfte versuchen,
diese wieder zurückzudrehen. Noch immer haben queere Menschen nicht überall Zugang zu
diskriminierungsfreier Gesundheitsversorgung, einer selbstbestimmten Änderung ihres
Geschlechtseintrages oder zur Ehe. Nicht selten ist ein selbstbestimmtes Leben in Sicherheit
für lesbische, schwule, bi, trans, inter und queere Menschen (LSBTIQ*) nicht möglich, weil
ihre Rechte eingeschränkt oder sie unter anderem im Alltag angefeindet, pathologisiert oder
angegriffen werden und Queerfeindlichkeit in weiten Teilen der Gesellschaft verbreitet ist.
Das nehmen wir nicht hin und stellen uns diesen Versuchen klar entgegen, ganz egal aus
welcher Motivation sie geschehen oder von wem sie ausgehen. Wir wollen ein Europa, das die
sexuelle und geschlechtliche Vielfalt selbstverständlich anerkennt.
Auf unsere Initiative hin hat das Europäische Parlament die EU zur „LSBTIQ* Freedom Zone“
erklärt. Wir setzen uns auf dieser Grundlage dafür ein, dass die EU-Kommission und der Rat
alle ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente – inklusive Vertragsverletzungsverfahren und
Sanktionen – nutzen, um das systematische Vorgehen von Regierungen gegen LSBTIQ*-Personen
sowie die Demontage von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu stoppen. Damit stärken wir die
Community in ihrem Kampf für ihre Rechte in diesen Ländern.
Um Queerfeindlichkeit zu bekämpfen, setzen wir uns dafür ein, dass die LSBTIQ*-
Gleichstellungsstrategie der Europäischen Kommission über 2025 hinaus fortgeführt wird und
wirken auf ihre Weiterentwicklung unter Beteiligung der Zivilgesellschaft hin. Wir wollen
eine EU-weite mehrsprachige Beratungshotline einrichten, an die sich Opfer von
Queerfeindlichlichkeit wenden können, um niedrigschwellige Beratung zu erhalten.
Familie ist dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen – zum Beispiel mit zwei
Müttern, zwei Vätern, mehreren Elternteilen, alleinerziehend oder mit Mutter und Vater. Wir
setzen uns für die Gleichstellung von Zwei-Mütter-Familien und für ein
diskriminierungsfreies Leben von Regenbogenfamilien ein. Landesgrenzen dürfen nicht darüber
entscheiden, ob Kinder mit ihren Eltern aufwachsen, denn das Recht auf Freizügigkeit muss
auch für Regenbogenfamilien ohne Wenn und Aber gelten. Wir streiten dafür, dass eine in
einem EU-Land begründete Elternschaft, eingetragene Partnerschaft, erweiterte
Sorgerechtserklärung oder gleichgeschlechtliche Ehe in der gesamten Union anerkannt wird.
Inklusive Gesellschaft verwirklichen
Wir wollen eine inklusive Gesellschaft, die Benachteiligungen jeglicher Art überwindet und
allen Menschen gleiche Chancen und Möglichkeiten bietet. Barrieren konsequent abzubauen,
sichert Zusammenhalt, Wohlstand und Freiheit. Die europäische Behindertenbewegung hat sich
erfolgreich für ihr Recht auf Gleichstellung und Teilhabe eingesetzt. Mit der Verabschiedung
der UN-Behindertenrechtskonvention haben sich die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, alle
Barrieren abzubauen, die der Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben im Weg
stehen. Wir wollen dafür sorgen, dass dies endlich in ganz Europa Wirklichkeit wird.
Um selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, wollen wir eine stärkere Förderung von
selbstständigem Wohnen, inklusivem Leben und Arbeiten. Dazu wollen wir insbesondere die
Teilhabe an Arbeit und Ausbildung im regulären System fördern und konsequent ausbauen. Die
Kommission soll die Fortschritte in den Mitgliedstaaten regelmäßig überprüfen. Das
Werkstättensystem wollen wir in Richtung Inklusionsunternehmen weiterentwickeln – denn
sozialer Schutz und Mindestlöhne müssen auch für Menschen mit Behinderung gelten. EU-Mittel
sollen nicht in Arbeitsformen fließen, die Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention
entgegenstehen und Inklusionsunternehmen stärker gefördert werden.
Der bedarfsgerechte Ausbau von bezahlbaren barrierefreien und behindertengerechten Wohnungen
sowie von selbstbestimmten Wohnformen ist und bleibt eine zentrale Aufgabe bei der
Gestaltung der inklusiven Gesellschaft.
Menschen mit Behinderungen sind stärker von Gewalt betroffen als nichtbehinderte Menschen.
Wir wollen, dass der Schutz vor Gewalt für alle Menschen in Europa gilt. Wir setzen uns
dafür ein, dass Zwangssterilisationen, die insbesondere Frauen und Mädchen mit Behinderungen
betreffen, in Europa beendet und unter Strafe gestellt werden.
Schlechte Nutzbarkeit von Webseiten, Stufen ohne Rampe, zu enge Türen – Menschen mit
Behinderung, aber auch ältere Menschen oder mobilitätseingeschränkte Personen erleben in
ihrem Alltag unterschiedliche Barrieren, die ihre Teilhabe am öffentlichen Leben
einschränken. Wir setzen uns dafür ein, dass die EU-Barrierefreiheitsrichtlinie, der
sogenannte European Accessibility Act (EAA), in allen Mitgliedstaaten – auch in Deutschland
– fristgerecht umgesetzt und durchsetzbar wird. Um die Mitgliedsstaaten dabei zu
unterstützen, Maßnahmen zur Barrierefreiheit kohärent umzusetzen, wollen wir ein EU-
Barrierefreiheitszentrum einrichten.
Das Amt der Gleichstellungskommissar*in wollen wir stärken und verstetigen. Bürokratische
Hürden und technische Normen, die Menschen mit Behinderung an ihrer Teilhabe hindern, wollen
wir abbauen und auf Barrierefreiheit prüfen.
Um die europäische Freizügigkeit auch für Menschen mit Behinderung zu garantieren, wollen
wir einen niedrigschwellig beantragbaren europäischen Schwerbehindertenausweis einführen,
gegenseitige Anerkennung nationaler Definitionen von Behinderung und barrierefreies Reisen
durch ganz Europa umsetzen. Dies gilt auch für die Inanspruchnahme von sozialen Leistungen.
4. Eine lebendige Kulturlandschaft
Kultur als Säule der Demokratie
Wenig eint Europa so sehr wie seine vielfältige, lebendige Kultur. Sie entsteht aus dem
Zusammenspiel von Traditionen des gesamten Kontinents mit Einflüssen von außen und der
beständigen Entwicklung neuer Ausdrucksformen. Kultur ist ein Wert an sich und zugleich ein
unverzichtbarer Teil der europäischen Demokratie, denn in ihr finden Austausch und
Zusammenleben über Grenzen hinweg auf verschiedenste Weise statt. Eine offene und
vielfältige Kultur ist der beste Schutz gegen nationalistisches Denken, Abschottung und
Unfreiheit. Wegen ihrer Unverzichtbarkeit für eine gefestigte demokratische Gesellschaft
werden Kultureinrichtungen und Kulturschaffende massiv von rechtsextremen Kräften unter
Druck gesetzt und sogar angegriffen. Wir verteidigen deshalb die freie Kunst und Kultur
gegen Antidemokrat*innen und staatliche Eingriffe und unterstützen sie durch eine
öffentliche Förderung, die künstlerische Kreativität auch jenseits der Marktlogiken
ermöglicht.
Das Programm „Creative Europe“ wollen wir deshalb finanziell ausbauen und deutlich
vereinfachen, um die Zusammenarbeit und den Austausch von Künstler*innen und
Kulturveranstalter*innen in ganz Europa zu ermöglichen. Es soll sich als Dienstleister für
Kulturschaffende verstehen, der ansprechbar ist sowie schnell und zielgerichtet unterstützt.
Insbesondere die freien Szene soll neue Zugänge erhalten um europäischen Austausch zu
stärken, zum Beispiel für Ensembles und Gruppen, die über Grenzen hinweg zusammenarbeiten.
Dazu erarbeiten wir auch Angebote für Gruppen, die aufgrund von Flucht und Migration
getrennt wurden.
Die EU muss Garantin und Unterstützerin sein für die Freiheit der Kultur und ihrer Vielfalt.
Deswegen wollen wir die Kulturförderung so gestalten, dass sie auch denjenigen offen steht,
die über wenig Eigenmittel oder keine nationale Förderung verfügen.
Das Ziel der Klimaneutralität betrifft in besonderem Maß die europäische Dimension der
Kultur, die von der Bewegung von Kulturgütern und Menschen lebt. Wir wollen daher im Rahmen
von Creative Europe ein Programm schaffen, in dem Beratung und Finanzierung für den Wandel
der europäischen Kulturzusammenarbeit hin zur Klimaneutralität gebündelt werden. Auch die
Idee des Neuen Europäischen Bauhauses, das einen interdisziplinären Ansatz für
klimaneutrales Bauen und Gestalten fördert, wollen wir partizipativ weiter ausbauen und als
eigene Mission in Horizont Europa verankern.
Grenzüberschreitender kultureller Austausch braucht darüber hinaus unbürokratische und faire
Regelungen bei der Besteuerung von Einkommen aus künstlerischer Tätigkeit, die
Doppelbesteuerung vermeiden.
Im Programm der europäischen Kulturhauptstädte wird die Vielfalt unseres Kontinents erlebbar
und gefördert. Wir wollen dieses erfolgreiche Konzept fortführen, dabei aber die
Bewerbungsverfahren überprüfen und transparenter gestalten.
Zur europäischen Kultur gehört auch ihre gewachsene Struktur einer unabhängigen und
vielfältigen Kultur- und Kreativwirtschaft mit kleinen und mittelständischen Unternehmen.
Sie gestalten Games, Filme, Serien oder Bücher, arbeiten in der Designwirtschaft, im
Kunstmarkt, der Musikwirtschaft, dem Pressemarkt, der Architektur, der Rundfunkwirtschaft,
den Darstellenden Künsten und dem Werbemarkt. Sie sind wesentliche Treiberinnen von
Innovation und Wachstum – weit über ihren eigenen Sektor hinaus. Diese Strukturen wollen wir
fördern und gegen die Marktmacht der großen internationalen Plattformen schützen, etwa indem
wir uns in Handelsabkommen für die Aufrechterhaltung der kulturellen Ausnahme einsetzen. Die
lokale Struktur von Buchhandlungen wollen wir stärken, indem wir uns dafür einsetzen, dass
preisgebundene Bücher von den Regeln des europäischen Vergaberechts ausgenommen werden.
Mit dem KulturPass hat die Bundesregierung ein neues, innovatives kulturpolitisches
Instrument eingeführt: junge Menschen bekommen ein Budget, um Kunst und Kultur in all ihrer
Vielfalt und Breite entdecken zu können. Damit stärken wir auch Kultureinrichtungen.
Aufbauend auf analogen Projekten in Frankreich, Spanien und Italien wollen wir nun einen
gemeinsamen europäischen Kulturpass einführen, damit junge Menschen grenzübergreifend den
ganzen Reichtum und die große Vielfalt der Kultur in Europa erkunden und entdecken können.
Kreative stärken
Die Schaffenskraft von Künstler*innen und Kreativen ist die Grundlage für unsere lebendige
Kulturlandschaft. Angesichts technischer und gesellschaftlicher Veränderungen müssen sie
ihren Platz in der Verwertungskette der Kulturproduktion immer wieder neu behaupten. Das
gilt vor allem für die neuen Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz (KI). Diese nutzt von
Menschen erdachte Bilder, Töne und Texte, um neue Inhalte zu erzeugen.KI-Produkte treten
dabei in Konkurrenz zu menschlichen Urheber*innen. Wir setzen uns daher dafür ein, dass
Urheber*innen ihren Nutzungsvorbehalt und ggf. andere Rechte gegenüber kommerzieller KI
einfach und zentral und wo sinnvoll maschinenlesbar wahrnehmen können. Das Urheberrecht soll
weiterhin das kreative Schaffen natürlicher Personen schützen und darf nicht auf automatisch
generierte Inhalte von KI-Systemen ausgedehnt werden. Urheber*innen wollen wir bei der
fairen Vergütung ihrer Werke unterstützen und gleichzeitig den Zugang zu Wissen und Kultur
für alle stärken, um gute Voraussetzungen für die Kreativen von morgen zu schaffen.
Werknutzer*innen, ebenso wie Urheber*innen und auch andere Kulturschaffende wie
Schauspieler*innen oder Musiker*innen, müssen einen Platz am Tisch haben, wenn über die
Weichenstellungen der digitalisierten Kulturwelt verhandelt wird. Im Interesse der
Chancengleichheit wollen wir, wie die bisherige Ausleihe, auch die digitale Ausleihe (E-
Lending) von Inhalten im Kontext von Bibliotheken, Bildungs- und Forschungseinrichtungen
ermöglichen.
Durch eine Erweiterung des Erasmus-Programms auf Künstler*innen und Kreative wollen wir die
Mobilität und die europäische Perspektive von Kulturschaffenden weiter stärken. Für
Kulturschaffende, denen außerhalb der EU Verfolgung droht, wollen wir einen sicheren Hafen
und Unterstützungsmöglichkeiten anbieten.
Den Gender Pay Gap wollen wir auch in der Kultur schließen. Die Rolle von Frauen im
Kulturbereich werden wir stärken, indem wir uns in der EU beispielsweise für eine
paritätische Besetzung von Vergabegremien und Juries einsetzen.
Medienfreiheit garantieren
Freie und demokratisch ausgerichtete Medien sind eine unverzichtbare Grundlage für unsere
öffentliche Meinungsbildung. Auch in Mitgliedstaaten der EU wird diese Grundlage heute
angegriffen. Wir unterstützen deshalb mehr Transparenz über Besitzverhältnisse und
verbindliche Instrumente, um gegen die Einschränkung von Pressefreiheit – sei es in Form
offener Zensur, durch die Kontrolle und Zentralisierung von Verlagseigentum oder auf anderem
Weg – vorzugehen. Dabei gilt für uns auch hier, dass alle Kontrollmechanismen dem Grundsatz
der Staatsferne folgen müssen. Medienfreiheit bedeutet dabei auch, dass Journalist*innen und
Redakteur*innen im Rahmen professioneller Standards oder Redaktionsstatute frei arbeiten
können. Ein neues Europäisches Gremium für Mediendienste darf bestehende Medienrechte und -
freiheiten in Deutschland nicht aushebeln. Um Journalist*innen und ihre Quellen vor
Überwachung und Verfolgung zu schützen, fordern wir eine wirksame Regulierung sowie
richterliche Kontrolle des Einsatzes von Spähsoftware. Gegen einen missbräuchlichen Einsatz
gehen wir vor. Hinweisgeber*innen wollen wir vor Verfolgung wirksam schützen.
Übermäßige Konzentration an Medienbesitz, auch in einzelnen EU-Staaten, muss wirksam
verhindert werden - im Notfall auch über die Aufteilung von Unternehmen oder
Besitzstrukturen. Dafür ist die Transparenz über die Besitzverhältnisse unabdingbar. Das ist
eine Grundlage für eine vielfältige Presselandschaft, die es Journalist*innen ermöglicht,
frei und kritisch zu berichten.
Private Medien in Print und Online werden auch durch falsche Anreizstrukturen beim
Wettbewerb um Werbeeinnahmen und die Marktmacht der Social Media-Plattformen stark in ihrem
Wirtschaftsmodell beeinträchtigt. Das bedroht immer mehr Qualitätsmedien in ihrer Existenz
und ist ein drängendes Problem für die Meinungsvielfalt. Wir streben deshalb an, durch
geeignete Instrumente die Wettbewerbssituation für journalistische Angebote besonders im
Netz zu verbessern und auf der Ebene der Mitgliedstaaten praktikable
Finanzierungsinstrumente zur Stärkung journalistischer Inhalte, Entwicklung zukunftsfähiger
Geschäftsmodelle und einer flächendeckenden Versorgung mit journalistischen Angeboten zu
entwickeln. Soweit dabei neue Technologien wie generative KI zum Einsatz kommen, setzen wir
uns für eine klare Kennzeichnung von KI-erzeugten Bildern, Texten und Videos ein.
Der grenz- und sprachüberschreitende Raum der EU stellt für die Herausbildung einer
gemeinsamen Öffentlichkeit eine besondere Herausforderung dar. Deshalb setzen wir uns für
einen Ausbau transnationaler und mehrsprachiger Angebote des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks ein. Konkret wollen wir dazu zunächst den erfolgreichen Ansatz des Senders arte
ausbauen und ihn schrittweise zu einem gemeinsamen europäischen Angebot entwickeln. Darüber
hinaus setzen wir uns für die Vernetzung der Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
in Europa und für eine verbesserte Auffindbarkeit europäischer Kultur- und Medienangebote im
Netz ein. Auf diese Weise wollen wir langfristig ein vollwertiges europäisches, öffentlich-
rechtliches Medienangebot schaffen, mit einem umfassenden und länderübergreifenden Angebot
von Nachrichten über Sport und Kultur bis Unterhaltung, etwa in Form eines europäischen
Medienportals. Das ist auch ein Beitrag gegen Desinformation und Verschwörungsmythen. Wir
wollen Förderung und Schutz für Exilmedien schaffen, damit die EU ein Raum des freien
Ausdrucks auch für Menschen aus Ländern sein kann, in denen die Presse- und Meinungsfreiheit
unterdrückt wird.
Europäisch erinnern
Die Erinnerung an vergangenes Unrecht gehört zu den Grundlagen aller Gesellschaften. Europa
war nicht nur als Kontinent über Jahrhunderte von Krieg und Gewalt gekennzeichnet, von hier
gingen auch über Jahrhunderte Krieg und Gewalt aus.. Die EU als Friedensprojekt hat die
Aufgabe, diese Perspektiven zueinander in Beziehung zu setzen. Erinnerung soll einen Beitrag
zu Versöhnung und Verständigung leisten, nicht spalten. Dabei ist es wichtig, eine
multiperspektivische Erinnerungskultur zu fördern, die auch die Geschichte von bisher zu
Unrecht überhörten Gruppen mit in den Blick nimmt. Wir wollen grenzübergreifende
Zusammenarbeit stärken und setzen uns für den Erhalt bestehender sowie für die Schaffung
weiterer Orte der kollektiven Erinnerung, des Gedenkens und der Reflexion ein. Wir wollen
mit europäischen Mitteln Initiativen unterstützen, die sich der Aufgabe der Verständigung
widmen und beispielsweise auch in Osteuropa die sich historisch überlagernden
Gewalterfahrungen durch den Angriffskrieg Deutschlands sowie die Unterdrückung durch die
Sowjetunion in ihrem komplexen Erbe verständlich und nachvollziehbar machen. Hierzu zählen
auch die Zusammenarbeit mit Schulen, Universitäten und Kultureinrichtungen sowie die
Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. Bestrebungen nach einer Umdeutung
der Geschichte im Dienste nationalistischer Tendenzen treten wir entschieden entgegen.
Allen Versuchen, einen „Schlussstrich“ unter das Erinnern an die Verbrechen des
Nationalsozialismus und besonders der Shoah zu ziehen oder sie zu verharmlosen, stellen wir
uns klar entgegen. Sie sind mit den demokratischen Werten unvereinbar. Wir werden dies nicht
unbeantwortet lassen – nicht in Deutschland, nicht in Europa, nirgendwo.
Zum europäischen Erbe gehört auch die grausame Geschichte von Völkermord, Kolonialismus,
Versklavung und Ausbeutung in Afrika, Lateinamerika und Asien.Selbst während der Entstehung
des europäischen Friedensprojektes bestanden koloniale Gewalt und wirtschaftliche Ausbeutung
fort.Viele europäische Staaten und Unternehmen waren in diese Verbrechen verwickelt und
Europa profitiert noch heute von den damals geschaffenen Abhängigkeiten. Deswegen wollen wir
die Aufarbeitung der kolonialen Geschichte in enger Zusammenarbeit mit den Nachkommen, mit
Forscher*innen und zivilgesellschaftlichen Initiativen aus ehemals kolonisierten Gebieten
auch auf europäischer Ebene vorantreiben und uns um Wiedergutmachung bemühen. Dazu gehört
die Rückgabe beispielsweise von Raubkunst oder menschlichen Gebeinen, aber auch die
Förderung von Aufklärungsarbeit und Stärkung multiperspektivischer Geschichtsforschung. Die
Auswirkungen des Kolonialismus auf die heutigen Gesellschaften sollten sichtbarer werden.
Dazu wollen wir in thematisch passenden EU-Förderprogramme die erinnerungspolitischen
Dimension stärken.
Fair Play im Sport
Ob Amateurfußball oder Champions League, ob Fahrradausflug oder Tour de France – Sport steht
im Herzen von Europa. Bewegung und Sport verbindet Menschen, schafft und vermittelt
regionale Identitäten, sorgt für Gesprächsstoff und tragen zur Gesundheit bei. Im Zentrum
stehen die vielen Menschen, die sich ehrenamtlich in Vereinen und Verbänden engagieren. Wir
wollen Organisationen und Initiativen stärken, die sich besonders für gesellschaftlichen
Zusammenhalt, Demokratie und Gleichberechtigung sowie gegen Ausgrenzung und Hass stark
machen. Europäische Fördermittel wollen wir für sie einfacher zugänglich machen - auch
außerhalb Europas sollen Sportorganisationen als wichtige zivilgesellschaftliche
Partner*innen gestärkt werden.
Sport kann nur dann eine Vorbildfunktion einnehmen und verbinden, wenn er fair und
transparent funktioniert und Vereine und Verbände im Einklang mit Gesetzen agieren. Betrug,
Doping und Korruption stehen seinem Wesen diametral entgegen. Wir wollen daher eine
unabhängige europäische Agentur etablieren, die sich mit NGOs, Anti-Korruptionsexpert*innen
sowie internationalen Ermittler*innen für Transparenz, Integrität und echte
Rechenschaftspflichten um Korruptions- und Betrugsfälle im weltweiten Sport kümmert.
Damit wollen wir Vertrauen wiederherstellen. Das ist auch eine Grundlage dafür, dass
internationale Sportgroßveranstaltungen in Europa weiter ihren Platz haben. Wenn sie mit
klaren und verlässlichen Standards für soziale und ökologische Fairness und Nachhaltigkeit
arbeiten, können sie damit weltweit einen Wettbewerbsvorteil erlangen und Zeichen setzen.
Wir setzen besonders auf eine grenzüberschreitende Ausrichtung von Sportereignissen, die
Klima und Umwelt schonen. So machen wir den europäischen Spitzensport gemeinsam erlebbar.
Wir wollen Sport gegen die Auswirkungen der Klimakrise resilient machen. Viele Sportarten
sind von einer intakten Natur abhängig, gleichzeitig verursacht der Sport Schäden. Wir
wollen durch ein neues europäisches Programm Wege aufzeigen, wie Europas vielfältige
Sportszene einen Beitrag zur Einhaltung der Klimaziele leisten und sich entwickeln kann.
Unser Ziel ist es, dass Sportveranstaltungen klimaneutral durchgeführt werden können.
5. Flucht- und Migrationspolitik der Humanität und
Ordnung
Fluchtursachen bekämpfen
Die Zahl der Vertriebenen durch Kriege, der Klimakrise oder fehlender wirtschaftlicher
Perspektiven hat sich weltweit in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Die übergroße Mehrheit
der Menschen flieht innerhalb des eigenen Landes oder in die angrenzenden Regionen. Doch die
Auswirkungen der steigenden Fluchtzahlen merken wir auch in Europa. Wir stellen uns dieser
Verantwortung, denn Flucht und Migration sind eine historische und globale Realität und
werden es auch bleiben. Das Leid, das Menschen auf Fluchtrouten nach Europa und an den
europäischen Außengrenzen erleben, ist untragbar. Dass sich Menschen trotzdem auf diese
Routen begeben, zeigt, wie groß das Leid, die Gefahr und die Perspektivlosigkeit in vielen
Weltregionen sind.
Asylrechtsverschärfungen bekämpfen keine Ursachen von Migration. Die Politik der EU und
ihrer Mitglieder muss sich ihrer globalen Verantwortung stellen und auch dazu beitragen,
Menschen in ihren Heimatregionen ein sicheres und friedliches Leben zu ermöglichen. Mit dem
Ausbau verlässlicher humanitärer Hilfe sowie strukturbildender Übergangshilfe in
Krisenregionen können wir Menschen ihrer akuten Notlagen unterstützen. So tragen wir dazu
bei, das Leid unmittelbar vor Ort zu lindern. Mit Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe,
sowie mit fairen Handelsbeziehungen können wir langfristig zur Verbesserung der
Lebensperspektiven beitragen. Gleichzeitig darf sich Europa, insbesondere angesichts vieler
Krisen und Katastrophen nicht abschotten, sondern muss einen gerechten Teil der
Verantwortung für die Aufnahme von Schutzsuchenden übernehmen. Wir treten für einen
rechtsstaatlichen und menschlichen Umgang mit Schutzsuchenden in Europa ein.
Fach- und Arbeitskräfte willkommen heißen
Europa steht vor einem demografischen Wandel mit einer rasch alternden Bevölkerung und sucht
händeringend nach Fach- und Arbeitskräften. Um unsereZukunft zu sichern, müssen wir im
weltweiten Wettbewerb um Fach- und Arbeitskräfte attraktiver werden und Einwanderung modern
gestalten. Dabei ist uns wichtig, dass die Interessen der Herkunftsländer mitbedacht werden,
denn auch dort werden Fachkräfte gebraucht. Statt bürokratischer und langwieriger Verfahren
wollen wir die Fach- und Arbeitskräfteeinwanderung von Menschen mit verschiedenen
Qualifikationsniveaus mit EU-weiten gemeinsamen Rahmenregelungen fördern. Hierzu zählt, die
Anerkennung von Bildungsabschlüssen aus Drittstaaten einheitlich und unbürokratisch zu
gestalten
Um qualifizierte Fachkräfte anzuwerben, wollen wir den EU-Talentpool weiter ausbauen. Dafür
braucht es in den europäischen Botschaften mehr Personal und eine Digitalisierungsoffensive,
damit Anträge schnell und auch digital gestellt werden können.Eine aktive Willkommenskultur
macht uns auch als Wirtschaftsstandort attraktiv. Dafür müssen wir Rassismus und Ausgrenzung
entgegentreten. Wir wollen zielgenaue Integrationsmöglichkeiten für die unterschiedlichen
Formen der Migration in ganz Europa schaffen. Um Angebote für eine gute und schnelle
Integration vor Ort zu unterstützen, wollen wir den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds
(AMIF) stärken. So können sich Kommunen auf die Aufnahme von Fachkräften und ihren Familien
vorbereiten. Darüber hinaus müssen die Rechte der hier dauerhaft lebenden
Drittstaatsangehörigen geschützt und bewahrt werden. Deshalb unterstützen wir eine
Verbesserung der Daueraufenthaltsrichtlinie in diese Richtung. Wir wollen freiwillige
zirkuläre Migration fördern und zukünftige Fachkräfte auch in Europa ausbilden.
Wir wollen alle Arbeitskräfte gegen Ausbeutung schützen – auch Menschen ohne Papiere. Faire
Arbeitsbedingungen dürfen nicht von der Herkunft abhängen. Dazu wollen wir mehrsprachige und
niedrigschwellige Beschwerde- und Beratungsstrukturen ausbauen, sowie gewerkschaftliche
Strukturen stärken, damit sich alle Arbeiter*innen an sie wenden können.
Gemeinsame Asylpolitik angehen
Wir kämpfen für eine EU, die den Zugang zum Menschenrecht auf Asyl garantiert sowie die
humanitären und völkerrechtlichen Verpflichtungen, wie die UN-Flüchtlingskonvention,
einhält. Von diesem Ziel sind wir momentan weit entfernt. Vielerorts werden auch an Europas
Grenzen und in EU-Staaten Menschenrechte von Geflüchteten verletzt, die Missachtung von EU-
Recht ist in der Asylpolitik Alltag geworden. Das hat nicht für Ordnung und Struktur,
sondern für mehr Chaos und Leid gesorgt. Das Dublin-System ist ungerecht und wird den
aktuellen Herausforderungen nicht gerecht.
Eine langfristige, geordnete und faire gemeinsame EU-Asylpolitik ist nötig, um die
menschenunwürdigen und chaotischen Verhältnisse zu beenden. Reformen allein reichen dabei
nicht aus, geltendes EU-Recht muss auch durchgesetzt werden. Wir setzen uns dagegen ein,
dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) zu einem Programm zum Abbau von
Flüchtlingsrechten wird. Spielräume für Verbesserungen wollen wir nutzen. Mit einer fairen
und verbindlichen Verteilung von Schutzsuchenden stärken wir die Solidarität zwischen den
Mitgliedstaaten. Abschottung und Grenzzäune schaffen Chaos und Leid, rechtsstaatliche
Verfahren, gute Integrationsangebote und menschenwürdige Bedingungen sorgen für Humanität
und Ordnung.
Gerade Staaten mit europäischen Außengrenzen sind auf eine geordnete Verteilung und
Unterstützung der EU sowie auf Solidarität beim rechtsstaatlichen Grenzmanagement
angewiesen. Unser Ziel ist ein verbindlicher Verteilmechanismus von Schutzsuchenden. Auf dem
Weg dorthin soll ein dauerhafter, verlässlicher und verbindlicher Solidaritätsmechanismus
die Verteilung maßgeblich verbessern.
Um die gemeinsamen Herausforderungen zu bewältigen, müssen sich alle Mitgliedstaaten
einbringen – ob durch die Aufnahme von Schutzsuchenden oder durch finanzielle Unterstützung
für die Aufnahme von Geflüchteten. Geld- und Sachleistungen an Drittstaaten sind dabei keine
Kompensation. Mitgliedstaaten, die in besonderem Maße Geflüchtete aufnehmen, müssen gestärkt
und finanziell entlastet werden.
Viele Kommunen in der EU sind bereit, beherzt anzupacken und Verantwortung zu übernehmen.
Diese Anstrengungen begrüßen wir und setzen uns für die Unterstützungen gerade jener
Kommunen ein, die diese nicht durch ihre nationalen Regierungen erfahren. Die Möglichkeit
des direkteren Zugangs von Kommunen und Hilfsorganisationen zum Asyl-, Migrations- und
Integrationsfonds (AMIF), möchten wir ausbauen. Bei der Integration kann europäische
Vernetzung und Austausch zwischen den Kommunen helfen. Das sieht man etwa an der
erfolgreichen Gründung von grenzüberschreitenden Netzwerken von Kommunen.
Wenn es um die Verteilung Geflüchteter auf der europäischen Ebene geht, möchten wir die
Ressourcen der Länder und Kommunen über einen Matching-Mechanismus mit den Bedürfnissen der
Geflüchteten in Einklang bringen. Dabei sollen etwa Familienbezüge, Sprachkenntnisse oder
Berufsabschlüsse berücksichtigt werden.
EU-Staaten, die durch die Anwendung der Massenzustromrichtlinie überproportional aufnehmen,
müssen hierfür von anderen Staaten eine faire finanzielle Unterstützung erhalten, so wie es
in der Richtlinie vorgesehen ist. Wir setzen uns gegen das sogenannte Screening innerhalb
des Hoheitsgebiets ein. Eine Registrierung von Minderjährigen darf nicht zur Verletzung der
Kinderrechte führen.
Die Massenzustromrichtlinie war ein gutes Werkzeug im Umgang mit der Millionen Geflüchteten
aus der Ukraine. Wir wollen die Erfahrungen dieses unbürokratischen und pragmatischen
Umgangs genau analysieren und daraus Vorschläge für die Asylpolitik entwickeln.
Es ist nicht hinnehmbar, dass einzelne Mitgliedsstaaten Geflüchtete so schlecht behandeln,
dass Gerichte ihr Verbleiben dort für unzumutbar halten. Jeder Mensch hat ein Grundrecht auf
Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Die Aufnahmerichtlinie sichert
Schutzsuchenden in jedem Mitgliedsstaat existenzsichernde und menschenwürdige Bedingungen
zu, rechtsstaatliche Standards müssen in der gesamten EU sichergestellt sein. Deswegen
setzen wir uns dafür ein, dass die EU-Kommission und der Rat die zur Verfügung stehenden
Instrumente nutzen, um die Missachtung von EU-Recht und die Kriminalisierung von humanitärer
Hilfe zu stoppen. Dazu gehört auch, EU-Gelder einzufrieren, wenn nationale Regierungen
systematisch EU-Recht brechen. Die EU-Asylagentur soll die Mitgliedstaaten insbesondere bei
den Asylverfahren unterstützen und hierbei eine zügige Bearbeitung von Asylanträgen unter
Einhaltung von rechtsstaatlichen Standards sicherstellen. Sie kann dazu beitragen,
Überlastung zu verhindern.
Humanität und Ordnung an den Außengrenzen sicherstellen
Die EU ist ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Das Recht auf Freizügigkeit
bzw. der Abbau von Grenzen innerhalb Europas war und ist eine der größten Errungenschaften
für das Zusammenwachsen der europäischen Gemeinschaft. Deshalb lehnen wir dauerhafte und
stationäre Binnengrenzkontrollen ab.
Selbstverständlich muss die EU ihre Außengrenzen kontrollieren - dabei geht es nicht nur um
Migration. Denn für die Freiheit und Sicherheit im Inneren müssen wir auch wissen, wer nach
Europa kommt. Dass rechtsstaatliche Kontrollen oder eine zuverlässige Registrierung an den
Außengrenzen nichts mit rechtswidriger Abschottung gegen Asylsuchende zu tun haben, sehen
wir an der Fluchtbewegung aus der Ukraine. Millionen von Menschen werden zuverlässig
kontrolliert, konnten aber Schutz in der EU finden. Doch leider treffen viele andere
Asylsuchende an EU-Grenzen nicht auf rechtsstaatliche Kontrollen, sondern auf Unrecht und
Gewalt
Die Glaubwürdigkeit der europäischen Werte und damit auch der Einfluss europäischer Politik
nach außen setzt die Achtung von Recht und Werten im eigenen Handeln voraus. Mit dieser
Erkenntnis ist es schwer vereinbar, dass das europäische Versprechen von Humanität und
Rechtsstaatlichkeit für Tausende jährlich an Stacheldraht und Patrouillenbooten zerschellt.
Wir stellen uns Verletzungen von Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit und Menschenrechten
ebenso entgegen wie dem rechtswidrigen Zurückdrängen von Geflüchteten.
Menschen, die bei uns in Europa Schutz suchen, müssen zuverlässig registriert, erstversorgt
und menschenwürdig untergebracht werden.Das Recht auf Einzelfallprüfung und das
Nichtzurückweisungsgebot gelten dabei immer und überall. Der Asylantrag von Menschen, die in
der EU ankommen oder bereits hier sind, muss in Europa inhaltlich geprüft werden.
Grenzverfahren dürfen nicht dazu führen, dass weitere große Haftlager wie Moria an den
Außengrenzen entstehen, die die Würde und die Rechte von Schutzsuchenden verletzen. Der
Entrechtung von Menschen, die durch autoritäre Staaten instrumentalisiert werden, stellen
wir uns entgegen.
Trotz der völker- und europarechtlich verbrieften Prinzipien erleben wir an Europas
Außengrenzen immer wieder systematische Rechtsbrüche. Menschen sind Misshandlungen
ausgesetzt, ihnen wird der Zugang zum Asylverfahren verweigert oder sie werden in Seenot
ihrem Schicksal überlassen. Wir setzen uns dafür ein, dass illegale Pushbacks rechtlich und
politisch konsequent geahndet und sanktioniert werden. Wir wollen außerdem die EU-
Grundrechteagentur stärken sowie das staatliche und zivilgesellschaftliche
Menschenrechtsmonitoring weiter ausbauen. Dabei soll ein unabhängiges Monitoring mit
Ermittlungsbefugnissen an den Außengrenzen ermöglicht werden. Hilfs- und
Menschenrechtsorganisationen sowie Anwält*innen benötigen jederzeit Zugang zu den
Geflüchteten und den Grenzregionen. Die freie Berichterstattung durch Journalist*innen muss
gewährleistet werden. Kooperationen der EU mit Drittstaaten müssen immer auf der Basis von
Grund- und Menschenrechten erfolgen. Die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache wollen
wir endlich beenden.
Grenzkontrollen an den Außengrenzen sind eine EU-Gemeinschaftsaufgabe, die zunehmend von
europäischen Beamt*innen übernommen werden sollte. Deswegen wollen wir Frontex
rechtsstaatlich weiterentwickeln. Dazu gehört, dass Frontex sich nicht an
menschenrechtswidrigen Einsätzen beteiligen darf und solche Einsätze konsequent und zeitnah
beenden muss, so wie es in der Frontex-Verordnung vorgesehen ist. Gleichzeitig bedarf es
einer engmaschigen parlamentarischen Kontrolle von Frontex-Einsätzen. Wir setzen uns dafür
ein, dass Frontex nicht nur vom Europaparlament, sondern auch von nationalen Parlamenten
besser überwacht wird. Dazu gehört auch der Zugriff auf Einsatzberichte. Es muss einfacher
werden, Frontex für Rechtsverstöße zur Rechenschaft zu ziehen, wie beispielsweise durch eine
eigene Haftungsgrundlage.
Wir stehen entschlossen an der Seite der vielen Engagierten, die Geflüchtete versorgen und
beraten. Dass Flüchtlingshilfe in vielen Staaten erschwert oder gar unter Strafe gestellt
wird, ist nicht hinnehmbar. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass die Unterstützung
Geflüchteter nicht behindert, sondern ermöglicht wird. Wir wollen sicherstellen, dass NGOs
und Anwält*innen ungehindert Zugang zu ihnen haben, um ihrem humanitären Engagement
nachzugehen. Die Bedarfe von besonders schutzbedürftigen Gruppen wie Frauen, queeren
Menschen, Kindern oder Menschen mit Behinderungen müssen wir dabei besonders in den Blick
nehmen. Dazu gehören eine sichere Unterbringung sowie geschulte Beratungsstrukturen und
Dolmetschende. Ehrenamtliche Beratungsstrukturen leisten insbesondere für vulnerable Gruppen
wichtige Arbeit. Sie wollen wir unter anderem auch durch staatliche und professionelle
Unterstützung stärken.
Millionen Kinder fliehen allein oder mit ihren Eltern vor Kriegen, Gewalt, Hunger oder
politischer Verfolgung. Sie müssen wir besser vor kriminellen Strukturen schützen. Kinder
müssen kindergerecht untergebracht und versorgt werden, dies gilt in Deutschland ebenso wie
an den Europäischen Außengrenzen für alle Kinder. Die UN-Kinderrechtskonvention gilt
uneingeschränkt auch für geflüchtete Kinder, egal, wo sie sich befinden. Menschen dürfen
nicht einfach inhaftiert werden, nur weil sie Asyl beantragen. Familien mit Kindern sollten
grundsätzlich nicht in Grenzverfahren kommen dürfen und Mitgliedstaaten nicht zur
Durchführung von Grenzverfahren verpflichtet werden.
Migrationsabkommen, Spurwechsel und sichere Rückführungen
Alle Menschen, die in Europa Schutz suchen, haben ein Recht auf faire und rechtsstaatliche
Asylverfahren. Wir fordern, dass sie dabei Zugang zu unabhängigen Asylberatungen haben, um
ihre Rechte zu kennen und durchzusetzen. Der Rechtsweg gegen ablehnende Entscheidungen muss
immer offen stehen.
Gleichzeitig wissen wir, dass nicht alle Asylverfahren zu einer Aufenthaltserlaubnis führen.
Wer nach sorgfältiger Prüfung der asyl- und aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen sowie
nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel kein Aufenthaltsrecht erhalten hat, muss zügig wieder
ausreisen – sofern dem keine Abschiebehindernisse entgegenstehen. Rückführungen sind immer
mit besonderen menschlichen Härten verbunden. Wir wollen, dass die freiwillige Rückkehr
Vorrang vor zwangsweisen Rückführungsmaßnahmen hat. Deshalb setzen wir uns für eine
europaweite, ergebnisoffene und unabhängige Rückkehrberatung ein.
Klar ist auch, dass Menschen nicht in Staaten abgeschoben werden dürfen, bei denen
menschenrechtliche oder völkerrechtliche Gründe entgegenstehen. Eine Rückführung darf nur in
Länder erfolgen, zu denen die betroffene Person eine klare Verbindung hat. Dabei muss
sichergestellt sein, dass diese Staaten rechtsstaatliche Prinzipien im Umgang mit
Geflüchteten respektieren. Das Konzept der sicheren Drittstaaten finden wir weiterhin
falsch. Der Abschluss von Migrationsabkommen mit Herkunfts- und Transitstaaten muss
menschenrechtsbasiert, die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Staaten partnerschaftlich und
auf Augenhöhe erfolgen. Sie darf nicht von finanzieller Unterstützung im Rahmen der
Entwicklungszusammenarbeit abhängig gemacht werden und soll auch der Bekämpfung von
Fluchtursachen dienen. Die Abkommen sollen der Bevölkerung Perspektiven geben und keine
autokratischen Regime stärken. Nur durch umfassende Abkommen kann die Akzeptanz für die
Vereinbarungen, Rückführungen und geordnete und sichere Migration geschaffen werden.
Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten finden wir nicht richtig, denn es löst keine
Probleme. Was hilft, ist: Ausländerbehörden vernünftig ausstatten, alle Asylverfahren
beschleunigen und die Qualität der Entscheidungen verbessern. Länder, die ihren
Staatsbürger*innen eine sichere Rückkehr garantieren, sollen zum Beispiel über
Visaerleichterungen oder Ausbildungspartnerschaften eine Aussicht auf geordnete Migration
erhalten. Menschen, die schwere Straftaten begangen haben, müssen nach Verbüßung ihrer
Strafe prioritär zurückgeführt werden.
Viele Geflüchtete leben bereits lange in Europa, teils mit hier geborenen Kindern, bringen
sich ein und stehen in Beschäftigungsverhältnissen. Wir wollen ihnen eine bessere
Perspektive geben. Denn es ist nicht zumutbar, dass Menschen trotz tiefer Verwurzelung in
die europäische Gesellschaft täglich Sorge vor einer Abschiebung haben müssen. Im Gegenteil:
die Integrationsleistung und die Arbeit dieser Menschen wollen wir anerkennen. Wir setzen
uns deshalb für einen Spurwechsel ins europäische Einwanderungssystem ein.
Menschen in Seenot retten
Jedes Jahr sterben Tausende Menschen beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. Als EU ist
es unsere Verpflichtung, die Augen vor diesem unerträglichen Zustand nicht zu verschließen.
Kein Mensch sollte für das Recht, um Asyl zu ersuchen, das eigene Leben oder das der Familie
und Kinder riskieren müssen. Wir dürfen nicht länger hinnehmen, dass das Mittelmeer die
tödlichste Fluchtroute der Welt bleibt
Das Völkerrecht verpflichtet uns dazu, Menschen in Seenot zu retten. Es braucht endlich eine
europäische Initiative für eine staatlich koordinierte und finanzierte Seenotrettung.
Wir wollen auch die staatliche Unterstützung ziviler Organisationen, unter anderem
finanziell, verbessern. Der erfolgte Einstieg Deutschlands in die finanzielle Unterstützung
privater Seenotrettungs-NGOs ist hier ein wichtiger Schritt. Wir wollen weiterhin auch
andere EU-Staaten ermutigen, aktiv die Seenotrettung zu unterstützen. Wir stehen an der
Seite der Seenotretter*innen, die Menschenleben retten.
Alle Mitgliedstaaten der EU sind dafür verantwortlich, zu gewährleisten, dass
Seenotrettungsorganisationen ihre Einsätze gefahrlos absolvieren können. Die
Seenotrettungsschiffe dürfen nicht durch Behörden in ihrer Arbeit behindert und
Seenotrettung nicht kriminalisiert werden. Die EU-Kommission sollte der Kriminalisierung von
Hilfsorganisationen entschieden entgegentreten. Rettungsschiffe müssen die Gelegenheit
haben, den nächstgelegenen sicheren Hafen anzulaufen, damit die Menschen an Land gehen und
versorgt werden können. Ein Auslaufen von Rettungsschiffen darf nicht behindert und
Seenotrettung nicht kriminalisiert werden. Um Menschenleben zu retten, treten wir für die
Verbesserung der staatlichen, unter anderem finanziellen, Unterstützung ziviler
Organisationen ein. Eine Ausschiffung in Ländern darf nicht erfolgen, wenn Geretteten dort
eine unrechtmäße Behandlung droht. Das Nichtzurückweisungsgebot gilt immer und überall.
Sichere Fluchtwege schaffen
Wir wollen sichere Fluchtwege schaffen, denn so schützen wir Menschenleben und legen
Schlepperbanden und Menschenhandel das Handwerk. Damit schützen wir auch vulnerable Gruppen,
die momentan kaum Fluchtmöglichkeiten haben.
Wir setzen dafür auf partnerschaftliche und menschenrechtsbasierte Migrationsabkommen mit
Staaten außerhalb der EU.
Wir setzen uns dafür ein, das Resettlement-Programm des Flüchtlingshilfswerks UNHCR deutlich
auszubauen und zu stärken. So können durch die Vereinten Nationen (UN) anerkannte und
besonders schutzbedürftige Geflüchtete geordnet und solidarisch auf die Aufnahmeländer
verteilt werden. Wir wollen, dass sich der Anteil nach der Wirtschaftskraft der Staaten
bemisst. Das EU-Resettlement muss sich dabei an den UNHCR-Kriterien orientieren und darf das
individuelle Recht auf Asyl nicht schwächen.
Mit der Erteilung von humanitären Visa wollen wir sicherstellen, dass Schutzsuchende Europa
erreichen können, ohne ihr Leben zu gefährden. Als EU müssen wir in besonderem Maße unserer
Verantwortung gegenüber ehemaligen Ortskräften gerecht werden. Wir wollen auch Menschen
unterstützen, die durch ihr Engagement für Demokratie, Frauen- oder Menschenrechte besonders
gefährdet sind. Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass Aufnahmeprogramme gestärkt werden.
Afghanischen Frauen, die in Drittstaaten geflohen sind und denen seit der Machtübernahme der
Taliban ein Studium in ihrem Heimatland untersagt ist, wollen wir mit einem europäischen
Stipendienprogramm ermöglichen, ihr Studium fortzusetzen. Solche Programme wollen wir auch
für andere Kriegs- und Krisengebiete vorantreiben, um Antworten auf die zunehmenden Gefahren
für Wissenschaftler*innen und Studierende weltweit zu geben. Uns ist dabei wichtig den
Menschen in Gefahr, unabhängig ihrer Staatsbürgerschaft, zu helfen, zum Beispiel mit
europäischen Stipendienprogramme für Studierende in Gefahr.
Wir treten dafür ein, dass Geflüchtete ihre Angehörigen nachholen können. Familien gehören
zusammen. Gleichzeitig unterstützen stabile Lebensverhältnisse die Integration.
6. Ein vereintes Vorgehen gegen Kriminalität
Polizeiliche Zusammenarbeit stärken
Ein starker Raum der Freiheit und Freizügigkeit braucht handlungsfähige Institutionen, die
Recht und Demokratie schützen, und er braucht Menschen, die oft unter großem persönlichen
Einsatz diesen Auftrag erfüllen. Kriminalität findet grenzüberschreitend statt und
verursacht enorme Schäden – sie bedroht die individuelle Sicherheit aller Menschen, unsere
Lebensqualität, unseren Wohlstand. Die EU muss darauf antworten: Die zunehmende Vernetzung
unserer Gesellschaft und Wirtschaft muss sich auch in der Zusammenarbeit unserer
Sicherheitsbehörden widerspiegeln. Moderne und effektive Polizei- und Justizarbeit muss in
einem vereinten Europa grenzüberschreitend stattfinden, schnelle Informationsflüsse
gewährleisten, sowie im Einklang mit Freiheits- und Bürger*innen-Rechten stehen und nach
rechtsstaatlichen Standards operieren. Wir setzen auf wirksame Prävention,
Erfahrungsaustausch und gemeinsame Strafverfolgung.
Die europäische Polizeibehörde Europol wollen wir dafür ausbauen. Europol soll eigene
operative Möglichkeiten für die Bekämpfung von Terrorismus und Organisierter Kriminalität
(OK) bekommen. Das Europol-Informationssystem (EIS) entwickeln wir weiter, um den
Datenaustausch zu verbessern. Erfahrungen aus Polizei-IT-Projekten der Mitgliedsstaaten
sowie die Rolle der Justiz lassen wir hierbei einfließen. Die Aufsicht von Europol durch das
Europäische Parlament wollen wir stärken, um Transparenz sicherzustellen. Perspektivisch
wollen wir ein Europäisches Kriminalamt aufbauen. Das heißt, dass die derzeit weitgehend
befugnisfreie europäische Polizeibehörde Europol zu einer europäischen Polizei nach dem
Vorbild des Bundeskriminalamts mit eigenen Ermittlungsteams ausgebaut wird. Neben dem Ausbau
von Europol sind Austausch und Vernetzung der europäischen Polizei ein Schlüssel zum Erfolg:
Die polizeiliche Zusammenarbeit fördern wir durch den Ausbau gemeinsamer Joint-
Investigation-Teams, die in enger Zusammenarbeit Ermittlungen durchführen. Für erfolgreiche
Kriminalitätsbekämpfung werden die besten Köpfe benötigt. Deshalb wollen wir, dass Europol
und Eurojust auch Expert*innen einstellen können, die nicht aus den Polizei- oder
Justizbehörden der Mitgliedsländer abgeordnet werden. Gemeinsame Zentren der Polizei in
Grenzregionen bauen wir auf Ebene der EU aus.
In Praxis und Theorie wollen wir die europäische Polizeiarbeit auf Grundlage von
Rechtsstaatlichkeit und Wissenschaft stärken. Dafür fördern und entwickeln
Austauschprogramme für Polizist*innen weiter u. a. auch über das Programm ERASMUS+. Wir
stärken die Kooperation und Forschung an Polizeihochschulen und Universitäten und fördern so
eine wissenschaftsbasierte Kriminalpolitik. Auch Drittstaaten wollen wir hierbei
einbeziehen, insbesondere mit Blick auf die gemeinsame Bekämpfung der Organisierten
Kriminalität und Finanzkriminalität.
Organisierte Kriminalität bekämpfen
Organisierte Kriminalität (OK) schädigt Menschen europaweit. Sie kostet Steuerzahler*innen
und Unternehmen Milliardenbeträge. Sie kann Demokratie und Rechtsstaat unterwandern.
Beispiele hierfür sind die Mordanschläge auf investigative Journalist*innen, die
Unterwanderung legaler Wirtschaftsbereiche oder die politische Einflussnahme durch
Korruption. Damit schädigt die OK insbesondere wirtschaftlich schwache Regionen in Europa
und hindert deren Entwicklung. Wir wollen entschlossen und gemeinsam gegen Organisationen
der OK vorgehen. Gruppierungen wie die Mafia nehmen wir dabei besonders in den Blick. Dafür
stärken wir die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Kriminalpolizei und Justiz. Die
europäischen Gesetze zur Bekämpfung der OK wollen wir harmonisieren.
Die organisierte Wirtschaftskriminalität betrachten wir stärker, schützen so auch
Verbraucher*innen vor Betrug und Unternehmen vor unfairem Wettbewerb. Den Kampf gegen die
unterschiedlichen Formen des Menschenhandels wollen wir konsequent führen und den Opfern
besonderen Schutz zukommen lassen. Ein Schwerpunkt für uns ist die Bekämpfung der
Umweltkriminalität und Agromafia: Die illegale Entsorgung von Müll, der illegale
Holzeinschlag oder der Handel mit fragwürdig erzeugten Lebensmitteln verursachen enorme
Schäden für Mensch und Umwelt. Den Handel mit illegalen Drogen werden wir eindämmen und
nehmen hierfür die gesamte Produktions- und Handelskette in den Blick. Wir fördern
bereichsübergreifende Ermittlungen, um besser gegen Überschneidungen der OK und anderen
Kriminalitätsfelder, wie zum Beispiel Cybercrime oder Terrorismus, vorzugehen. Ein
nachhaltiges Vorgehen gegen kriminelle Aktivitäten kann nur in Zusammenarbeit mit der
Zivilgesellschaft gelingen und muss auf Prävention setzen. Daher werden wir
zivilgesellschaftliche Organisationen unterstützen, die sich gegen die OK engagieren oder
Ausstiegsprogramme für Mitglieder krimineller Organisationen anbieten.
Menschenhandel umfassend bekämpfen
Menschenhandel in all seinen Formen ist ein grenzüberschreitendes Verbrechen und eine
Menschenrechtsverletzung. Jährlich werden enorme Gewinne durch kriminelle Gruppen erzielt.
Trotz bestehender EU-Gesetzgebung und völkerrechtlicher Verpflichtungen der EU-
Mitgliedsstaaten wird die Mehrzahl der Fälle von Menschenhandel bis heute nicht effektiv
aufgeklärt bzw. strafrechtlich verfolgt. Die Formen des Menschenhandels sind vielseitig. Die
häufigste Form ist die zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Betroffen sind vor allem Frauen
und Mädchen. Eine weitere Form ist die der Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit. Dabei werden
Arbeitsschutzstandards massiv unterlaufen und die Menschen in ausbeuterische
Arbeitsverhältnisse gezwungen. Ihre Lebensumstände sind katastrophal. Auch die Ausbeutung
für kriminelle oder erniedrigende Tätigkeiten oder gar die illegale Organentnahme gehören
zum Menschenhandel.
Opfer von Menschenhandel brauchen Schutz, sie müssen in ihren Rechten gestärkt werden, und
sie brauchen Hilfe, auch bei der Bewältigung erlittener Traumata. Minderjährige Betroffene
brauchen dabei besondere Aufmerksamkeit und Schutz. Wir wollen den Zugang zu Informationen
über Opferrechte stärken und die Durchsetzung fördern sowie eine gute Koordination zwischen
den Mitgliedstaaten, öffentlichen Verwaltungen und den Justizbehörden sicherstellen. Dabei
muss der Opferschutz im Zentrum des Handelns stehen. Betroffene wollen wir durch
unabhängige, dauerhafte Bleiberechte und Schutzprogramme nachhaltig schützen.
Die EU-Organe sollen auf die ordnungsgemäße Umsetzung der EU-Menschenhandelsrichtlinie in
den Mitgliedsstaaten hinwirken und sie dabei bestmöglich unterstützen. Die Mitgliedsstaaten
sind gefordert, eigene Aktionspläne zur effektiven Bekämpfung von Menschenhandel zu
entwerfen und umzusetzen, um so in Zukunft zu einer besseren Identifizierung der Opfer und
Täter*innen sowie zu einer verbesserten Datenlage beizutragen.
Wir schmieden Allianzen zwischen Fachberatungsstellen, zivilgesellschaftlichen
Organisationen und der Wirtschaft. Wir setzen uns für Schulungen des Personals ein, das mit
Opfern von Menschenhandel in Berührung kommt oder dabei helfen kann, Täter*innen zu
identifizieren. Schließlich stärken wir eine entschlossene, grenzüberschreitende
Zusammenarbeit der zuständigen Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden, um gegen den
Menschenhandel vorzugehen und kriminelle Netzwerke zu zerschlagen.
Gegen Geldwäsche vorgehen
Geldwäsche und Finanzkriminalität verursachen hohe finanzielle Schäden für Staat und
Gesellschaft. Allein in Deutschland werden schätzungsweise rund 100 Milliarden Euro jährlich
„gewaschen“. Der Skandal um die Wirecard AG hat viele Tausende von Kleinanleger*innen
geschädigt. Wir wollen entschieden gegen Geldwäsche und Finanzkriminalität vorgehen. Auch
den organisierten Steuer- oder Subventionsbetrug werden wir ins Visier nehmen.
Finanzermittlungen bieten häufig erste Ermittlungsansätze und können helfen, kriminellen
Gruppen die Geschäftsgrundlage zu entziehen. Daher wollen wir Instrumente stärken, um
insbesondere Finanzströme besser nachzuvollziehen sowie Geldwäsche und Vermögensverschiebung
aufzuspüren. Für uns ist klar: Kriminalität darf sich nicht lohnen!
Die neue europäische Anti-Geldwäschebehörde AMLA wollen wir zu einer schlagkräftigen
Institution im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung entwickeln. Wir drängen
darauf, dass alle EU-Mitgliedstaaten nun ohne Verzug europäische und internationale
Standards zur Bekämpfung der Geldwäsche national umsetzen. Beim Aufbau der AMLA arbeiten wir
auch eng mit dem Privatsektor zusammen, um beispielsweise den Handel mit Kryptowährungen zu
beleuchten und Maßnahmen zu ergreifen. Zusätzlich soll der automatische Austausch von
Steuerinformationen intensiviert werden. Wir setzen uns dafür ein, dass international auf
Ebene der G7/G20 ein Anti-Geldwäsche-Aktionsplan vorangetrieben wird. Wir setzen uns für ein
europäisches Vermögensregister ein. Behörden sollten europaweit die wirtschaftlichen
Eigentümer von Vermögensgegenständen einsehen dürfen, die von Kriminellen regelmäßig für
Geldwäsche missbraucht werden.
Schlupflöcher und Umgehungsmöglichkeiten der Transparenzregister, die zur Bekämpfung von
Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung dienen, werden wir weiter einschränken. Der Zugang zu
den Transparenzregistern soll für die Zivilgesellschaft, Journalist*innen, Forscher*innen
und andere Gruppen mit berechtigtem Interesse einfach, kostenfrei und anonym möglich sein.
Immobilien müssen wirksam vor Spekulationen durch illegales Geld geschützt werden. So
schützen wir auch Mieter*innen. Dafür werden wir die Transparenzvorschriften und Kontrollen
beim Immobilienerwerb verbessern.
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden und Instrumente im
Bereich Vermögensabschöpfung wollen wir verbessern. Vermögen unklarer Herkunft in
Zusammenhang mit kriminellen Aktivitäten muss einfacher eingezogen werden können. Für
Bargeld werden wir EU-weit gültige Höchstgrenzen festlegen, um den Transfer von
inkriminierten Finanzmitteln zu erschweren. Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung OLAF
werden wir personell und finanziell stärken, damit es wirksam gegen Betrugs- oder
Korruptionsstraftaten, zum Beispiel die Veruntreuung von europäischen Fördergeldern,
vorgehen kann.
Terrorismus stoppen
Terroristische Anschläge oder Gewalttaten, derzeit hauptsächlich islamistisch und
rechtsextrem motiviert, erzeugen unermessliches menschliches Leid. Sie sind eine Gefahr für
die öffentliche Sicherheit. In den letzten Jahren hat die grenzüberschreitende Vernetzung
von gewaltbereiten Gruppen und Akteur*innen zugenommen. Die EU kann und muss hier einen
wirkungsvollen Beitrag zum Schutz leisten. Eine konsequente und gut abgestimmte polizeiliche
wie nachrichtendienstliche europaweite Zusammenarbeit mit einheitlichen rechtsstaatlichen
Standards und Definitionen ist notwendig, um gegen Terror vorzugehen. Wir wollen hierfür die
Stelle des Anti-Terror-Koordinators bzw. der Anti-Terror-Koordinatorin der EU aufwerten und
die Mitgliedstaaten zu mehr Austausch und Kooperation verpflichten.
Gute Präventionsarbeit ist das beste Mittel, damit Menschen nicht in die politische
Gewaltszene und den Terrorismus abrutschen. Dafür brauchen wir den europaweiten
Erfahrungsaustausch demokratischer Kräfte, den wir finanziell fördern wollen. Dazu zählt die
Bildungsarbeit an Schulen oder Jugendeinrichtungen. Programme zur Deradikalisierung oder
Angebote für Aussteiger*innen aus der islamistischen oder rechtsextremen Szene wollen wir
EU-weit etablieren. Die Entwicklung anderer und neuer Extremismusformen, wie beispielsweise
die verfassungsschutzrelvante Delegitimierung des Staates, beobachten wir genau.
Erkenntnisse aus Forschung und Wissenschaft lassen wir hierbei einfließen.
Onlineplattformen, Online-Gaming und Messenger spielen eine wichtige Rolle bei der
Verbreitung von Terrorpropaganda. Wir wollen, dass Anbieter solcher Dienste entschiedener
dagegen vorgehen und entsprechende Inhalte löschen.
Durch eine entschiedene Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung wollen wir dem Terror die
operative Grundlage entziehen. Wir richten den Blick darauf, wo sich terroristische und
kriminelle Strukturen überschneiden. So unterbinden wir den Zugang zu Schwarzmärkten und
legen wichtige Finanzquellen trocken oder erschweren Zugang zu Waffen. Wir setzen uns für
gemeinsame Standards und einen intensiven Austausch bei der Verfolgung von Terrorist*innen
ein.
Bei der Beobachtung potenzieller Gewalttäter*innen braucht es ein europaweit einheitliches
Vorgehen, damit die Sicherheitsbehörden nicht aus administrativen Gründen ihre Spur
verlieren. Den Begriff des „Gefährders“ wollen wir deshalb EU-weit einheitlich definieren,
um eine grenzüberschreitende Fallbearbeitung sicherzustellen.
Schwere Gewalttaten und Terroranschläge haben in der Vergangenheit immer wieder gezeigt,
dass Schusswaffen oder Ausgangsstoffe für Explosivstoffe zu leicht verfügbar sind. Wir
wollen die Verfügbarkeit von illegalen Schusswaffen einschränken und den Schwarzmarkt
austrocknen. Für sogenannte Anscheinswaffen, beispielsweise Sammlerstücke, wollen wir
wirksame europäische Standards einführen, damit eine Reaktivierung der Waffen nicht mehr
möglich ist. Waffen und relevante Waffenteile müssen lückenlos registriert werden. Wir
setzen uns für gemeinsame und strenge Standards für die Zuverlässigkeitsprüfung für
Waffenbesitzer*innen ein. Den Missbrauch von Ausgangsstoffen von Explosivstoffen wollen wir
durch ein strenges Monitoring unterbinden.
Nachrichtendienste effektiv aufstellen
Grenzüberschreitender Terrorismus, rechtswidrige Aktivitäten ausländischer Geheimdienste,
Wirtschaftsspionage oder Desinformationskampagnen bedrohen unsere liberale und offene
Gesellschaft. Besonders autoritäre Staaten wie China, Russland oder Iran, aber auch
kriminelle Gruppierungen nehmen dabei die gesamte EU in den Blick. Teilweise koordinieren
sie ihre Vorgehen in den verschiedenen Mitgliedstaaten. Beispiele hierfür sind die massiven
Verbreitungen von Falschnachrichten - auch zur Beeinflussung von Wahlen, Angriffe auf
Oppositionelle auf EU-Territorium oder auf unsere Kritischen Infrastrukturen (KRITIS). Dem
müssen wir uns in der EU gemeinsam und entschlossen entgegenstellen. Die Nachrichtendienste
spielen dabei eine wichtige Rolle und sind Teil einer wehrhaften Demokratie.
Wir fordern effektive und rechtsstaatliche Nachrichtendienste, mit denen wir die Sicherheit
der EU besser gewährleisten können. Bislang wird ihre Arbeit oft dadurch behindert, dass
Informationen und Erkenntnisse nicht ausreichend in den bereits bestehenden europäischen
Strukturen geteilt werden können. Deshalb wollen wir für eine bessere Zusammenarbeit der
europäischen Nachrichtendienste eine europäische Nachrichtendienstagentur (ENA) gründen, die
die bereits bestehenden sowohl zivilen als auch militärischen europäischen
nachrichtendienstlichen Strukturen auf klarer rechtsstaatlicher Basis weiterentwickelt.
Sie soll in den Mitgliedstaaten gesammeltes Wissen, unter Einhaltung strenger rechtlicher
Vorgaben, zusammenführen, um die europäische Analysefähigkeit zu stärken. So können
strategische und langfristige sicherheitspolitische Einschätzungen abgegeben werden. Es
braucht starke, effektive und demokratisch legitimierte und rechtsstaatliche Mechanismen zur
Kontrolle der Agentur, die wir unter Einbeziehung des Europäischen Parlaments erarbeiten
wollen.
Wir wollen bei der Entwicklung europäischer IT-Lösungen im Bereich der Nachrichtendienste
stärker zusammenarbeiten, um so auch hier die digitale Souveränität zu sichern. Wir setzen
uns dafür ein, dass nachrichtendienstliche Befugnisse europaweit auf klaren Rechtsgrundlagen
stehen, angemessen begrenzt und in allen Mitgliedstaaten unter eine starke parlamentarische
Kontrolle gestellt werden. Nachrichtendienstliche Tätigkeiten und Instrumente müssen
evaluiert werden und im Einklang mit Bürger*innenrechten stehen. Einen rechtswidrigen
Ringtausch von fragwürdig erlangten Daten unter den Nachrichtendiensten lehnen wir ab.
Darüber hinaus setzen wir uns für eine bessere Vernetzung und Kooperation der
mitgliedstaatlichen Aufsichtsbehörden auf der europäischen Ebene ein.
Gemeinsame Strafverfolgung ausbauen
Eine effiziente und gemeinsame Verfolgung von Straftaten braucht einen einheitlichen
europäischen Rechtsrahmen – das gilt für das gesamte Spektrum, von der Organisierten
Kriminalität bis hin zu Hasskriminalität. Dafür wollen wir insbesondere das Strafrecht
weiter harmonisieren. Hasskriminalität wollen wir in die Liste der EU-Straftaten aufnehmen,
damit sie europaweit verfolgt werden kann. Dazu braucht es auch ein einheitliches
europaweites Monitoring und regelmäßige Dunkelfeld- und Viktimisierungsstudien.
Um Recht in Europa durchzusetzen, wollen wir die europäischen Strukturen stärken: Die
Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Eurojust)
wollen wir personell und finanziell besser ausstatten und die Europäische Staatsanwaltschaft
(EUStA) ausbauen. Sie soll zukünftig auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten im Bereich
von Terrorismus und OK zuständig sein. Grenzüberschreitende Strafverfahren wollen wir
vereinfachen und in einem Land bündeln, damit sie gemeinsam durchgeführt werden können.
Durch die Digitalisierung des grenzüberschreitenden elektronischen Rechtsverkehrs unter
Wahrung der IT-Sicherheit und des Datenschutzes schaffen wir eine schnellere und
effizientere Zusammenarbeit der Justiz in Europa. Es ist unser aller Auftrag, Kinder vor
sexualisierter Gewalt zu schützen. Notwendig dafür sind Strukturreformen genauso wie
Investitionen in Präventionsarbeit sowie mehr Personal in Beratungsstellen und bei der
Polizei. Statt Überwachung aller privaten Chat- und Messenger-Nachrichten („Chatkontrolle“)
setzen wir uns für gezielte Maßnahmen ein.
Im Zentrum stehen die Rechte der Bürger*innen: Wir treten für einen effektiven Rechtsschutz
von Beschuldigten und Verteidiger*innen ein. Hinweisgeber*innen, Zeug*innen und
investigative Journalist*innen spielen eine herausragende Rolle bei der Aufklärung von
Straftaten und Rechtsverstößen. Wir wollen sie deshalb besser schützen. Dafür schlagen wir
ein EU-Netz vor, das europaweit einen wirksamen Schutz für Menschen bietet, die bei der
Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten mitwirken. All das soll Menschen dabei
unterstützen, bei der Aufklärung von Verbrechen sicher mit der Justiz zusammenzuarbeiten.
Das wollen wir nutzen. Aussagen von Kronzeug*innen sollen künftig eine größere Rolle bei der
grenzüberschreitenden Strafverfolgung spielen.
Die Bevölkerung schützen
Naturkatastrophen, schwere Unglücke oder humanitäre Notlagen: Außerordentliche
Notsituationen können das Leben Tausender Menschen auf den Kopf stellen und gigantische
Umweltschäden nach sich ziehen. Ebenso können Angriffe auf unsere Kritische Infrastruktur
unabsehbare Auswirkungen haben. Sie sind die Lebensadern unserer modernen Gesellschaft. Sie
versorgen uns mit Energie oder Informationen. Einzelne Mitgliedstaaten sind mit Bedrohungen
dieses Ausmaßes schnell überfordert. Die EU kann durch eigene Ressourcen und Koordination
praktisch helfen – und so Sicherheit und Wohlstand auf unserem Kontinent schützen. Wir
wollen den physischen und digitalen Schutz von KRITIS verbessern und zusammendenken. Dabei
nehmen wir transnationale Netze stärker in den Blick. Ein verbindliches IT-
Schwachstellenmanagement führen wir ein, um Attacken auf digitale Systeme zu verhindern.
Durch die Klimakrise drohen Extremwetterereignisse mit ihren teilweise unabsehbaren Folgen
weiter zuzunehmen. Eine Stärkung des europäischen Bevölkerungsschutzes kann dabei helfen,
Schäden zu reduzieren. Wir wollen das europäische Katastrophenschutzverfahren weiter stärken
und mit eigenen europäischen Fähigkeiten ausstatten. Dafür wollen wir zunächst eine echte
europäische Löschflugzeugstaffel aufstellen und in die rescEU-Reserve einbinden. Um die
Bevölkerung und insbesondere vulnerable Gruppen besser vor extremen Hitzewellen zu schützen,
wollen wir die Mitgliedstaaten dabei unterstützen, gemeinsame Hitzeschutzkonzepte zu
entwickeln. Europa braucht zudem bessere Vorbereitung auf transnationale Katastrophen.
Deswegen wollen wir gemeinsame Pläne zur Risikovorsorge und -bewältigung auf den Weg bringen
und über alle Planungsprozesse hinweg mitdenken. Den gesundheitlichen Bevölkerungsschutz und
zum Beispiel Kapazitäten zur Hilfe bei Erdbeben oder anderen Großschadenslagen wollen wir
ausbauen.
7. Digitale Bürgerrechte
Menschenrechte in einer digitalen Welt sichern
Die schnell fortschreitende Digitalisierung hat einen enormen Einfluss auf die Art, wie wir
zusammen leben. Deswegen entwickeln wir auf der Grundlage unserer Werte eine
Menschenrechtspolitik für das digitale Zeitalter. Wir wollen die EU dabei als Vorbild und
Partnerin für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in einer globalisierten digitalen Welt
stärken. Dazu müssen wir bei der Gestaltung der digitalen Dimension die Rechte der Menschen
immer mitdenken. Menschen haben das Recht, selbstbestimmt zu leben und weder von KI noch
anderen Technologien vereinnahmt zu werden.
Wir treten dafür ein, dass der digitale Raum stärker unsere vielfältige Gesellschaft
abbildet und bestehende Diskriminierung nicht in den digitalen Raum übertragen wird. Wir
fördern das konsequente Vorgehen gegen Diskriminierung und eine aktive Beteiligung von
Frauen an den Gestaltungspositionen der Digitalisierung. Wir wollen den völkerrechtlichen
Rahmen für den digitalen Raum stärken und uns dabei an dem Leitbild eines freien, offenen,
globalen und sicheren Internet orientieren.
Instrumente der Massenüberwachung lehnen wir daher ab. Dazu gehört etwa die anlasslose
Vorratsdatenspeicherung oder Chatkontrolle, biometrische Gesichtserkennung, die Überwachung
von Verhalten oder Emotionen. Besonders KI-gestützte Technologien zur Erkennung von
Emotionen oder die Zuschreibungen von teils höchst persönlichen Eigenschaften wie
Geschlecht, sexuelle Orientierung, politische oder gewerkschaftliche Zugehörigkeit lehnen
wir auch aufgrund der möglichen Auswirkungen auf bereits marginalisierte Gruppen ab. Die
Forschung und der Einsatz besonders von Emotionserkennung zur Unterstützung im medizinischen
und sozialen Bereich sollen davon aber nicht betroffen sein. Das Recht auf digitale
Privatsphäre, auf eine sichere Kommunikation und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wollen wir
stärken und ausbauen. Die anonyme Nutzung des Internets wollen wir schützen. Besonderes
Augenmerk soll dabei auf die einfache Verwendung durch Nutzer*innen gelegt werden. Sie ist
gerade für eine freie Presseberichterstattung oder für die Arbeit von oppositionellen
Kräften in autoritären Ländern von entscheidender Bedeutung.
Der anlasslosen Verarbeitung von umfassenden Fluggastdaten und der Ausweitung entsprechender
Systeme auf andere Sektoren treten wir klar entgegen. Auch in der EU wird Spyware
eingesetzt, die tief in die Privatsphäre eindringt. Den Einsatz von Spyware wollen wir
strenger regulieren und die parlamentarische Kontrolle stärken. Gegen eine missbräuchliche
Nutzung, zum Beispiel zur Überwachung von Journalist*innen oder Staatsanwält*innen, muss
stärker vorgegangen werden.
Nicht alle Menschen haben die Möglichkeit, die digitalen Dienste voll zu nutzen. Auch wenn
die Digitalisierung in schnellen Schritten voranschreitet, setzen wir uns dafür ein, dass
Dienstleistungen, die für die für eine Teilhabe in der Gesellschaft notwendig sind, wie zum
Beispiel die von Ärzt*innen, Behörden, Banken oder des ÖPNV auch ohne zusätzliche Kosten
analog zugänglich bleiben.
Gegen Hass und Desinformation im Netz vorgehen
Der Zugang zu verlässlichen Informationen und Nachrichten ist eine Voraussetzung der
Demokratie. Soziale Medien und andere moderne Kommunikationsplattformen erlauben es heute,
dass Informationen und Nachrichten auf unterschiedlichste Weise aufbereitet und diskutiert
werden können.
Durch Propagandakampagnen wird die demokratische Meinungsbildung gefährdet. Wahlen und
andere
Meinungsbildungsprozesse sowie das Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen sollen
bewusst mit Mitteln der Desinformation beeinflusst werden. Dem stellen wir uns
beispielsweise mit
Maßnahmen zur Stärkung der Medienkompetenz oder einer Förderung von Faktencheck-Plattformen
entschieden entgegen. Wir wollen eine mögliche Aufnahme von systematischer Desinformation in
den Katalog der EU-Straftaten prüfen. Wir treten außerdem dafür ein, dass Sanktionen gegen
Propagandaplattformen, die gezielt Desinformationen verbreiten, etwa Russia Today,
konsequent durchgesetzt werden. Wir wollen, dass regelmäßig und europaweit Lagebilder zu
Desinformationen erstellt werden, um die Grundlage für eine effektive Bekämpfung zu
schaffen.
Hass, Hetze und Desinformation greifen gezielt die offene Debatte an diesen Orten an. Mit
offenem Frauenhass wird versucht, Frauen aus dem digitalen Raum zu drängen. Die Instrumente
zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sowie von Hass und Hetze müssen konsequent angewendet
werden. Gegen die Veröffentlichung von Nacktbildern ohne Zustimmung von Betroffenen muss
stärker vorgegangen werden. Algorithmen und Targeting dominanter Digitalplattformen tragen
dazu einen wesentlichen Beitrag, indem sie Hassnachrichten und Desinformation verstärkt
verbreiten. In der Folge ziehen sich von Hassrede betroffene Personen häufig zurück oder
schränken ihre Meinungsäußerung ein – zum Schaden der demokratischen Debatte.
Die algorithmische Verstärkung von Hass und Hetze nehmen wir ins Visier. Hassrede muss
konsequent gelöscht und verbreitende Accounts müssen gesperrt werden. Wir setzen uns für
schnell und einfache Verfahren ein. Mit dem Digitale-Dienste-Gesetz und dem Digitale-Märkte-
Gesetz haben wir in Europa die Grundsteine gelegt, um mit Nutzer*innen-Rechten, Transparenz
und klaren Regeln Hassrede entgegenzutreten, ein demokratischeres Internet zu schaffen und
Wettbewerb wiederherzustellen. Diese Regeln gilt es, jetzt in Deutschland und Europa
konsequent durchzusetzen und weiterzuentwickeln. Hass und Desinformation dürfen sich als
Geschäftsmodell nicht lohnen. Wir wollen Maßnahmen prüfen, um solche Geschäftsmodelle
trockenzulegen, etwa durch die Abschöpfung der hierdruch erzielten Erträge.
Zivilgesellschaftliche Organisationen müssen von Hass und Hetze betroffene Personen
einfacher bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützen können. Dafür wollen wir auch eine
europaweite Opferberatung und niedrigschwellige Hilfsangebote etablieren.
Zivilgesellschaftliche Organisationen sollen Betroffene in Verfahren vertreten oder bei
Fällen von Volksverhetzung auf eigene Initiative tätig werden dürfen.
Die Einrichtung von Spezialdienststellen bei Polizei und Staatsanwaltschaften in den
Mitgliedstaaten wollen wir unterstützen. Die konsequente Durchsetzung des Strafrechts kann
auch durch die rechtlich gesicherte automatisierte Erkennung von strafrechtlich relevantem
Material, zum Beispiel Hassposts, unterstützt werden, das anschließend von den
Ermittlungsbehörden überprüft wird. Europol soll gegen europaweit agierende Netzwerke
vorgehen, die gezielt Hass und Hetze im Netz verbreiten.
Gleichzeitig können auch klassische Medien bei der Verbreitung von Desinformation eine
wichtige Rolle spielen, wenn sie zum Beispiel Informationen ohne Überprüfung aus den
sozialen Medien übernehmen oder gar selbst aktiv bei der Verbreitung von Falschinformationen
mitwirken. Die Verbreitung von hochwertigen gefälschten Videos, sogenannten Deepfakes, oder
durch KI manipulierten Bildern lässt Desinformationen noch glaubwürdiger erscheinen und ist
für viele Menschen nur schwer erkennbar. Daher haben wir im Rahmen des KI-Gesetzes
erfolgreich die adäquate Kennzeichnung der Deepfakes verankert. Ein wichtiger Baustein der
Bekämpfung von Desinformationen in einer Demokratie liegt in der Stärkung der
Informationskompetenz, damit Menschen besser Desinformationen erkennen können.
Sogenannte Social Bots, die automatisch Inhalte in sozialen Medien verbreiten, müssen
entsprechend gekennzeichnet und somit unterscheidbar von menschlichen Nutzer*innen werden.
Europas IT schützen
Wenn unsere digitale Infrastruktur eine immer wichtigere Rolle für unser Zusammenleben
spielt, kommt ihrem Schutz eine große Bedeutung bei. Der beste Schutz vor Cybercrime aber
liegt in der Prävention und in der Resilienz digitaler Systeme. Wir sorgen für eine
konsequente Etablierung von hohen IT-Sicherheitsanforderungen in digitalen Produkten,
Diensten und Prozessen. Wir setzen uns für eine zügige Umsetzung der aktualisierten EU-
Richtlinie zur Cybersicherheit ein, um ein EU-weites Sicherheitsniveau zu etablieren. Um die
Sicherheit von IT-Produkten für Verbraucher*innen transparent zu machen und das IT-
Sicherheitsniveau im privaten Bereich zu erhöhen, wollen wir die Einführung eines IT-
Sicherheitskennzeichen auf europäischer Ebene prüfen. Wir wollen die europäische Kooperation
im Bereich der Cybersicherheit deutlich stärken und setzen uns für eine gemeinsame,
europäische Sicherheitsarchitektur ein. Die Agentur der Europäischen Union für
Cybersicherheit, die Arbeit des europäischen Information Sharing and Analysis Center (ICAC)
sowie das außenpolitische Instrument der „Cyber Diplomacy Toolbox“ entwickeln wir hierfür
weiter.
Der Cyberraum wird zunehmend Schauplatz von Kriegen und Konflikten. Das sehen wir
eindringlich in der Ukraine, wo die militärische Aggression Russlands von Cyberoperationen
begleitet wird. Auch Cyberattacken etwa auf digitale Wahl- und Verwaltungssysteme sind eine
Bedrohung für unsere Demokratie und Sicherheit. Wir setzen uns für einen norm- und
regelbasierten Cyberraum ein, der von Diplomatie und internationaler Zusammenarbeit geprägt
ist. Gleichzeitig geht Cybersicherheit mit digitaler Souveränität einher. Hier wollen wir
Kompetenzen in der EU ausbauen.
Wir wollen in Europa die rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen für sichere „Digitale
Botschaften“ schaffen. Damit sollen staatliche und öffentlich relevante Datenbanken und
technische Infrastrukturen in anderen europäischen Mitgliedstaaten gesichert vorgehalten
werden können, um auch in Krisen- und Kriegssituationen die Arbeitsfähigkeit und den Zugang
zu Daten, zum Beispiel von Parlamenten, der öffentlichen Verwaltung, der Justiz oder den
Sozialversicherungen, zu ermöglichen.
Das hohe Tempo der Digitalisierung und die Zunahme digitaler Dienstleistungen haben auch zu
einer Verlagerung von Straftaten ins Netz geführt. Darauf muss die Strafverfolgung
reagieren, besonders auf europäischer Ebene, denn Cybercrime kennt ebenso wie das Internet
keine Grenzen. Dafür stärken wir die Rolle von Europol bei der Bekämpfung von Kriminalität
im Netz. Auch die europaweite polizeiliche Zusammenarbeit zur Erkennung und Bekämpfung
stärken wir. So gehen wir auch entschieden gegen die Verbreitung von sexualisierten
Gewaltdarstellungen von Kindern und Jugendlichen im Netz vor, indem wir die
Ermittlungsbehörden personell, technisch und verfahrensrechtlich stärken. Hierzu wollen wir
auch die Möglichkeit von automatisierten Anwendungen zur Ermittlungsunterstützung nutzen.
Wir wollen mit gezielten Kampagnen die Bürger*innen für Betrugsdelikte sensibilisieren, die
im Internet begangen werden.